Titel: Ueber die Reibung von Leder auf Eisen.
Autor: R. Skutsch
Fundstelle: Band 329, Jahrgang 1914, S. 273
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Ueber die Reibung von Leder auf Eisen. Von Professor Dr.-Ing. R. Skutsch. SKUTSCH: Ueber die Reibung von Leder auf Eisen In der 11. Auflage seiner Maschinenelemente gibt von Bach eine interessante Zahlenreihe für das Ansteigen der Reibungsziffer von Leder auf Eisen mit der Geschwindigkeit. Andeutungen solcher Zusammenhänge finden sich auch sonst in der Literatur; für Holz auf Eisen hatte schon Coulomb ganz allgemein ausgesprochen: „le frottement augmente avec la vitesse de la manière la plus sensible“Mémoires des savans étrangers T. X. (1785). p. 211, 219, 232.. Leider wurde diese Feststellung 50 Jahre später von Morin, der sich der Unterstützung Poncelets rühmen durfte, kurzerhand ins Reich der Fabel verwiesenNouvelles expériences sur le frottement, Paris 1852, 34 und 35, auch in den genannten„Mémoires“ erschienen (T. IV. u. VI. einer späteren Folge)., und das Morinsche Gesetz, wonach die Reibungsziffer von Geschwindigkeit und Flächendruck unabhängig sein sollte, wurde in einem von Poisson, Arago und Navier erstatteten Gutachten der Pariser Akademie als „une loi exactement conforme aux effets naturels et non plus une règle approchée pour les arts“ zum Dogma erhoben. Wie sehr haben sich die wissenschaftlichen Anschauungen seitdem gewandelt! Wer würde heute noch hoffen, so verwickelte Vorgänge, wie die der Reibung, durch ein einfaches Gesetz genau beschreiben zu können? Morin will sein Naturgesetz auch bei Versuchen mit Leder auf Metall bestätigt gefunden haben. Die wenigen Versuche in dieser Richtung mag er wohl erst zu einer Zeit angestellt haben, wo er seiner Sache sich schon allzu sicher fühlteSo ließ er z.B. von einem gewissen Zeitpunkt ab die Kraftmessungen fort und beschränkte sich auf Beschleunigungsmessungen, während er zuerst zur gegenseitigen Kontrolle beide nebeneinander durchgeführt hatte. (Mém. I, p. 33.), und der Analyse seiner Versuche diente überdies ein zeichnerisches Verfahren, das Trugschlüssen recht günstig war. Von den allerdings sehr schönen, selbsttätig aufgezeichneten Schaulinien, denen er die Reibungsziffern entnahm, hat er leider keine, die sich auf Leder bezöge, veröffentlicht; wohl aber hat er einige solche bei der Akademie der Wissenschaften niedergelegt, und es verlohnte wohl einer Nachforschung, ob diese Blätter heute noch vorhanden sind. Denn spätere Untersuchungen haben gerade für Leder auf Eisen ganz auffällige Abweichungen von dem Morinschen Gesetz ergeben, die auch dem voreingenommenen Beobachter nicht leicht entgehen durften. So erzielte Leloutre, als er 25 Jahre später die Reibung von Riemen auf eisernen Scheiben mit großer Sorgfalt untersuchte, seine ziemlich einheitlichen Ergebnisse nur dadurch, daß er die Gleitgeschwindigkeit planmäßig auf äußerst geringe Werte etwa von der Größenordnung einiger Millimeter in der Minute beschränkte. Er gelangt so zu Reibungsziffern von überraschender Kleinheit bis herunter zu 0,09, ein Ergebnis, das wenigstens theoretisch von großem Interesse ist.Nach neueren physikalischen Forschungen nimmt auch die Reibungsziffer metallischer Flächen aufeinander, sofern sie sorgfältig gereinigt und getrocknet sind, mit abnehmender Geschwindigkeit immer mehr ab, derart, daß sich eine untere Grenze überhaupt nicht angeben läßt, und alles von der Schärfe der mikroskopischen Beobachtung abhängt. So beobachtete Frl. Jakob 1911 nach ihrer Königsberger Dissertation „Ueber gleitende