Titel: Vergleichung älterer und neuerer Formeln für die Arbeitswiderstände bei den Eisenbahnzügen.
Autor: L. K.
Fundstelle: Band 317, Jahrgang 1902, S. 194
Download: XML
Vergleichung älterer und neuerer Formeln für die Arbeitswiderstände bei den Eisenbahnzügen. Vergleichung älterer und neuerer Formeln für die Arbeitswiderstände bei den Eisenbahnzügen. In der polytechnischen Zeitschrift Le génie civil (1902 S. 179) sind eine Reihe von Formeln für den Zugwiderstand nachstehend in Vergleich gezogen: „Bekanntlich hängen die Widerstände, welche die Züge ihrer Fortbewegung entgegenstellen bezw. die Zugkräfte, welche erforderlich sind, diese Widerstände zu überwinden, hauptsächlich von drei Umständen ab, nämlich 1. von dem Gewichte und der Belastung der Fahrzeuge nebst der Summe aller Reibungswiderstände an deren gleitenden Teilen, 2. von den Krümmungen und Gefällsveränderungen des Spurweges, und 3. von der Geschwindigkeit und dem Luftwiderstande. In Anbetracht der ungeheueren Veränderlichkeit der meisten dieser massgebenden Faktoren müsste sozusagen zur Berechnung der wirklichen Zugkraft für jeden Zug, für jeden Augenblick und an jeder Bahnstelle auch eine andere Formel angewendet werden. Da dies unmöglich ist, begnügt man sich im allgemeinen lediglich mit rechnungsmässigen Ausdrücken, welche der Zugkraft auf wagerechter gerader Bahn bei ruhiger Luft entsprechen. Diese Formeln enthalten in der Regel nur zwei Variable, nämlich den mit R ausgedrückten Zugwiderstand, d. i. die zur Beförderung 1 t Bruttogewicht erforderliche Kraft in Kilogramm, und die mit v bezeichnete Geschwindigkeit, nämlich die jeweilige Fahrgeschwindigkeit der Züge in Kilometerstunden. Seit dem Entstehen der Eisenbahnen haben die ziffermässigen Feststellungen für den Zugwiderstand den Eisenbahningenieuren ein ebenso anregendes als wichtiges Studienobjekt dargeboten, allein etwas vollständig Abschliessendes scheint bisher noch nicht erzielt worden zu sein und wird wohl auch nie zu erreichen sein, schon deshalb nicht, weil die zur Feststellung der Koeffizienten vorzunehmenden Versuche und Messungen eben unter sehr ungleichen Verhältnissen durchgeführt werden. Hierdurch erklärt sich leicht die verhältnismässig grosse Zahl der aufgestellten Formeln und die Abweichungen zwischen den letzteren. Die in unseren Tagen längst nimmer angewendeten älteren Formeln, beispielsweise von W. Hardig, von Vuillemin, Guebhard und Dieudonné u.a.m., sind noch für Bruttozüge (einschliesslich Lokomotive und Tender) berechnet gewesen, was nicht richtig war, da der Widerstand pro Tonne, der gezogenen Wagen auch unter sonst ganz gleichen Vorbedingungen unmöglich derselbe sein kann, wie jener der ziehenden Maschine. Dieser Umstand findet in den jüngeren, etwa seit 20 bis 30 Jahren aufgestellten Formeln die gebührende Berücksichtigung und fanden die aus diesem Gesichtspunkte entwickelten Ausdrücke der Ingenieure der Orleans-, Paris-Lyon-Mittelmeer- und der französischen Ostbahn in Frankreich, von Prof. Frank in Deutschland, von Fink in Oesterreich und von Gooh und (Mark in England eine weitverbreitete, noch bis vor kurzem fast ausschliessliche Anwendung. Inzwischen haben die Eisenbahnen nach zwei Richtungen hin sich ganz besonders fortentwickelt, nämlich hinsichtlich der konstruktiven Ausführung der Fahrbetriebsmittel für den Personenverkehr und betreffs der Fahrgeschwindigkeiten der Züge. Schon deshalb lag also genügender Anlass vor, die bestehenden Formeln für die Zugwiderstände zu überprüfen und allfällig der Verbesserung zu unterziehen. Dieser Erkenntnis entsprangen eine Reihe neuerlicher Feststellungen, von welchen die nachstehenden in den beteiligten Kreisen besonders bekannt sind: Auf Grund von Versuchen, welche auf den Liniennetzen der Pennsylvania-, der Chicago-Burlington- und der Quincy-Eisenbahn durchgeführt worden waren, stellte Barnes im Jahre 1894 für amerikanische Personenwagen in Zügen mit den Geschwindigkeitsgrenzen zwischen 80 und 112 km/Std. die Formel auf R = 2 + 0,0496 v. Schon zu Ende der 80er Jahre hatte Desdouits auf den französischen Staatshahnen vergleichende Versuche angestellt zwischen dem Zugwiderstand gewöhnlicher zweiachsiger Personenwagen und jenem grosser, mit Drehgestellen versehenen Wagen (Bogiewagen), wie solche zur Zeit namentlich in Schnellzügen auf den meisten Hauptbahnen aller Länder Verwendung finden. Diese Versuche sind 1891 bis 1897 auf der französischen Nordbahn fortgesetzt worden und haben übereinstimmend zu dem Ergebnisse geführt, dass sich das Verhältnis für die Wagen mit Drehgestell günstiger