Titel: Herstellung der Dampfkessel, ihre Materialien, Ingangsetzung und Reparaturen.
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 159
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Herstellung der Dampfkessel, ihre Materialien, Ingangsetzung und ReparaturenNach der Revue industrielle. Vortrag auf dem internationalen Kongress zur Ueberwachung und Sicherheit der Dampfapparate während der Weltausstellung 1900.. Herstellung der Dampfkessel, ihre Materialien, Ingangsetzung und Reparaturen. I. Materialien zur Konstruktion von Dampfkesseln. Die Bleche. Die zum Bau von Dampfkesseln verwendeten Bleche bestehen aus Eisen- oder besonders schmiegsamen Stahlblechen. Es soll hier nicht erörtert werden, wodurch die Kesselschmiede zu der jetzt fast allgemeinen Verwendung von weichem Stahl gekommen sind, sondern der jetzige Stand in der Verwendung desselben zu Kesselblechen klargelegt werden. Die Frage der Verwendung des weichen Stahls ist seit 1879 an der Tagesordnung und ist von Roland, Chefingenieur der normandischen Genossenschaft angeregt worden. In der Normandie verwendeten die Konstrukteur% den Stahl für Kessel besonders um die durch Ueberhitzen der Kesselwandungen auftretenden Risse bezw. die Verdoppelung der Eisenbleche zu vermeiden. Cornut, Chefingenieur der Nordgenossenschaft, erklärte im Jahre 1881: „Die Verwendung von Stahl zu Kesseln wird unumgänglich werden, da man bei Eisenblechen oft blasige Stellen vorfindet, welche bei Stahl nicht vorkommen. Uebrigens ist der Kesselstahl kein eigentlicher Stahl, sondern leicht schmelzbares Eisen; er ist ein sehr streckbares Material. Jedoch ist hierzu noch nicht der Zeitpunkt gekommen, da die Metallurgie noch nicht im stände ist, den Kesselkonstrukteuren ein vollkommen sicheres Material zu liefern und letztere den Stahl noch nicht mit den erwünschten Vorsichtsmassregeln zu bearbeiten verstehen.“ Im Jahre 1882 beauftragte der Kongress den Direktor der belgischen Genossenschaft, Vincotte, und den Ingenieur Cornut, ausgiebige Studien hierüber anzustellen und 1883 legte Vincotte eine ausführliche Darstellung über die Verwendung von Stahl zur Kesselkonstruktion vor, welche sich auf die in Frankreich, Belgien, Deutschland, England, Oesterreich und den Vereinigten Staaten gesammelten Daten erstreckte. Das Ganze fasste Vincotte in folgendem zusammen: „Ungeachtet der sehr weichen Stahlsorten, welche verwendet werden, ist man hierin im allgemeinen noch in einer gewissen Unentschiedenheit; nach meinem Dafürhalten eignet sich jedoch der Stahl weniger zu dieser Verwendung, da er erstens teurer als Eisen ist, und ich zweitens keine besonderen praktischen Vorteile darin erblicke, selbst dann, wenn die vorgefundenen Missstände nicht vorhanden wären.“ Cornut äusserte sich folgendermassen: „Es ist nicht ungefährlich, ein Metall von dieser Beschaffenheit zu verwenden. Was den Unterschied in der Dicke anbetrifft, so hat man sich immer auf den Standpunkt des Zerreissens gestellt; aber bei einem Dampfkessel spielt der Widerstand gegen das Biegen eine bedeutende Holle und kann ein dem Zerreissen widerstehendes Blech gegen die Wirkungen des Biegens unzureichend sein. Im ganzen hat sich folgendes ergeben: 1. Das Metall ist verbessert worden; man stellt jetzt ein Produkt her, welches allen gewünschten Bedingungen entspricht, jedoch steht man Unvollkommenheiten gegenüber, deren Ursache unbekannt ist. 2. In dem Masse, in dem man fortschreitet, zeigt es sich, dass die Dicke des Stahls nur sehr wenig gegenüber dem Eisen verringert werden kann.