Reibung“ Geschwindigkeiten bis herunter zu 0,0006 mm/Sek. und fand dabei für Messing auf Messing μ = 0,056. Im übrigen ergaben diese Versuche für die Abhängigkeit der Reibung von der Geschwindigkeit „zwar stets denselben allgemeinen Verlauf, aber trotz der sorgfältigsten Behandlung der reibenden Flächen erhebliche Schwankungen in den Absolutwerten“. Daß er freilich der Praxis empfahl, mit so vorsichtigen Werten zu rechnen, zeigt, daß er bezüglich der physikalischen Zuordnung von Geschwindigkeit und Reibungsziffer noch nicht klar sah. Denn wenn er auch seine Empfehlung sehr verständig mit der wirtschaftlichen Ueberlegung begründet, daß ein kaum merkliches Gleiten doch im Verlauf mehrerer Stunden schon einen beträchtlichen Schlupfverlust ausmache, so findet man doch anderseits bei ihm keinen klaren Hinweis, daß die Sicherheit des Betriebes eben infolge der erwähnten Zuordnung auch bei viel höherer Inanspruchnahme der Reibung keineswegs in Frage gestellt wird. Leloutres Bericht,Les transmissions par courroies, Lille 1883. Die Versuche über Reibung, welche etwa den vierten Teil des umfangreichen von der Société industrielle du nord de la France preisgekrönten Werkes ausmachen, datieren aus den Jahren 1867 bis 1875. der nur Reibungsziffern für sehr geringe Gleitgeschwindigkeiten enthält, wird durch Radingers bekannte KampfschriftUeber Riementriebe, D. p. J. 1878 S. 385. aufs glücklichste ergänzt. Radinger bezieht sich auf die Versuchsergebnisse einer amerikanischen Riemenfabrik, und wenn sich auch aus den mitgeteilten Zahlen weder Geschwindigkeiten noch Reibungsziffern im einzelnen entnehmen lassen, so bringen sie doch den Unterschied zwischen langsamer und schneller Gleitung recht deutlich zum Ausdruck. Es ergibt sich daraus, daß das Spannungsverhältnis der Riementrümer für glatte eiserne Scheiben bei ausgesprochener und dauernder Gleitung fünf- bis sechsmal so groß ausfällt wie bei eben beginnender Gleitung. Die volle Kenntnis des Sachverhalts finden wir bereits in mehreren amerikanischen Veröffentlichungen der damaligen Zeit klar ausgesprochen. A. S. KimballThe american journal of science and arts 1877, erster Halbjahrsband, S. 353 bis 359. legte einen Riemen über eine schmiedeeiserne Scheibe mit wagerechter Achse, befestigte das eine Ende desselben an einer Federwage und belastete das andere durch ein Gewicht. Wurde nun die Scheibe in solcher Richtung gedreht, daß die Reibung das Gewicht anzuheben suchte, so wurde die Federwage um so mehr entlastet, je größer die Umfangsgeschwindigkeit der Scheibe war. Aus einer der veröffentlichten Zahlenreihen läßt sich berechnen, daß die Reibungsziffer von 0,27 bei v = 0,002 m/Sek. auf 0,62 bei v = 1,21 m/Sek. stieg, und eine andere zeigt, daß die Reibungsziffer auch bei einer Steigerung der Geschwindigkeit bis 3 oder 4 m/Sek. noch zunahm, bei einer weiteren Steigerung bis auf 16 m/Sek. allerdings dann wieder um fast ein Drittel herunterging. Indessen sind Versuche bei so hohen Geschwindigkeiten vermutlich mancherlei störenden Einflüssen unterworfen, so daß der letzteren Erscheinung vielleicht weniger Gewicht beizulegen ist. Uebrigens dürften wohl Gleitgeschwindigkeiten von mehreren Metern zwischen Leder und Eisen praktisch auch kaum vorkommen. Ebenso folgte aus Versuchen, die S. W. Holman 1882 anstellte und über die Gaetano Lanza im 7. Band der Transactions of the American Society of Mechanical Engineers berichtetCooper, Use of belting, 5. Auflage, S. 318., daß die Reibungsziffer bei ganz geringer Geschwindigkeit – man denke an Leloutres Versuche – 0,12 betrug, bei 