Titel: DER DEUTSCHE TECHNIKER IN NORDAMERIKA.
Autor: W. Lehrmann
Fundstelle: Band 327, Jahrgang 1912, S. 457
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DER DEUTSCHE TECHNIKER IN NORDAMERIKA. Von W. Lehrmann, Ingenieur. (Schluß von S. 445 d. Bd.) LEHRMANN: Der deutsche Techniker in Nordamerika. Die Arbeitszeit ist meist eine achtstündige, Sonnabends werden dagegen nur vier bis fünf Stunden gearbeitet, da an diesem Tage die Bureaus ebenso wie die Werkstätten mittags schließen. Im Westen des Landes findet man oft noch achteinhalbstündige Arbeitszeit, außer Sonnabends, so daß sich dort eine wöchentliche Stundenzahl von 47 bis 48 ergibt, welche der norddeutschen gleichkommt. Wie wohl bekannt, trifft man in Amerika durchschnittlich die sogen. englische Arbeitszeit an, und zwar ist diese in großen Städten gewöhnlich von 8 bezw. 8½ Uhr bis 12 bezw. 12½ und von 1 bis 5 Uhr. In den Bureaus einzelner Zivilingenieure ist die Arbeitszeit etwas kürzer, und zwar von 9 bis 1 Uhr und von 1½ bezw. 2 bis 5 Uhr. In kleinen Städten wird den Angestellten oft Gelegenheit gegeben die Mittagsmahlzeit zu Hause einzunehmen, zu welchem Zweck die Mittagspause vereinzelt bis zu 1½ Stunden ausgedehnt und nachmittags entsprechend länger gearbeitet wird. Die Feiertage sind verschieden von denen in Deutschland, doch ist ihre Anzahl ungefähr die gleiche. Betreffs eines Sommerurlaubes werden im allgemeinen keinerlei Verabredungen beim Engagement getroffen, doch wird ein solcher von 8 bis 14 Tagen Dauer bei voller Gehaltszahlung fast überall gewährt. Kündigungsfristen in der Art wie sie in Deutschland anzutreffen sind, gibt es in Amerika nicht. Es existiert im allgemeinen überhaupt keine Kündigung. Auf sechs Wochen oder gar ein Vierteljahr lange, vorherige Ankündigungen eines Austrittes aus dem Dienstverhältnis würden sich weder Chef noch Angestellter einlassen, auch wären solche Fristen unter den in Amerika herrschenden Zuständen ganz undenkbar. Ein jeder will ungebunden sein und jederzeit Dispositionsänderungen treffen und sofort durchführen können. Kann ein Chef einen Angestellten nicht gebrauchen, so entläßt er ihn meist ohne weiteres, ebenso wird ein Angestellter sogleich seine Tätigkeit aufgeben, wenn ihm eine bessere Stellung geboten wird, oder er sich aus sonstwelchen Gründen verändern will. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß ein ständiges Wechseln stattfindet; ich habe sogar beobachtet, daß die Leute im allgemeinen ziemlich lange auf ihren Posten verbleiben. Jeder Chef weiß, daß er am besten mit gut eingearbeiteten Leuten vorwärts kommt und sucht daher seine Angestellten zu halten. Die Tüchtigkeit eines einzelnen wird bald erkannt und auch anerkannt, andererseits hat aber auch ein jeder, dessen Leistungen im Verhältnis zum Gehalt zu gering sind, die entsprechenden Folgen zu erwarten. Wenn man auch in Amerika keine eigentlichen Kündigungsfristen kennt, so fühlt dennoch fast jeder die moralische Verpflichtung dem anderen Teil gegenüber, eine gewisse Rücksicht zu üben und z.B. einen Angestellten nicht sofort auf die Straße zu setzen, oder umgekehrt ohne weiteres einen Arbeitgeber nicht im Stich zu lassen. Derartige Fälle kommen fast nur bei plötzlichen Zerwürfnissen vor; sonst pflegt man beiderseits eine wöchentliche, ja sogar bisweilen eine monatliche Kündigung einzuhalten. Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und -nehmer ist in Amerika ein ganz anderes als in Deutschland. Der Chef sieht seinen Angestellten nicht nur als Untergebenen, sondern auch als seinen Helfer, seinen Kollegen an, und bestehen dementsprechende Beziehungen zwischen beiden Teilen, die einen mehr freundschaftlichen Charakter tragen, ohne eine gewisse Disziplin im Dienste fehlen zu lassen. Das Arbeitsinteresse wird dadurch gegenüber unseren deutschen Subordinierungssystemen mit den ewigen Rang- und Klassenunterschieden nur gefördert. Jeder einzelne weiß, daß er ein Glied der großen Kette des ganzen Betriebes ist und ist bestrebt, seinen Posten so gut als möglich auszufüllen, gleichviel, ob er zu pausen, zu konstruieren oder etwa zu organisieren und regieren hat; er weiß, daß seine Arbeiten ebenso erforderlich sind wie die des anderen und daß schließlich alle voneinander abhängig sind. Durchdrungen von diesem Gedanken der gleichen Einschätzung aller Arbeiten ist jeder bestrebt, gleichgültig, an welchen Platz er gestellt wird, sein Bestes zu leisten, schon im eigenen Interesse, um im Gehalt hoch zu kommen; denn Verdienen oder wie der Amerikaner sagt „Geld machen“ (to make money) ist die Hauptsache. Aus allem geht hervor, daß der Deutsche in Amerika seine Ansichten wesentlich zu modifizieren hat; auf keinen Fall kommt er mit dem hier zu Lande oft zu findenden „Dünkel“ durch, wie ihm andererseits die manchem anhaftende Unterwürfigkeit wenig nützt. Die Bureaus, also die Räumlichkeiten, sowie deren Einrichtungen sind recht verschieden. In den modernen Geschäftshäusern, wie sie New York, Chicago, Philadelphia und andere Großstädte aufzuweisen haben, findet man vorzüglich eingerichtete Bureaus; anderseits dienen bei einzelnen Firmen und in älteren Betrieben oft Räume zu Bureauzwecken, in denen man hier sicher nicht arbeiten würde und die in jeder Hinsicht zu wünschen übrig lassen. Doch ist man jetzt stark damit beschäftigt, Besserung zu schaffen; denn der Amerikaner hat längst erkannt, daß nur gute gesunde Räume mit guten Einrichtungen dauernde Erfolge bei der Arbeit versprechen. Das stehende Reißbrett hat sich merkwürdigerweise bisher noch keinen Eintritt in Amerika verschafft; man findet fast überall liegende Bretter, vor denen der Konstrukteur auf einem hohen Bock sitzt. Im übrigen sind alle arbeitsparenden Einrichtungen eingeführt; besonders in kaufmännischen Abteilungen fand ich schon vor mehreren Jahren jede neue Einrichtung als Diktiermaschine, Rechenmaschine und dergl., die man in Deutschland gewöhnlich nur in sehr großen Betrieben antrifft und die auch erst jetzt eingeführt werden. Der Amerikaner ist für Neuheiten leicht zugänglich und für jede Einrichtung, mittels der er in seinem Betriebe eventl. eine Ersparnis erzielen kann, sofort interessiert. Hohe Anschaffungskosten schrecken ihn dabei bei weitem nicht so zurück, als den Deutschen. Ueber die Organisation der dortigen Beiriebe ließ sich sehr viel sagen, und können die Deutschen manches in dieser Beziehung lernen. Ich will mich hier auf das Wichtigste beschänken, zumal für eine eingehende Behandlung dieses Themas hier nicht der Platz ist. Einige Einzelheiten über die dortige Organisation und deren Anwendung für Deutschland habe ich in D. p. J. Jahrg. 1910, Heft 44 und 49, beschrieben. Die Leitung der technischen Bureaus einer Firma liegt gewöhnlich in den Händen eines Chief Engineers oder Chief Draftsman, also in denen eines Ober-Ingenieurs. Dieser hat volle Bewegungsfreiheit für alle internen Angelegenheiten der technischen Abteilung; er engagiert die technischen Beamten, er organisiert, normalisiert, überwacht die Projektierung, Ausführung usw., kurz und gut alle Fäden des Netzes der technischen Angelegenheiten gehen von ihm aus und laufen zu ihm zurück. Unterstellt ist er gewöhnlich einem sogen. General Manager, bezw. einem Secretary, welcher also ungefähr das Amt eines Direktors bekleidet. Dies ist natürlich ein aus einer Menge von Beispielen herausgegriffenes; die Fälle sind selbstverständlich