“ Im Jahre 1884 beschäftigte der Chefingenieur der Genossenschaft in Amiens, Schmidt, seine Kollegen mit einer Formveränderung, welche ein Stahlblech in einem Dampfkessel erlitten hatte. Die Formveränderung war von bedeutendem Umfange: 1,10 m lang und 175 mm tief; ungeachtet dieser Ausbauchung wies das Blech nur drei Längsbrüche von 20 bis 30 cm auf, welche nur ein ganz geringes Durchsickern veranlassten. Cornut behauptete, dass wenn die Ueberhitzung, welche diese Formveränderung veranlasst hatte, bei einem Eisenbleche eingetreten wäre, dieselbe eine Explosion verursacht hätte. Im Jahre 1886 nahm Cornut die Angelegenheit wieder auf. In nachstehender Tabelle stellte er die Belastung der eingetretenen Brüche, die Vergrösserung und die Verringerung der Dicke des Stahles in einzelnen Jahren auf. Cornut drückt sich hierbei folgendermassen aus: Verlangte Beschaffenheit für den Gebrauch des Stahls zu Dampfkesseln in verschiedenen Jahren. Jahr Widerstandgegen Bruchauf 1 qmm Ausdehnung%auf 200 mm Verringerungder Dicke zuGunsten desStahls mit Be-zug auf Eisen kg % % 1835 Petin-Goudet 80 9 1861 Ministerielles Zirkular 60 7 50 1863 Petin-Goudet (Gesellschaft in    Orleans) 73–62,5 10–7 40 1863 Cail et Co. 62 14 33 1864 Gesellschaft in Orleans 60–55 10–7 33 1868 Transatlantische Gesellschaft 50–45 20–14,5 33 1872 West-Gesellschaft 55 15 21 1874 Creusot 48 22 17 1876 Französische Marine (vom    11. Mai 1876) 42 26 20 1878 Englischer Lloyd 46–41 25–22 20 1880 Chefingenieur Webb 53 25 16 1880 Livadia (Englisches Dampfschiff) 48–45 25–18 16 1884 Französische Marine 42 26 1885 Gesellschaft Veritas 30–42 20 AeussereWandung20InnereBleche12,5 1885 Englischer Lloyd (lehnt Bleche    von 50 kg Bruch und 20 %    Ausdehnung ab) 45–42 29–24 20 1885 West-Gesellschaft 45 18 20 1885 Französische Marine (9. Fe-    bruar 1885) 42Minimum 26 20 1887 Chefingenieur Cornut 40Maximum 28 NachdemDurchm.veränderl. „Die vorliegende Tabelle ist meines Erachtens von historischem Interesse. Man sieht, dass in den ersten Jahren des Auftretens des Bassemer Stahles, gegen 1856, man ein hartes Metall zu erhalten suchte, welches einen Widerstand gegen Bruch von 60 bis 70 kg auf den Quadratmillimeter und wenig Dehnbarkeit besass; die Ausdehnungen hielten sich zwischen 7 und 10 %. Dieses Metall besass daher gerade die entgegengesetzten Eigenschaften, welche zur Konstruktion von Dampfkesseln erforderlich sind. Hierzu ist ein Metall erforderlich, welches biegsam und weich ist; die Widerstandsfähigkeit des Metalls ist nur von relativer Bedeutung und fällt es nicht ins Gewicht, ob es 35 oder 70 kg widersteht; das Minimum von 35 kg reicht aus, um die gewöhnlichen Wirkungen von Biegung und Ausdehnung auszuhalten.“ „In den Angaben über die Verwendung des Stahls befinden sich mehrere Stellen von unerklärlichen Brüchen, welche sich auf den Zeitraum bis zum Jahre 1869 beziehen. Dieser Zeitraum hat verschiedene unvorteilhafte Folgen auf die Verallgemeinerung der Verwendung von Stahl gehabt, und zwar infolge der Ungewissheit, welche in der Beschaffenheit des zu verwendenden Materials bestand.“ Schlussfolgerungen: Man ersieht aus dem Vorgesagten, dass infolge Verringerung der Dicke von ungefähr 13 % die aus weichem Stahl oder gleichförmigem Eisen gebauten Dampfkessel nicht teurer sind, als die aus den von der Gesellschaft angegebenen Blechen, welche nach wie vor als die geringsten der verwendbaren Bleche anzusehen sind. Sicher ist es, dass von dem Zeitpunkte an, wo die Stahlfabrikanten die Herstellungsweise des Stahls sorgfältig überwachen werden, die Kesselschmiede die nötigen Vorsichtsmassregeln, welche übrigens unbedeutend sind, beim Gebrauch von Stahl gern beobachten werden; es ist durchaus unumgänglich, dass beim Kesselbau die minderwertigen Eisenbleche verworfen und durch weichen Stahl ersetzt werden. Das Wichtigste in dieser Hinsicht ist die Verminderung der Unterhaltungskosten und die Rücksicht auf die allgemeine Sicherheit, da die grosse Anzahl schwerer Explosionen nur auf die schlechte Beschaffenheit des verwendeten Materials zurückzuführen ist.