1,5 cm Gleitgeschwindigkeit pro Sekunde dagegen schon 0,27 und bei 1 m Gleitgeschwindigkeit etwa 0,53. Lanza zieht auch schon die Folgerung, daß die Wahl der Reibungsziffer beim Entwerfen eines Riementriebes davon abhängen muß, welchen Schlupf man zulassen will. Er ist der Meinung, daß man etwa bei 7,5 m/Sek. Riemengeschwindigkeit nicht mehr als 2 cm/Sek. Schlupf zulassen sollte, und spricht sich aus diesem Grunde gegen Briggs und T o w n e aus, die auf Grund ihrer Versuche 1868 empfohlen hatten, mit μ = 0,42 zu rechnen. Towne hat dann in einer Zuschrift den Gründen Lanzas für eine vorsichtigere Berechnung im wesentlichen beigepflichtet. Auch Wilfred LewisCooper, Use of belting, 5. Auflage, S. 315. bestätigt kurz darauf an derselben Stelle das Ansteigen der Reibungsziffer von Leder auf Eisen mit der Gleitgeschwindigkeit und bringt weiteres Zahlenmaterial auf Grund von Versuchen von Sellers Bancroft bei, das sich besonders durch die hohen Werte der Reibungsziffern von Lanzas Feststellungen unterscheidet. Sie stiegen bei Anwendung eines damals verbreiteten Riemenfetts bis auf 1,37 und 1,44, was, wie man leicht nachrechnen kann, bei halbumfaßten Scheiben einem Verhältnis der freien Trumkräfte k = 92 entspricht. Vermutlich waren sehr geringe Flächendrucke angewendet worden, und ebenso ist anzunehmen, daß Kimball und Holman mit sehr trockenen Riemen gearbeitet haben.Lewis sagt u.a.: „The velocity of sliding, which may be assumed in selecting a proper coefficient, is directly proportional to the belt speed, and may be safely estimated at 0,01 of that speed.“ „The conclusion to be drawn from this series of experiments is the great importance of high speed in the economy of belt transmission. The friction of belts on pulleys is evidently dependent of the velocity of sliding, and, as a general rule, the greater the velocity the greater the friction“.Bedeutsam ist noch eine ganz anspruchslose Mitteilung von F. GessertD. p. J. Bd. 291, S. 216. Die Beziehung des Reibungskoeffizienten zur Geschwindigkeit., die 1894 in dieser Zeitschrift erschien und so recht zeigt, daß wissenschaftlicher Sinn und induktiver Forschergeist mit den allereinfachsten Hilfsmitteln zu wichtigen Erkenntnissen vorzudringen vermag. Gessert ist wohl der erste, der den Einfluß der Gleitgeschwindigkeit auf das Spannungsverhältnis gewickelter Zugorgane in eine mathematische Formel brachte, übrigens in eine Formel, die mit von Bachs und den unten mitgeteilten Zahlen leidlich übereinstimmt. Seine Gerätschaften bestanden in einem festgelegten Zylinder, einem darum geschlungenen Wollfaden und einigen kleinen Gewichten, ein Instrumentarium, das ihm genügte, um folgendes festzustellen: „Bei einer bestimmten Ueberlastung auf der einen Seite gleitet der Faden mit zunehmender Geschwindigkeit über den Zylinder, bis eine gleichförmige Bewegung dadurch eintritt, daß der Reibungswiderstand dem Uebergewicht gleich geworden ist. Vergrößert man das Uebergewicht, so wächst die Geschwindigkeit der gleichförmigen Bewegung.“ Er findet, daß die Geschwindigkeit etwa mit der vierten Potenz des Uebergewichtes steigt, und schließt mit den Worten: „Bei einer genauen Angabe eines Reibungskoeffizienten ist deshalb die Mitteilung der Geschwindigkeit erforderlich, bei der der Versuch stattfand“. Vor nunmehr zwanzig Jahren beginnt dann wenigstens in Deutschland der Tiefstand der Riemenforschung einzusetzen, der von einer um so weitschichtigeren phantastischen Literatur begleitet wird. Aus dem unbefangenen Bekenntnis des tonangebenden Händlers, daß er seinerseits keinen