Titel: | Ledertreibriemen und Riementriebe. |
Autor: | P. Stephan |
Fundstelle: | Band 328, Jahrgang 1913, S. 470 |
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Ledertreibriemen und Riementriebe.
Von Regierungsbaumeister P. Stephan in
Dortmund.
(Nachtrag zu S. 405 d. Bd.)
STEPHAN: Ledertreibriemen und Riementriebe.
V. Einfluß des
Gleitens.
Die Formel 11 für das Verhältnis der Spannkräfte St und S1 hat noch einen wesentlichen, ja häufig
ausschlaggebenden Einfluß nicht berücksichtigt: Inzwischen hat Skutsch gefunden, daß die Reibungsziffer μ
zwischen Leder und Eisen ganz bedeutend von der Gleitgeschwindigkeit abhängt. Die
zur zahlenmäßigen Ermittlung dieser Abhängigkeit mit ebenen, beliebig belasteten
Lederstücken auf eiserner Unterlage angestellten Versuche und ihre Ergebnisse werden
von Skutsch selbst noch bekannt gegeben werden. Da die
Möglichkeit vorlag, daß der auf der Scheibe gekrümmte und angespannte Riemen sich
etwas anders verhält als ein ebenes ungespanntes Stück und ferner maßgebende Zahlen
für den Einfluß der Scheibenkrümmung noch nicht bestimmt worden sind, so entschloß
sich der Verfasser, die alten Coulombschen Versuche zu
wiederholen.
Eine Riemenscheibe wurde auf einem aus zwei Leitern gebildeten Gestell fest gelagert,
der Riemen darüber gelegt und seine beiden frei herunterhängenden Enden durch
Gewichte gespannt. Um die Verhältnisse eines längere Zeit aufliegenden Riemens
möglichst genau zu treffen und elastische Nachwirkungen auszuschließen, wurden beide
Riementrümer zuerst mehrere Tage lang annähernd gleichmäßig belastet. Bei den
eigentlichen Versuchen wurde dann wie im Betriebe ein Teil der Belastung von der
einen Seite auf die andere gebracht und die Gleitgeschwindigkeit, mit der sich die
vollbelastete Seite senkte, dadurch gemessen, daß ein mehrere kg schweres
Sekundenpendel mit einem Farbpinsel auf den Kanten eines am Riemen befestigten
Streifens Telegraphenpapier in Zeitabständen von je zwei Sekunden Farbflecke machte.
Die für die Bewegung verfügbare Höhe betrug etwa 0,6 bis 0,8 m. Es stellte sich
heraus, daß nicht eine beschleunigte Bewegung entsteht, sondern vielmehr nach
wenigen Sekunden Anlaufens ein Beharrungszustand eintritt, indem der Riemen mit
gleichförmiger Geschwindigkeit über die Scheibe gleitet, die in der Anordnung völlig
der getriebenen eines wirklichen Riementriebes entsprach. Eine ähnliche
physikalische Erscheinung ist z.B. der Fall der Regentropfen oder eines
mittelschweren Körpers in hinreichend tiefem Wasser.
Die Versuche wurden angestellt mit einer Scheibe D von
1145 mm ⌀ mit recht glattem schmiedeisernem Kranz und
einer zweiten d von 290 mm ⌀ aus Gußeisen, deren Kranz
in üblicher Weise abgedreht war. Das Gefühl ließ ohne weiteres erkennen, daß die
gußeiserne Scheibe ein gut Teil rauher war als die schmiedeiserne. Die beiden
benutzten Riemen waren mit Extrakt angegerbt und ihr Einheitsgewicht betrug 1,05
bzw. 1,03 g/ccm. Riemen I war neu, das Leder war naß
vorgestreckt worden, die Leimstellen mit Nähriemen nachgenäht. Seine mittlere Stärke
war s = 0,51 cm, die mittlere Breite b = 5,0 cm, die Dehnungsziffer nach längerem
Hängen mit einer Belastung von etwa 40 kg auf jeder Seite
\alpha=\frac{1}{2900} qcm/kg. Riemen II war schon gebraucht, er war bei der Fabrikation nur auf der
Einlaufmaschine vorgestreckt worden, die Leimstellen waren nicht nachgenäht. Seine
mittlere Stärke betrug 0,61 cm, die mittlere Breite 8,0 cm, die Dehnungsziffer nach
längerem Hängen mit einer Belastung von etwa 60 kg auf jeder Seite
\alpha=\frac{1}{2120} qcm/kg.