“ Im Jahre 1887 legte Cornut die Ergebnisse der auf Zug angestellten Versuche mit Eisen- und Stahlblechen vor. Nachdem er die Unregelmässigkeit der erhaltenen Ergebnisse mit Eisenblechen dargelegt hatte, bei welchen die Widerstandsfähigkeit Unterschiede von 25 bis 26 % und in der Ausdehnung von 70 bis 80 % festgestellt wurden, schloss Cornut wie folgt: „Eine bedeutende Anzahl von Kesselexplosionen rührt nur von dem verwendeten schlechten Material her; man kann daher nicht genug die Aufmerksamkeit der Konstrukteure und Industriellen auf die erhaltenen Resultate richten, welche sich in der Vorschrift vereinigen: „Alle zu Dampfkesseln verwendeten Bleche müssen genauen Untersuchungen unterworfen werden, da die Qualitätsnummern nicht eine genügende Garantie bieten.“ Bei den Blechen aus weichem Stahl fand Cornut keine grösseren Unterschiede als 7 % für Widerstandsfähigkeit und Ausdehnung, er fasste die Ergebnisse in folgendem zusammen: „Bei der Verwendung von Stahl zur Konstruktion von Dampfkesseln dürfen nur Bleche erster Güte gebraucht werden. Es sind daher bei der Konstruktion von Dampfkesseln Bleche zu verwerfen, welche nicht ausgiebig erprobt worden sind, und müssen Bleche mit einer Ergänzungslänge von 0,120 m hergestellt werden. Eine Ursache von Schäden bei der Verwendung von Stahl kann in dem Härten desselben bestehen, d.h. in dem lokalen und anormalen Härten. Sie kann in der Art der Bearbeitung oder in dem Ausglühen desselben bestehen. Ist das Ausglühen ordnungsgemäss vor sich gegangen, so ist es immer vorteilhaft, im entgegengesetzten Falle ist es besser, wenn das Ausglühen nicht stattgefunden hat. Bei dem Vorfall auf der ‚Livadia‛ traten zwei Umstände ein: einige Bleche waren schlecht ausgeglüht und der verwendete Stahl war Bessemer- anstatt Martinstahl.“ „Im allgemeinen ist jedoch das Stahlblech selbst, wenn es ungeachtet aller Vorsicht einen gewissen Härtegrad angenommen hat, dennoch dem gewöhnlich verwendeten Eisen vorzuziehen. Man wird hierbei z.B. 20 % Ausdehnung im Bruch anstatt 30 % haben, welche Ausdehnung jedoch ausreichend ist und es nicht vergessen werden darf, dass man in Dampfkesseln Eisenbleche vorfindet, welche sich mindestens um 1 % ausdehnen. Bei der Nordgesellschaft kommen besonders schlechte Eisenbleche vor, und obwohl deren Beschaffenheit etwas verbessert worden ist, indem die Konstrukteure verpflichtet wurden, nur Bleche Nr. 3 und 5 zu verwenden, so ist es zur Genüge bekannt, wie schwer gegen 60- bis 80jährige Gewohnheiten anzukämpfen ist. Durch die Förderung der Verwendung von Stahl wird mit dieser Gewohnheit gebrochen werden und mit Rücksicht auf die Sicherheit ist es geboten, die Verwendung minderwertiger Bleche auszurotten.“ Im Jahre 1888 legte Cornut eine Studie über Stahlbleche vor, welche mehrere Jahre im Gebrauch waren. Es ist diesen Blechen der Vorwurf gemacht worden, dass sie im Feuer hart und brüchig werden und ihre Elastizität verlieren. Cornut untersuchte überhitzte Bleche auf Zug und fand bei vier Versuchsserien, dass nach 7, 13 und 18 Dienstjahren die Stahlbleche noch dieselben Eigenschaften an Widerstandsfähigkeit und Ausdehnung besassen, wie neue Bleche. Infolgedessen sind von der Nordgesellschaft Vorschriften für den Gebrauch von extraweichen Stahlblechen zu Dampfkesseln aufgestellt worden, welche von den übrigen Gesellschaften angenommen wurden und jetzt allgemein gelten. Dieselben sind folgende: Der Konstrukteur ist verpflichtet, dem Verband die Eigentümer der Dampfapparate namhaft zu machen, von denen der Auftrag ausgegangen ist unter Beifügung einer Abschrift des Auftrages. Sämtliche Stahlbleche ohne Ausnahme sind, ehe sie in Bearbeitung gelangen, von dem Konstrukteur 10 cm in der Querlänge zu bestellen, so dass mindestens zwei Zugproben entnommen werden können, welche dem Modell der Genossenschaft der Eigentümer von Dampfapparaten entsprechen und eine Probe für das Falzen nach der Härtung. Die Versuche mit den Proben werden unter Aufsicht der Genossenschaft bei jedem einzelnen Bleche durch den Konstrukteur angestellt. Bei den Versuchen auf Zug müssen die Bleche folgenden Bedingungen entsprechen: 1. Widerstand gegen Bruch: Maximum 40 kg und Minimum 35 kg auf den Quadratmillimeter. 