verschieden und richten sich auch nach der Größe des Betriebes, doch kann man wohl behaupten, daß in Amerika relativ weniger leitende Persönlichkeiten anzutreffen sind als hier. Der technische Leiter, also der Chief Engineer teilt nun das gesamte technische Personal in verschiedene Gruppen, sogen. „squads“ ein, von denen jede im allgemeinen ein bestimmtes Gebiet bearbeitet. Jede dieser Gruppen wird von einem sogen. Gruppenführer „squad boss“ beaufsichtigt. Die Gruppenführer gehen gewöhnlich aus der Gruppe selbst hervor und sind Leute, die sich im Laufe der Zeit als tüchtig erwiesen haben und mit allen einschlägigen Arbeiten vertraut sind. Innerhalb einer Gruppe findet man Konstrukteure (Draftsman) und Pauser (Tracer), die sämtlich dem Gruppenführer unterstellt sind. Bei kleineren Firmen ist die erwähnte Gruppeneinteilung seltener anzutreffen und arbeiten hier zuweilen 20 bis 30 Mann direkt unter dem Oberingenieur bezw. seinem Assistenten. Bezüglich des Arbeitens möchte ich jedem Neuankömmling zurufen, sich nicht in zuweitgehende Berechnungen und Ueberlegungen einzulassen, vielmehr möglichst schnell die gegebenen Direktiven zu verfolgen und zu produzieren. Komplizierte Berechnungen werden soweit als möglich ausgeschaltet, dagegen werden häufig Tabellen, Diagramme und dergl. Hilfsmittel benutzt, um Berechnungen zu vereinfachen bezw. ganz unnötig zu machen. Neukonstruktionen einzelner Maschinenteile werden ebenfalls tunlichst vermieden, und sind vorhandene Teile, wie Lager, Räder, Schneckentriebe und andere dem jeweiligen Charakter der betreffenden Branche entsprechende Details tabellarisch, leicht übersichtlich zusammengestellt und stets, wo angängig, zu verwenden. Maschinen oder Teile derselben als ganze Antriebe usw., ferner Modelle, Zeichnungen usw. sind in Karthotheken registriert und leicht aufzufinden, so daß beim Konstruieren auf Vorhandenes Rücksicht genommen werden kann. Es ist also stets im Auge zu behalten, daß für jeden gerade vorliegenden Fall die Arbeiten für Bureau und Werkstatt tunlichst zu reduzieren sind. Pedanterie und Bureaukratismus passen nicht in das amerikanische Wirtschaftsleben. Es ist daher einem jeden anzuraten, sich schnellstens in die dortigen Verhältnisse einzuleben, amerikanisch zu denken und zu fühlen, erst dann kann er auf Erfolg rechnen, zumal wenn er die dem Deutschen anhaftende Zuverlässigkeit beibehält. Für jeden, der jenseits des Ozeans eine neue Heimat sucht, wenn auch nur vorübergehend, sind natürlich die bis jetzt behandelten Punkte, die sich sämtlich auf die geschäftliche Tätigkeit beziehen, die wichtigsten. Bilden sie doch die Grundlage seiner Lebensfähigkeit. Aber auch das private Leben darf nicht außer Acht gelassen werden, da es einen großen Einfluß auf das Gemüt des Menschen ausübt und von einschneidender Bedeutung für das Wohlbefinden desselben ist. So dürfte denn wohl zuerst die Aufnahme, die der Ankommende bei den Amerikanern findet, von Interesse sein, und kann ich in dieser Beziehung nur angenehmes berichten. Der Deutsche ist im allgemeinen überall gern gesehen in den Vereinigten Staaten und wird auch in jeder amerikanischen und deutsch-amerikanischen Familie freundlich aufgenommen. Klassenunterschiede und Vorurteile kennt man dort viel weniger als hier und jeder anständig gekleidete Mensch, der sich zu benehmen versteht, und außerdem noch guter Gesellschafter ist, wird gern gesehen. Das amerikanische Volk weiß vor allem die deutsche Wissenschaft zu schätzen, unsere gute allgemeine Bildung, die Ausdauer und Zuverlässigkeit habe ich des öfteren rühmen gehört. Andererseits macht sich der Amerikaner lustig über den Dünkel, den Bureaukratismus und die Langsamkeit des