Titel: Moderne Dampfkesselanlagen.
Autor: O. Herre
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 8
Download: XML
Moderne Dampfkesselanlagen. Von O. Herre, Ingenieur und Lehrer. Moderne Dampfkesselanlagen. Die für den heutigen Dampfkesselbau hauptsächlich massgebenden Gesichtspunkte lassen sich etwa in folgender Weise zusammenfassen: 1. Genügende Widerstandsfähigkeit der Konstruktion für hohe Dampfspannungen bei massigem Materialaufwande. 2. Erzeugung trockenen Dampfes bezw. Erzeugung von hinreichend hoch und gleichmässig überhitzten Dampfes. 3. Erzielung eines raschen Wasserumlaufes im Kessel zur Steigerung der Verdampfungsfähigkeit und zum Schütze der Heizfläche. 4. Gute Ausnutzung des Brennstoffes bei möglichster Verhinderung der Rauchbelästigung. 5. Geringe Raumbeanspruchung. 6. Leichte Reinigung des Kessels von Kesselstein, Russ und Flugasche. 7. Geringe Reparaturbedürftigkeit. 8. Angemessener Preis. Die verschiedenen heute gebräuchlichen Kesselkonstruktionen berücksichtigen natürlich die einzelnen angeführten Gesichtspunkte in verschiedener Weise. Bei der Auswahl eines Kesselsystems für einen bestimmten Fall wird man daher stets darauf zu achten haben, dass die für den vorliegenden Fall wesentlichsten Gesichtspunkte bei der Konstruktion ausreichende Berücksichtigung finden, während im übrigen die Beurteilung mit einer gewissen Nachsicht erfolgen darf, da es naturgemäss unmöglich ist, ein Kessel-System zu schaffen, welches allen Anforderungen in gleich vollkommener Weise gerecht wird. Bei der Wahl des Kesselsystems kommt vor allen Dingen noch die Art und Beschaffenheit des Brennstoffes, die Beschaffenheit des Speisewassers, der mehr oder minder grosse Wechsel in der Dampfentnahme, die Häufigkeit und Schnelligkeit des Anheizens und die Art der Dampfverwendung in Betracht. Textabbildung Bd. 317, S. 8 Einfacher Walzenkessel. Textabbildung Bd. 317, S. 8 Fig. 3. Walzenkessel von Fitzner. Nachstehend soll nun eine grössere Anzahl ausgeführter neuerer Kesselanlagen der verschiedensten Bauart behandelt werden. Infolge der liebenswürdigen Unterstützung zahlreicher erster Firmen der Dampfkesselbranche wird es möglich sein, die Besprechung durch Wiedergabe vollständiger, der Ausführung entsprechender Konstruktionszeichnungendzu unterstützen. Für die freundliche Ueberlassung des erbetenen Materials sei den geehrten Firmen an dieser Stelle der verbindlichste Dank ausgesprochen. Bei der Anordnung des Stoffes ist folgende Einteilung gewählt worden: I. Die Bauarten der Dampfkessel. II. Die Dampfkesselfeuerungen. III. Die Zubehörteile des Dampfkesselbetriebes. Allerdings wird es nicht immer möglich sein, diese Einteilung streng innezuhalten, indem für den Ort der Besprechung einer zusammengesetzten Konstruktion immer nur eins der charakteristischen Merkmale massgebend sein kann. I. Die Bauarten der Dampfkessel. Wir folgen hierbei der im allgemeinen üblichen Einteilung in: Walzenkessel, Flammrohrkessel, einfache und kombinierte Feuerrohrkessel und Wasserrohrkessel. A. Walzenkessel. Der einfache Walzenkessel mit einem Feuerzuge (Fig. 1 und 2), der früher allgemein für kleinere Kesselbetriebe bis zu 20 qm Heizfläche angewandt wurde, besitzt heute nur eine geringe Bedeutung, da er in den meisten Fällen von den kleineren Sicherheitswasserröhrenkesseln verdrängt wurde. Letztere besitzen gegenüber dem ersteren den Vorteil, dass sie leichter anheizbar sind, dass sie unter bewohnten Räumen aufgestellt werden dürfen, dass sie den Brennstoff besser ausnutzen, und dass sie bequem für sehr hohen Dampfdruck hergestellt werden dürfen. Allerdings liefern sie nassen Dampf, besonders bei wechselnder Dampfentnahme, und neigen dann sehr zum Ueberkochen. Textabbildung Bd. 317, S. 8 Walzenkessel von Fitzner. Der einfache Walzenkessel wird daher aus dem zuletzt genannten Grunde