Besonders bei den Versuchen auf der kleineren Scheibe machte es sich deutlich
bemerkbar, daß die Vernähung der Leimstellen die Reibungsziffer herabsetzt: wenn die
Nähstelle sich auf der Scheibe befand, rutschte der Riemen schneller als sonst. Da
die Praxis mit einem Mittelwert rechnen muß, so wurde auch nur ein Mittelwert der
Geschwindigkeit bei gegebener Belastung gebildet, der also den Einfluß der Vernähung
bereits enthält. Auch der ungenähte Riemen zeigte auf der kleineren Scheibe
Ungleichförmigkeiten in der Bewegung, die davon herrührten, daß seine verschiedenen
Teile unter sonst gleichen Umständen etwas voneinander abweichende Reibungsziffern
besitzen. Es kann deshalb, wie auch sonst überall bei Lederriemen, nur ein
Mittelwert für μ angegeben werden.
Die Ergebnisse aller Versuche enthält Abb. 33.
Es bezeichne zum Unterschied von der Umlaufgeschwindigkeit v des Riemens V die reine
Gleitgeschwindigkeit auf der Scheibe in cm/Sek. Zu der letzteren kommt noch ein
Betrag hinzu, der von der elastischen Dehnung des Riemens beim Uebergang über die
Scheibe herrührt. Er berechnet sich zu
V'=\frac{d\,l}{d\,t}=\frac{R\,d\,\omega\,.\,\alpha\,\frac{S}{b\,s}}{\frac{R\,d\,\omega}{v}},
woraus folgt
V'=\frac{a\,S}{b\,s}\,v . . . . . . . 18)
Wird jetzt, um einfache übersichtliche Endgleichungen zu erhalten, entsprechend dem
früheren angenommen, daß die Gleitgeschwindigkeit die Reibungsziffer durch ein
additives Glied beeinflußt, so geht Gleichung 5 über in
\mu=c_1\,.\,c_2\,\frac{s}{D}-c_3\,\frac{\alpha\,S'}{b\,s^2}+c_7\,\left(V+\frac{\alpha\,S}{b\,s}\,v\right)^x
. (5')
und die zu lösende Differentialgleichung lautet, wenn jetzt
abkürzungsweise geschrieben wird:
{\zeta_1}'=1-\frac{c_2}{c_1}\,\frac{s}{D}+c_3\,\frac{\alpha\,\gamma}{g}\,\frac{v^2}{s},
{\zeta_1}''=\frac{c_7}{c_1}\,V^x,
\zeta_1={\zeta}'+{\zeta_1}'',
{\zeta_2}'=\frac{c_3}{c_1}\,\frac{\alpha}{b\,s^2},
{\zeta_2}''=\frac{\alpha}{b\,s}\,\frac{v}{V},
\zeta_2={\zeta_2}'-{\zeta_2}''\,.\,x,
\zeta_3=c_1\,\frac{1-c_6\,\frac{\alpha\,D}{2\,b\,s}}{1-c_5},
folgendermaßen:
dS = [ζ1' – ζ2' S + ζ1'' (1 + ζ2'' S)x] ∙ ζ3
Sdω.
Die Gleichung ist nur dadurch zu integrieren, daß der Ausdruck (1 + ζ2'' S)x in eine Reihe
entwickelt wird. Ein hinreichend einfaches und übersichtliches Ergebnis wird aber
nur erhalten, wenn ausschließlich die ersten beiden Glieder dieser Reihe
berücksichtigt werden. Allerdings ist dadurch die Genauigkeit der Endformel eine
beschränkte, da diese beiden Glieder bei größerem ζ2'' nicht genügen. Unter der weiteren Voraussetzung
\frac{\alpha\,v}{b\,s\,V}\,<\,1 folgt dann
entsprechend der Gleichung 11
\frac{S_t}{S_1}\,.\,\frac{\left(S_1-\frac{\zeta_1}{\zeta_2}\right)}{\left(S_t-\frac{\zeta_1}{\zeta_2}\right)}=e^{\zeta_1\,.\,\zeta_3\,.\,\omega'}
. . (11')
worin die Klammerausdrücke auf der linken Seite unter normalen
Verhältnissen ohne Fehler gegeneinander gehoben werden können. Es wird somit, wenn
man, um einen vollen Ueberblick zu gewinnen, die Werte der ζ wieder einsetzt,
\frac{S_t}{S_1}=e^{\frac{c_1}{1-c_5}\,\left(1-c_6\,\frac{\alpha\,D}{2\,b\,s}\right)\,\left(1-\frac{c_2}{c_1}\,\frac{s}{D}+\frac{c_3}{c_1}\,\frac{\alpha\,\gamma}{g}\,\frac{v^2}{s}+\frac{c_7}{c_1}\,V^x\right)\,.\,\omega'}
(19)
Textabbildung Bd. 328, S. 471
Abb. 33.
