Titel: Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf elektrothermischem Wege.
Autor: R. Loebe
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 721
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Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf elektrothermischem Wege. Von Dr. R. Loebe. LOEBE: Die Erzeugung von Qualitätsstahl auf elektrothermischem Wege. Als um die Jahrhundertwende der erste elektrische Ofen zur Raffination von Stahl von Héroult in Savoyen errichtet wurde, verhielt sich die Großeisenindustrie noch ziemlich ablehnend gegen den Konkurrenten der bisher erfolgreich angewendeten und gut durchgebildeten, rein chemischen eisenhüttenmännischen Verfahren. Doch war mit diesem ersten praktischen Versuch der Elektrostahlerzeugung im größeren Maßstab der elektrische Ofen in ein neues Entwicklungsstadium getreten, und bald lernte man die Vorzüge dieser neuen Beheizungsart für alle möglichen Zwecke der Darstellung schmiedbarer Eisensorten kennen und schätzen. War die Anwendung des Elektroofens zunächst noch auf die Nähe billiger Wasserkräfte angewiesen, so konnte dieser doch dank der Vervollkommnung der Großgasmaschine schon in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts auch im Gebiete der Schwerindustrie seinen Einzug halten. Indessen war seine Einführung in die Eisenhüttenpraxis viel schwieriger als auf anderen Gebieten der Metallerzeugung. Denn während dort die Herstellungsmöglichkeiten zahlreicher Produkte, z.B. des Aluminiums, überhaupt erst durch ihn gegeben waren, fand er hier gut ausgearbeitete Verfahren vor, mit denen er wegen der hohen Gestehungskosten nicht wetteifern, und die er deshalb auch nicht ohne weiteres verdrängen konnte. Erst als man erkannte, daß das Elektromaterial dem Martin- und dem Konverterstahl an Güte weit überlegen war, daß mit der Herstellungsmöglichkeit besserer Qualitäten auch die Forderung nach höherwertigem Material, für das auch gern höhere Preise bezahlt werden, wach wurde, und ferner, daß es dem bisher edelsten Erzeugnis der Stahlindustrie, dem Tiegelstahl, nicht nur qualitativ mindestens ebenbürtig, sondern sogar noch billiger als dieses herzustellen, und hierzu nicht einmal wie dort die Verwendung hochwertigen Einsatzmaterials erforderlich ist: erst da konnte die Frage der Wirtschaftlichkeit zu Gunsten des Elektrostahlverfahrens entschieden werden. Und so hat sich denn seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts durch die Einführung des elektrischen Ofens auf dem Gebiete der Stahlerzeugung eine bedeutsame Wendung vollzogen. Die Herstellung des Elektrostahls, d.h. aller Arten schmiedbaren Eisens, von den weichsten bis zu den härtesten Sorten, erfolgt in der Regel durch Raffination bereits in den älteren metallurgischen Apparaten, namentlich im Martinofen oder im Konverter vorgefrischter Qualitäten. In diesen Apparaten wird bekanntlich das kohlenstoffreiche Roheisen einem Oxydationsprozeß unterworfen, bei dem durch die Einwirkung des in der Luft, im Heizgas oder in der Schlacke enthaltenen Sauerstoffs der Kohlenstoff des Roheisens verbrennt und damit ein kohlenstoffarmes Material, das schmiedbare Eisen, erhalten wird. Von großer Bedeutung ist nun, daß während dieses Frischvorgangs gleichzeitig mit dem Kohlenstoff auch die ihn begleitenden fremden Elemente verbrannt und dadurch aus dem Eisen entfernt werden. Solche Elemente sind zunächst Silizium und Mangan, vor allem aber Phosphor, der, weil er das Eisen kaltbrüchig und spröde macht (Tab. 1), einen schädlichen Bestandteil des Flußeisens darstellt. Tabelle 1. Einfluß des Phosphors auf die Festigkeitseigenschaften von Eisen nach Ledebur. Kohlen-stoff Phosphor Elastizitäts-grenzeauf 1 qmmkg Zugfestig-keit auf1 qmmkg Dehnungauf 50 mmLängev. H. Kon-traktionv. H. 0,04 0,015 22,59 34,18 47 76,5 0,07 1,360 45,50 45,50 0 0 Die Zugfestigkeit des Phosphorreichen Eisens ist hiernach bei ruhiger Belastung höher als die des Phosphorarmen Materials. Aber die Bruchfestigkeit und