Titel: Die Lage im Handelsschiffbau.
Autor: C. Kielhorn
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 322
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Die Lage im Handelsschiffbau. Von Konstruktionsingenieur C. Kielhorn in Zehlendorf. KIELHORN: Die Lage im Handelsschiffbau. Lloyd Register of British and Foreign Shipping veröffentlicht soeben seinen Bericht über die im abgelaufenen Vierteljahr im Bau begriffenen Schiffe. Bekanntlich gibt Lloyds Register als im Bau befindlich nur solche Schiffe an, deren Kiellegung stattgefunden hat, es kann daher ein einwandfreier Schluß auf die Zu- oder Abnahme der Beschäftigung in der Schiffbauindustrie nur durch einen Vergleich mit dem Lloyds Bericht des vorhergehenden Vierteljahrs gezogen werden. Nach dem Ausweis vom 1. April waren im Bau: in England 563 Schiffe mit 2063694 B.-R.-T., in den übrigen Ländern 444 Schiffe mit 1377216 B.-R.-T., zusammen 1007 Schiffe mit 3440910 B.-R.-T. Für das am 1. Januar endende Vierteljahr lauteten diese Zahlen für England 542 Schiffe mit 1970065 B.-R.-T., für die übrigen Länder 463 Schiffe mit 1368671 B.-R.-T., zusammen 1005 Schiffe mit 3338736 B.-R.-T. in England hat also die Beschäftigung im Handelsschiffbau um 93629 B.-R.-T. zugenommen, in den übrigen Ländern dagegen, und im besonderen in Deutschland abgenommen. Dieser Umstand gibt uns Veranlassung, die Statistik vom 1. April mit derjenigen vom 1. Januar eingehender zu vergleichen. In der nachstehenden Vergleichstabelle sind nicht nur die Beschäftigungsziffern der beiden Vierteljahre enthalten, sondern es ist auch der Anteil der einzelnen Länder an der Gesamtproduktion in Prozenten angegeben. I. Deutschland. Wie die Tabelle zeigt, ist die Beschäftigung der deutschen Werften um 8107 B.-R.-T. zurückgegangen. Diese Zahl an und für sich hat bei der heutigen Größe der Schiffe wenig zu sagen. Man könnte also von einem Rückgang des deutschen Schiffbaues kaum reden, fiele nicht der verhältnismäßig große Zuwachs des englischen Handelsschiffbaus so sehr ins Gewicht. Dadurch kommt es, daß Deutschlands Anteil an der Gesamtproduktion von 16,25 v. H. auf 15,53 v. H., das ist um 0,72 v. H. fällt. Untersuchen wir die einzelnen deutschen Schiffbaugebiete, so finden wir bei den Werften an der Wesermündung die größte Abnahme der Beschäftigung und Beschäftigung der Handelsschiffswerften am 1. April und 1. Januar d. J. Standam 1. Januar 1913 Standam 1. April 1913 Zunahmegegendas vor-hergehendeVierteljahr Abnahmegegendas vor-hergehendeVierteljahr Anteil an derGesamt-Produktionam 1. Jan.% Anteil an derGesamt-Produktionam 1. April% Zahl Brutto-Reg.-Tons Zahl Brutto-Reg.-Tons Großbritannien und IrlandDeutschlandVereinigte Staaten von NordamerikaFrankreichHollandOesterreich-UngarnItalienJapanNorwegenBelgienDänemarkSchwedenBritische KolonienKußlandSpanienChinaGriechenland 5429283326115213643913162112441 19700655425192361851755881148117325052370457032785126730208971651514194139786909821350 563968535631424223491012247621 20636945344122281561947621190367656757982398252743719950283171124522758109605116343350 9362919174  4225  3317  5612  7420  8564 810780295878  4146780527030181793  478   59,00  16,25    7,08    5,26    3,44    2,20    1,57    1,37    0,83    0,80    0,63    0,49    0,43    0,42    0,20    0,02    0,01   59,92  15,53    6,63    5,67    3,46    2,23    1,69    1,16    0,81    0,58    0,83    0,33    0,66    0,33    0,15    0,01    0,01 Zusammen 1005 3338736 1007 3440910 100,00 100,00 zwar von 39 Schiffen mit 185643 B.-R.-T. am 1. Januar auf 38 Schiffe mit 155963 B.-R.-T. am 1. April. Eine Abnahme zeigen ferner Rostock und Lübeck von 30150 B.-R.-T. auf 27750 B.-R.-T. und Stettin von 52660 B.-R.-T. auf 49875 B.-R.-T. Eine Zunahme in der Beschäftigung weisen Danzig und Elbing auf und zwar von 7 Schiffen mit 47074 B.-R.-T., dann aber vor allem Hamburg, Flensburg und Kiel, deren Beschäftigung von 23 Schiffen mit 228480 B.-R.-T. auf 27 Schiffe mit 253750 B.-R.-T. gestiegen ist. Der Rückgang in der von Lloyds für die Weserwerften angegebenen Beschäftigungsziffer ist nun im wesentlichen durch die im ersten Vierteljahr erfolgten Ablieferungen für die Hansa- und Rolandlinie in Bremen sowie für die großen Hamburger Reedereien entstanden. Von einem merklichen Nachlassen der Konjunktur aus diesem Grunde zu sprechen, wäre jedoch verfehlt, denn es bleibt immer zu berücksichtigen, worauf auch eingangs besonders hingewiesen ist, daß der Bericht von Lloyds Register nur die auf der Werft im Bau begriffenen Schiffe angibt, aber nicht alle der Werft in Auftrag gegebenen Schiffe, und aus dem Auftragsbestand läßt sich erst ein einigermaßen sicherer Schluß auf die Konjunktur ziehen. II. Großbritannien und Irland. Wie schon erwähnt, weist der englische Handelsschiffbau eine Zunahme um 93629 B.