Titel: GESICHTSPUNKTE FÜR DIE INDUSTRIELLE GEWINNUNG VON SAUERSTOFF UND EIN NEUES CHEMISCHES VERFAHREN FÜR SEINE ERZEUGUNG (PLUMBOXAN-VERFAHREN).
Autor: Georg Kaßner
Fundstelle: Band 327, Jahrgang 1912, S. 609
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GESICHTSPUNKTE FÜR DIE INDUSTRIELLE GEWINNUNG VON SAUERSTOFF UND EIN NEUES CHEMISCHES VERFAHREN FÜR SEINE ERZEUGUNG (PLUMBOXAN-VERFAHREN). Von Dr. Georg Kaßner, Professor in Münster i. W. (Schluß von S. 597 d. Bd.) KASSNER: Gesichtspunkte für die industrielle Gewinnung von Sauerstoff usw. Auch andere Erfinder suchten durch Verbesserung der Konstruktion in den Apparaten und maschinellen Teilen des Systems sowie in der Betriebsweise eine Erleichterung und daher Verbilligung der Produktion des reinen Sauerstoffs zu erzielen. Man wird aber erkennen, daß über eine bestimmte, fast schon durch die Praxis erreichte Grenze, welche durch die Natur bezw. den Aufwand oder die Kraftforderung der physikalischen Verfahren gegeben ist, eine weitere Vervollkommnung dieser Art Sauerstoffproduktion nicht möglich ist. Sehen wir uns nun in der Praxis und in der Technik des Sauerstoffs um, so ist unbedingt zuzugeben, daß auf der ganzen Linie ein siegreiches Vordringen der physikalischen Sauerstoffgewinnung auf dem Wege über die Luftverflüssigung stattgefunden hat. Die elektrolytische Wasserzersetzung ist sehr ins Hintertreffen geraten, und zwar aus den oben erwähnten Gründen mit Recht, von den chemischen Verfahren aber spricht man kaum irgendwo noch, letzteres aber nicht mit Recht. Denn die Frage muß aufgeworfen werden, soll und wird dieser Zustand der Alleinherrschaft der physikalischen Verfahren dauernd bestehen bleiben? Ist kein weiterer Fortschritt in der Technik des Sauerstoffs und in der Verbilligung seiner Produktion möglich? Muß unter allen Umständen ein derartig hoher Verbrauch an Energie bezw. Kalorien stattfinden, wo doch theoretisch für die Trennung des mechanischen Gemenges von Sauerstoff und Stickstoff ein ganz geringer Betrag an Arbeit erforderlich ist? Ich stehe nicht an, nach meinem Dafürhalten und meiner Kenntnis der Dinge die erste und dritte Frage mit einem glatten „Nein“ zu beantworten, die zweite mit einem ebensolchen „Ja“, d.h. ein weiterer mächtiger Fortschritt auf dem Gebiete der Sauerstoffproduktion ist möglich, ist erstrebenswert und wird eintreten. Und zwar wird dieser Fortschritt von der Chemie aus kommen, er wird von chemischen Verfahren bewirkt werden, welche nach Ausmerzung der ihnen noch anhaftenden Uebelstände oder mit anderen Worten nach Beseitigung der in ihrem Bereich auftretenden eigenartigen Widerstände und Hemmungen dem Ideal wirtschaftlicher Kraft- und Stoffausnutzung näher kommen als die ganze Reihe physikalischer auf Luftkompression beruhender Verfahren. Und nun zum Beweise dieser Behauptung. Doch zuvor noch einige kleine Bemerkungen. Als Anfang der 80 er Jahre im vorigen Jahrhundert der Siegeslauf des elektrischen Lichtes begann, da gab es ängstliche Naturen, welche das Ende der Gasbeleuchtung gekommen sahen und letzterer eine weitere praktische Bedeutung absprachen. Heute sehen wir, daß infolge der glänzenden Erfindung Auers die Gasglühlichtbeleuchtung effektvoller und bei niedrigen Gaspreisen wirtschaftlicher ist als das elektrische Licht, es ist eben das Gasglühlicht eine direkte Lichterzeugung gegenüber der indirekten durch den elektrischen Strom, vom Ausgangsmaterial, dem Brennstoff aus gerechnet. Nur die große Bequemlichkeit, welche mit der Anwendung der Elektrizität zur Lichterzeugung