Titel: Das umschnürte Gußeisen.
Autor: Hans Schäfer
Fundstelle: Band 328, Jahrgang 1913, S. 804
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Das umschnürte Gußeisen. Von Oberingenieur Hans Schäfer, Darmstadt. SCHAEFER: Das umschnürte Gußeisen Die Anwendung des umschnürten Gußeisens ist aus dem Stadium der Versuche in das Gebiet der praktischen Anwendung übergetreten. Nach langen Versuchsreihen, die die wissenschaftliche Grundlage für die Wertung des neuen Baustoffes bildeten, ist man nunmehr dazu übergegangen, in der Praxis Bauteile mit umschnürtem Gußeisen zu bewehren. Ein Gefühl des Mißtrauens begleitete die Versuche; man hielt es fast für einen Rückschritt, das seit langem aus der Baukonstruktion verdrängte Gußeisen wieder zu verwenden. Bei diesem Mißtrauen aber wurde vergessen, auf welchen Ursachen die Verdrängung des Gußeisens beruhte: Die Anwendung statisch unrichtig durchgebildeter Systeme – man höre nur die Bezeichnung eines solchen Systems als „kompensiertes Kreuzverspannungs- und Verstrebungssystem“ – und die Unwirtschaftlichkeit der Anwendung von Gußeisen unter dem Gesichtspunkt, daß wegen der Sprödigkeit und Unzuverlässigkeit des damals vorhandenen Materials eine Ueberdimensionierung aus Sicherheitsgründen erforderlich war. Heutzutage aber ist die Eisenindustrie in der Lage, eine ganz andere Qualität des Gußeisens zu liefern, wodurch die auf der Unzuverlässigkeit des alten Materials beruhende Unwirtschaftlichkeit erheblich zurücktritt. Dann aber soll das Gußeisen auch nur dort zur Anwendung gelangen, wo sich die Eigenschaften dieses Baustoffes in sachverständiger Weise verwenden und ausnutzen lassen. Der Eisenbetonbau legt in seiner Theorie zunächst hauptsächlich Gewicht nur auf die Verwendung des Eisens zur Aufnahme des Zuges. Die Eiseneinlage in der Druckzone einer Eisenbetonkonstruktion ist immer nur ein Notbehelf. Jeder Fachmann ist sich über den bedingten Wert der Druckbewehrung klar. Sie kann auch in Druckgliedern die Druckfestigkeit der Konstruktion nicht ihrem wirtschaftlichem Werte entsprechend erhöhen; vor allem gilt das bei größeren Eisenprozentsätzen, wie denn auch die österreichischen Vorschriften z.B. mit Recht eine rechnerische Grenze für die volle Bewertung der Längsbewehrung festsetzen. Der Beton der Baustelle trägt doch manche Unzuverlässigkeit an sich. Da erscheint es von besonderem Wert, wenn von vornherein die Aufnahme des Druckes nicht allein von dem Beton, sondern auch von dem Gußeisen, dem vor allem zur Aufnahme von Druckkräften vorzüglich geeigneten Material, wahrgenommen wird. Je nach der Güte des Betons wird das Gußeisen stärker belastet oder entlastet werden. In letzterem Falle wird dann das Gußeisen seine ganze Kraft erst dann wirksam zur Geltung bringen können, wenn der Beton zum Bruch gekommen ist. Immer aber noch haftet dem Gußeisen, vor allem gegenüber dem Flußeisen, der Nachteil der großen Sprödigkeit an. Da soll die neue Methode des Oberbaurats Dr. Ing. v. Emperger der Umhüllung des Gußeisenkernes mit Beton und der Umschnürung mit Stahldraht dem Gußeisen die Elastizität des Flußeisens geben. Der Fortfall der Nietarbeit soll dazu wirtschaftliche Vorteile bringen. Schon aus Gründen der Feuersicherheit muß eine solche Gußeisensäule mit Beton ummantelt werden; diese Betonhülle soll aber hier noch weitere Aufgaben zusammen mit der Umschnürung erfüllen, so daß ihr folgende Aufgaben zufallen: 1. Verbindung der einzelnen Gußeisenteile, 2. Verstärkung des Querschnitts, 3. Schutz gegen Feuer und Rost, 4. Günstige Beeinflussung der Sprödigkeit des Gußeisens. Der hohe Wert des Gußeisens liegt in seiner bedeutenden Druckfestigkeit. Es besitzt eine mittlere Druckfestigkeit von 7600 kg/qcm, und diese Druckfestigkeit schwankt zwischen 5600 kg/qcm, der unteren Grenze, die fast nie unterschritten wird und den Höchstwerten von 10000, ja sogar 15000 kg/qcm bei