2. Ausdehnung, in Prozent auf 200 mm beim Bruch: Minimum 28 bis 30 %. Versuche der Bleche nach Rotglühen und Härten im Wasser von 28°: 1. Widerstand gegen Bruch: Maximum 47 kg auf den Quadratmillimeter. 2. Ausdehnung in Prozent auf 200 mm beim Bruch: Minimum 18 %. Die Falzversuche werden mit Blechstücken von 20 cm Länge und 4 cm Breite angestellt; nachdem sie, wie oben gesagt, gehärtet worden sind, müssen sie Rand auf Rand zusammengelegt werden können, ohne dass Risse oder Spalte entstehen. Jedes diesen Bedingungen nicht entsprechende Blech wird zurückgewiesen. Die Proben werden in der Genossenschaft gehörigen Schmieden angestellt und von derselben mit einem Stempel versehen. Ausser den Versuchen auf Zug und Falzen kann nach Ankunft der Stücke in der Werkstatt des Konstrukteurs durch die Genossenschaft ein Vergleich angestellt werden, wobei letzterer sämtliche Stücke zur Begutachtung und Prüfung auf Herkunft zur Verfügung zu stellen hat. Jedes Blech, welches nicht den Stempel des Walzwerkes und des Annahmebeamten trägt, wird rücksichtslos zurückgewiesen. Nach Herstellung des Kessels müssen sich sämtliche Stempel an der Aussenseite befinden und dürfen nicht mit Farbe bedeckt sein. An dieser Stelle soll an einen wichtigen Umstand erinnert werden: dieselbe Qualität der Stahlbleche kann sowohl bei getriebenen Teilen als bei gewöhnlichen gebogenen Ringen verwendet werden; letztere werden aus einem Metall angefalzt, welches das Schmieden und Treiben aushalten kann, wodurch eine bedeutende Garantie für die Dampfkessel geboten wird. Röhren. Durch die Verwendung von Röhren wird die Heizfläche der Dampfkessel bei geringem Rauminhalt bedeutend vergrössert und bilden dieselben einen wichtigen Bestandteil derselben. Sie zerfallen in zwei Arten: Rauch- und Wasserröhren. Bei den Rauchröhren wirkt der Druck auf deren Aussenseite und zieht ein Bruch gewöhnlich eine Abflachung derselben nach sich, wodurch keine besonderen Uebelstände eintreten. Bei den Wasserröhren wirkt jedoch der Druck auf das Innere und kann ein Längsbruch bedeutenden Schaden anrichten, dessen Folgen unberechenbar sein können. Infolgedessen sind für mehrröhrige Dampfkessel folgende Vorschriften angenommen worden. Das zur Herstellung von Röhren verwendete Material darf ausschliesslich nur aus Schmieden von Martin-Siemens entnommen werden. Die Duplikate der zur Prüfung bestimmten Stücke werden dem von der Genossenschaft hierzu bestimmten Beamten zugestellt, wobei jedes Stück mit einer fortlaufenden Nummer versehen wird. Die Widerstandsfähigkeit der Lötung wird in folgender Weise festgestellt: Bei kaltem Zustand wird eine Treibkugel durch die Röhren hindurchgelassen, welche den Durchmesser derselben um 1/40 erweitert, welcher Erweiterung die ganze Länge widerstehen muss, und wobei jede Loslösung oder entstehende Risse zur Ablehnung führen. Hiernach werden die Röhren einer Wärmeausdehnung unterworfen, um dieselben auf ihren ursprünglichen Durchmesser zurückzuführen, wobei die Enden abgeschnitten werden. Sämtliche Röhren werden einem hydraulischen Druck von 50 kg unterworfen und unter diesem Druck geschmiedet. Während dieser Probe dürfen die Röhren keine Spur von Durchsickern oder Formveränderung aufweisen. Die Röhren müssen gerade, kugelrecht, ohne Risse oder Spalten und sonstige Fehler sein. In Länge, Durchmesser und Stärke müssen sie den von der Genossenschaft aufgestellten Vorschriften entsprechen, wobei die Länge höchstens 5 mm übersteigen und der äussere Durchmesser nur 1 mm geringer sein darf. Die mittlere Wandstärke darf nur zwischen 6 und 8 % schwanken. Beim Schluss dieses ersten Teils muss bemerkt werden, dass die Gussstücke, wie Verschlüsse für Siederöhren, Dome u.s.w., immer mehr verschwinden und durch Gussstahl oder besser durch Stücke aus getriebenem Blech ersetzt werden, welche jetzt fertig geliefert werden. Der Guss als zerbrechliches Material besitzt überhaupt nicht die Dehnbarkeit und Schmiegsamkeit der Bleche und tritt auch für Ventile und andere analoge Stücke der Gussstahl an Stelle des Eisens. (Schluss folgt.)