Titel: Strassenbahn-Pressluftbremse der „Standard Air Brake Company“.
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 350
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Strassenbahn-Pressluftbremse der „Standard Air Brake Company“. Strassenbahn-Pressluftbremse der „Standard Air Brake Company“. Zu den wichtigsten und deshalb auch am lebhaftesten erörterten Angelegenheiten des modernen Strassenbahnbetriebes mit Motorwagen gehört zur Zeit berechtigtermassen noch immer die Frage der Einführung wirklich guter, d.h. ebenso verlässlicher als kräftig wirkender Bremsen. Gewöhnliche Handbremsen allein können wohl nimmer als genügend erachtet werden und auch die elektrischen Bremsen scheinen bisher nicht alles das zu bieten und zu leisten, was gewünscht wird. Vielfach stellen die betreffenden staatlichen oder munizipalen Aufsichtsbehördenfür die Bremsleistung bestimmte Bedingungen auf, und diese Bedingungen gipfeln im allgemeinen darin, dass die Bremse im stände sein soll, einen Motorwagen, gleichgültig, welchen Systemes immer, wenn derselbe mit einer Fahrgeschwindigkeit von 20 km in der Stunde auf einem Gefälle von 20‰ läuft, innerhalb einer Streckenlänge von 20 m anzuhalten. Für jene Fälle, in welchen von dem Motorwagen noch Schleppwagen gezogen werden, verlangt man aus naheliegenden und gerechtfertigten Gründen, dass auch die letzteren mit Bremsen der vorgeschriebenen Leistungsfähigkeit ausgerüstet seien, sowie mit Vorrichtungen, welche – von jedem Wagen aus – die Thätigmachung sämtlicher Bremsen des Zuges gestatten. Textabbildung Bd. 315, S. 351 Kompressorkuppelung der Standard-Tramwaybremse. Horizontalschnitt; Seitenansicht. Wie die Revue industrielle, 1900, S. 25 berichtet, ist die in der Ueberschrift benannte Pressluftbremse den vorangeführten Bedingungen noch weit überlegen, indem sie das Anhalten von mit 25 km in der Stunde fahrenden, gewöhnlichen elektrischen Tramwaywagen selbst auf einem Gefälle von 25 bis 30 ‰ innerhalb eines Abstandes von nur 15 bis 17 m zu bewirken vermag. Die Besonderheit der in Rede stehenden Luftdruckbremse beruht aber vorwiegend bloss in der Art des Antriebes des Kompressors. Bekanntlich können für diesen Zweck zweierlei Wege eingeschlagen werden, nämlich entweder die Anwendung eines eigenen Motors, oder die Ausnutzung der lebendigen Kraft des laufenden Wagens, indem letzterenfalls eine der Achsen des Wagens mit dem Kompressor durch eine Bewegungsübertragung in geeignete Verbindung gebracht ist. Bei der zuerst angeführten Antriebsform sind die Anlagekosten grösser, die Unterhaltungskosten jedoch geringer als bei der zweiten, weil der Kompressor nur nach Bedarf arbeitet; bei der letzteren stellen sich hingegen umgekehrt die Anschaffungskosten niedriger und dafür die Unterhaltungskosten höher, da der Kompressor, auch wenn es nicht notwendig ist, fortwährend bewegt wird, solange der Wagen nicht stillsteht. Die Standard Air Brake besitzt nun den Vorzug, die beiden Antriebsmethoden miteinander derart zu verbinden, dass einerseits ihre Vorteile gewahrt bleiben, andererseits ihre Nachteile wegfallen, indem der Kompressor wohl von einer Wagenachse aus angetrieben wird, jedoch ausschliesslich nur dann, wenn ein Bedürfnis dafür vorliegt. Es handelt sich also um eine selbstthätige Kuppelung zwischen Wagenradachse und Kompressor, dessen Anordnung durch die Fig. 1 bis 3 des näheren erläutert wird. Auf der Radachse e0 (Fig. 1 und 2) des Trambahnwagens ist ein zweiteiliges Getriebe aa (Fig. 1) leicht abnehmbar festgemacht, welches