Titel: Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes.
Autor: Hermann Meuth
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 504
Download: XML
Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes. Von Dr. ing. Hermann Meuth, Karlsruhe. (Fortsetzung von S. 489 d. Bd.) Kinetik und Kinetostatik des Schubkurbelgetriebes. 3. Die äusseren Kräfte. Die auf das Kurbelgetriebe von aussen einwirkenden Kräfte sind die Triebkraft, welche bei Kraftmaschinen am Kolben angreift, der nutzbare Widerstand, welcher in Richtung der Kolbenbewegung, der Triebkraft entgegengesetzt, oder senkrecht zur Kurbelrichtung wirkt, die Reibungskräfte, der Bewegungsrichtung entgegenwirkend, und die Schwerkraft oder das Gewicht der Getriebeteile. Zu letzteren gehören: das Gewicht der nicht ausgeglichenen Kurbel, der Lenkstange und des Kreuzkopfes, der Kolbenstange und des Kolbens. Die Angriffspunkte sind die zugehörigen Schwerpunkte dieser Teile (s. Fig. 2). Die treibende Kraft und der Nutzwiderstand sind gewöhnlich durch Diagramme in ihrem Verlaufe gegeben. Die Reibung im Kurbelmechanismus ist entweder von der Kraftkurve abzuziehen oder der Widerstandskurve zuzufügen. Es muss das Moment aller Kräfte in bezug auf den Drehpunkt der Kurbel bestimmt werden. Bezüglich der Gewichte der Getriebeteile können bei einer liegenden Maschine natürlich die im Kreuzkopf vereinigten Gewichte der nur hin- und hergehenden Teile keine Drehung der Kurbel hervorrufen, da deren Druck von der Gleitbahn direkt aufgenommen wird, im Gegensatz zu der nicht unbeträchtlichen Gewichtswirkung dieser Teile bei stehenden Maschinen. Um beide Fälle nebeneinander behandeln zu können, werde ein Neigungswinkel y der Gleitbahn gegen die Wagerechte eingeführt. Die Grösse des Gesamtdrehmomentes an der Kurbel Q erhält man unter Anwendung des Prinzipes der virtuellen Arbeiten, welches lautet: ΣK 1 δx + ΣK 2 δy = Qδφ, wenn K1 und K2 die Komponenten der äusseren Kräfte in den Richtungen X und Y und δx und δy die Verschiebungen sind, welche die Punkte, an denen die Kräfte K1 und K2 angreifen, bei einer gedachten Drehung der Kurbel um δφ erleiden. Die Summe der Kräfte setzt sich zusammen aus den Kräften, welche an den einzelnen Gliedern des Getriebes angreifen (Fig. 2). Bei der Kurbel greift im Zapfen der reduzierte Widerstand W an, im Schwerpunkt Gk, letztere ebenfalls auf den Zapfen reduziert =G_k\cdot \frac{k'}{r}. Die Komponenten in den Achsrichtungen sind demnach K1 = + W sin + γ) in der X-Richtung, K_2=-W\,\mbox{cos}\,(\varphi+\gamma)-G_k\,\frac{k'}{r} in der Y-Richtung. Die virtuellen Verschiebungen sind, da x = r cos + γ) und y = r sin + γ), δx = – r sin + γ) δφ und δy = r cos + γ) δφ. An der Lenkstange greift lediglich ihr Gewicht im Schwerpunkt an. Es ist also K1 = o und K2 = – M3 . g; die virtuellen Verschiebungen mit x = r cos + γ) + z'0 cos (ηγ) und y = r sin + γ) – z'0 sin (η – γ) sind \delta\,x=-r\,\mbox{sin}\,(\varphi+\gamma)\,\delta\,\varphi-z'_0\,\mbox{sin}\,(\eta-\gamma)\,\delta\,\varphi\cdot \frac{d\,\eta}{d\,\varphi} und \delta\,y=r\,\mbox{cos}\,(\varphi+\gamma)\,\delta\,\varphi-z'_0\,\mbox{cos}\,(\eta-\gamma)\,\delta\,\varphi\,\frac{d\,\eta}{d\,\varphi}. Textabbildung Bd. 320, S. 503 Fig. 2. Am Kreuzkopf greifen an: in wagerechter Richtung – P cos γ, in senkrechter Richtung – P sin γ und das Gewicht der hin- und hergehenden Teile – M2g, also K1= – P cos γ; K2 = – P sin γ – M2g. Die virtuellen Verschiebungen in den Achsrichtungen haben denselben Ausdruck wie diejenigen des Schwerpunktes der Lenkstange, wenn für z'0 die Stangenlänge l gesetzt wird. Es ist demnach Q=-W\cdot