Titel: Die Entwicklung der ortsfesten feststehenden Riesenkrane in den letzten 25 Jahren.
Autor: L. Klein
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 194
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Die Entwicklung der ortsfesten feststehenden Riesenkrane in den letzten 25 Jahren. Von Professor L. Klein in Hannover. KLEIN: Die Entwicklung der ortsfesten feststehenden Riesenkrane in den letzten 25 Jahren. Riesenhaftes zu leisten oder wenigstens zu verherrlichen, zu bewundern, muß wohl seit dem Urbeginn der Völker tief und fest in der menschlichen Brust eingepflanzt sein. Was ist denn die uralte Sage vom Turmbau zu Babel anders als der Ausdruck der menschlichen Sehnsucht vergangener Jahrtausende, Riesenhaftes zu bauen. Was sind die Götter- und Heldensagen aller Völker, an denen auch unsere deutsche Literatur so erfreulich reich ist, anders, als Verherrlichungen des Riesigen, als ein Beweis der Sehnsucht nach dem Stärksten, Größten, nach dem Unendlichen! Textabbildung Bd. 328, S. 193 Abb. 1. Sind die Pyramiden Aegyptens (Abb. 1), deren mächtigste, die Cheops-Pyramide, 147 m Höhe erreichte, nicht ein beredtes Zeugnis dafür, daß die Menschen schon vor mehr als viertausend Jahren Gewaltiges nicht nur erträumt und erstrebt, sondern wirklich ausgeführt haben! Mit der Entwicklung des Menschengeschlechtes hat sich nicht die Tatsache, sondern nur die Art des von den Kraftvölkern erstrebten Riesenhaften geändert – immer neue Ziele, neue Wünsche sind hinzugekommen. Als ein Triumph der Baukunst wurde der 161 m hohe Turm des Ulmer Münsters und der 1885 Vollendete 169 m hohe Obelisk in Washington angestaunt. Wahrlich, die Schwierigkeiten waren nicht gering! Sonst hätten doch sicher die Amerikaner, deren Kraftgefühl sich vielfach in dem bewußten Streben äußert, möglichst in jeder Hinsicht das Größte zu leisten, die Cheops-Pyramide um mehr als um 30 m, das Ulmer Münster um mehr als 8 m zu übertreffen gesucht. (Abb. 2.) Um so kühner mutete kurz nach Vollendung des amerikanischen Obelisken der Gedanke des französischen Ingenieurs Eiffel an, einen 300 m hohen Turm auf der Pariser Weltausstellung zu zeigen. Unsere Bewunderung steigt, wenn wir Bauzeit und Baukosten dieses eleganten Bauwerkes moderner Ingenieurkunst mit denen der Cheops-Pyramide vergleichen. Nach den Angaben HerodotsSiehe Jahresbericht des Ingenieur- und Technikervereines in Troppau 1907. mußten erst 10 Jahre lang 100000 und danach 20 Jahre lang 366000 Sklaven unter der Knute der Vögte beim Bau der Cheops-Pyramide seufzen. Nach derselben Quelle kann man errechnen, daß die Verköstigung dieser Menschenmassen einen Wert von etwa 7 ½ Millionen Mark verschlang. Die Idee, seinen 300 m hohen Turm zu bauen, faßte Eiffel im Jahre 1886, drei Jahre später stand der Turm vollendet da. Durchschnittlich waren nicht 366000, nicht 100000, sondern nur 215 Arbeiter am Bau beschäftigt, er kostete trotz seiner doppelt so großen Höhe nur 5,2 Millionen Mark. Gewiß eine stolze Leistung moderner Technik. Aber nicht nur im Eisenbau, nein, auf allen Gebieten haben die Fortschritte der Technik das Erreichen des Riesenhaften so sehr begünstigt, daß uns heute das Gewaltige zum Alltäglichen geworden; so sehr, daß wir – ohne besonders darauf hingewiesen zu sein – das Riesige der Einzelleistungen kaum mehr empfinden. Wer achtet es denn heute noch als etwas besonders Großes, daß wir die menschliche Stimme auf Hunderte von Kilometern verstehen können, obwohl vor wenigen Jahren einige Meter Entfernung eine Unterhaltung unmöglich machten. Würdigen wir es denn noch als eine Riesenleistung, die fast 1000 km lange Strecke Hannover – Paris in zwölf Stunden bequem im D-Zug durchfahren zu können, obwohl noch im Jahre 1850 die Schnellposten in