Titel: Untersuchung einer zwangläufigen Dampfmaschinensteuerung auf Massendrücke.
Autor: Otto Kölsch
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 66
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Untersuchung einer zwangläufigen Dampfmaschinensteuerung auf Massendrücke. Von Dr.-Ing. Otto Kölsch in Nürnberg. KOELSCH: Untersuchung einer zwangläufigen Dampfmaschinensteuerung auf Massendrücke. Um bei den neuzeitlichen, raschlaufenden Dampfmaschinen mit Nockensteuerung gute Ein- und Ausströmungsverhältnisse und mithin gute Dampfverteilungsdiagramme zu erreichen, muß der Konstrukteur sehr große Ventilbeschleunigungen bzw. Verzögerungen zulassen. Die großen Beschleunigungen bedingen große Massenkräfte in den Steuerungsgestängen. Die Massenkräfte werden in ihren ungünstigen Wirkungen unterstützt durch Ventilfedern, welche zur Erzielung der erforderlichen großen Ventilbeschleunigung- beim Schließen der praktisch nicht zwangläufigen Ventile – einzubauen und ziemlich kräftig zu halten sind. Der Verfasser kam bei der Untersuchung verschiedener Nockensteuerungen zu dem Ergebnis, daß die Gelenkdrücke verhältnismäßig groß sind, und daß der Flachregler, welcher im allgemeinen zur Regelung der Leistung angewandt wird, ziemlich bedeutende Steuerungsrückdrücke aufzunehmen hat, die ihn stark beunruhigen oder unter Umständen in seiner Tätigkeit ganz behindern können.Mader zeigt in seiner Arbeit: „Konstruktion der Ventilbeschleunigung bei Füllungsänderungen“, wie bei Schwingdaumensteuerungen die Beschleunigungen zu ermitteln sind. (D. p. J. 1911 Heft 2.) Dieser Arbeit liegt nun die Frage zugrunde, ob solche Störungen bei der eigens für höhere Drehzahlen geschaffenen langsam laufenden, zwangläufigen Frikart-Steuerung, deren Steuerungsdiagramme wir in D. p. J. 1911, S. 593 u. f. schon kennen lernten, ebenfalls zu befürchten sind. Anlehnend an die Vorlesung: „Graphodynamik der Steuerungsgetriebe“ von Prof. W. Lynen, München, soll die Arbeit zugleich eine Anleitung geben, wie man in ähnlichen Fällen zur Ermittlung der Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Massenkräfte und Regulatorrückdrücke vorzugehen hat. Wir wollen uns das Bild einer mit der Frikart-Steuerung versehenen Maschinen Abb. 1 nochmals vor Augen führen. Textabbildung Bd. 328, S. 65 Abb. 1. Ehe wir uns eine Uebersicht über die Massenkräfte in der Steuerung zu verschaffen vermögen, müssen wir die Beschleunigungen sämtlicher Gelenkpunkte des Getriebes kennen. Diese erhalten wir nach richtiger Bestimmung der Geschwindigkeiten. Da in der Frikart-Steuerung nur Gelenkvierecke vorkommen, so können wir uns die einschlägigen Regeln der Kinematik an Hand der Abb. 2 und 3 ins Gedächtnis zurückrufen. Textabbildung Bd. 328, S. 66 Abb. 2. Abb. 2 zeigt eine ebene Vierzylinderkette (Gelenkviereck), die aus den drei Stangen 1, 2 und 3 mit den festen Gelenken (Zylindern) I und II und den zwei beweglichen Gelenken (Zylindern) A und B besteht. Das Getriebe ist zwangläufig, sobald wir z.B. in I eine Bewegung einleiten. Für die weiteren Erläuterungen seien folgende Bezeichnungen gewählt. n = Drehzahl der Maschine i. d. Min.; ω = Winkelgeschwindigkeit =\frac{\pi\,.\,n}{30} Sek.-1; v = Geschwindigkeit (vA... vB usw.) in m/Sek.; vB um A = Geschwindigkeit des Punktes B bei seiner Drehung um A in m/Sek.; b = Beschleunigung (bA...bB usw.) in m/Sek.2; tA = Tangentialbeschleunigung von A in m/Sek.2; tB um A = Die Tangentialbeschleunigung des Punktes B bei seiner Drehung um A in m/Sek.2; nA = Normalbeschleunigung von A in m/Sek.2; ε = Winkelbeschleunigung in Sek.