Elastizitätsgrenze fallen zusammen, d h. das Material verträgt keine Formänderung mehr, ohne Bruch zu erleiden. Es ist sehr spröde. Der Phosphor ist im flüssigen Eisen gelöst und bleibt bei dessen Erstarrung in fester Lösung erhalten. Er findet sich aber nicht in allen Teilen eines gegossenen Blocks gleichmäßig verteilt vor, sondern reichert sich in dessen Innerem in Gestalt einzelner, besonders phosphorreicher Partien an. Im Blockquerschnitt wie auch auf Querschnitten der Walzprodukte, z.B. von Schienen, läßt sich diese Phosphoraussaigerung leicht nachweisen. Behandelt man nämlich die geschliffene und polierte Schnittfläche mit einem geeigneten Aetzmittel, so schwärzen sich jene Stellen und heben sich dadurch deutlich von der phosphorarmen Randzone ab (Abb. 1). Beim Frischprozeß wird also neben Kohlenstoff, Silizium und Mangan auch der größte Teil des Phosphors mitverbrannt. Da sein Verbrennungsprodukt, das Phosphorpentoxyd, ein Säureanhydrid darstellt, kann die Entphosphorung nur beim basischen Prozeß durchgeführt werden, wo es durch das basische Herdfutter und die basische, meist Kalk enthaltende Schlacke chemisch zu Phosphat gebunden und damit unschädlich gemacht wird. Textabbildung Bd. 328, S. 722 Abb. 1. Während der Oxydationsperiode wird aber ferner auch ein Teil des Eisens selbst verbrannt. Das entstehende Oxydul löst sich im flüssigen Stahlbad, und zwar um so leichter, je höher dessen Temperatur ist. Bei abnehmenden Hitzegraden scheidet es sich dagegen wieder in fester Form aus und bildet, wenn es nicht vollständig entfernt wird, einen für die weitere Verarbeitung gefährlichen Bestandteil des Stahls, dessen Gefüge es lockert und das es rotbrüchig macht. Aus diesem Grunde ist die möglichst vollständige Entfernung entstandener Oxyde eine der wichtigsten Aufgaben bei der Stahlfabrikation. Sie erfolgt gewöhnlich nach beendeter Frischung durch Zusatz einer Mangan-Eisenlegierung (Ferromangan oder Spiegeleisen). Das Mangan reduziert das Oxydul zu Eisen, wird selbst oxydiert, sein Oxyd scheidet sich, da es im Gegensatz zum Eisenoxydul im Stahlbad nicht löslich ist, ab und geht in die Schlacke über. Man bezeichnet diesen Abschnitt der metallurgischen Vorgänge als Desoxydation. Die Zugabe von Ferromangan hat aber noch einen anderen Zweck als die Reduktion des Eisenoxyduls. Das von Silizium, Mangan und Phosphor befreite Material ist nämlich während des Oxydationsprozesses sehr kohlenstoffarm geworden, weil der Phosphor erst verbrennt, wenn nur noch sehr geringe Kohlenstoffmengen im Bade enthalten sind, und man daher, gleichviel ob man auf ein weiches, d.h. kohlenstoffarmes oder hartes, d.h. kohlenstoffreiches Eisen hinarbeitet, die Charge immer erst weitgehend entkohlen muß. Es ist daher notwendig, das Material nach der Entphosphorung wieder aufzukohlen, oder wie man sagt rückzukohlen, was durch den hohen Kohlenstoffgehalt des zugegebenen Ferromangans oder Spiegeleisens gleichzeitig während der Desoxydationsperiode erfolgt. Endlich wird bei der Stahlerzeugung auf dem gewöhnlichen Wege noch ein weiterer, gefährlicher Begleiter des Roheisens unschädlich gemacht, nämlich der Schwefel. Dieses Element muß aus dem Eisen entfernt werden, weil es, wie die Tab. 2 erkennen läßt, dessen Festigkeitseigenschaften sehr ungünstig beeinflußt, und neben dem Eisenoxydul als die Ursache des Rotbruchs und daher als der größte Feind der Schmiedbarkeit anzusehen ist. Tabelle 2. Einfluß des Schwefels auf die Festigkeitseigenschaften von Eisen nach Kerpeley. Rundstäbe von 10 mm Durchmesser. Schwefel Zugfestigkeitauf 1 qmmkg Dehnungv. H. 0,05 41,4 21,5 0,12 38,0 20,4 0,49 36,6 11,6 Der Schwefel ist im flüssigen Eisen zunächst als FeS gelöst enthalten. Durch einfache Umsetzung wird er aber vom Mangan als MnS gebunden. Diese Reaktion ist für die Entschwefelung von großer Bedeutung, weil das Schwefelmangan im Gegensatz zum Schwefeleisen mit dem Eisen keine Legierung bildet, sondern sich bei seiner Entstehung als selbständiger Körper