Titel: Heinrich Lanz'sche Compoundlokomobile von 250 PSe Normalleistung auf der Weltausstellung Paris 1900.
Fundstelle: Band 315, Jahrgang 1900, S. 655
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Heinrich Lanz'sche Compoundlokomobile von 250 PSe Normalleistung auf der Weltausstellung Paris 1900. Lanz'sche Compoundlokomobile von 250 PSe Normalleistung auf der Weltausstellung Paris 1900. Dem ausführlichen Berichte über „Die Dampfmaschinen der Pariser Weltausstellung“ voraneilend, bringen wir über ein bemerkenswertes Ausstellungsobjekt der deutschen Maschinenindustrie die nachstehende kurze Mitteilung: In Gruppe IV, Klasse 19 zeigt die Firma Heinrich Lanz in Mannheim eine schwere Compoundlokomobile, die 10000. Lokomobile, die in ihren Werkstätten gebaut wurde. Die Maschine gewährt durch ihre aussergewöhnliche Grösse und die in allen Details zu Tage tretende Gediegenheit der Ausführung und der Bauart einen Anblick, der jeden Ingenieur und Sachkundigen mit Genugthuung erfüllt. Textabbildung Bd. 315, S. 654 Als vor etwa vier Jahrzehnten in Deutschland die ersten Maschinenbauer die Konstruktion von Lokomobilen ins Werk setzten, ahnte wohl niemand, zu welch hoher Bedeutung diese Gattung von Motoren gelangen sollte. Textabbildung Bd. 315, S. 654 Wohl drang die Erkenntnis der vielfachen wichtigen Vorteile, die der Betrieb mittels Lokomobile darbietet, wie z.B. das geringe Raumbedürfnis, die leichte Auswechselbarkeit und Verkäuflichkeit bei Anlageerweiterungen u.s.w. schnell in weitere Kreise und sicherte der Lokomobile einen hervorragenden Platz unter den Kraftmaschinen, so dass ihre Verwendung von Tag zu Tag allgemeiner wurde. Doch, dass es möglich war, der ehemaligen, viel verlästerten Hilfsmaschine im Laufe einer nur kurzen Epoche den Grad von technischer Vollendung und Leistungsfähigkeit zu geben, wie er an manchen zur Ausstellung gebrachten Lokomobilen in die Erscheinung tritt, muss uneingeschränkte Bewunderung erregen. Von der Bauart der Lanz'schen Maschine geben nachstehende Zahlen ein Bild. Die Maschine ist 5,5 m hoch, 8,4 m lang und wiegt etwa 65000 kg. Die beiden Schwungräder messen im Durchmesser 3200 mm und wiegen jedes für sich etwa 4700 kg. Der Cylinderkasten ohne Zubehörteile hat das ansehnliche Gewicht von 6000 kg. Die Normalleistung beträgt 250 PSe, die Maximalleistung 460 PS. Die Maschine ist eine sogen. Halblokomobile, die bekanntlich heute in gewerblichen und industriellen Betrieben als motorische Kraft in ausgedehntem Masse verwendet wird. Sie arbeitet, wie schon angedeutet, nach dem Compoundsystem, ferner mit Einspritzkondensation. Der Kessel, ein Röhrenkessel von 135 qm Heizfläche, ist samt der aus einem Stück gefertigten Wellrohrfeuerbüchse, System Morryson, ausziehbar, um eine schnelle, bequeme und gründliche Reinigung von Kesselsteinansätzen zu ermöglichen. Hoch- und Niederdruckcylinder sind vollständigim Dampfraum gelagert, so dass also alle Kondensations- und Druckverluste des Arbeitsdampfes vermieden sind. Es ist bekannt, dass in der hieraus sich ergebenden Verbilligung der Betriebskosten ein wichtiger Vorzug des Lokomobilbetriebes liegt. Die Steuerung wird durch die eine grosse Sparsamkeit im Dampf verbrauch sichernde, selbstthätige Expansionssteuerung, System Rider, bewirkt. Die Gangart der Maschine ist eine vollendet ausgeglichene und ruhige, ein Umstand, den auch die elektrische Beleuchtungsindustrie, die der Compoundhalblokomobile in neuerer Zeit ein ausgedehntes Feld der Verwendung bietet, zu schätzen weiss. Die Maschine besitzt einen Röhren vor wärmer, in dem durch Benutzung des Abdampfes das Speisewasser auf eine hohe Temperatur vorgewärmt wird. Der Abdampf