verbunden ist, läßt neuerdings diesen wirtschaftlichen Unterschied etwas mehr in den Hintergrund treten. Ein Grund für das erstaunliche Vorwärtsdringen der physikalischen Verfahren der Sauerstofferzeugung in den letzten Jahren liegt auch in der fast plötzlicheingetretenenstarken Nachfragenach Sauerstoff für die Metallbearbeitung, wie sie z.B. durch die autogene Schweißung und durch das autogene Schneiden bedingt wurde. Man griff daher bei dem Mangel erprobter chemischer Verfahren gern zu einer maschinellen Betriebsweise, welche durch ihre rein mechanische Natur einen ruhigen, ungestörten Gang zu gewährleisten schien. Diese Erfahrung bietet übrigens dem Chemiker einen Fingerzeig dafür, in welcher Weise ein chemisches Verfahren für die Praxis zurechtzumachen sein wird. Es kann sich also für die Zukunft nur um eine völligselbsttätige Durchführung chemischer Verfahren handeln, und ausgeschlossen müssen alle solche Materien bleiben, welche eben einen periodischen Wechsel der einzelnen Phasen des Prozesses mit Hilfe maschineller Umschaltung nicht gestatten. Das Beispiel des Boussingault-Brinschen Verfahrens, welches sich eben dank seines Ausbaues zum selbsttätigen Betriebe bis auf die Gegenwart erhalten hat, ist dafür recht lehrreich. Doch jetzt nun wirklich zur angekündigten Beweisführung über die prinzipielle Ueberlegenheit chemischer, d.h. gewisser chemischer Verfahren über die physikalischen. Wie schon oben angedeutet, erfordert die Trennung der Bestandteile des mechanischen Luftgemenges eigentlich keine Arbeit, mit Ausnahme des geringen, auf die Konzentrationsänderung bezw. auf die Bewegung der Gase kommenden Energieaufwandes. Es findet nämlich nur eine Wanderung des Sauerstoffs von 5 Volumen Luft mit je rd. \frac{20}{100} Sauerstoff zu 1 Volumen =\frac{100}{100} statt, während gleichzeitig 5\,.\,\frac{80}{100} Volumen Stickstoff sich zu \frac{400}{100}=4 Volumen reinen Stickstoffs zusammenfinden. Die ganze Operation besteht also gewissermaßen nur in einem Umfüllen, für welches eine chemische Bindung nicht zu lösen ist. Da sowohl Sauerstoff als Stickstoff unter demselben Luftdruck verbleiben, so braucht auch die Atmosphäre nicht zurückgedrängt zu werden, d.h. das Arbeitserfordernis für die Trennung der Gase ist theoretisch gleich Null und auch praktisch sehr gering, da mechanische Bewegungen der Gase wenig Kraft erfordern. Wie siehts nun aber tatsächlich in der Praxis aus? Hier wird z.B. bei einer Luftverflüssigungs- und Rektifikationsanlage ein erhebliches Quantum von Energie in folgenden Stufen verbraucht. Zunächst wird Steinkohle verbrannt und die erzielte Wärme in Dampf zur Arbeitsleistung übergeführt (Stufe 1). Mit welchen Verlusten dies geschieht, ist allgemein bekannt. Noch größer aber sind die Verluste in Stufe 2, in welcher jetzt die Spannkraft des Dampfes in mechanische Arbeit umgesetzt wird. Rechnet man doch bei Dampfmaschinen etwa nur 15 bis 20 v. H. Nutzeffekt bei der Transformation der Kalorien des Brennmaterials in mechanische Arbeit. Jetzt wird in Stufe 3 die in der Dampfmaschine gewonnene Arbeit in besonderen, mehrstufigen Luftkompressoren zur Kompression von Luft auf etwa 200 at benutzt. Alle hierbei auftretende Kompressionswärme muß durch Kühlwasser abgeführt werden, d.h. es wird von dem schlechten Ausbeuteergebnis beim Uebergang der Brennstoffkalorien in mechanische Arbeit noch wieder ein Teil in seinem Aequivalent an Wärme vernichtet. Damit die komprimierte Luft, welche trotz Vorreinigung der angesaugten Atmosphären-Luft immer noch einige Beimengungen von