Deutschen, letztere bezieht sich hauptsächlich auf das uns oft anhaftende langsame Handeln, das lange Ueberlegen und Hin- und Hererwägen, der Amerikaner handelt schneller. Beim Umgang mit Amerikanern bezw. Amerikanerinnen wird man bald deren Stolz und Vaterlandsliebe beobachten können. Diese Eigenschaften gehen oft soweit, daß manche von ihnen Amerika für das einzig lobenswerte Land halten und glauben, Amerika marschiere allen Ländern voran. Eine teilweise Berechtigung zu diesem Stolz wird man ihnen nach längerem Studium von Land und Leuten nicht absprechen können; doch ist drüben sowohl wie hier und überall manches reformbedürftig, was viel gereiste Amerikaner auch unumwunden zugeben. Die Lebensverhältnisse sind in Amerika relativ günstig, soweit sie für den unbedingten Bedarf in Frage kommen. Wenn auch im Laufe der letzten Jahre manches im Preise gestiegen ist und die Trusts viele Nahrungsmittel künstlich in die Höhe geschraubt haben, so lebt man doch verhältnismäßig etwas billiger als hier. Allerdings muß man sich an das amerikanische Leben gewöhnen. Wer abends seine Zeit in eleganten Cafés, Weinrestaurants, Theatern und anderen Vergnügungslokalen verbringen will, gebraucht sehr viel Geld. Abgesehen von Theatern, deren gute, besonders Opern, allerdings auch recht teuer sind, kosten alle Vergnügen bedeutend mehr als hier. Hübsche Cafes und Restaurants im deutschen bezw. französischen Stile sind daher auch rar und nur in größeren Städten zu finden. Seine Mahlzeiten nimmt man entweder zu Hause, im sogen. Boarding House, einer Art Pension, oder in einem einfachen, aber sauberen Speiserestaurant, einem sogen. Lunch-Room oder Dining-Restaurant ein. Durchschnittlich zahlt man dort 20 bis 35 Cents für Frühstück (Obst, Vorspeisen, Eier oder Fleisch mit Kartoffeln, Butter und Brot und Kaffee oder dergleichen mit Kuchen), 20 bis 40 Cents für Mittag, je nachdem, entweder nur belegte Brötchen mit Tee, Milch oder Kaffee oder ein Mittagessen ähnlich dem deutschen, beansprucht wird. Im allgemeinen ißt man mittags nur wenig, dagegen abends besser, was durch die englische Arbeitszeit bedingt ist. Abends erhält man für 30 bis 60 Cents ein gutes „Supper“, welches wieder ähnlich unserem deutschen Mittagessen ist, doch etwas reichhaltiger. Billiger als eben angegeben kann man im Boarding House Pension erhalten. Je nach Ansprüchen zahlt man dort 3,50 bis 7,– Dollars für die Woche für gute Pension ohne Zimmer. In kleineren Städten noch etwas weniger. Für möblierte Zimmer zahlt man in großen Städten 2,50 bis 8 Dollars für die Woche, in kleinen erhält man große und gute Zimmer für 1,50 bis 4 Dollars. Zimmerpreise verstehen sich stets ohne Kaffee bezw. Frühstück des Morgens und ohne Stiefelputzen oder dergl.; dagegen sind Beleuchtung, Heizung und Bäder eingerechnet. Von Interesse ist noch, daß für Zimmer sowohl als auch für Wohnungen keine Kündigungen existieren wie man sie in Deutschland gewohnt ist. Wer ausziehen will kann dieses jederzeit und zahlt nur für die laufende Woche bezw. den laufenden Monat Miete. Hat man lediglich ein Zimmer gemietet, so kann man Kaffee des Morgens nicht erhalten, sondern muß das erste Frühstück im Restaurant bezw. in einer Pension einnehmen. Die Schuhe läßt man sich für 10 Cents von einem Schuhputzer reinigen, den man an vielen Straßenecken, auf der Hochbahn, auf Eisenbahnstationen und an diversen anderen Verkehrsplätzen findet. Wer sich rasieren läßt, kann den sogen. „shoe shine“ gleich während des Rasierens erhalten und spart dadurch an Zeit. Nachdem also das Frühstück eingenommen ist, kann man an seine Tätigkeit gehen und ist die nächste Gelegenheit, für das leibliche Wohl zu sorgen, die kurze Mittagspause. Ein