Grund einsehe, warum man mit der Riemengeschwindigkeit nicht auf 500 m/Sek. heraufgehen solleMitteilungen des Verbandes der Ledertreibriemenfabrikanten Deutschlands 1912, S. 108.), ist in einem von der Göttinger Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Sammelwerk bereits die Behauptung geworden, daß „die durch einen Riemen übertragbare Leistung ... bei gelegentlichen Versuchen mit Geschwindigkeiten bis zu 500 m/Sek. auch noch nicht Null wurde“Encyklopädie der mathematischen Wissenschaften, Bd. 4, 10, R. v. Mises, Dynamische Probleme der Maschinenlehre, S. 304.. In diesen Zeitraum fallen denn auch die reich subventionierten Charlottenburger Versuche, die bekanntlich mehrfach μ = ∞ ergeben haben.D. p. J. 1913, S. 685, 687 und 767. ––––– In einem Vortrag vor dem Verband der Treibriemenfabrikanten Rheinlands und Westfalens hatte ich am 11. März v. J. den in Abb. 1 dargestellten Apparat vorgeführt. Er zeigt sehr überraschend, daß ein beledertes Gewicht auf einer schiefen Ebene abwärts gleitend bei nicht allzu großen Neigungen sehr schnell eine Beharrungsgeschwindigkeit annimmt, und daß die Beharrungsgeschwindigkeiten mit den Neigungen wachsen. Natürlich muß aber die schiefe Ebene für jede zu erreichende Beharrungsgeschwindigkeit eine gewisse Mindestlänge haben, und so reichte denn die Beweiskraft des Apparates in Abb. 1, dessen Bahn eine sogen. Ziehklinge von 26 cm Länge bildete, nicht sehr weit, denn nur insofern Beharrung eintritt oder die Beschleunigung doch wenigstens vernachlässigt werden kann, ist die Neigung der Bahn ein unmittelbares Maß für die Reibung, nur in diesem Fall gilt natürlich die aus der Statik bekannte Beziehung μ = tg α. Textabbildung Bd. 329, S. 275 Abb. 1. Es wurde deshalb alsbald eine Vorrichtung ähnlicher Art in erheblich größerem Maßstab hergestellt, bei der statt der Ziehklinge ein sauber geschlichtetes eisernes Lineal von 2590 mm Länge und 70 mm Breite verwendet wurde, das auf einem hölzernen Balken lag. Die kreisförmige Lederscheibe von 60 mm ⌀ war in eine Messingplatte eingelassen, und auf dem Mittelpunkt dieser Platte ruhte mittels eines kleinen Kugelgelenks ein Bügel mit zwei seitlichen Bleigewichten, durch deren Auswechslung der Druck der reibenden Flächen sehr bequem in weiten Grenzen verändert werden konnte. Der Bügel war bei den zunächst beschriebenen Versuchen noch mit einem Schwanz versehen, der mit zwei kleinen Laufrädern auf dem Lineal lief, so daß die Last in drei Punkten unterstützt wurde und nicht ausschließlich auf das Kugelgelenk wirkte. Mit diesem Apparat fanden H. Wöllmer und ich z.B. am 1. April 1913 bei 4 kg Belastung folgende Zahlenreihe: Neigung Fallraum Fallzeit Mittl. Geschwindigkeit α = tg α = S = T = \frac{\mbox{S}}{\mbox{T}}= 12° 0,213     50 mm 176  Sek.     0,28 mm/Sek. 15° 0,268   200   „ 266    „     0,75      „ 20° 0,364 2160   „ 560    „     3,9        „ 25° 0,466 2160   „ 283    „     7,6        „ 30° 0,577 2160   „   98    „   22           „ 35° 0,700 2160   „   43,3 „   50           „ 40° 0,839 2160   „   22,0 „   98           „ 45° 1,000 2160   „   10,2 „ 212           „ Damals war auch eine einfache Registrierung vorgesehen, derart, daß der Schlitten oder Wagen einen Morsestreifen hinter sich herzog, der in regelmäßigen Zeitabständen von 0,6 Sekunden eine Marke erhielt; die Absicht war dabei, nicht nur die mittlere Geschwindigkeit festzustellen, sondern auch den Verlauf der Bewegung zu verfolgen. Indessen erwies sich diese Registrierung einerseits als zu roh für den beabsichtigten Zweck und andrerseits wohl auch als