Kohlensäure und Feuchtigkeit enthält, von diesen, den Betrieb und die Oekonomie empfindlich störenden Stoffen noch weiter befreit werde, läßt man sie durch eine Vorkühlmaschine vielfach noch stärker abkühlen, als es durch das Kühlwasser der Kompressoren möglich ist (Stufe 4). Auch hierbei findet natürlich ein gewisser Kraft- bezw. Kalorienverbrauch statt. Nun gelangt sie in den Entspannungsapparat (Stufe 5). Die hier auftretenden Verluste sind wesentlich durch die Größe und das Gewicht der in dem Apparat investierten, mit der komprimierten und entspannten Luft in Berührung kommenden Metallmassen bedingt, ferner durch Isolationsmängel, welche das Einstrahlen von Wärme, also einen Verlust teuer erkaufter Kälte, zur Folge haben. Sodann endlich durch die Zeit, in welcher der Dauerzustand erreicht wird und ganz besonders durch den in dem ganzen System immer wieder zur Kompression zurückkehrenden Anteil der Luft, da sich hier die Verluste mit jeder Wiederkehr addieren müssen. Freilich hört mit dem Moment der Verflüssigung eine solche Wiederkehr der einmal in flüssigem Zustand übergeführten Luft auf. Nun gelangt das Produkt in die Trennungs- bezw, Destillations- oder Rektifikationsanlage (Stufe 6). Die hier stattfindenden Verluste an Energie oder Kalorien sind zunächst wie in Stufe 5 durch die Größe und das Gewicht der in ihr vorhandenen, mit dem Produkt in Berührung stehenden Metallmassen (Siebböden, Kolonnenaufsätze u. dergl.) veranlaßt, ganz besonders aber durch den mit dem abgetrennten Stickstoff wieder in die Atmosphäre entwelchenden Sauerstoff. Wie schon oben hervorgehoben, sind 8 bis 9 v. H. Sauerstoffgehalt in dem die Apparate der Praxis verlassenden Stickstoff die Regel. Als eine wesentliche Verbesserung müßten somit die neuerdings von der Linde-Gesellschaft gebauten Apparate gelten, in denen nur 4 v. H. Sauerstoff von dem entwelchenden Stickstoff mitgenommen werden; sie wird aber wohl mit einer entsprechenden Vergrößerung der Rektifikationskolonne und den wieder damit zusammenhängenden Verlusten und Unkosten erkauft sein. Es muß nochmals ausgesprochen werden. Jedes mit dem Stickstoff in die Atmosphäre zurückgestoßene Quantum Sauerstoff ist nutzlos durch die erwähnten sechs Stufen mit ihren jeweiligen spez. Verlusten hindurchgeschleppt worden! Es kann daher die hier in groben Umrissen skizzierte Betriebsweise eines physikalischen Verfahrens nicht das Ideal einer industriellen Sauerstoffgewinnung sein, wenn man weiß, daß der Theorie nach ohne nennenswerten Aufwand von Energie sich eine mechanische Mischung von Sauerstoff und Stickstoff trennen lassen muß. Vielleicht wird man einwenden, daß nach Erreichung des Beharrungszustandes der physikalischen Apparate ja doch nur derjenige Betrag an Energie oder Kalorien aufgewendet zu werden braucht, welcher durch die Kälteverluste infolge von Wärmeeinstrahlung bedingt wird, da ja infolge des eleganten Wärme- bezw. Kälteaustauschverfahrens alle in der Verdunstungskälte der siedenden flüssigen Luft liegenden Kalorien wieder zur Verflüssigung neuer Luftmengen nutzbar gemacht werden. Abgesehen davon, daß diese Regenerierung keineswegs quantitativ ist, bleibt doch der relativ sehr große Verlust an Energie in den nutzlos durch das System hindurchgeschleppten, mit dem Stickstoff in die Atmosphäre entwelchenden Sauerstoff bestehen. Vor allem aber erscheint es als ein wirtschaftlicher Fehler, Kalorien auf dem Umwege, d.h. mit Hilfe mechanischer Arbeit erzeugen zu wollen, wenn man die bei der Steinkohlenverbrennung direkt gewonnenen Kalorien zur