auch heute noch bei kleineren Anlagen mit wechselnder Dampfentnahme vorzuziehen sein, da er bei seinem relativ grösseren Wasserraum viel besser für Schwankungen in der Dampfentnahme geeignet ist und infolge seiner relativ grösseren Verdampfungsoberfläche auch trockenen Dampf liefert. Auch bei kesselsteinhaltigem Speisewasser wird der Walzenkessel rorzuziehen sein, da er viel leichter gereinigt werden kann. Textabbildung Bd. 317, S. 9 Batteriekessel von Fitzner. Die mehrfachen Walzenkessel haben als Grosswasserraumkessel ihre Bedeutung vollständig behalten. Gegenüber den Flammrohrkesseln, als den anderen Vertretern der Grosswasserraumkessel, kommt der Vorteil in Betracht, dass die mehrfachen Walzenkessel aus mehreren Cylinderkesseln von massigem Durchmesser, etwa 0,7 bis 1,3 m, zusammengesetzt werden können, und dass daher die Walzenkessel auch für die höchsten üblichen Spannungen Anwendung finden können, ohne dass die notwendigen Blechdicken die Herstellung des Kessels erschweren. Bei Flammrohrkesseln dagegen erfordert die Unterbringung des Rostes in den Flammrohren die Anwendung grosser Manteldurchmesser, welche bei grösseren Dampfspannungen zu starken Blechdicken und zu fast unausführbaren Nietungen führen. Infolge ihres grossen Wasserraumes kommen die mehrfachen Walzenkessel besonders bei Betrieben mit stark wechselnder Dampfentnahme zur Anwendung. Auch bei schlechtem Speisewasser leisten sie gute Dienste, da eine gründliche Innenreinigung ohne Schwierigkeiten möglich ist. Dies ist z.B. von Wichtigkeit für Kesselanlagen in Bergwerken u. dgl., wo das Grubenwasser zur Kesselspeisung benutzt werden muss. Zwar wird es stets vorteilhaft sein, durch Wasserreiniger die kesselsteinbildenden Stoffe aus dem Wasser abzuscheiden, bevor letzteres in den Kessel gelangt, doch zeigt die Erfahrung mit den Wasserreinigern, dass diese Abscheidung nicht immer vollständig gelingt, besonders wenn die Zusammensetzung des Speisewassers veränderlich ist. Eine bequeme Reinigung des Kessels wird daher immer als willkommener Vorteil zu bezeichnen sein. Um eine grössere Heizfläche auf beschränktem Grundriss unterbringen zu können, ist man genötigt, mehrere Kesselelemente übereinander anzuordnen. Dies übt allerdings einen ungünstigen Einfluss auf die Beschaffenheit des erzeugten Dampfes aus. Je mehr Kesselelemente überainander gelegt werden, um so kleiner wird die Verdampfungsoberfläche des Wasserinhaltes im Verhältnis zur Heizfläche und um so nasser der erzeugte Dampf, der besonders von den unteren Kesselteilen aus nur auf einem langen, umständlichen Wege in den Dampfraum gelangen kann. Bei der Verbindung der einzelnen Elemente unter sich durch Stutzen ist darauf zu achten, dass die Wasserzirkulation möglichst gefördert wird, und dass die Weite der Stutzen den aufsteigenden Dampf- und Wassermassen einen möglichst ungehinderten Durchgang bietet. Die früher sehr beliebte Anordnung als Gegenstromkessel, bei welchem zwei aufeinander folgende Elemente immer nur durch je einen, abwechselnd vorn und hinten sitzenden Stutzen verbunden waren und das Speisewasser am untersten Kesselende eingeführt wurde, während die Heizgase den Kessel von oben nach unten im Gegenstrom zum aufsteigenden Wasser und Dampf bespülten, ist heute mit Rücksicht auf die damit verbundenen Nachteile – Mangel einer raschen Wasserzirkulation, starkes Verrosten der untersten Kesselteile, sehr nasser Dampf – ganz verlassen worden. Jetzt werden die einzelnen Elemente durch mindestens zwei, bei grösserer Länge drei Stutzen verbunden, während für die Heizgasführung das strenge Gegenstromprinzip unberücksichtigt bleibt, da eine Abkühlung der Heizgase bis nahe auf die Temperatur des Speisewassers doch nicht beabsichtigt wird und durch die Abscheidung von Feuchtigkeit in den Kesselzügen nur nachteilig wäre. Infolge ihres