überflüssig. Im nachstehenden wird nämlich gezeigt, daß eine Zahlenreihe wie die vorstehende wenigstens in ihrem Zusammenhang doch bereits recht genaue Schlüsse über den Verlauf auch der schnelleren Bewegungen ermöglicht. Die einzigen Voraussetzungen, die dabei gemacht werden müssen, sind die, daß erstens jeder Geschwindigkeit eine bestimmte Reibungsziffer entspricht, wenn sie sich auch in gewissen Gebieten noch so schnell verändern mag, und zweitens, daß nirgends zu einer höheren Geschwindigkeit eine niedrigere Reibungsziffer gehört. Aus diesen Voraussetzungen folgt, daß die Geschwindigkeit während des ganzen Verlaufs der Bewegung nie abnehmen, und die Beschleunigung nie wachsen kann, Nehmen wir noch hinzu, daß die Beschleunigung selbstverständlich nie größer sein kann, als sie es bei fehlender Reibung sein würde, so können wir schon eine ganze Reihe von Aussagen über die Bewegung auf der schiefen Ebene machen und zwar wollen wir sie, insoweit das bequemer scheint, geometrisch einkleiden, indem wir die noch unbestimmte Bewegung durch eine sogenannte Zeit-Geschwindigkeits-Linie dargestellt denken, in welcher die Abszissen die Zeiten seit Beginn der Bewegung, die Ordinaten die erlangten Geschwindigkeiten, die Steigungen der Tangenten die Beschleunigungen und die mit der Abszissenachse eingeschlossenen Flächen die Fallräume darstellenTaschenbuch der Hütte, 1. Band. Phoronomie, Bewegung eines Punktes.. Diese Linie hat in unserem Fall jedenfalls folgende Eigenschaften: sie geht durch den Koordinatenanfang, ist nirgends nach oben konkav und nirgends fallend, und zwischen ihr, der Abszissenachse und der Ordinate bei t = T ist ein Flächenstück S eingeschlossen. Endlich ist die Steigung der Tangente \frac{d\,v}{d\,t} im Koordinatenanfang jedenfalls nicht größer als g sin a. Die Fragestellung ist dann: welche Tangentensteigung kann bei einer solchen Linie zu einer gegebenen Ordinate v höchstens gehören? Zunächst ist ohne weiteres einzusehen, daß die höchste überhaupt mögliche Geschwindigkeit auftritt, wenn die Fläche S die Gestalt eines Dreiecks annimmt. Dann ist die Bewegung während des ganzen Verlaufs gleichförmig beschleunigt, die Endgeschwindigkeit \frac{2\,S}{T} und die Beschleunigung \frac{2\,S}{T^2}. Noch unmittelbarer ist einzusehen, daß die erreichte Endgeschwindigkeit unter allen Umständen größer sein muß, als die mittlere Geschwindigkeit \frac{S}{T} der ganzen Bewegung. Wir können also die Fragestellung von vornherein auf Geschwindigkeiten zwischen \frac{S}{T} und \frac{2\,S}{T} beschränken. Ferner ist klar, daß man die größte Beschleunigung, die bei einer solchen Geschwindigkeit aufgetreten sein kann, unter der Voraussetzung erhält, daß bis zu dieser Geschwindigkeit die Bewegung gleichförmig beschleunigt war. Die obere Grenze für die Beschleunigung entsteht nämlich dadurch, daß bis zur Erreichung der betreffenden Geschwindigkeit nicht etwa schon ein so großer Weg zurückgelegt sein darf, daß selbst ohne weitere Geschwindigkeitszunahme der gesamte Fallraum S in einer kürzeren Zeit als der beobachteten Fallzeit T durchmessen sein würde. Während nun eine zunehmende Beschleunigung durch die theoretischen Voraussetzungen ausgeschlossen ist, kann auf der andern Seite auch ein Abnehmen der Beschleunigung vor Erreichung der betreffenden Geschwindigkeit nicht der gesuchten Bewegung entsprechen. Denn alsdann wäre es möglich, die betreffende Geschwindigkeit zur nämlichen Zeit bei einer konstanten mittleren Beschleunigung zu erreichen, und es würde also im Augenblick, wo die Geschwindigkeit erreicht wird, eine