Erreichung desselben Zwecks benutzen kann. Ob nämlich die bei der Luftverflüssigung erforderten Kalorien negativen Charakter besitzen oder, anders gesprochen, tiefe Kältegrade sind, oder die direkt erhaltenen positiver Natur sind, d.h. Hitzegrade darstellen, bleibt im Grunde gleich. Hier handelt es sich nur um die Frage, welche von beiden Arten sind technisch leichter und billiger zu erzeugen? Immer wird hier die Antwort lauten: selbstverständlich die direkt durch den Vorgang der Verbrennung gewonnenen. So komme ich denn zu dem springenden Punkt in der ganzen Gegenüberstellung der physikalisch-mechanischen und der chemischen Verfahren zur Sauerstoffgewinnung. Da eben in den chemischen reversiblen Prozessen es im Grunde lediglich die für den Betrieb derselben erforderliche Reaktionstemperatur ist, welche zur Scheidung der Luftbestandteile erforderlich ist, und da bei dem entgegengesetzten Vorzeichen der Wärmetönungen der beiden reversiblen, einander folgenden Reaktionen das für die chemische Reaktion etwa verbrauchte Wärmequantum sowohl im Medium des Apparates wie in den abgehenden Gasen (Stickstoff) verbleibt, so ergibt sich unzweifelhaft, daß unter gewissen Voraussetzungen der Vorteil auf Seite der chemischen Verfahren liegt. Denn der vorher im physikalischen Verfahren als wichtiger Faktor hingestellten Kältespeicherung bezw. Kälteregenerierung entspricht hier ein wohl ebenso weit ausgebildetes System der Wärmeregenerierung, wie es in Form von Wärmespeichern und Rekuperatoren bei hohem Nutzeffekt von bis über 80 v. H. seit langem Allgemeingut der Industrie ist. Man wird also hier in Frage kommende chemische Verfahren mit Vorrichtungen zur Wiedergewinnung der in den Abgasen (N2) entwelchenden Hitze ausstatten bezw. die in das System einzubringende Luft (Sauerstoff + Stickstoff) durch die Abhitze im Gegenstrom auf die Reaktionstemperatur bringen müssen. So erreicht man auch bei chemischen Verfahren den im Kälteverfahren als so vorteilhaft gerühmten Dauerzustand, welcher schließlich nur so viel neue Kalorien erfordert, als durch Strahlungsverluste abhanden kommen. Aber welche chemische Verfahren sind es nun, die sich ernstlich mit den physikalischen messen können oder, wie diese Ausführungen ja zu beweisen suchen, ihnen in wirtschaftlicher Hinsicht überlegen sind. Bei Beantwortung dieser Hauptfrage ist es zunächst erforderlich, auf die schon mehrmals erwähnten Widerstände und Hemmungen einzugehen. Bei den Hemmungen kann man zweierlei Arten unterscheiden. Erstens solche, welche in äußeren Verhältnissen, wie z.B. zu hoher Temperatur, liegen; ich will sie äußere Hemmungen nennen, und zweitens solche, welche in der Natur der benutzten chemischen Substanzen liegen; sie sollen innere Hemmungen heißen. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen alle solche Verfahren, welche z.B. eine Temperatur von etwa 800°C zu ihrer Durchführung erfordern, als durch äußere Hemmungen zu stark belastet gelten. Bei solch hohem Temperaturbereich wird das Gefäßmaterial, als welches vorderhand noch immer Eisen und Stahl in der Praxis gelten, viel zu stark angegriffen, als daß es nicht ab und zu erneuert werden müßte. Hierdurch aber wird eine zu hohe Amortisationsziffer in die Unkosten des Betriebes hereingebracht, welche unter Umständen die Rentabilität in Frage stellen kann. Ferner sind bei so hohen Temperaturerfordernissen auch die Wärmeverluste unverhältnismäßig größer als bei chemischen Verfahren, welche nur etwa der Hälfte dieser Reaktionstemperatur bedürfen. Was nun aber die inneren