herausstellt als für die zweiachsigen Wagen. Auf Grund der hierbei gewonnenen Unterlagen, bei welchen Fahrgeschwindigkeiten zwischen 60 bis 115 und 120 km/Std. berücksichtigt worden sind, gibt F. Barbier zwei Formeln an, nämlich für zweiachsige Wagen R=1,6+0,46\,v\,\left(\frac{v+50}{1000}\right) und für Bogiewagen R=1,6+0,456\,v\,\left(\frac{v+10}{1000}\right). Nach einer von John Blood im Maihefte des Street-Railway-Journals vom Jahre 1899 veröffentlichten Mitteilung über die Ergebnisse der von ihm durchgeführten Versuche auf Kleinbahnen lautet der Ausdruck für den Zugwiderstand R = 2 + 0,049 v + 0,000097 v2. Die auf Grundlage neuerer in Deutschland durchgeführter Versuche von Baurat v. Borries gewonnenen Ziffern stimmen mit den Barbier'schen ziemlich überein, obwohl die Fahrgeschwindigkeiten bei den deutschen Versuchen nicht so hohe GrenzenIn dieser Beziehung ist wohl erst anlässlich der Berliner Schnellbahnversuche das äusserste Erreichbare zu gewärtigen. erreichten als bei den französischen. Textabbildung Bd. 317, S. 195 Fahrgeschwindigkeit in km/Std. Diagramm des Zugwiderstandes nach acht verschiedenen Formeln. Auch in Amerika ist neuestens der Zugwiderstand im besonderen für vierachsige Wagen mit Drehgestellen ausgemittelt worden und zwar auf der Chicago-Barlington- und Quincy-Eisenbahn und lautet die hierbei von Crawford aufgestellte, wie die Engineering News meldet, auch der Cornell-Universität vorgelegte Formel, wie folgt: R = 1,25 + 0,00041 v2. Obwohl nun diese Formel das Ergebnis einer verhältnismässig geringen Zahl von Beobachtungen bildet, so stimmen die Ziffern doch wieder so ziemlich mit jenen überein, welche auf der französischen Nordbahn gewonnen wurden, was sich sehr deutlich in dem Diagramm ersehen lässt, wo die Zugwiderstandskurven nach den acht jüngsten Formeln eingezeichnet sind. Die Crawford'sche Kurve verläuft mit der Barbier'schen fast parallel und, wenn jene nicht auch denselben Ausgang nimmt, sondern etwas tiefer, d.h. günstiger liegt als die letztere, so kommt dies daher, dass die Crawford'schen Unterlagen absichtlich ausschliesslich nur bei windstiller Witterung gewonnen wurden, wogegen man bei der französischen Nordbahn ebenso absichtlich nach einem Durchschnitte für verschiedene Luftwiderstände und Witterungsverhältnisse gesucht hatte, und daher die Versuche während der ungleichsten meteorologischen und anemologischen Umständen vorzunehmen bestrebt war. Aus dem Diagramm erhellt auffällig, dass die älteren Formeln von Fink, Clark und Gooch, welche sich ausschliesslich auf zweiachsige Wagen beziehen, wesentlich höhere Zugwiderstände ergeben als alle jüngeren Formeln, welche auch auf Bogiewagen oder lediglich auf solche bezogen und anwendbar sind. Unter den letzteren ist wohl die fast als Gerade verlaufende Linie zur Barnes'schen Formel die einfachste; sie scheint aber auch nur annähernde RichtigkeitIn Anbetracht der so mannigfachen und so sehr veränderlichen Umstände, von denen das Mass des Zugwiderstandes beeinflusst wird, ist wohl jede einschlägige Formel, weil ihre Feststellung auf Grund von Erfahrungsdaten erfolgen muss, bloss innerhalb einer bestimmten Einschränkung wirklich zutreffend, wie beispielsweise die eine lediglich für Drehgestellswagen bei windstiller Witterung, die andere ebenso ausschliesslich für zweiachsige Fahrbetriebsmittel in Personenzügen, die eine bestimmte Fahrgeschwindigkeit nicht überschreiten u.s.w. Soll eine für alle Nebenumstände möglichst richtige Formel angegeben werden, so lässt sich eine solche allenfalls im Wege einfacher Annäherungsrechnung aus den acht obigen Formeln leicht ableiten und dieselbe würde lauten:R = 1,861 + 0,013582 v + 0,0003732 v2. zu besitzen und lediglich innerhalb jenen Geschwindigkeitsgrenzen genau zu sein, welche bei der Aufstellung als Grundlage gedient haben. Was dann die Kurven zur Barbier'schen, zur v. Borries'schen und zur Crawford'schen Formel anbelangt, so führen dieselben zu ziemlich übereinstimmenden Endziffern, wie sich dies aus nachstehender Tabelle des näheren ersehen lässt. Fahrgeschwin-digkeit inkm/Std. FranzösischeFormel(Barbier 1897) DeutscheFormel(v. Borries 1901) AmerikanischeFormel(Crawford 1901) kg pro t kg pro t kg pro t     0 1,60 1,60 1,25   20 1,87 2,02 1,41   40 2,51 2,68 1,90   60 3,52 3,58 2,73   80 4,88 4,72 3,87 100 6,62 6,10 5,35 Diese Uebereinstimmung erscheint um so interessanter, als doch die vierachsigen Fahrzeuge der französischen, deutschen und amerikanischen Eisenbahnen nach Konstruktion und Gewicht sich nicht unwesentlich voneinander unterscheiden. L. K.