-R.-T. auf. Diese Zunahme wird noch viel augenfälliger, wenn wir untersuchen, was von den am 1. April auf englischen Werften im Bau befindlichen Schiffen speziell für englische Rechnung und was für das Ausland bestimmt war. Es ergibt sich nämlich, daß von den 563 Schiffen von zusammen 2063694 B.-R.-T. nur 162 Schiffe mit 498061 B.-R.-T. für ausländische Rechnung und somit 401 Schiffe mit 1565633 B.-R.-T. für englische Reedereien bestimmt waren. Vergleichen wir diese Zahlen mit denjenigen des Ausweises von 1. Januar, nach welchem von den 542 Schiffen mit 1970065 B.-R.-T. noch 173 Schiffe mit 586536 B.-R.-T. für fremde Rechnung und nur 369 Schiffe mit 1383529 B.-R.-T. für englische Rechnung waren, so stellt sich die Zunahme der Beschäftigung der englischen Werften für englische Reedereien während des letzten Vierteljahres auf 32 Schiffe mit 182104 B.-R.-T. Das heißt in anderen Worten: Der englische Handelsschiffbau hat allein, so weit Schiffe für englische Reedereien in Frage kommen, im abgelaufenen Vierteljahr eine Zunahme erfahren, die mehr als ein Drittel der Schiffbautätigkeit der gesamten deutschen Seeschiffswerften ausmacht. Mit diesem Aufschwung verglichen, erscheint der Rückgang in Deutschland allerdings in einem anderen Licht. Der Bericht von Lloyds weist deshalb auch besonders darauf hin, daß die zurzeit auf britischen Werften im Bau befindliche Tonnage alle jemals vorher nachgewiesenen Zahlen übersteige. Für das Aufblühen des englischen Reedereigeschäftes jedenfalls ein schlagender Beweis. Die größte Zunahme in der Beschäftigung weisen Glasgow, Greenock, Newcastle und Sunderland auf, während Belfast nur einen wenig höheren Beschäftigungsgrad zeigt. Der Rückgang des englischen Handelsschiffbaues für fremde Rechnung beträgt 11 Schiffe mit 88475 B.-R.-T. Unter den ausländischen Abnehmern des englischen Schiffbaues ist noch immer der bedeutendste Holland. Holland, dessen Küsten- und Flußschiffbau mit seiner Massenproduktion die deutschen Kleinschiffs- und Flußschiffswerften fast völlig ruiniert hat, hatte am 1. Januar nicht weniger als 12 Schiffe mit 141540 B.-R.-T. auf englischen Werften im Bau; diese Zahl ist jetzt auf 10 Schiffe mit 101190 B.-R.-T. zurückgegangen. Immerhin bleibt dieser Betrag nicht viel hinter der eigenen Gesamtproduktion Hollands an Seeschiffen, die 63 Schiffe mit 119036 B.-R.-T. betrug, zurück. Als Abnehmer ganz in Wegfall gekommen ist nach Ablieferung der großen Dampfer für den Südamerika-Dienst Spanien, welches am 1. Januar noch 19395 B.-R.-T. auf englischen Werften im Bau hatte. Auch die Lieferungen für die englischen Kolonien sind von 77010 B.-R.-T. auf 69115 B.-R.-T. zurückgegangen, desgleichen die für französische Rechnung von 11060 auf 4555 B.-R.-T. Für deutsche Rechnung waren in England am 1. April noch 8 Schiffe mit 24833 B.-R.-T. gegen 9 Schiffe mit 30823 B.-R.-T. am 1. Januar im Bau, es ist also ein weiteres erfreuliches Nachlassen der deutschen Bestellungen in England zu verzeichnen. Vermehrte Aufträge haben dagegen nach England gegeben Oesterreich-Ungarn, Rumänien, Rußland, Belgien und Argentinien. Von den übrigen Schiffbauländern weisen die Vereinigten Staaten von Nordamerika einen ähnlichen Rückgang auf wie Deutschland. Einen Zuwachs weisen nur auf vor allem Frankreich, allerdings unter dem Einfluß der erhöhten Staatssubvention. Das gleiche gilt auch bezüglich der Subvention von Italien und von Oesterreich-Ungarn; es blieben also an europäischen Staaten, die eine Zunahme der Beschäftigung auf Grund gesunder wirtschaftlicher Verhältnisse zu verzeichnen haben, nur noch Dänemark und Holland, bei allen übrigen ist eine Abnahme der Beschäftigung eingetreten. Fassen wir die Lage des Handelsschiffbaus kurz zusammen, so charakterisiert sich dieselbe bei den meisten Staaten, so weit nicht künstliche Hilfsmittel wie Staatssubventionen usw. in Frage kommen, als annähernd dieselbe wie vor einem Vierteljahr. Der Höhepunkt der Konjunktur scheint allerdings wohl unter dem Einfluß der unsicheren politischen Lage überschritten zu sein. Auffällig ist die außerordentliche Zunahme der englischen Aufträge und gleichzeitig der starke Rückgang der Auslandsaufträge in England. Hier wäre es Zeit zu prüfen, ob für den deutschen Handelsschiffbau bei der Ueberfüllung der englischen Werften mit Aufträgen für das eigene Land, der Augenblick gekommen ist, lebhafter in den Wettbewerb auf dem Weltmarkt einzutreten. Einstweilen scheint es, als ob sich nur Frankreich die Ueberfüllung der englischen Handelsschiffwerften zu Nutze macht. Sind doch drei große Dampfer für englische Reedereien auf französischen Werften bestellt.