Hemmungen anbelangt, so sind diese für die Beurteilung der Brauchbarkeit der Sauerstoff liefernden Materien noch viel wichtiger. Freilich ist ihre Ermittlung auch viel schwieriger, und am schwersten ist die Aufgabe, prompt und nicht unwirtschaftlich wirkende Mittel für ihre Beseitigung zu finden, falls solche für ein bestimmtes Verfahren überhaupt existieren. Bei einem und demselben Verfahren können ferner mehrere solcher inneren Hemmungen vorkommen, welche alle zu finden oft nur das Werk langer Beobachtung zumal im Großbetriebe sein wird. Wenn z.B. eine Substanz die Neigung hat, bei der Arbeitstemperatur ihr Volumen zu verringern, oder mit anderen Worten die für die rationelle Durchführung des Gasprozesses so überaus wichtigen Poren mehr und mehr zu schließen – man spricht dann von Sinterung der Masse – so ist dies eine innere Hemmung gefährlichster Art, welche die Benutzung fraglicher Substanz zur Sauerstoffdarstellung ganz in Frage stellen muß, wenn es nicht möglich ist, die fragliche Masse durch eine besondere Behandlungsweise bei der Durchführung des Verfahrens, ohne sie aus dem Apparat herausnehmen zu müssen, immer wieder aufzulockern. Bei dem oben kurz beschriebenen Calciumplumbat-Sauerstoffprozeß ist z.B. die Anwendung von Wasserdampf ein derartig vorzügliches und einfaches Mittel, die bei dieser Materie in geringem Grade vorhandene Sinterungs-Eigenschaft völlig zu korrigieren. Freilich ist bei diesem Sauerstoffgewinnungsprozeß die äußere Hemmung, nämlich die Notwendigkeit von zu hoher Reaktionstemperatur zu unerwünscht groß, so daß er zuzüglich des Umstandes, reiner Kohlensäure zur Durchführung zu bedürfen, als ein idealer Sauerstoffgewinnungsprozeß im Sinne dieser Abhandlung nicht gelten kann. Eine andere Art innerer Hemmung bildet bei manchen Substanzen die Flüchtigkeit wichtiger Bestandteile der Masse. Ist solche im Einzelfalle auch an sich nur von sehr geringer Größe, so führt doch die beständige Wiederholung des Vorganges schließlich zu so beträchtlichen Verlusten an dem wirksamen Komponenten und zu solchen Verschiebungen der Zusammensetzung, daß hier ebenfalls dem wirtschaftlichen Betriebe des Verfahrens bald eine Grenze gesetzt ist. Innere Hemmungen anderer Art bilden z.B. die Fähigkeit und die Möglichkeit zur Entstehung von Zwischenverbindungen in der Masse, welche namentlich bei fehlerhaftem Betriebe entstehen und einen trägen Verlauf des Prozesses bewirken können. Fehlt es z.B. in der Regenerierungsphase des Calciumplumbats bei der Temperatur von 700 bis 800°C an Luftsauerstoff, so kann hier das nur allmählich wieder zu beseitigende, zunächst als tote Masse daliegende Calciumplumbit Ca Pb O2 entstehen. Beim Boussingault-Brinschen Prozeß bewirken schon kleine Mengen von in der Luft zugeführter Kohlensäure eine Verringerung der Wirksamkeit durch Bildung von Ba CO3. Ein anderes Beispiel sei aus der Schwefelsäureindustrie gewählt, in welcher der beim Kontaktverfahren so wichtige Platinasbest durch einen Gehalt von arseniger Säure in den Röstgasen so leicht vergiftet, also unwirksam werden kann, während er nach Entfernung dieser Substanz, welche demnach beim Kontaktverfahren als „innere“ Hemmung anzusehen ist, dauernd tätig bleibt. Man wird also schließen müssen, daß es bei der Auswahl der für einen überlegenen chemischen Prozeß der Gewinnung von Sauerstoff in Betracht kommenden Materien sehr auf die Erkennung der diesen innewohnenden inneren Hemmungen und auf die Möglichkeit ihrer einfachen und raschen Beseitigung ankommt. Als fernere wichtige Bedingung wird auch