Titel: Experimentelle Bestimmung der Trägheitsmomente von Laufrädern.
Autor: Alfred Lechner
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 337
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Experimentelle Bestimmung der Trägheitsmomente von Laufrädern. Von Dr. techn. Alfred Lechner in Brünn. LECHNER: Experimentelle Bestimmung der Trägheitsmomente von Laufrädern. Experimentell wurde das Trägheitsmoment eines Körpers bisher entweder durch die Methode der Schwingungen,Kohlrausch: Leitfaden der praktischen Physik S. 68. Hartl: Zeitschrift für den phys. und chem. Unterricht 1892, Seite 74. durch die Ermittlung der AuslaufszeitGrashof: Theoretische Maschinenlehre Bd. 2, S. 837. Hamel: Elementare Mechanik S. 334. oder mit Hilfe der Atwoodschen FallmaschineKohn: Experimentelle Bestimmung von Trägheitsmomenten. Zivil.-Ing. 1890. Authenrieth: Technische Mechanik S. 378. bestimmt. Dagegen liegen über die nachstehend angeführte Methode, die im PrinzipHamel: S. 366. Lummer und M. Schäfer, Phys. Zeitsch. 1906, S. 269. Waetzmann, Phys. Z. 1907, S. 506. an und für sich alt ist, gar keine positiven Messungen vor. Beschreibung der Methode. Wenn ein Räderpaar über eine geneigte Ebene in gerader Richtung herabrollt, so ist die Bedingung des reinen Rollens, daß erstens Haftreibung vorhanden sei, also (R)N, l, und zweitens v – r ω = 0, wobei v die Geschwindigkeit des Schwerpunktes des Systems, o> die Winkelgeschwindigkeit, r den Radius des Rades, N den Normaldruck und f den Reibungskoeffizienten bedeutet. Bezeichnet T das Trägheitsmoment um die Radachse, m die Masse des Systems, ω den Neigungswinkel der Ebene gegen den Horizont, so lauten die Bewegungsgleichungen:Routh: Dynamik der Systeme starrer Körper, S. 127. Hamel: Elementare Mechanik, S. 366. m\,.\,\frac{d\,v}{d\,t}=m\,g\,\mbox{sin}\,\varphi-R . . . (1) 0 = N – mgcos φ . . . . (2) T\,\frac{d\,\omega}{d\,t}=R\,.\,r . . . . . . . . (3) hieraus folgt vermöge v = \frac{d\,v}{d\,t}=g\,\mbox{sin}\,\varphi\,\frac{m\,r^2}{T+m\,r^2} . . . . . 4) Nun ist die Beschleunigung \frac{d\,v}{d\,t} durch den Weg s und die dazu gehörige Zeit t ausdrückbar, so daß man aus Gleichung 4 erhält: T=m\,r^2\,\left(g\,\frac{\mbox{sin}\,\varphi}{2\,s}\,.\,t^2-1\right) . . . . (I) Nach dieser Formel wäre T zu berechnen. Nachträglich hat man sich zu überzeugen, ob auch wirklich reines Rollen eingetreten ist; aus (R)Nf folgt nämlich unter Zuhilfenahme von Gleichung 2 und 4 \mbox{tg}\,\varphi\,\leq\,f\,\frac{T+m\,r^2}{T} . . . . . . (II) welche Ungleichung bei den nachstehend verzeichneten Versuchen stets erfüllt war. Beschreibung der Apparatur. Textabbildung Bd. 328, S. 337 Abb. 1. Abb. 1 stellt die Versuchsanordnung schematisch dar. Die Ebene AB wurde wagerecht eingestellt, der Winkel φ durch Messung von A C und A E bestimmt. An dem Rotationskörper wurde in der Achse eine Nadel befestigt und selbe in die Anfangsstellung bei E gebracht, so zwar, daß die Spitze von dem senkrecht herabhängenden Faden gerade überdeckt wurde; in dieser Lage wurde der Körper durch einen in einem Stromkreis eingeschalteten Elektromagneten festgehalten. Im Augenblick als der Stromkreis bei W unterbrochen wurde, wurde eine Stoppuhr in Tätigkeit gesetzt, und im selben Moment, als die Nadelspitze den senkrecht herabhängenden Faden G D berührte, wurde die Uhr gestoppt. Da die Methode am meisten von der Zeit abhängig ist, so mußte auf die Zeitmessung die größte Sorgfalt verwendet werden. Um den Augenblick, wann der Körper den Faden G D passiert, auch genau feststellen zu