derselben Zeit nur 100 km, also etwa die Strecke von Hannover bis Uelzen, durcheilten. Die Durchquerung des Atlantik in 4 ½ Tagen, zu der Columbus 2 ½ Monate gebrauchte, löst in vielen Menschen weniger Bewunderung als den Wunsch aus, in noch kürzerer Zeit hinüber zu kommen. Die Riesenpassagierdampfer, unter denen der Hamburger „Imperator“ zurzeit das größte Schiff der Welt ist, ihre gewaltigen 50, ja 70000-pferdigen Antriebsmaschinen, die gigantischen Panzerschiffe mit ihrer mächtigen Ausrüstung staunt der moderne Mensch an – und verlangt schleunigst noch Größeres. Forschen wir nach den Gründen für dieses Emporwachsen des Riesenhaften auf allen Gebieten der Technik. In erster Linie liegt es wohl in dem Vorwärtsstreben des schaffenden Menschen. Was gestern noch unerreichbar – was heute gelungen – dient uns morgen schon als Stufe zu noch Größerem. Dann aber kommt hinzu, daß die Herstellung riesiger Bauwerke gewaltige Hilfsmittel fordert, die selbst als Riesenleistungen anzusprechen sind und ihrerseits häufig die Möglichkeit bieten, noch Gewaltigeres zu bauen; so wirkt ein Zweig befruchtend auf den andern. Der wesentlichste Grund aber liegt in der Aenderung der technischen Arbeitsweise. Zweierlei ist es, was zur Technik gehört: das Ausdenken der zweckentsprechendsten Form und das Herstellen dieser Form. Solange beides, wie heute noch bei handwerksmäßigem Betriebe, durch ein und dieselbe Person geschieht, gehört das Erreichen von wirklich Großem zu den äußersten Seltenheiten, zu den Weltwundern. Anders in der modernen Technik: Der Ingenieur hat die Aufgabe, die zweckentsprechendste Form zu ersinnen, ihre einzelnen Abmessungen rechnerisch zu bestimmen, das Ergebnis durch Zeichnungen genau festzulegen. Er muß wissen, wie die Form hergestellt werden soll, ohne daß er sie selbst macht. Die Ausführung ist Sache der Werkmeister und Arbeiter. Textabbildung Bd. 328, S. 194 Abb. 2. Diese Arbeitsteilung hat sich als außerordentlich zweckmäßig erwiesen. Der Eiffel-Turm hätte nicht durch so wenig Arbeiter in so kurzer Zeit fertiggestellt werden können, wenn nicht alle Einzelheiten durch Zeichnungen, von denen 12000 Stück notwendig waren, vor der Ausführung genau festgelegt worden wären. Aber die Arbeitsteilung mußte noch weiter gehen, nicht jeder Arbeiter soll alle vorkommenden Arbeiten machen können, sondern jeder nur bestimmte Teile davon; nicht jeder Ingenieur soll alle Formen beherrschen. Zur Erreichung wirklich großer Leistungen ist Beschränkung des einzelnen auf ein Sondergebiet notwendig, was aber andererseits die große Gefahr der Einseitigkeit in sich schließt. Der „Nur Spezialist“ wird auch auf seinem engen Sondergebiet nichts wahrhaft Großes hervorbringen, wird nicht führend sein können; das vermag nur der, der seine Sonderkenntnisse aufgebaut hat auf gründlichen Allgemeinkenntnissen, so daß er die Fortschritte auch auf den andern Gebieten verstehend verfolgen und für sein Sondergebiet nutzbar machen kann. Und wenn ich heute diese allgemein anerkannte Wahrheit betone, so geschieht es, um die Mahnung an uns Professoren und an Sie, liebe Kommilitonen, daran zu knüpfen: das Hochschulstudium in erster Linie zur Vermittlung allgemein technischer Kenntnisse zu nützen. Die Hochschule hat weder die Aufgabe noch die Zeit, Spezialisten auszubilden, das müssen wir der Praxis überlassen. Wie sehr die Sondergebiete allgemeine Kenntnisse verlangen, wie sie vor keiner Abteilungsgrenze Halt machen, können wir beispielsweise auch bei der Entwicklung der Riesenkrane verfolgen. Wir werden sehen, daß diese neben gründlicher Kenntnisse des Maschinenbaues solche des Schiffbaues, der Elektrotechnik, des Eisenhochbaues und Sinn und Verstand für zweckmäßig schöne Formen verlangen. (Fortsetzung folgt.)