Dieser Formel schließen sich die Kurven der Abb. 33
innerhalb der Versuchsfehler mit den folgenden Zahlen an:
für v
= V= 0:
\frac{c_2}{c_1}
= 5,3, c6 = – 29,3,
\frac{c_1}{1-c_6}
= – 0,127 für Scheibe D und Riemen I,
= 0,122 = 0,961 ∙ 0,127 für Scheibe d und
Riemen I,
= 0,149 für Scheibe D und Riemen II,
= 0,129 = 0,868 ∙ 0,149 für Scheibe d und
Riemen II;
für V
= 1:
\frac{c_7}{c_1}
= 0,445 für Riemen I,
= 0,279 für Riemen II.
Da in der Grundformel die Reihenentwicklung vorzeitig abgebrochen wurde, so liefert
die weitere Auswertung der Versuchsergebnisse x nicht
konstant. Man erhält vielmehr für Riemen 1:
bei V =
2
cm/Sek.:
x = 1,405,
4
„
0,967,
8
„
0,792,
12
„
0,721.
Die Auftragung dieser Werte ergibt eine Kurve von
hyperbelartigem Verlauf. Man kann setzen
für V > 6 cm/Sek.:
x=0,58+\frac{0,169}{V},
für 1 < V < 6 cm/Sek.:
x=0,673+\frac{1,81}{V^{1,31}},
Entsprechend gilt für Riemen II:
bei V =
2
cm/Sek.:
x = 0,855,
3,3
„
0,827,
9
„
0,737,
oder für V > 8 cm/Sek.:
x=0,58+\frac{1,41}{V}
In den obigen Darlegungen bedeutet c1 die Reibungsziffer eines ebenen,
ungespannten und langsam auf der eisernen Unterlage bewegten Lederstückes; c5 ist ein Festwert,
der den Einfluß des durch die Kraft K bewirkten Druckes
zwischen Scheibe und Riemen darstellt. Man erkennt, daß c5 wesentlich kleiner ausfällt, wenn die
Auflagerfläche des Riemens nicht völlig gleichmäßig ist; bei einem auf der ganzen
Länge durchgenähten Riemen ist demgemäß c5 ∾ 0 anzunehmen. Ferner zeigt sich, daß
die Reibungsziffer c1
um so größer wird, je glatter die Unterlage ist, weil dann alle Fasern der
Innenseite des Riemens zum Festhalten herangezogen werden, während bei einer Scheibe
mit unebener Oberfläche eine mehr oder weniger große Zahl dieser Fasern nicht
mitwirkt.
Die beiden Werte c1 und
c5 lassen sich nur
trennen, wenn gleiche Versuche unter Verhältnissen angestellt werden, die denen der
treibenden Scheibe entsprechen, was freilich wesentlich schwieriger ist. Da bei
normalen Scheibenabmessungen und Uebersetzungsverhältnissen das Gleiten zuerst auf
der getriebenen Scheibe eintritt (vergl. Abb. 26),
diese also für den ganzen Riementrieb maßgebend ist, so behalten die obigen Angaben
des Quotienten \frac{c_1}{1-c_5} doch ihren Wert. Nicht ermittelt
ist ferner der Festwert \frac{c_3}{c_1}, zu dessen Bestimmung
entsprechende Messungen bei schnellaufenden Riementrieben erforderlich sind.
Im Gegensatz zu den früheren Ausführungen zu Formel 9 ist die den Einfluß der
Luftverdünnung unter dem Riemen durch seine Streckung berücksichtigende Ziffer c6 auf der getriebenen
Scheibe positiv zu rechnen. Erwähnt sei noch, daß die Versuche eine gewisse
Abhängigkeit der Gleitgeschwindigkeit V von der
absoluten Größe der Anspannung des Leders \frac{S}{b\,s}
andeuten.