in das auf der Kurbelwelle cdef lose sitzende Zahnrad b eingreift. Letzteres wird jedoch nur fallweise an die Welle c d mittels einer Einrückung gh festgekuppelt, sobald der um n drehbare Hebel nm entsprechend weit nach links gedrückt ist. Das mit Hilfe einer besonderen in Fig. 3 in vergrössertem Massstabe und senkrechtem Querschnitte dargestellten Reguliervorrichtung d0 erfolgende Rechts- oder Linksrücken des Hebels nm ist also gleichbedeutend mit der Unterbrechung oder Herstellung der Bewegungsübertragung zwischen Wagenachse e0 und Kompressor a0a0 (Fig. 1 und 2). Zur Unterbringung der Zahnradübersetzung und des Kompressors, dessen Kolben p mit doppelter Wirkung arbeitet, sowie für die Lagerung seiner Kurbelwelle cdef dient das Gusseisengehäuse c0b0a0d0, das ähnlich wie ein Elektromotorgehäuse, einerseits von der Wagenachse e0 getragen wird, andererseits am Wagengestelle aufgehängt ist, wiees Fig. 4 ersehen lässt, wo dieselben Teile wieder mit denselben Buchstaben bezeichnet sind, wie in Fig. 1 und 2. Die dicht schliessenden Gehäuseteile a0 und b0 umgeben die Zahnradübersetzung ab und enthalten 4 bis 5 l Oel, in welchem die beiden Räder laufen. An den Seiten des Kompressorcylinders a0a0 (Fig. 1) sind in leicht zugängigen Lagen die Ventile für das Ansaugen und Ausstossen der Luft angebracht. Textabbildung Bd. 315, S. 351 Fig. 3.Kuppelungsregulator zur Standard-Tramwaybremse (Vertikalschnitt). Der Regulator d0 dient, wie bereits erwähnt, einzig zur Bethätigung der Einrückung hgb (Fig. 1), und besteht aus zwei ungleich weiten Kolbencylindern y und q (Fig. 1 und 3), deren Kolben r und s an einer und derselben Stange u befestigt sind, die eine Oese z besitzt, in welche das Endstück m des Hebels nm hineinreicht. Durch die Lage der Kolbenstange u wird also, da sie bei ihren Längsbewegungen den Hebel nm mitnimmt, die Lösung oder Herstellung der Kuppelung bedingt, sie selber ist aber von einem zweiten Zwischenapparate d1 (Fig. 3) abhängig, der aus einem Cylinder p1 besteht, in welchem sich ein Kolben v bewegt, den jedoch die kräftige Spiralfeder w stetig nach links zu drücken sucht. Ein an dem Kolben angebrachter, gleichsam die Kolbenstange bildender hohler Cylinder trägt den Schalenschieber t. Der linksseitige Teil des Cylinders p1 steht durch eine Abzweigung des vom Kompressor zum Pressluftbehälter g0 (Fig. 4) führenden Rohres in Verbindung, dann aber auch durch eine Bohrung oo1 (Fig. 3) mit dem rechtsseitigen Teil des Cylinders q und durch eine ähnliche Bohrung xx1x2 mit dem linksseitigen Ende des Cylinders y. Der rechtsseitige Teil von p1 ist durch ein besonderes Rohr mit der Bremse selbst, d.h. mit dem Bremscylinder, in Verbindung gesetzt. So lange der Kompressor arbeitet, haben die beiden Vorrichtungen d0d1 die in Fig. 3 dargestellte Lage; in diesem Falle ist die im Cylinder p1 von links auf den Kolben v wirkende Pressluft nicht im stände, die von rechts wirkenden Kräfte zu überwinden und v nach rechts zu schieben. Bei der hierdurch bedingten Lage von t besteht von einer ins Freie führenden Lochung i eine Verbindung über xx1x2 zu den links vom Kolben r befindlichen Teil des Cylinders y, weshalb die Feder w2 mit voller Kraft und unterstützt von der über oo1 aus p1 nach q gelangenden, von rechts auf den Kolben s einwirkenden schwachgespannten Pressluft die Kolbenstange u so weit nach links drückt, dass der Hebel nm (Fig. 1) die Einrückung bethätigt. Je nachdem nun der Luftdruck zufolge der fortgesetzten Thätigkeit des Kompressors