wird dabei durch ein in dem Behälter angebrachtes Messingrohrsystem geleitet, kommt also mit dem Speisewasser in keine direkte Berührung. Dieses Verfahren der Speisewasservorwärmung ist anderen Systemen, die man sonst bei ähnlichen Anlagen antrifft, überlegen, namentlich aus dem Grunde, als das Speisewasser nicht durch vom Abdampf mitgeführtes Oel und Fett verunreinigt werden kann. Textabbildung Bd. 315, S. 655 Textabbildung Bd. 315, S. 655 Die Ausstellungsmaschine hat zwischen Dampfcylinder und Kurbelwellenlager, wie alle Lanz'schen Lokomobilen, sogen. Strebestangen, die hauptsächlich dazu dienen, den von dem Kolben auf die Kurbelwelle übertragenen Druck in der Maschine selbst aufzuheben und so jede Biegungsanstrengung auf den Kessel zu vermeiden. Nicht allein erhält dadurch die Maschine grössere Stabilität, sondern es wird insbesondere auch der Kessel entlastet und geschont. Da die Lagerstühle in breiten eingehobelten Längsnuten des Lagersattels verschiebbar angeordnet sind, werden die Lager mit der Kurbelwelle von den Strebestangen in der richtigen Stellung zum Cylinderkörper straff festgehalten. Infolgedessen kann der Kessel beim Warmwerden sich ungehindert strecken, ohne die Lage der Maschinenorgane, namentlich die auf den Dampf verbrauch und gleichförmigen Gang der Maschine so wichtige Schieberstellung im geringsten zu verrücken. Die Maschine ist ausserdem noch mit einer Anzahl Neuerungen ausgestattet, die eine Vervollkommnung in technischer Hinsicht bezwecken. So sind die Kurbelwellenlager als Ringschmierlager ausgebildet, die Schmierung der Exzenter erfolgt mittels Oelringe, welche durch Zentrifugalkraft das Oel in die Exzenter schleudern. Diese Einrichtung ermöglicht die Schmierung sämtlicher Teile auch während des Ganges der Maschine. Ferner wird die Luftpumpe nicht, wie bisher mittels Exzenter, sondern durch Hebel angetrieben, welche mit dem Kreuzkopf des Niederdruckkolbens verkuppelt sind. Es ist diese Anordnung insofern sehr zweckmässig, als sie gestattet, dass die Schwungräder auf beiden Seiten dicht neben die Lager gesetzt werden können. Sodann ist gegen Rückkühlungsverluste in der Weise ein weiterer Schutz geschaffen, dass die Cylinderdeckel mit direktem Dampf geheizt werden;zu dem gleichen Zwecke ist sowohl die vordere wie die hintere Stirnwand des Kessels mit besonderer isolierender Umkleidung versehen. In dieser vortrefflichen Ausstattung, die allen Erfordernissen des modernen Fabrikbetriebes gerecht wird, ist das Ausstellungsobjekt in hervorragendem Masse geeignet das Ansehen der heimischen Maschinenindustrie unter den fremden Nationen zu vermehren und ihnen Achtung vor dem „Made in Germany“ ein zuflössen. Unsere Industrie bedarf solcher Akklamation, um den mehr und mehr sich zuspitzenden Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkte siegreich führen zu können. An dem Wettbewerb selbst konnte sich die Firma Heinrich Lanz nicht beteiligen, da deren Chef, Geh. Kommerzienrat Lanz, als Vizepräsident der Jury in Klasse 19 (Dampfmaschinen, Lokomotiven, Kessel) fungierte. Textabbildung Bd. 315, S. 656 Es mögen über die herstellende Firma noch einige kurze Angaben hier Platz finden. Heinrich Lanz beschäftigt in seinen umfangreichen Betrieben etwa 3500 Arbeiter, und sind in den Werkstätten beständig über 900 Werkzeugmaschinen im Betriebe. Das Fabrikgelände in Mannheim, zum Teil noch unüberbaut, hat einen Flächeninhalt von etwa 400000 qm und haben die darin befindlichen Normalspurschienenstränge eine Länge von 10 km, nicht eingerechnet die Anschlussgeleise zum Bahnhof. Der tägliche Verbrauch an Roheisen beträgt etwa 70000 kg. Die jährliche Produktion beträgt 1500 Lokomobilen.