–2; P= Kraft in kg; m = Masse in kg-Sek.2/m; t = Zeit in Sek. a) Bestimmung der Geschwindigkeiten. Dreht sich die Kurbel 1 mit der konstanten Winkelgeschwindigkeit ω1, so nimmt der Punkt A die Geschwindigkeit vA = IA ∙ ω1 an, die stets senkrecht auf IA steht. Die Geschwindigkeit vB des Punktes B, als Punkt der um II drehbaren Kurbel 3, steht senkrecht zu IIB. Dies gibt uns einen ersten geometrischen Ort für vB. Sehen wir andererseits B als Punkt der Stange 2 an, so setzt sich seine Geschwindigkeit geometrisch zusammen aus: 1. Der Geschwindigkeit vA des Punktes A der Stange 2 und 2. der Geschwindigkeit vB um A = ABω2, welche B infolge der Drehung um A erhält. Wir tragen also vA nach Größe und Richtung an B an und addieren hierzu vB um A, von dem wir aber nur wissen, daß es senkrecht auf BA steht. Die Senkrechte auf BA durch den Endpunkt der an B angetragenen Strecke vA ist ein zweiter geometrischer Ort für den Endpunkt von vB. Der Schnittpunkt der beiden geometrischen Oerter gibt uns vB und vB um A.Ausführliche Beweise dieser Regeln finden sich in Tolle, Regelung der Kraftmaschinen S. 20, 48 u. f., sowie in Christmann und Baer, Grundzüge der Kinematik, S. 64 u. f. b) Bestimmung der Beschleunigungen. Abb. 3 diene zur Klarlegung der Beschleunigungsverhältnisse der Vierzylinderkette. Nehmen wir den Fall an, daß sich die Kurbel 1 ungleichförmig um den Zapfen I drehe und zwar mit der Winkelgeschwindigkeit ω1 und der Winkelbeschleunigung ε1, so setzt sich die Beschleunigung des Punktes A geometrisch zusammen aus: 1. der Normalbeschleunigung nA = IA ∙ ω2. Ihre Größe können wir zeichnerisch ermitteln, indem wir von A aus die Geschwindigkeit vA auftragen, den Endpunkt d von vA mit I verbinden und in d auf dieser Verbindungslinie eine Senkrechte errichten. Diese trifft die verlängerte Stange IA im Punkte e. Nun ist \overline{A\,d^2}=l\,A^2\,.\,\omega^2 die mittlere Proportionale zu IA und Ae, somit Ae = IA ∙ ω2. Die Strecke Ae stellt also die Größe nA dar, die von A aus gegen I hin aufzutragen ist; 2. der Tangentialbeschleunigung 4 vom gegebenen Betrage tA = IA ∙ ε1, die im Punkte A senkrecht auf AI steht. Die Summe bA = nA +→ tA (lies: nA plus geometrisch tA) gibt die tatsächliche Beschleunigung des Punktes A. Textabbildung Bd. 328, S. 66 Abb. 3. Textabbildung Bd. 328, S. 66 Abb. 3a. Beschleunigung des PunktesB. Betrachten wir den Punkt B als einen Punkt der Stange 3, dann kann sich seine Beschleunigung nur zusammensetzen aus einer Normalbeschleunigung nB und einer Tangentialbeschleunigung tB, also: bB = nB +→ tB. nB wird, wie wir es bei nA sahen, unter Benutzung von vB bestimmt und von B aus gegen II hin aufgetragen. tB liegt auf einer Senkrechten zu IIB, welche im Endpunkt von nB zu errichten ist. Wir haben somit einen ersten geometrischen Ort für den Endpunkt von bB. Einen zweiten finden wir, wenn wir B als Punkt der Stange 2 auffassen. Dann läßt sich bB ausdrücken als geometrische Summe aus: 1. der Beschleunigung bA des Punktes A, 2. der Normalbeschleunigung des Punktes B bei der Drehung der Stange 2 um A, von der Größe nB um A = AB ∙ ω22 und 3. der Tangentialbeschleunigung des Punktes B um A von der Größe nB um A = A Bε2. Es folgt somit: bB = bA +→ nB um A +→ tB um A      = bA+AB ∙ ω22 +AB ∙ ε2. Wir tragen demnach im Punkte B nach Größe und Richtung die Beschleunigung bA an und reihen hieran den Wert BA ω22, dessen Richtung parallel zu AB nach A hin verläuft. Seine Größe bestimmen wir, wie dies bei nA schon gezeigt wurde, mit Hilfe von vB um A und der Strecke AB. An BA – ω22 reihen wir, senkrecht zu AB gerichtet, die Tangentialbeschleunigung tB um A. Ihre Größe kennen wir noch nicht, sondern nur ihre Richtung. Letztere Senkrechte ist ein zweiter geometrischer Ort für Bb. Der Schnittpunkt der geometrischen Oerter für Punkt Bb legt die Größen von tB und tB um A, sowie die Beschleunigung bB der Größe und Richtung nach fest (siehe auch Abb. 3 und später Abb. 7). (Fortsetzung folgt.)