steigt, verschiebt sich der Kolben v, den Widerstand der Feder w1 überwindend, nach rechts und zieht den Schieber t mit, welcher allmählich die Bohrungen x und o schliesst und somit die Verbindung des Cylinders y mit der Aussenluft und jene des Cylinders q mit dem Cylinder p1 aufhebt. In dem Augenblicke endlich, wo die Spannung im Pressluftbehälter das erforderliche Maximum erreicht, ist der Kolben v so weit nach rechts verschoben, dass unter t die Bohrungen o und i in Verbindung gelangen, während gleichzeitig die Bohrung x ganz geöffnet wurde. Es entweicht somit aus q die schwach gespannte Pressluft ins Freie, während die hochgespannte über x, x1 und x2 nach y eindringt und den Kolben r samt der Stange u nach rechts drückt; hierdurch wurde die Kuppelung zur Wagenachse gelöst. Wenn dann später infolge der Benutzung der Bremse der Luftdruck so weit sinkt, dass der Kompressor seine Arbeit neuerlich aufnehmen soll, wird dies durch die Rückstellung der Bremse selber bewerkstelligt, indem hierbei, wie wir später sehen werden, urplötzlich ein Luftstoss hinter den Kolben v tritt und diesen zwingt, seinen Rückweg nach links anzutreten, wobei der Schieber t zuerst die Verbindungen von o nach i und von p1 nach x unterbricht, um schliesslich wieder die in Fig. 3 dargestellten Luftwege herzustellen, wodurch die Kolbenstange u gleichfalls nach links geworfen und die Antriebskuppelung wieder eingeschaltet wird. Textabbildung Bd. 315, S. 352 Fig. 4.Bremsanordnung der „Standard Air Brake Company“ (Draufsicht). Textabbildung Bd. 315, S. 352 Fig. 5.Pressluftverteiler der Standard-Tramwaybremse (Vertikalschnitt). Wie die geschilderte Vorrichtung beispielsweise an elektrischen, mit zwei Motoren m1 und m2 (Fig. 4) ausgestatteten Tramwaywagen zur Anwendung gelangt, lässt diese Abbildung in Draufsicht ersehen. Die von dem Kompressor a0 abgegebene Luft wird durch das Rohr l0 in den Behälter g0 gepresst, welcher mittels des Rohres l1 den direkt auf dem Boden des Bremscylinders h0 angebrachten Verteiler k0 mit Pressluft versorgt. Dieser Verteiler wird von der einen oder der anderen Plattform des Wagens aus mit Hilfe eines wagerechten Kurbelrades thätig gemacht, welches mit der Nutenscheibe n1 bezw. n2 durch eine senkrechte Spindel verbunden und natürlich in einer Höhe angebracht ist, dass es dem Wagenlenker vollständig zur Hand liegt. Sowohl n1 als n2 wirken durch die Kette s1 bezw. s2 auf den dreiarmigen Hebel r0r1s0, dessen mittlerer Arm s0 durch ein Gelenk mit der Ventilstange des Verteilers k0 in Verbindung steht. Letzterer, der in Fig. 5 besonders herausgezeichnet ist, besteht aus zwei aneinanderstossendenCylindern von ungleicher Weite, in welchen sich die Kolbenstange b1z1 bewegt. Auf der Stange z1 sitzt im grösseren Cylinder ein Gehäuseschieber t1 fest, während sie im engeren Cylinder mit den aus gestauchtem Leder hergestellten Kolben v1 versehen und des weiteren mit der Zugstange b1 und dem Gelenk c1 verbunden ist, wo der früher erwähnte Hebelarm s0 (Fig. 4) angreift. Im grösseren Cylinder des Verteilers (Fig. 5) mündet die vom Pressluftbehälter kommende Rohrleitung l1; ferner befinden sich daselbst die drei vom Schieber t1 beeinflussten Bohrungen 1, 2 und 3, wovon die zwei ersteren gemeinsam mit der zum Bremscylinder h0 (Fig. 4) führenden Rohrleitung l3 (Fig. 5) in Verbindung stehen, während 3 das Ende eines Luftleitungsrohres l2 (Fig. 4 und 5) bildet, das zum Kuppelungsregulator d0 (Fig. 3), und zwar an das rechtsseitige Ende des Cylinders p1 geführt ist und zugleich