grossen Wasserinhaltes erfordern die Walzenkessel natürlich längere Zeit zum Anheizen. Sie werden daher keine Anwendung finden können, wo auf schnelles Anheizen Wert gelegt wird, oder wo längere Betriebspausen vorherrschen, da hier der Kohlenaufwand zum Anheizen erheblich ausfallen würde. Textabbildung Bd. 317, S. 10 Batteriekessel von Rochow.Längsschnitt a b; Horizontalschnitt i k; Querschnitt c d, e f. Querschnitt g h. In den Fig. 3 bis 5 ist ein Walzenkessel, bestehend aus einem Ober- und Unterkessel dargestellt, wie er von der Firma W. Fitzner, Blechschweisserei, Kesselschmiede und Brückenbauanstalt, Laurahütte, O.-S., für die Beatensglückgrube bei Czernitz geliefert wurde. Der Kessel ist für 6 at Ueberdruck gebaut und hat 50,4 qm Heizfläche. Der Oberkessel hat einen Durchmesser von 1,3 m bei 10 mm Blechdicke; der Unterkessel hat 1,2 m Durchmesser bei 9 mm Blechdicke. Ober- und Unterkessel sind durch zwei Stutzen von 500 mm Durchmesser und 12 mm Dicke verbunden. Der Unterkessel hat nach hinten eine Neigung von ∾ 1 : 17. Hierdurch soll die Wasserzirkulation und das Aufsteigen der Dampf blasen gefördert werden. Die Feuerung, ein einfacher Planrost von 1,3 m Länge und Breite = 1,69 qm Rostfläche, liegt vorn unter dem Oberkessel. Das Verhältnis der Rostfläche zur Heizfläche ist ∾ 1 : 30. Die Heizgase werden vom Rost nach unten geführt, bestreichen also sogleich den vorderen Teil des Unterkessels, der stark konisch ausgebildet ist, um den Dampfblasen Abfluss nach dem vorderen Stutzen zu ermöglichen. Auf der oberen Seite ist dieser Teil des Unterkessels durch eine Chamottewand von 120 mm Dicke und 250 mm Breite verkleidet. Die Heizgase bestreichen dann den Kessel in auf- und absteigenden Zügen in der Richtung nach hinten. Da die stärkste Dampfbildung am vorderen Teile eintritt, so wird das Wasser mit dem sich bildenden Dampfe durch den vorderen Verbindungsstutzen aufsteigen, während das Ersatzwasser durch den hinteren Stutzen nach unten sinkt. Die Speiseleitung mündet daher auch in der Nähe des hinteren Stutzens in den Oberkessel. Der Ablassstutzen befindet sich am tiefsten Punkte des Unterkessels ausserhalb der Kesselzüge. Dem Oberkessel ist eine geringe Neigung nach hinten zu geben. Der Oberkessel besitzt einen Dampfdom, von dem ein Rohr nach dem vorn liegenden Dampfsammler führt. Ausserdem ist der Kessel mit einem Blacke'schen Speiserufer ausgerüstet. Die Fig. 6 bis 8 zeigen einen Batteriekessel der Firma W. Fitzner, Laurahütte, O.-S., von 111,4 qm Heizfläche und 7 at Ueberdruck. Mit Rücksicht auf die grössere Heizfläche sind hier zwei Kesselgruppen von der in Fig. 3 bis 5 dargestellten Form nebeneinander gelegt. Die Oberkessel haben 1,2 m Durchmesser und 10,5 mm Blechdicke; die Unterkessel 1,0 m Durchmesser bei 10 mm Blechdicke. Die Verbindungsstutzen von Ober- und Unterkessel sind 0,6 m weit und haben 12 mm Wandstärke. Ausserdem sind die beiden Unterkessel am hinteren Ende durch einen horizontalen Stutzen von 0,55 m Weite miteinander verbunden. Der Unterkessel hat zur Sicherung des Wasserumlaufes eine Steigung 1:33 von hinten nach vorn. Die beiden Oberkessel sind durch Stutzen von 0,55 m Weite und 12 mm Wandstärke mit dem gemeinsamen, quer liegenden Dampfsammler verbunden, der 0,9 m Durchmesser bei 9 mm Wandstärke aufweist. Der Planrost hat eine Länge von 1,5 m und eine Breite von 2 × 1,34 m, also eine Gesamtrostfläche von ∾ 4 qm. Das Verhältnis der Rostfläche zur Heizfläche ist daher hier 1 : 28. Die Führung der Heizgase ist dieselbe wie bei dem vorhergehend beschriebenen Kessel. Die vorderen Kesselteile sind zum Schütze gegen die Stichflamme mit feuerfesten Steinen verkleidet. Die einzelnen Kesselschüsse sind kegelförmig gebildet und so zusammengebracht, dass die Heizgase nicht gegen die Rundnähte stossen. Der Wasserumlauf erfolgt wieder