zweites Frühstück, wie es z.B. in Deutschland viel gegen 10 Uhr eingenommen wird ist den Amerikanern unbekannt. Würde man sich drüben während der Arbeitszeit etwa gar behaglich die Zeit nehmen, ein Butterbrot zu verzehren, so könnte dies Unannehmlichkeiten und im Wiederholungsfall sogar den Verlust der Stellung nach sich ziehen. Mittags nach Hause zu gehen, ist nur in kleinen Städten möglich; in großen nimmt man einen kurzen Imbiß oder ein kleines Essen in einem der dem Arbeitsplatz nahegelegenen Lunch Rooms ein und kommt dann schließlich nachmittags bezw. abends nach Hause. Wer in einem Boarding House wohnt oder dort ißt, wird gar bald Bekanntschaften schließen und vielleicht dort selbst manch frohe Stunde verbringen können. In den amerikanischen Pensionen sitzen die Roomer und Boarder, wie die Einwohner und Pensionäre genannt werden, manchen Abend beisammen und vertreiben sich die Zeit durch Spielen, Musizieren und Konversation, in kleinen Städten ist dieses Zusammenhalten noch viel ausgeprägter, da sich dort weniger Gelegenheiten zu anderen Vergnügungen finden. Den in einer Stadt fremden Deutschen kann ich daher nur raten, sich diesen kleinen erwähnten Cirkeln anzuschließen, wodurch sie am besten Sprache, Sitten und Anschauungen der Amerikaner kennen lernen. Der „Greenhorn“, wie man den Neuankömmling bezeichnet, wird zwar im Anfang manchmal Anlaß zu allgemeiner Heiterkeit geben, da er in der Konversation noch nicht sattelfest ist; doch muß man über derartige Kleinigkeiten schnell hinweggekommen und kann es um so leichter, wenn man weiß, daß dem amerikanischen Volk derartige Sprachfehler nichts weiter als eine rein kindliche Freude bereiten. Für Unterhaltungen wie Konzerte, Theater usw. ist in großen Städten bestens gesorgt. Theater findet man im allgemeinen in Amerika in viel größerer Anzahl als bei uns und selbst kleine Städte haben ihr Theatergebäude, in welchem Truppen gastieren. Ueber die zur Aufführung gelangenden Stücke wird man sich allerdings im Anfang manches Mal unwillkürlich des Kopfschüttelns nicht enthalten können, sich aber doch schließlich an den Geschmack des Amerikaners gewöhnen. Das Klub- und Vereinsleben ist sehr stark entwickelt, und habe ich auch viele deutsche Klubs gefunden, die angenehme Unterhaltung bieten und deren Mitglieder stolz auf ihre deutsche Herkunft sind; besonders wird das Deutschtum in den Turn- und Gesangvereinen gepflegt. Zieht man einen Vergleich zwischen dem hiesigen und amerikanischen Leben, so wird man entschieden einen erheblichen Kontrast konstatieren müssen in bezug auf Sitten und Gebräuche, als auch auf Gesetzgebung, Lebensweise im allgemeinen usw. New York, Chicago und andere Weltstädte zeigen den Unterschied allerdings nicht so deutlich, da diese Plätze zu international sind; landeinwärts jedoch und besonders in mittleren und kleineren Städten, vor allem im Süden der Vereinigten Staaten, macht sich eine Abweichung vom deutschen Leben und Treiben bemerkbar, und mancher wird bald diese oder jene heimatliche Gepflogenheit ablegen müssen und wird dieses oder jenes vermissen. Aber schließlich gewöhnt man sich auch hieran und möchte sogar manche amerikanische Sitte nach Deutschland bringen. Gesetze gibt es in Amerika viele und auch viel gute, aber beachtet werden sie kaum. In den einzelnen Staaten weichen die Gesetze recht sehr voneinander ab, was schließlich bei der Größe des Landes und der verschiedenartigen Zusammensetzung der Bevölkerung in den verschiedenen Landesteilen ganz erklärlich ist. Berücksichtigt man, daß das sogen. Nordamerika vom gemäßigten bis ins tropische Klima ragt, so wird man die verschiedenen Lebensweisen, Empfindungen und Ansichten der Bewohner