Natürlich ist die Ausgangsformel 5' in der Form willkürlich angenommen. Man hätte
ebensogut etwa ansetzen können
\mu=\mu_0\,.\,\left(\frac{s}{D}\right)^y\,.\,\left(\frac{\alpha\,S}{b\,s^2}\right)^z\,.\,\left(V+\frac{\alpha\,S}{b\,s}\,v\right)^x.
Die daraus folgende Endformel hat etwa dieselbe Form wie Gleichung 11',
nur würde man, wenn die Nebeneinflüsse nicht berücksichtigt werden, nicht die
bekannte Gleichung S_t\,:\,S_1=e^{\mu_0\,\omega'} erhalten, in
welche die Gleichung 11' bei Außerachtlassen aller Korrekturen übergeht, sondern die
freilich mathematisch richtige, aber physikalisch nichtssagende 1 = e°. Der Ansatz 5' scheint demnach der richtigere zu
sein.
Die Skutschsche Feststellung erklärt jetzt ungezwungen die
allgemein bekannte Tatsache, daß ein Riemen, der ja gewöhnlich nur mit dem
Sicherheitsfaktor 1 gegenüber Gleiten berechnet wird,
selbst bei starker Ueberbelastung noch immer durchzieht, allerdings bei einem
gewissen Gleiten auf der Scheibe. Die obigen Zahlenwerte zeigen nun, daß die in der
Praxis für die Berechnung benutzte Reibungsziffer schon einen geringen Gleitschlupf
enthält. Freilich ist es möglich, daß für andere Ledersorten auch höhere Werte von
c1 gelten.
Da in dem Exponenten von e auch ein Glied
\frac{c_3}{c_1}\,\frac{\alpha\,\gamma}{g}\,\frac{v^2}{s}
steht, das allerdings nur bei großer Riemengeschwindigkeit von Bedeutung sein kann,
so ist die Gehrckenssche Meinung, die
Uebertragungsfähigkeit steige mit der Geschwindigkeit, schon dadurch in gewissem
kleinem Umfange bestätigt. Läßt man nun für die Gleitgeschwindigkeit V einen gewissen Prozentsatz der Umfangsgeschwindigkeit
v zu, so ergibt sich eine ziemlich bedeutende
Steigerung der Uebertragungsfähigkeit mit Erhöhung der Geschwindigkeit, die aber
nicht beliebig weit ausgenutzt werden kann, weil ja S1 einen bestimmten Kleinstwert
behalten muß (vergl. die Angaben zu Formel 17).
Welcher Betrag des unelastischen Gleitens zulässig ist, muß in jedem einzelnen Fall
besonders überlegt werden. Die Formeln 4 und 18 lehren, daß die elastische
Gleitgeschwindigkeit V von der Größe der Anspannung des
Leders abhängt. Wird also das Material völlig ausgenutzt durch Einsetzen des größten
zulässigen Betrages für σmax in Formel 17, so hat man schon einen recht bedeutenden elastischen
Gleitschlupf und eine entsprechende elastische Gleitgeschwindigkeit V. Der Verschleiß des Riemens ist nun direkt
proportional dem Produkt (V' + V) ∙ T zu setzen, worin T die Gebrauchsdauer
bedeutet. Will man einen Riemen schonen, so wird man darauf sehen, daß der
Klammerausdruck möglichst klein bleibt. Sobald also durch die Wahl der Beanspruchung
und Geschwindigkeit der Betrag V festgelegt ist, wird
man darauf achten müssen, daß das unelastische Gleiten klein bleibt, wenn auch
einige cm/Sek. mehr oder weniger im Verhältnis zu V
nicht viel ausmachen. Es empfiehlt sich demnach, das Verhältnis
\frac{V}{v} nicht durchweg konstant zu lassen, sondern bei
hohem v kleiner zu wählen. Bekannt ist ja, daß schwere
Treibriemen für Walzwerke usw., die mit höchster Anspannung und großer
Geschwindigkeit arbeiten, also etwa V' + V ∾ ½ m/Sek.
und bisweilen noch mehr besitzen, gewöhnlich nur eine Gebrauchsdauer von nicht viel
über zwei Jahren aufweisen.