besonderen Gußeisensorten. Demgegenüber kann das Flußeisen nur wenig über die Quetschgrenze von 2400 kg/qcm auf Druck ausgenutzt werden. Der gewöhnliche umschnürte Beton zeigt eire verhältnismäßig geringe Erhöhung der Druckfestigkeit mit einer sehr starken Zunahme der Stauchungsfähigkeit. Dabei wurde die große Ungleichmäßigkeit der Stauchungserscheinungen des umschnürten Betons übersehen. Diese Ungleichmäßigkeiten müssen aber immer auftreten, wenn sie nicht durch einen starken Eisenkern verhindert werden. Dieser starke Eisenkern ist bei dem umschnürten Gußeisen vorhanden; er verhindert starke örtliche Stauchungen vollständig und sichert deren Gleichmäßigkeit auf die ganze Länge des Druckgliedes. Diese Aenderung der Verhältnisse zeigt sich am Besten an dem Verhalten der äußeren Betonschale. Diese fällt beim umschnürten Beton sehr bald ab, was hervorgerufen ist durch die Ungleichmäßigkeit der Stauchungen und die dadurch verursachte örtliche Ueberschreitung der Festigkeit. Bei dem umschnürten Gußeisen aber kann diese Betonschale, da die erwähnten Einflüsse verhindert werden, sehr große Stauchungen ertragen. Die Zusammendrückungen des Gußeisens sind auch bedeutend kleiner als die des Betons. Hier ist das Gußeisen das Hauptkonstruktionselement. Das Umschnürungsnetz soll die sichernde und verteilende Betonschale bis zum Bruch erhalten. Hier hat die Umschnürung nicht wie bei dem gewöhnlichen umschnürten Beton die Aufgabe, die Bruchfestigkeit des Kernes zu erhöhen. Die Querdehnung und Stauchung des Betons geht wegen des Eisenkernes sehr langsam und gleichmäßig vor sich. Die Umschnürung wirkt nun mittels der Uebertragung durch den Beton in dem Sinne, daß die Querdehnung des Betons nach innen auf den hohlen Gußeisenkern wirkt. Dadurch soll der Sprödigkeit des Gußeisens begegnet werden. Die Umschnürung soll so eng gelegt werden, daß die Ganghöhe gleich oder besser kleiner als die Stärke der Betonschale wird. Eine weitere Bedeutung gewinnt die Umschnürung als Verbindungsmittel an den Stoßfugen der Gußeiseneinlage. Die zahlreichen Versuche des Erfinders haben auch zu einem Ergebnis für die rechnerische Behandlung geführt. Dieses Ergebnis besteht darin, daß sich die gesamte Tragfähigkeit des Konstruktionsgliedes aus umschnürtem Gußeisen durch einfache Addition zusammensetzt aus den Einzeltragfähigkeiten der Baustoffe. So erhalten wir: P = Fb ∙ σb + Fe ∙ σe + Fg ∙ σg. In dieser Formel bedeutet: σe die Fließgrenze des Flußeisens, σg die Stauchgrenze des Gußeisens, σb die Druckfestigkeit des Betons. Diese Berechnungsweise hat sich auch bei umschnürten gußeisernen Röhren als richtig erwiesen. v. Empergers Buch „Neuere Bogenbrücken aus umschnürtem Gußeisen“ gibt die Versuchsergebnisse und die theoretische Untersuchung des neuen Baustoffes wieder. Eine wesentliche Frage war bei der Verwendung des Gußeisens als Eiseneinlage im Beton auch, wie sich der Beton gegenüber dem Gußeisen verhält. Es war die Frage aufzuwerfen, ob der Beton auch dem Gußeisen den gleichen Rostschutz gewährt, wie dem Flußeisen, wie es sich mit der Haftfestigkeit verhält, und ob sich sonst irgend welche Bedenken in dieser Richtung aus der Verwendung der beiden Baustoffe Beton und Gußeisen ergeben. Diese Fragen behandelt Professor Rohland in Nr. 18 des „Brückenbau“ 1913 und in Heft 9 des „Industriebau“ 1913 und kommt zu dem Schluß, daß Bedenken in keiner Weise bestehen. Infolge der vielfachen Verwendung von Steinholzfußböden auf Eisenbetondecken hat auch der Verband Deutscher Steinholz-Fabrikanten beschlossen, der Frage näher zu treten, wie sich durch die Verwendung von Gußeisen in den Eisenbetonkonstruktionen das gegenseitige Verhältnis des Steinholzfußbodens zu dem Eisenbeton gestaltet, und ob vielleicht ungünstige Einflüsse zu befürchten seien. Es scheint unwahrscheinlich, daß sich in dieser Richtung Anstände ergeben sollten. (Schluß folgt.)