können, wurde vor demselben eine Lupe L angebracht und der Faden mit einer Lichtquelle beleuchtet. Bemerkt sei noch, daß die Versuche auch so ausgeführt wurden, daß der ganze Apparat durch eine entsprechende Vorrichtung verdeckt wurde und nur die Anfang- und Endstelle E und D für den Beobachter sichtbar waren. Auch machte der Verfasser den Versuch, einen kleinen Spiegel an dem Faden anzubringen und durch diesen das Bild einer Lichtquelle auf einen Schirm zu werfen. Um unnötige Schwingungen des Fadens zu vermeiden, wurde eine entsprechende Dämpfung bei H angebracht. Diese optische Methode ergab die gleiche Genauigkeit wie die oben angeführte direkte Beobachtung. Die schiefe Ebene war bei C drehbar, so daß durch die Einstellvorrichtung V die Neigung beliebig variiert werden konnte. Messungen. Der Versuchskörper hatte die Gestalt, die durch Abb. 2 dargestellt ist. Die Messung ergab für den Radius des Rades r = 2,87 cm, für den Durchmesser des Radkranzes b = 0,4 cm, für die Dicke der Radfläche d = 0,2 cm, für die Länge der Radachse h = 7,2 cm und für den Durchmesser der Achse c = 0,7 cm. Die Masse des Körpers wurde durch Wägung zu m = 116,6 g gefunden. Die spezifische Masse des Rades betrug 8, die der Achse 7. Für die Zeit wurden nachstehend verzeichnete Werte gefunden. Textabbildung Bd. 328, S. 338 Abb. 2. Tabelle 1. Neigungswinkel φ = 6° 2' 11,3'', s = 37,71. Nr. Zeit Abweichungvom Mittel = Δ Δ2Fehlerquadrat   1 0,9 – 0,14 0,0196   2 1,1 + 0,06 0,0036   3 1,1 + 0,06 0,0036   4 1,1 + 0,06 0,0036   5 1,0 – 0,04 0,0016   6 0,9 – 0,14 0,0196   7 1,0 – 0,04 0.0016   8 1,1 + 0,06 0,0036   9 1,0 – 0,04 0,0016 10 1,2 + 0,16 0,0256 Mittelwert 1,04'' S = 0,1040 Der mittlere Fehler einer Messung beträgt somit \epsilon=\pm\,\sqrt{\frac{S}{n-1}} (S = Summe der Fehlerquadrate, n = Anzahl der Messungen), mittlerer Fehler des Mittelwertes E=\pm\,\frac{\epsilon}{\sqrt{n}}=0,034 Trägheitsmoment T = 461 g cm5. Tabelle 2. φ = 6° 32' 31'', s = 37,857. Nr. Zeit Δ Δ2   1 0,9 – 0,1       0,01   2 1,1 + 0,1       0,01   3 1,0 0,0       0,0   4 1,0 0,0       0,0   5 0,9 – 0,1       0,01   6 0,9 – 0,1       0,01   7 1,1 + 0,1       0,01   8 1,1 + 0,1       0,01   9 0,9 – 0,1       0,01 10 1,1 + 0,1.       0,01 Mittelwert 1,0 S = 0,08 Mittlerer Fehler einer Messung e = 0,0942, mittlerer Fehler des Mittelwertes E = 0,029, Trägheitsmoment T = 453,6 g cm5. Tabelle 3. φ = 8° 9' 27'', s = 37,99. Nr. Zeit Δ Δ2 1 0,9 + 0,01 0,0001 2 0,9 + 0,01 0,0001 3 0,8 – 0,09 0,0081 4 1,0 + 0,11 0,0121 5 0,9 – 0,01 0,0001 6 0,8 – 0,09 0,0081 7 0,9 + 0,01 0,0001 8 0,9 + 0,01 0,0001 9 1,0 + 0,11 0,0121 10 0,8 – 0,09 0,0081 Mittelwert 0,89'' S = 0,0490 Mittlerer Fehler einer Messung e = 0,0734, mittlerer Fehler des Mittelwertes E = 0,023, Trägheitsmoment T = 433,1 g cm5. Tabelle 4. φ = 9° 31' 34,8'', s = 38,03. Nr. Zeit Δ Δ2   1 0,8 – 0,02 0,0004   2 0,9 + 0,08 0,0064   3 0,9 + 0,08 0,0064   4 0,7 – 0,12 0,0144   5 0,8 – 0,02 0,0004   6 1,0 + 0,18 0,0324   7 0,7 – 0,12 0,0144   8 0,8 – 0,02 0,0004   9 0,8 – 0,02 0,0004 10 0,8 – 0,02 0,0004 Mittelwert 0,82'' S = 0,0760 Mittlerer Fehler einer Messung e = 0,0918, mittlerer Fehler des Mittelwertes E = 0,029, Trägheitsmoment T = 418 g cm5. Fehler der Methode. Das Trägheitsmoment des Räderpaares würde also nach den angeführten Versuchen zwischen den Werten 418 bis 461 cm5 liegen; die RechnungRouth: Dynamik der Systeme, S. 330. ergab den Wert 436 g cm5. Man muß aber beachten, daß die Berechnung eines Trägheitsmomentes die gleichförmige Verteilung der Materie voraussetzt, während beim Experiment dies nicht der Fall zu sein braucht. Insofern wäre also die experimentelle Methode der rechnungsmäßigen sogar vorzuziehen, da letztere auf Gußfehler, Inhomogenität des Materials keine Rücksicht nimmt. Andererseits wird die Genauigkeit der Methode sehr beeinträchtigt erstens durch die Zeitmessung, zweitens durch das Moment der Rollreibung. Um uns über den Fehler zufolge der Zeitmessung Rechenschaft zu geben, wollen wir von der Formel T=m\,r^2\,\left(g\,\frac{\mbox{sin}\,\varphi}{2\,s}\,.