höhere Beschleunigung vorhanden sein, als bei der oben angenommenen Bewegung. Zugleich wäre aber sogar der bis dahin zurückgelegte Weg noch kleiner, als bei der oben angenommenen Bewegung, so daß der Verwendung der übrig bleibenden Zeit auf den übrig bleibenden Weg nichts entgegenstände. Steht somit fest, daß die größte Beschleunigung bei irgend einer Geschwindigkeit v durch einen Bewegungsverlauf ermöglicht wird, bei dem sie von Anfang an vorhanden ist, so ist nunmehr auch ihr Wert und der ganze Bewegungsverlauf durch eine einfache Betrachtung zu erhalten: diese Beschleunigung darf nämlich, wie bereits angedeutet, höchstens so groß sein, daß bei weiterhin konstant beibehaltener Geschwindigkeit der gesamte Fallraum S schließlich gerade in der beobachteten Zeit T zurückgelegt ist. Die Zeit-Geschwindigkeits-Linie besteht also bei der gesuchten besonderen Bewegung aus zwei geraden Stücken, deren eines durch den Koordinatenanfang geht, während das zweite parallel der Abszissenachse ist, und für den Knickpunkt A der so entstehenden gebrochenen Linie OAB (Abb. 2), liefert der Umstand, daß das Viereck OABCO den gegebenen Flächeninhalts S haben muß, einen geometrischen OrtDiese Abbildung konnte einem früheren Aufsatz des Verfassers in den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes 1899 „Ueber Bemessung von Motoren usw.“ entnommen werden, wo es ebenfalls galt, „zur Grundlage der Berechnung ein Zeitmaß zu machen, innerhalb dessen die Bewegung ausgeführt sein soll“. Dort traf dasselbe zu wie hier: „an eine Periode gleichmäßig beschleunigter Bewegung, die Anlaufperiode, schließt sich eine zweite mit gleichbleibender Geschwindigkeit, die Beharrungsperiode, und die Unbestimmtheit der Bewegungsform bezieht sich nur auf die Einteilung der gesamten Bewegungsdauer in diese beiden Perioden.“. Nennt man die Koordinaten des Knickpunktes t1 und v1 so ist S=\frac{v_1\,t_1}{2}+v_1\,(T-t_1) und v_1=\frac{2\,S}{2\,T-t_1} die Gleichung einer gleichseitigen Hyperbel A'AA'', deren eine Asymptote die Abszissenachse ist. Textabbildung Bd. 329, S. 276 Abb. 2. Um also zu entscheiden, welche größte Beschleunigung oder welche kleinste Reibungsziffer mit einer gegebenen Geschwindigkeit v1 zwischen v=\frac{S}{T} und v=\frac{2\,S}{T} etwa mit v_1=\frac{S}{T}\,(1+\varepsilon) verträglich ist, suchen wir den Punkt mit der Ordinate \frac{S}{T}\,(1+\varepsilon) auf dieser Hyperbel und finden für ihn: \frac{S}{T}\,(1+\varepsilon)=\frac{2\,S}{2\,T-t_1} t_1=\frac{2\,T\,\varepsilon}{1+\varepsilon} . . . . (1) und die Beschleunigung, mit welcher die Geschwindigkeit \frac{S}{T}\,.\,(1+\varepsilon) erreicht wird, p_1=\frac{S}{T}\,(1+\varepsilon)\,:\,\frac{2\,T\,\varepsilon}{1+\varepsilon}=\frac{2\,S}{T^2}\,.\,\frac{(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon};\ (0\,<\,\varepsilon\,<\,1) . . (2) Führen wir noch das Verhältnis σ des beobachteten Fallraumes zu demjenigen ein, der in der gleichen Zeit auf derselben Neigung bei fehlender Reibung zurückgelegt wird, so haben wir p_1=g\,\sin\,\alpha\,.\,\frac{\sigma\,.\,(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon} . . . (3) wo natürlich auch σ ein echter Bruch ist. Da übrigens die Beschleunigung keinesfalls größer als g sin a sein kann, so sind σ und ε durch die Ungleichung \frac{\sigma\,(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon}\,<\,1 verbunden, die für ε einen kleinsten Wert liefert, und nur zwischen diesem Wert und ε = 1 hat die Hyperbel tatsächliche Bedeutung. Kleinere Geschwindigkeiten, als diesem ε entsprechen, können nicht Höchstgeschwindigkeit der unbestimmten Bewegung sein. So war z.B. am 1. April 1913 bei a = 45° \sigma=\frac{2,160\,m}{360,8\,m}=0,006, woraus sich εmin = 0,0015 und νmin = 1,0015 . 