eine einfache, periodischen Wechsel der Phasen gestattende Betriebsweise zu gelten haben. Ich habe nun gefunden, daß von all den zurzeit für technische Sauerstoffgewinnung ernstlich zu berücksichtigenden Substanzen lediglich die in Tessié du Motays Prozeß schon benutzten Alkali-Manganate eine wichtige, industrielle Rolle zu spielen berufen sind. Freilich eignen sie sich nicht ohne weiteres für den Zweck und nicht in den früher schon vorgeschlagenen Kombinationen, da auch bei ihnen mehrere Arten starker innerer Hemmungen vorkommen. So hatte ich beobachtet, daß sich schon nach dreißigmaliger Durchführung des Prozesses eine nicht unbeträchtliche Verschiebung in der Zusammensetzung der Masse an den verschiedenen Orten der Charge einstellte. Alle in der Literatur bis dato vorgeschlagenen Verbesserungszusätze konnten dem Uebelstand nicht abhelfen, da sie die Ursache der Hemmung nicht trafen, da diese überhaupt bisher nicht erkannt war. Ich habe weiter gefunden, daß ein Zusatz eines Alkalisalzes der MetableisäureD. R. P. 233383 nebst Zusatzpatent. die Wirksamkeit der Masse und ihre Beständigkeit außerordentlich erhöht. Die Erklärung dieser günstigen Wirkung liegt darin, daß das während der Dampfphase durch Dissoziation abgespaltene Alkali von dem unmittelbar benachbarten Alkali-Metaplumbat unter Bildung von Alkali-Orthoplumbat sofort aufgenommen wird. Umgekehrt wird in der Phase der Regenerierung (beim Einblasen von Luft) das vorübergehend vom Metaplumbat aufgenommene Alkali an das zurückgebliebene Manganoxyd (Mn O2 u. dergl.) unter Bildung von Alkalimanganat wieder zurückgegeben. So findet Bildung und Zersetzung von Manganat infolge des die schädlichste innere Hemmung beseitigenden Zusatzes von Alkalimetaplumbat unaufhörlich hintereinander statt, ohne daß eine nennenswerte Verschiebung der prozentischen Zusammensetzung der Masse eintritt. Sie erhält sich daher ungleich wirksamer und übertrifft in ihrer Beständigkeit bei weitem die reinen, d.h. nicht durch diesen wertvollen Zusatz korrigierten Manganate. Der Vorgang kann durch folgende Gleichungen ausgedrückt werden: a) Phase der Sauerstoffentwicklung bei Einleiten von Dampf: Na2 Mn O4 + Na2 Pb O3 + H2 O = Na4 Pb O4 + Mn O2 + H2O + O (zum Gasometer), b) Phase der Regenerierung unter Einleiten von Luft: Na4 Pb O4 + Mn O2 + Luft (O + 4N) – Na2 Mn O4 + Na2 Pb O3 + 4N (ins Freie). Im Gegensatz zu den physikalischen Verfahren, welche die vom Brennstoff gelieferten Kalorien nur auf einem großen Umwege benutzen, also indirekt mit hohem Wärmeverlust arbeiten, gestaltet sich demnach ein chemisches, etwa das von seinen inneren Hemmungen befreite ManganatverfahrenD. R. P. 233 383. wie folgt: Das Material wird in einem geeigneten hitzebeständigen Apparat untergebracht, zu dessen Konstruktion Gleichmäßigkeit der Temperatur verbürgende HitzebäderD. R. P. 234849. oder Thermostaten Verwendung finden, behufs möglichster Vermeidung äußerer Hemmungen, und dann durch geeignete Feuerung auf die verhältnismäßige niedrige Reaktionstemperatur von etwa 400°C gebracht und bei derselben erhalten. Eine mechanisch betriebene Ventilumstellung sorgt dafür, daß in kurzen, stets gleichen Intervallen Dampf und Luft getrennt durch die Masse treten. Der Dampf kann Abdampf einer Auspuffmaschine sein. Damit der nach der Regenerierung in den Poren des Materials sitzengebliebene Stickstoff entfernt wird, ist durch ebenfalls selbsttätige Zwischenschaltung einer Evakuierungsphase von ganz kurzer Dauer zwischen die Luft- und Dampfphase Sorge getragen, einer Phase, welche im