r+P\,\mbox{cos}\,\gamma\,\left(r\,\mbox{sin}\,(\varphi+\gamma)+l\,\mbox{sin}\,(\eta-\gamma)\,\frac{d\,\eta}{d\,\varphi}\right). -G_k\,k'\,\mbox{cos}\,(\varphi+\gamma)-M_3\,g\,\left(\mbox{cos}\,(\varphi+\gamma)\right \left-z'_o\,\mbox{cos}\,(\eta-\gamma)\,\frac{d\,\eta}{d\,\varphi}\right)-(P\,\mbox{sin}\,\gamma+M_2\,g)\,\left(r\,\mbox{cos}\,(\varphi+\gamma)\right \left-l\,\mbox{cos}\,(\eta-\gamma)\,\frac{d\,\eta}{d\,\varphi}\right). Für liegende Maschinen ist γ = 0 ° und Q=-W\cdot r+P\cdot r\,\frac{\mbox{sin}\,(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta}-\left(G_k\,k'+M_3\,g\,r\,(1-a)\right)\,\mbox{cos}\,\varphi, für stehende Maschinen ist γ = 90 ° und Q=-W\cdot r+P\,r\,\frac{\mbox{sin}\,(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta}+\left(G_k\,k'+(M_2+M_3)\,g\,r\right)\,\mbox{sin}\,\varphi+(M_2+a\,M_3)\,g\cdot r\,\frac{\mbox{sin}\,(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta}. \frac{P\,\mbox{sin}\,(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta} ist die Tangentialkomponente T des Kolbendruckes im Kurbelkreis; auch der Widerstand kann in der Richtung des Kolbenweges wirken und in seinem Verlaufe in gleicher Weise wie der treibende Druck durch ein Indikatordiagramm gegeben sein. In diesem Falle ist dessen Tangentialkomponente ebenso zu bilden. Zur weiteren Verwertung dieser Ausdrücke für die Bewegungsgleichung 1 b) ist die analytische Darstellung derselben notwendig. Für die Tangentialkomponente der Triebkraft könnte man z.B. bei einer Dampfmaschine einen Kolbendruck zugrunde legen, welcher sich nach einem gesetzmässig angenommenen Verlauf (z.B. Expansion und Kompression nach dem Hyperbelgesetz) ändert. Diesen Weg schlagen GrashofTheoretische Maschinenlehre, Bd. 2, S. 371. und WeisbachIngenieur- und Maschinenmechanik, III/I, S. 744. ein. Die folgende Behandlung des Tangentialdruckes geht von dessen tatsächlichen Verlauf aus. Es ist die Tangentialkomponente zunächst aus dem Kolbenüberdruck zu bilden und auf der Basis des abgewickelten Kurbelkreises aufzutragen. Das kann entweder auf graphischem Wege geschehen, wie es aus den späteren Fig. 9 und 10 hervorgeht, oder mit Hilfe untenstehender Tabelle, welche für 24 Teile des Kurbelkreises die Werte von \mbox{sin}\,\frac{(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta} enthält und für drei verschiedene Stangenverhältnisse \lambda=\frac{l}{r}=1/4, ⅕ und ⅙ benutzt werden kann. Winkel in Graden 0 15 30 45 60 75 90 105 120 135 150 165 180 360 345 330 315 300 285 270 255 240 225 210 195 Winkel in Bogenmass 0 π/12 π/6 π/4 π/3 5 π/12 π/2 7 π/12 2 π/3 3 π/4 5 π/6 11 π/12 π 2 π 23 π/12 11 π/6 7 π/4 5 π/3 19 π/12 3 π/2 17 π/12 4 π/3 5 π/4 7 π/6 13 π/12 \frac{sin\,(\varphi+\eta)}{\mbox{cos}\,\eta} λ = ¼λ = ⅕λ = ⅙ 000 0,3210,3090,301 0,6080,5850,572 0,8320,8080,790 0,9750,9540,940 1,0291,0211,010 1,0001,0001,000 0,9030,9150,924 0,7570,7800,794 0,5810,6050,624 0,3910,4150,428 0,1960,2080,217 000 In den unregelmässigen Schwankungen des Tangentialdruckes erkennt man zunächst nur die eine Gesetzmässigkeit: nämlich die Periodizität mit der Dauer einer (oder mehrerer) Umdrehungen, welche im Beharrungszustand der Maschine vorhanden ist. Mögen nun diese periodischen Schwankungen innerhalb eines Umlaufes ganz beliebige sein, immer lässt sich nach dem Fourierschen Theorem der unregelmässige Verlauf in eine Reihe gesetzmässiger Schwankungen auflösen, welche in unserem Falle, entsprechend der Darstellung der Tangentialkräfte über dem abgewickelten Kurbelkreis, nach Vielfachen des Sinus und Cosinus des Drehwinkels fortschreiten. Die Reihe für den Tangentialdruck lautet darnach: T = A0 + A1 cos φ + A2 cos 2 φ + ....           + B1 sin φ + B2 sin 2 φ +.... Die Koeffizienten A und B bestimmen sich aus A_n=\frac{1}{\pi}\,\int_0^{2\,\pi}\,T\,\mbox{cos}\,n\,\varphi\,d\,\varphi und B_n=\frac{1}{\pi}\,\int_0^{2\,\pi}\,T\,\mbox{sin}\,n\,\varphi\,d\,\varphi Aus dem ursprünglichen Tangentialdruckdiagramm ist hiernach ein neues zu bilden, indem man die einzelnen Werte des Tangentialdruckes mit dem sin bezw. cos des n-fachen Kurbelwinkels an der zugehörigen Stelle multipliziert und die graphische Integration der von den Kurven eingeschlossenen Flächen mit Hilfe der IntegralkurveIn der später folgenden Fig. 7 ist die Konstruktion der Integralkurve für die rechte Diagrammhälfte angegeben. Das Verfahren beruht auf der Verwandlung aller Flächenstreifen, in welche das Tangentialdruckdiagramm zerlegt ist, in Rechtecke von der Basis 12–24. Man projiziert zu diesem Zwecke die Punkte a, b, c usw. (der mittleren Höhen der Flächenstreifen) auf die letzte Ordinate und bringt mit dem Strahl 12 a' die mittlere Ordinate des Flächenstreifens 12–13 in p zum Schnitt, darauf zieht man pq || zum Strahl 12 b', qr || 12 c' u.s.f. Auf diese Weise werden die in Rechtecke von der Basis 12–24 verwandelten Flächenstreifen gleichzeitig addiert; man erhält in der letzten Ordinate 24 in T_{m_2} die Höhe des Rechteckes mit der Basis 12–24, welches dem Inhalt der rechten Diagrammhälfte gleich ist d.h. die mittlere Höhe oder den mittleren Tangentialdruck für die betrachtete Diagrammhälfte. Jede andere Ordinate ergibt, mit der Basis 12–24 multipliziert, den Inhalt der Fläche an, welche von dieser Ordinate, der zugehörigen Abszisse und dem darüberliegenden Kurvenstück begrenzt wird. oder mit dem Planimeter vornimmt. A0 ist offenbar der mittlere Wert des Tangentialdruckes während einer Umdrehung, der im Beharrungszustand gleich demjenigen des Widerstandes sein muss. In gleicher Weise kann der Widerstand durch eine periodische Reihe dargestellt werden. In der Verbindung (T – W) beider Reihen verschwindet dann das konstante Glied. Man kann noch die Koeffizienten entsprechender Glieder zusammenfassen und ausserdem der Reihe noch die Form geben (-W)=\frakfamily{A}_1\,cos\,(\varphi+\epsilon_1)+\frakfamily{A}_1\,cos\,2\,(\varphi+\epsilon_2)+\,.\,.\,. worin A_1=\sqrt{{A^1}_1^2+{B^1}_1^2} usw. und e Phasenwinkel bedeuten, welche aus der Beziehung \mbox{tg}\,\varepsilon_u=\frac{B'_n}{A'_n} gefunden werden.Der Phasenwinkel kann zwei Werte annehmen, die um π verschieden sind; welcher von beiden in Betracht kommt, ist leicht durch Auflösung der Funktion \frakfamily{A}_n\,cos\,n\,(\varphi+\epsilon_n) zu erkennen. A'n und B'n sind die Koeffizienten der kombinierten Reihe (T – W). Nach diesem Verfahren ist die Analyse von Tangentialdruckdiagrammen schon mehrfach ausgeführt worden.s. Lorenz, Dynamik der Kurbelgetriebe, S. 91. – Frahm, Neue Untersuchungen über die dynamischen Vorgänge in Wellenleitungen von Schiffsmaschinen. Z. d. V. d. I. 1902, S. 801. – Macalpine, Analysis of the inertia forces of the moving parts of an engine, Engineering 1897, Bd. 64, S. 543. – Die Bestimmung der Konstanten mit Hilfe der Methode der kleinsten Quadrate ist ausgeführt worden von Boucherot, Bulletin de la Société internationale des Electriciens 1901, S. 534. – Runge, Ueber die Zerlegung empirisch gegebener periodischer Funktionen in Sinuswellen. Zeitschr. f. Mathem. u. Physik 1903, S. 443. Man kann durch Berücksichtigung einer genügenden Zahl von Gliedern in der Reihe eine grosse Annäherung an den wirklichen Verlauf der Tangentialdrucke erreichen. Jedoch ist für die weitere Verwendung der Reihe eine grosse Zahl von Gliedern