derart, dass im vorderen Stutzen Aufwärtsbewegung, im hinteren Stutzen Abwärtsbewegung vor sich geht. Die Speiseleitung mündet in den Oberkessel über dem hinteren Stutzen. Die Fig. 9 bis 12 stellen einen Batteriekessel mit Quervorlage von 125 qm Heizfläche und 10 at Ueberdruck für G. F. Landauer Donner, Idstein, gebaut von der Firma G. Rochow, Dampfkesselfabrik, Offenbach a. M., dar. Der Kessel liefert den Dampf für eine Dampfmaschine und für den Betrieb einer Färberei. Da hierbei die Dampfentnahme bedeutenden Schwankungen unterworfen ist, ausserdem der zur Aufstellung des Kessels vorhandene Raum beschränkt war, so konnte in diesem Falle die Wahl kaum auf ein anderes Kesselsystem fallen. Mit Rücksicht auf die hohe Spannung von 10 at Ueberdruck empfahl es sich, den Durchmesser der einzelnen Cylinder nicht zu gross zu wählen; andererseits konnte dann aber die notwendige Heizfläche von 125 qm nur durch drei nebeneinander liegende Gruppen von je drei Kesselelementen gebildet werden. Die hauptsächlichsten Durchmesser und Blechdicken sind in folgender Zusammenstellung enthalten: Durchmesser Blechdicke Oberkessel   850 mm   10 mm Mittelkessel   700   „     9   „ Unterkessel   700   „     9   „ Quervorlage 1200   „   14   „ Stutzen an den Langkesseln   400   „   14   „       „       „  der Quervorlage   300   „   14   „       „      am Dampfsammler   400   „   14   „ Dampfsammler   600   „     8   „ Die drei Langkessel einer Gruppe stehen durch je zwei vertikale Stutzen miteinander in Verbindung, nicht aber auch, wie beim vorhergehend beschriebenen Kessel, durch horizontale Stutzen mit der nebenan liegenden Gruppe. Diese letztere Verbindung wird vielmehr durch die Quervorlage bewirkt, die mit den drei Mittelkesseln direkt, mit den drei Oberkesseln aber durch drei Stutzen verbunden ist. Der Dampf wird aus den Oberkesseln in den gemeinsamen, quer liegenden und eingemauerten Dampfsammler geführt. Die Neigung der Mittel- und Unterkessel ist etwa 1 : 30. Die Feuerung ist eine Kombination von Schrägrost- und Treppenrostfeuerung, bei welcher die Quervorlage als Feuerbrücke nach Art der Tenbrink-Feuerung benutzt wird. Die Flamme muss von unten nach oben zurückschlagen. Die schräg liegenden Roststäbe haben seitliche Ansätze, welche die Stufen bilden. Da bei dieser Anlage auf dem Treppenrost, der gewöhnlich nur für feinstückigen Brennstoff von geringerem Heizwert Verwendung findet, die hochwertige Ruhrnusskohle verbrannt wird, so wäre ein grösserer Roststabverbrauch zu erwarten, der jedoch hier durch Wasserkühlung etwas beschränkt wird. Jedenfalls erscheint es zum Schütze der besonders gefährdeten unteren Roststabenden, welche keine energische Luftkühlung erfahren, dringend notwendig, die Schlacke und Asche von unten nur in solchem Masse vorzuziehen, dass die Roststabenden immer noch in möglichst abgekühlten Verbrennungsrückständen verbleiben. Der Rost ist in der Richtung der Neigung 1,3 m lang und 2 × 1,15 m breit; die Gesamtrostfläche beträgt also ∾ 3 qm und das Verhältnis der Rostfläche zur Heizfläche 1 : 42. Die Heizgase steigen an der Quervorlage empor und werden dann durch vertikale Mauerzungen in auf- und absteigenden Zügen nach hinten geführt, steigen hier empor und ziehen, den Dampfraum umspülend, in einei horizontalen Zuge auf der einen Seite nach vorn und auf der anderen Seite wieder nach hinten in den Fuchs. Da die hauptsächlichste Verdampfung in der Quervorlage erfolgt, so wird die Richtung des Wasserumlaufes in den Oberkesseln wieder von vorn nach hinten, in den Mittel- und Unterkesseln von hinten nach vorn gehen. Nach einer Mitteilung der Firma G. Rochow sollen nach fortdauernden Versuchen durchschnittlich 9,25 kg Speisewasser von 20° C. mit 1 kg Ruhrnusskohle verdampft werden, was allerdings ein sehr günstiges Resultat bedeuten würde. (Fortsetzung folgt.)