zum Saugventil des Kompressors abzweigt. Wenn sich nun infolge einer durch den Wagenführer vorgenommenen Benutzung der Bremse die Verteilerstange z (Fig. 5) nach rechts verschiebt, öffnet der Schieber t1 das erste, linksseitige Loch 1, während 2 und 3 verschlossen werden. Die aus l1 kommende Pressluft kann sonach durch 1 und l3 in den Bremscylinder h0 (Fig. 4) eindringen, wo sie den Kolben zurücktreibt und auf diese Weise mit Hilfe der nach bekannter Art angeordneten Hebelsysteme t0u0v0 und x0y0z0 die vier Bremsbacken f1f1 und f2f2 gegen die Räder andrückt. Diese Bremsung erfolgt natürlich um so rascher, je schneller die verdichtete Luft in den Bremscylinder h0 eintritt. Um in dieser Richtung den ungleichen Bedürfnissen genügen zu können, sind eben die beiden Einströmungsöffnungen 1 und 2 (Fig. 5) vorgesehen. Wird nämlich die Bremskurbel des Wagenleiters nur um 90° gedreht, so öffnet der Schieber t1 bloss die Mündung 1, wobei sich die Bremsung verhältnismässig langsam vollzieht, dreht aber der Wagenlenker die Bremskurbel um volle 180°, dann werden fast gleichzeitig beide Oeffnungen 1 und 2 freigelegt und die Bremsung erfolgt in diesem Falle sozusagen plötzlich. Selbstverständlich wendet man die erstere Art des Bremsens regelrecht beim gewöhnlichen Halten des Zuges an, während die zweite nur in Fällen dringender Not benutzt wird. Nach jeder stattgehabten Bremsung schiebt sich beim Zurückstellen der Bremskurbel in ihre Ruhelage der Schieber t1 (Fig. 5) wieder nach links, wodurch die Oeffnungen 2 und 1 verschlossen werden und sodann 2 mit 3 in Verbindung gelangt, wie es die Abbildung zeigt. Infolge der Herstellung des Luftweges 2 3 findet die im Bremscylinder zurückgebliebene Pressluft einen Abfluss in das Rohr l2, durch welches sie zum Kompressor gelangt und das Saugventil desselben öffnet, während sie gleichzeitig in den Regulatorcylinder p1 (Fig. 3) eintritt und dort gemeinsam mit der Feder w1 den Kolben v nach links treibt, wodurch, wie bereits weiter oben erläutert worden ist, die Einschaltung des Kompressorantriebes erfolgt. An jeder Plattform des Wagens bezw. bei jeder Bremskurbel befindet sich unmittelbar vor den Augen des Wagenlenkers ein Manometer, welches über die im Pressluftbehälter vorhandene Spannung stetig Auskunft erteilt; eine am Handgriff der Bremskurbel angebrachte Federklinke und entsprechend angebrachte Fallen ermöglichen das Feststellen der Kurbel in jeder ihrer drei möglichen Lagen. Unter den praktischen Vorteilen, welche man der in Rede stehenden Pressluftbremse zuspricht, zählt auch die kompendiöse, enggeschossene Aneinanderordnung ihrer Teile und der äusserst geringe Aufwand von Leitungsrohren, wodurch die ganze Bremsanlage an sich billiger und verlässlicher wird. Die Länge der erforderlichen Luftleitungsrohre beträgt selbst bei einem Wagen mit zwei zweiachsigen Radgestellen für gewöhnlich nur 2,15 m. Wie die Erfahrung längst festgestellt hat, ist die Inanspruchnahme und der Verschleiss des Kompressors die denkbar geringste, auch auf Linien, wo sich die Haltepunkte dicht aneinander reihen, und deshalb erweisen sich die Unterhaltungskosten gleichfalls als niedrig. Schliesslich braucht wohl kaum besonders darauf aufmerksam gemachtzu werden, dass sich der mechanische Teil der Bremse ohne Schwierigkeiten auch für den gleichzeitigen Handbetrieb anordnen lässt, wenn man es für zweckmässig erachtet, diese zweite Bedienungsweise zur Sicherung für den Fall vorzusehen, als momentan eine Störung im Pressluftbetriebe eintreten würde.