sehr hinderlich. Begnügt man sich mit weniger Gliedern, so macht man die Erfahrung, dass die Annäherung eine unzureichende wird und zwar umsomehr, je stärker sich die Schwankungen eines Tangentialdruckdiagrammes über den mittleren Druck an einer Stelle zusammendrängen d.h. je ausgeprägter die Spitzen sind, welche das Diagramm aufweist. Das hat darin seinen Grund, dass die ersten Glieder der Fourierschen Reihe die Spitzen der Schwankungen stark abrunden und dass die sin- und cos-Kurven erst an einer späteren Stelle der Reihe gewissermassen in die Spitzen des Tangentialdruckdiagrammes eindringen. Textabbildung Bd. 320, S. 505 Fig. 3. Für dynamische Untersuchungen kommt es aber in erster Linie darauf an, dass die charakteristischen Schwankungen zum Ausdruck kommen, insbesondere dass die Maxima und Minima in bezug auf ihre Lage im Diagramm nicht wesentlich verschoben werden. Das erreicht man dadurch, dass man die Koeffizientenbestimmung in einer von dem obigen Verfahren abweichenden Weise vornimmt, nämlich derart, dass sich der durch die Reihe festgelegte Verlauf der Drehkraft in charakteristischen Punkten den wirklichen Schwankungen genau anschliesst, während zwischen diesen Punkten allerdings grössere oder geringere Abweichungen stattfinden. Soll z.B. nebenstehender Kraftverlauf von T in Fig. 3 durch eine Reihe einfacher Grundschwankungen ersetzt werden von der Form: T = T0 + a1 cos φ + a2 cos 2 φ + ..        + b1 sin φ + b2 sin 2 φ, so erhält man wegen der Forderung, dass sich T in den Punkten 1, 2, 3, 4 dem wirklichen Verlaufe genau anschliessen, dass also die Ersatzkurve durch die genannten Punkte gehen soll, vier bestimmte Werte für T und damit hat man zunächst vier Gleichungen zur Bestimmung der fünf Koeffizienten. Ausserdem liefert die Bedingung, dass die durch die Reihe dargestellte Kurve die gleiche Fläche einschliessen soll wie die gegebene Kurve, die fünfte Gleichung. Dieses Verfahren hat gegenüber dem oben erwähnten den Vorteil, dass nur eine graphische Integration auszuführen ist und dass man mit einer geringeren Zahl von Gliedern der Reihe doch eine befriedigende Annäherung an den tatsächlichen Kraftverlauf erhält. Bei Mehrkurbelmaschinen wird man nicht das resultierende Tangentialdruckdiagramm analysieren, sondern die Diagramme der einzelnen Zylinder. Die für die letzteren erhaltenen Reihen sind alsdann unter Einführung von Phasenwinkeln, welche den Kurbelversetzungen entsprechen, zu summieren und ergeben damit die Reihe des resultierenden Tangentialdruckes. Wie schon oben bemerkt, ist für die Entscheidung dynamischer Fragen bei Kraftmaschinen eine genaue Analyse des Tangentialdruckdiagramms von Bedeutung, insbesondere wo es sich um die Beanspruchung der elastischen Getriebeteile durch den Tangentialdruck handelt. Die durch die Schwankungen des Tangentialdrucks in den Triebwerksteilen erzwungenen Schwingungen können die dadurch gleichzeitig geweckten Eigenschwingungen der Teile im Falle der Resonanz, d.h. der Uebereinstimmung der Periode beider, erheblich verstärken und dadurch die Beanspruchungen vergrössern. In ähnlicher Weise treten diese Erscheinungen auf bei parallel geschalteten Wechselstrommaschinen, deren übereinstimmende Bewegung durch die synchronisierende Kraft, in ihrer Eigenschaft der elastischen Kraft ähnlich, erzwungen wird. Rosenberg hat in einem beachtenswerten AufsatzeZ. d. V. d. I. 1904, S. 793. darauf hingewiesen, dass hauptsächlich durch die Schwingungen des Drehmomentes mit der längsten Dauer der Parallelbetrieb gefährdet werden kann. Darauf wird im letzten Abschnitt noch näher eingegangen werden. (Fortsetzung folgt.)