abscheidet. Infolge seines geringeren spezifischen Gewichtes steigen diese MnS-Teilchen beim Abstehen der Charge wie die Fettkügelchen der Milch allmählich an die Oberfläche des Bades und werden hier von der Schlacke aufgenommen. Im Martinofen und im Konverter ist somit die Entschwefelung auf die Bildung von Schwefelmangan zurückzuführen, und sie gelingt um so vollkommener, je mehr den ausgeschiedenen Teilchen durch Abstehen des Bades Gelegenheit geboten wird, aus dem flüssigen Stahl auszutreten. Bleiben noch Schwefelmanganteilchen im Material zurück, so bilden sie einen der gefährlichsten Bestandteile für die Weiterverarbeitung des Materials. Abb. 2 zeigt das Schliffbild eines rotbrüchigen Materials, das neben feineren oxydischen Teilchen, die sich oft perlschnurähnlich aneinanderreihen, auch einzelne kleine Schwefelmanganeinschlüsse enthält. Der Schwefel läßt sich mit Hilfe der alten Verfahren nicht weiter als bis etwa 0,05 v. H. entfernen. Der Rest ist als mit Eisen zu FeS gebunden anzusehen. Er beeinträchtigt auch in dieser Form noch die Eigenschaften des Stahls insofern, als er dessen Schmiedbarkeit herabsetzt und in ähnlicher Weise wie Phosphor zu Aussaigerungen neigt, die oft als die Ursache krankhaften Materials mit Hilfe geeigneter Untersuchungsmethoden erkannt werden. Textabbildung Bd. 328, S. 723 Abb. 2. Die Entfernung der schädlichen Bestandteile gelingt bei der Stahlerzeugung im Martinofen und im Konverter nur bis zu einem gewissen Grade, so daß das Erzeugnis dieser Apparate nur Mittelqualität darstellt. Hier setzt nun die Bedeutung des elektrischen Ofens ein, mit dessen Hilfe auch noch die letzten Spuren der Verunreinigungen eliminiert werden können. Man nennt die Nachbehandlung der auf gewöhnliche Weise erschmolzenen Stahlsorten die elektrothermische Raffination. Die Raffinationsprozesse im elektrischen Ofen sind ihrer Natur nach im allgemeinen dieselben, wie die bei der Vorbehandlung des Stahls im Martinofen bzw. im Konverter; Sie beruhen teils auf oxydierenden, teils auf reduzierenden Wirkungen, teils sind es einfache Umsetzungen, teils rein mechanische Vorgänge. Die Arbeitsweise im elektrischen Ofen ist nur insofern von derjenigen in den genannten Apparaten verschieden, als sich in ersterem nicht das Futter an den metallurgischen Reaktionen beteiligt, sondern nur die Zustellung auf die chemische Zusammensetzung des Stahlbades einwirkt. Die erste Aufgabe der elektrothermischen Raffination ist in der Regel die Entphosphorung. Die Vorgänge, die sich hierbei abspielen, sind im großen und ganzen denen im basischen Martinprozeß vollkommen analog. Wir wollen deshalb kurz den Arbeitsgang im elektrischen Ofen während des basischen Prozesses betrachten. Das zu raffinierende Material wird meist in noch flüssiger Form direkt aus dem Martinofen oder Konverter in den elektrischen Ofen eingebracht. Durch den oxydierenden Einfluß einer aus Kalk und Erz oder Walzsinter bestehenden basischen Schlacke wird zunächst das Stahlbad von Phosphor und allen anderen chemischen Beimengungen außer vom Schwefel befreit. Nachdem man sich durch eine Schmiede- und Bruchprobe von dem Reinheitsgrad überzeugt hat, wird die Schlacke durch Kippen des Ofens abgelassen und schließlich der Rest durch eiserne Haken herausgezogen. Um endlich auch noch die letzten Spuren der phosphorhaltigen Schlacke zu beseitigen, „spült“ man durch wiederholte Aufgabe neuer Kalkmengen nach. Die vollständige Entphosphorung erfordert auch bei der elektrothermischen Raffination ein Ueberfrischen des Bades. Daher muß sich auch hier an die Frischperiode eine Desoxydation anschließen, wodurch alle entstandenen und vorhandenen Oxyde, insbesondere Eisenoxydul, dann aber auch Kalk, Kieselsäure, Manganoxyd reduziert werden, die alle wegen ihres selbständigen Auftretens in Form fester Einschlüsse das Gefüge des Stahls lockern und dadurch die Festigkeit beeinträchtigen. Uebrigens kann auch eine Konvertercharge im elektrischen Ofen desoxydiert werden, der bis dahin