verstehen können, da doch Klima, Vegetation usw. einen starken Einfluß auf den Charakter des Menschen auszuüben imstande sind und dementsprechend auch ihre Wirkung auf die Gesetzgebung erstrecken. Das Reisen in Amerika ist äußerst angenehm und wird den Touristen von den verschiedenen Privateisenbahnen und Dampfschiffsgesellschaften sehr bequem gemacht. Es gibt nur eine Wagenklasse, für welche der Fahrpreis 2 bis 2,5 Cents für die englische Meile, also etwa 5 bis 6 Pf. f. d. km ist. Gegen Zuschlag kann man Salon- oder Schlafwagen benutzen. Diese Zuschläge sind verhältnismäßig geringer als die in Deutschland für die Benutzung derartiger Wagen bezw. Züge erhobenen. Da in Amerika mit viel größeren Strecken zu rechnen ist als hier, ist infolgedessen auch die Ausstattung der Wagen eine ganz andere und wird für Komfort und selbst für Abwechslung während der Fahrt bestens gesorgt. In bezug auf Sicherheit lassen allerdings die amerikanischen Züge noch zu wünschen übrig und sind Eisenbahnkatastrophen nichts Seltenes. Im Laufe der letzten Jahre ist jedoch schon eine erhebliche Besserung in dieser Beziehung eingetreten und wird wohl bald ein weiterer Fortschritt zu verzeichnen sein, da die größeren Gesellschaften stark mit der Einführung von Blocksignalen und anderen Sicherheitsvorrichtungen beschäftigt sind. Im allgemeinen sind die Verkehrsverhältnisse drüben vorzüglich und unseren deutschen weit überlegen. Hält man sich auf der Reise nur kurze Zeit an einem bestimmten Orte auf, so wohnt man vorteilhaft in einem der mittleren oder besseren Hotels, die in reichlicher Auswahl vorhanden sind. Die zu zahlenden Preise sind im Vergleich zu dem, was geboten wird nicht hoch, und sind die amerikanischen Hotels den deutschen mindestens ebenbürtig. Bei längeren Aufenthalten kann man auch in einem Boarding House wohnen, die Gäste tageweise aufnehmen und wo man natürlich billiger lebt als im Hotel. Nachdem nun über die Arbeitsverhältnisse, soweit sie für den Techniker in Betracht kommen, über Erhalt von Stellungen, Bezahlung, Arbeitsweise, sowie über Leben und Lebensunterhalt ein ungefähres Bild gegeben worden ist, mögen noch einige Winke für den nach Amerika fahrenden Deutschen zweckdienlich sein. Vor allem habe man stets Augen und Ohren offen, da man sonst leicht den zahlreichen Gaunern im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten unbegrenzte Möglichkeiten für ihre Tätigkeit bietet. Erne gewisse deutsche Unselbstständigkeit, sich immer auf Staat, Polizei, oder andere Menschen zu verlassen, muß man drüben ablegen und sich des englisch-amerikanischen Wortes „help yourself“ erinnern. Beim Wohnungsuchen achte man darauf, daß man in einem wirklichen guten Hause Unterkunft findet, da sonst eventl. sämtliche Koffer und dergl. verschwinden, während man seine Wohnung für einige Stunden verlassen hat. Aehnlich verhält es sich mit den Bierrestaurants; in zweifelhaften Lokalen muß man sehr vorsichtig sein und soll vor allem von fremden Menschen keine Getränke annehmen, die einem oft angeboten werden, um nachher, nachdem man den Wirkungen der Einschläferungsmittel erlegen ist, ausgeplündert zu werden. Auf den Hoch- und Untergrundbahnen der großen Städte sind schon manchem Passagier Geld, Uhr oder Juwelen abhanden gekommen, ohne daß er auch nur das geringste von dem Diebstahl während der Ausübung desselben bemerkt hat. Auf die Suche nach einer Stellung geht man am besten bald nach Ankunft, selbst wenn man genügend mit Geld versorgt ist, so ist es doch immer empfehlenswert, möglichst schnell mit dem amerikanischen Wirtschaftsleben, den Arbeitsmethoden usw. bekannt zu werden, amerikanische Praxis aufweisen zu können und „last not least“ Geld zu verdienen. Bei den starken Konjunkturschwankungen, die dort viel plötzlicher und intensiver auftreten als hier, ist es unbedingt erforderlich, stets über einen Reservefonds in Form eines Bankguthabens zu verfügen. Auf welcher Bank man sein Geld unbesorgt deponieren kann, erfährt man am besten am betreffenden Orte durch Bekannte. Als sicher sind im allgemeinen die Nationalbanken anzusehen. In seiner Stellung achte man auf pünktliche Einhaltung der Arbeitszeit und vermeide längeres unentschuldigtes Fehlen, da dieses eventl. den Verlust der Stellung nach sich ziehen kann. Beim Arbeiten sollte man sich von vornherein an die amerikanischen bezw. englischen Gewichts- und Maßsysteme gewöhnen und eventl. erforderliche Berechnungen von Anfang an in diesen ausführen. Als Hilfsmaterial beim Arbeiten dienen Normalientabellen, die man bei der betreffenden Firma erhält, sowie gedruckte derartige Tabellen, die einigen amerikanischen Zeitschriften, wie z.B. „Machinery“ (Abonnement jährlich 1 Dollar), „Industrial Magazine“ (ebenfalls 1 Dollar jährlich) des öfteren beiliegen. Auch das Taschenbuch von Kent (Kent, The Engineers Pocket Book), welches mit der „Hütte“ verglichen werden kann, leistet gute Dienste und empfiehlt es sich dieses zu kaufen. Als Profilbücher werden meistens „Cambria“ oder „Carnegie“ verwendet, und sind dieselben in Buchhandlungen erhältlich. Verläßt man eine Stellung, so ersuche man den Chef um Ausstellung eines Zeugnisses. Obgleich der Amerikaner nicht viel Wert auf derartige Legitimationen der Fähigkeiten eines Menschen legt, sondern sich lieber selbst überzeugt, so ist es besonders für den Anfänger beim Suchen nach einer neuen Stellung doch gut, einen Ausweis über absolvierte amerikanische Praxis zu haben. Ein Zwang, Zeugnisse auszustellen, wie z.B. in Deutschland, existiert in Amerika m. W. nicht, trotzdem wird keine Firma bezw. kein Chef die Ausstellung verweigern. Beim Verkehr mit den amerikanischen Kollegen wird man sich anfangs oft durch diese verletzt fühlen, indem man leicht als Gegenstand des Spottes und der Lächerlichkeit dient. Die Amerikaner lachen gern und leicht und suchen daher jede Gelegenheit dazu, die sie beim „Greenhorn“ um so häufiger finden, als er mit den amerikanischen Sitten noch nicht genügend vertraut ist. Es wäre jedoch vollständig zwecklos, derartige Vorkommnisse wirklich ernst zu nehmen, da der Amerikaner bei den erwähnten Gelegenheiten nicht in böswilliger Absicht handelt, was man auch nach einiger Zeit, wenn man in das Fühlen und Denken des amerikanischen Volkes eingedrungen ist, herausgefunden haben wird. Sehr wichtig für jeden, der nach Amerika auswandert, ist die Kenntnis der englischen Sprache und möchte ich jedem raten, sich vor der Abreise gehörig in der Konversation zu üben. Ein vollständiges Beherrschen der Sprache erfordert natürlich lange Zeit und kann erst durch langjährigen Aufenthalt im Lande erreicht werden. Würde mich nun noch jemand fragen, ob er nach Amerika auswandern soll, sei es nun für einige Jahre oder für dauernd, so würde ich ihm antworten: „Den Sprung ins Ungewisse, die Reise in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten sollte nur derjenige unternehmen, der gut englisch sprechen kann, 1000 bis 2000 M Barvermögen zur Verfügung hat, gute wissenschaftliche Ausbildung sowie mindestens zweijährige Bureaupraxis und außerdem längere Werkstattpraxis nachweisen kann, ferner sollte der Betreffende energisch, zielbewußt und sicher auftreten und dabei die Fähigkeit besitzen, sich in alle Lebenslagen ohne weiteres schnell hineinfinden zu können“. Vorurteilsvolle Menschen und solche mit einem gewissen Eigendünkel sollten lieber bleiben, wo sie sind.