Gegensatz zum Brin-Prozeß der obigen Masse noch keinerlei Sauerstoff nutzlos entzieht. Der in der Dampfphase entwickelte Sauerstoff wird selbsttätig in den dafür bestimmten Gasometer übergeführt. Damit ferner Wärmeverlusten nach Möglichkeit vorgebeugt wird, werden durch ein zweckmäßiges Rekuperativsystem die mit dem entwelchenden Stickstoff fortgehenden Kalorien auf die in den Apparat eintretende Luft bezw. Dampf übertragen. Zu diesem Zweck können auch noch die Heizgase dienen, nachdem sie den Apparat mit der wirksamen Masse umspült haben. Endlich ist noch Sorge getragen, daß die Charge des Apparates rasch und leicht, ohne nennenswerte Unterbrechung des Betriebes gegen neue ausgewechselt werden kann, wenn die bisher benutzte nach längerer Betriebsdauer etwa ein Nachlassen der Ausbeute erkennen lassen sollte, was aber nur äußerst selten vorkommen dürfte. Da nämlich die Masse bei der auch hier erforderlichen Vorreinigung der Luft, welche sich allerdings nur auf Beseitigung des Kohlensäuregehalts zu erstrecken hat, ihrer Quantität nach nicht verringert und ihrer Qualität nach im Betriebe nicht verschlechtert wird, so wird (die nach längerer Betriebsdauer dem Apparat entnommene Substanz wohl lediglich nur einer mechanischen Umarbeitung bedürfen, um ihr den ursprünglichen Grad der Porosität wieder zu erteilen. Sie ist alsdann wieder zu neuer Benutzung geeignet. Wie bei allen Gas-Gleichgewichtsprozessen hängt auch hier die numerische Ausbeute pro Gewichtseinheit Substanz von dem Grade der Porosität der letzteren ab, da sich das Gleichgewicht in der Reaktionstemperatur augenblicklich einstellt. Der Prozeß läßt sich gegebenenfalls so leiten, daß der den Apparat verlassende Stickstoff so gut wie sauerstofffrei ist. Die Frage der weitgehenden Auflockerung der Masse, welche ich schließlich hiermit kurzweg Plumboxan nennen will, und das Verfahren selbst, Plumboxan-Verfahren, sind noch Gegenstand weiterer Studien. Wegen der relativen Unempfindlichkeit des Plumboxans gegen Feuchtigkeit der heißen Luft – Wasserdampf spielt ja in dem Verfahren eine Hauptrolle – sowie auch wegen der verhältnismäßigen Formstabilität des Plumboxans gegenüber den bloßen Manganaten läßt sich dasselbe schließlich wohl auch im Schachtofenbetrieb verwenden. Diese letztere Verwendungsweise würde in der Tat einen besonders umfangreichen, einen hüttenmännischen Betrieb der Sauerstoffgewinnung gestatten. Mit dieser Perspektive in die Zukunft der Sauerstofftechnik will ich schließen. Der Praxis liegt es nun ob, den Beweis für die von mir verkündete Ueberlegenheit eines sorgsam ansgearbeiteten chemischen Verfahrens auf Grundlage einer beständigen, ungehemmt wirksamen Materie über die Reihe der physikalischen Verfahren zu erbringen. Die Firma Rheinische Dampfkessel- und Maschinenfabrik Büttner, G. m. b. H. in Uerdingen a. Rh., hat es übernommen, mein neuestes Sauerstoffverfahren, das „Plumboxan-Verfahren“ in die gewerbliche und industrielle Praxis einzuführen. Sobald die zur Ermittlung der günstigsten Betriebsbedingungen unternommenen Versuche ein befriedigendes Resultat ergeben haben, werden die zur Durchführung des Verfahrens erforderlichen Apparate der Technik zugeführt werden. Sie werden nach den gemachten Ausführungen eine Verkörperung des Strebens sein, Wärme auf die billigste, d.h. direkte Weise zur Zerlegung der Luft in ihre Bestandteile zu benutzen, da der Wärmekonsum des Verfahrens kaum größer ist als er zur Deckung der Strahlungsverluste und' der Abhitze einer auf etwa 400°C zu haltenden Anlage erforderlich ist.