\,t^2-1\right) ausgehen und annehmen, wir hätten die Größen m, s, r, φ richtig gemessen. Hätte man in der Zeit einen sehr kleinen Fehler r begangen, so möge der Fehler im Trägheitsmoment mit A T bezeichnet sein. Es ist dann \Delta\,T=m\,r^2\,g\,.\,\frac{\mbox{sin}\,\varphi}{2\,s}\,.\,2\,t\,.\,\tau. Es kommt also ein kleiner Fehler in der Zeitmessung für das Trägheitsmoment doppelt in Betracht. Bei unseren Messungen ist der mittlere Fehler einer Zeitmessung zwischen 0,07 bis 0,1 gelegen, dagegen schwankt der Fehler des Mittelwertes zwischen 0,02 bis 0,034, demnach bedeutet dies für das Trägheitsmoment einen Fehler von 4 bzw. 6 v. H. Es kann demnach durch eine große Anzahl von Messungen der Fehler für das Trägheitsmoment auf ein Minimum herabgedrückt werden. Noch einiges über den Einfluß der Rollreibung. Während die Haftreibung für unser Problem eine bewegungsfördernde Kraft ist, tritt das Moment der Rollreibung als bewegungshindernd auf. Noch ist dieses Moment der Rollreibung abhängig von dem Material, dem Normaldruck und u.a. verkehrt proportional dem Radius des rollenden Körpers. Bei harten Körpern ist bekanntlich die Rollreibung geringer als bei plastischen. Aus diesen Tatsachen kann man also die Fehler zufolge Vernachlässigung der Rollreibung ebenfalls geringer machen, man nehme hartes Material und keinen zu kleinen Radius. Das Versagen des Experimentes bei kleinen Körpern mag vielleicht der Grund gewesen sein, die Methode gänzlich aufzugeben. Man begeht aber einen Fehler, wenn man die Resultate, die für den Versuch im kleinen gelten, einfach auf die im großen Maßstabe ausgeführten Experimente übertragen wollte; denn dieses von NewtonRouth: Dynamik der Systeme, S. 330. aufgestellte Prinzip der mechanischen Aehnlichkeit hat nur Geltung, wenn neben der geometrischen auch die dynamische Aehnlichkeit vorhanden ist. In unserem Beispiele mag bei allen Versuchen, mögen wir kleine oder große Räder benutzen, zwar die geometrische Aehnlichkeit gewahrt bleiben, dagegen ist die dynamische Aehnlichkeit sicher nicht vorhanden, denn die Rollreibung ist umgekehrt proportional dem Radius, d.h. wir sind berechtigt, bei Rädern von entsprechend großen Durchmessern die Rollreibung zu vernachlässigen, während man bei Körpern von kleinen Durchmessern die Rollreibung zu berücksichtigen hat. Daß reines Rollen eintrat, konnte aus Gleichung 2 und experimentell überdies dadurch festgestellt werden, daß ein an der Radfläche befestigter Stift auf einer längs der Bahn aufgestellten berußten Glasplatte eine gedehnte Zykloide beschrieb. Verfasser ist der Ansicht, daß die Methode durch Benutzung einer elektrisch-selbsttätigen Zeitmessung erheblich verbessert und dann vielleicht auch auf große Laufräder, wie solche im Maschinenbau in Verwendung sind, mit Vorteil verwendet werden kann. Herrn Prof. Dr. A. Szarvassi und Herrn Dr. K. Mayr spreche ich an dieser Stelle für ihre Kontrolle meiner Messungen und Herrn E. Burmester für seine Hilfe bei der numerischen Berechnung meinen besten Dank aus.