noch keine Desoxydationsmittel zugesetzt worden sind. Je nach der Art des zu erschmelzenden Materials dient als Reduktionsmittel Mangan in Form von Ferromangan, oder Silizium, das gleich dem Mangan eine kräftige desoxydierende Wirkung ausübt, dessen Oxydationsprodukt leicht in die Schlacke übergeht und das dem Bade als Ferrosilizium zugegeben wird. Nach Zusatz des Desoxydationsmittels wird schließlich eine Schlacke aufgegeben, die der Zustellung entsprechend basisch oder sauer, hier also basisch gehalten wird und aus einem Gemisch von Kalk, Sand und Flußspat besteht. Mit der Desoxydation geht nun Hand in Hand die Entschweflung des Stahls, die auf elektrothermischem Wege viel weitgehender durchgeführt werden kann, als im Martinofen, weil die höheren Temperaturen des elektrischen Ofens eine höher basische Schlacke anzuwenden gestattet, und weil in diesem höheren Temperaturgebiet chemische Reaktionen stattfinden, die wir in den älteren metallurgischen Oefen nicht kennen bzw. die unter den dort obwaltenden Temperaturverhältnissen nicht möglich sind. Textabbildung Bd. 328, S. 723 Abb. 3. Zur Entschwefelung haben sich nun zwei Wege als gangbar erwiesen, deren chemische Grundlagen allerdings vorläufig noch nicht einwandfrei geklärt sind. Der erste Weg ist der, den Schwefel an Kalk zu binden, eine Reaktion, die vermutlich nur bei Gegenwart von Kohlenstoff möglich ist, und bei der intermediär gebildetes Kalziumkarbid eine Rolle zu spielen scheint. Sie findet zu ihrem Zustandekommen im Lichtbogenofen die günstigsten Bedingungen vor, wo ständig eine starke kohlenstoffhaltige Atmosphäre herrscht. Der Vorgang verläuft nach der Gleichung FeS + CaO + C = Fe + CaS + CO. Bei diesem Prozeß muß der Schlacke wegen ihrer Schwerflüssigkeit ein Flußmittel, wie Flußspat, zugesetzt werden. Aehnlich wie Kohlenstoff wirkt aber auch das Silizium, das dem Bade als Desoxydationsmittel beigegeben wird, und das zunächst Schwefelsilizium SiS liefert, während sich die weitere Entschwefelung durch basische, kalkhaltige Schlacke nach der Gleichung 2FeS + 2CaO + Si = 2Fe + 2CaS + SiO2 abspielt. Diese Reaktion verläuft am besten in neutraler Atmosphäre, weshalb sich der Induktionsofen besonders zu ihrer Durchführung eignet. Die Schlacke ist wegen der Bildung von Kieselsäure an sich genügend dünnflüssig, so daß sie des Zusatzes eines Flußmittels nicht bedarf. Die Entschwefelung läßt sich aber nicht allein durch Kalk, erreichen, sondern auch der Flußspat selbst hat sich bei Gegenwatt von Silizium als ein gutes Entschwefelungsmittel erwiesen, so daß man ihn an Stelle des Kalks, demgegenüber er sich durch seine Leichtflüssigkeit auszeichnet, verwenden kann. Der Vorgang verläuft nach der Gleichung 2FeS + 2CaF2 + Si = 2Fe + 2CaS + SiF4. Bei der Herstellung von Spezialstählen werden dem Stahlbade die entsprechenden Legierungsmetalle noch vor beendeter Desoxydation zugesetzt, worauf die Desoxydation der letzten Spuren von Oxyden erfolgt. Soll der Stahl einen höheren Kohlenstoff aufweisen, als dem des Einsatzes entspricht, so fügt man dem Bade bereits nach dem ersten Zusatz des Desoxydationsmittels Kohlenstoff zu. Nach beendeter Desoxydation folgt nun die dritte Periode: das Ausgaren, d.h. Abstehen der Charge, wodurch den dem Stahl noch mechanisch beigemengten Verunreinigungen, insbesondere den Schlackenteilchen und Gaseinschlüssen Gelegenheit geboten wird, sich vollständig abzuscheiden. Gelingt dies nicht, so finden sich im fertigen Stahl noch mikroskopisch erkennbare Schlackenteilchen vor, die die Festigkeit des Materials mindern (Abb. 3). Während der infolgedessen notwendigen Ruhezeit wird das Bad, dessen Temperatur im Verlauf der Raffinationsprozesse abgenommen hat, allmählich bis zur Gießtemperatur erhitzt, und endlich wird die Charge – und zur Vermeidung einer Oxydation zugleich mit ihr die Schlacke – in die Gießpfanne entleert, um zu Blöcken vergossen zu werden, oder zur Herstellung von Stahlformguß direkt in die Form abgelassen. (Schluß folgt.)