212 mm/Sek. ergibt. Der Zusammenhang zwischen Beschleunigung und Reibungsziffer ist nun bekanntlich \mu=\mbox{tg}\,\alpha\,\left(1-\frac{p}{g\,\sin\,\alpha}\right) . . . . (5) und wir erhalten also mittels der Gleichung (3) als kleinstmögliche Reibungsziffer bei einer Geschwindigkeit \frac{S}{T}\,.\,(1+\varepsilon) \mu=\mbox{tg}\,\alpha\,\left[1-\sigma\,\frac{(1+\varepsilon)^2}{4\,\varepsilon}\right] . . . . (6) Für den eben erwähnten Versuch ergibt sich z.B. wegen σ = 0,006 mit ε = 1 ν = 424 mm/Sek., μ = 0,994, ε = ⅕ ν = 254 μ = 0,989, ε = 1/25 ν = 220 μ = 0,960. Eine obere Grenze für die Reibungsziffer läßt sich in diesen Fällen freilich nicht angeben. Bei Geschwindigkeiten unter 1,0015 . 212 mm/Sek. kann umgekehrt eine untere Grenze für μ aus den vorstehenden Betrachtungen nicht abgeleitet werden, dagegen ist bei ihnen eine Ueberschreitung des Wertes μ = 1 ausgeschlossen. Bei höheren Geschwindigkeiten als 212 mm/Sek. könnte es verwunderlich erscheinen, daß trotz der. Unsicherheit, ob die betreffende Geschwindigkeit überhaupt erreicht wurde, dennoch ein bestimmter Mindestwert für die ihr entsprechende Reibungsziffer aus dem Versuch abgeleitet wird. Man muß aber überlegen, daß die Voraussetzungen für alle Geschwindigkeiten gemacht wurden. Indessen kann man die. Bewegung bei irgend einer Neigung der schiefen Ebene noch viel genauer analysieren, wenn man auch die Daten zu. Hilfe nimmt, die sich bei den geringen Neigungen ergeben haben. So folgt z.B. aus dem ersten Versuch vom 1. April 1913, daß die Reibungsziffer bis zu v = 0,28 mm/Sek. nicht über 0,213 hinausgegangen sein kann, aus dem zweiten, daß sie bis zu v = 0,75 mm/Sek. 0,268 nicht überschritten haben kann usw. Daraus folgt dann aber, daß die Geschwindigkeit v = 0,28 mm/Sek., v = 0,75 mm/Sek. usw. bei dem letzten Versuch innerhalb gewisser Zeiten t0,28, t0,75 usw. erreicht sein müssen, die sich folgendermaßen schrittweise berechnen t_{0,28}=\frac{0,00028}{9,81\,.\,0,707\,(1-0,213)}=0,00005\mbox{ Sek.} t_{0,75}=0,00005+\frac{0,00075-0,00028}{0,81\,.\,0,707\,(1-0,268)}=0,00014\mbox{ Sek.} t_{3,9}=0,00014+\frac{0,0039-0,00075}{9,81\,.\,0,707\,(1-0,364)}=0,00084\mbox{ Sek.} und man findet so schließlich, daß die Geschwindigkeit ν = 98 mm/Sek. spätestens nach 0,124 Sek. erreicht sein muß, und ähnlich, daß der Fallraum, der bei Erreichung dieser Geschwindigkeit durchmessen ist, höchstens 16,7 mm betragen kann. Man kann nun für den letzten Teil der Bewegung von ν = 98 mm/Sek. an genau dieselbe Betrachtung anstellen, wie sie oben an Hand der Abb. 2 erfolgte. Die Abb. 2 verliert nämlich keineswegs ihre Bedeutung, wenn die Anfangsgeschwindigkeit von 0 verschieden ist, und weiterhin in einer gegebenen Zeit \overline{T} eine gegebene Strecke \overline{S} zurückgelegt werden soll. Man kann einfach davon ausgehen, daß bei Fortbestehen der Anfangsgeschwindigkeit v0 in der Zeit \overline{T} ein Weg ν0 \overline{T} zurückgelegt werden würde, und braucht also an der Abb. 2 überhaupt nichts zu ändern, als daß man den die Hyperbel bestimmenden- Flächenraum gleich \overline{S}-v_0\,\overline{T} macht, im vorliegenden Fall also (2160 – 16,7) – 98 . (10,2 – 0,124) = 1156 mm. Somit wird hier \sigma=\frac{2\,.\,1,156}{9,81\,.\,10,08^2}=0,0023 und infolgedessen mit den Annahmen ε = 1 ν = 98+ (212 – 98) (1 + 1) = 326 mm/Sek.; μ = 0,998 ε = ⅕; ν = 98 + (212 – 98) (1 + ⅕) = 235 mm/Sek.; μ = 0,996 ε = 1/25; ν = 98 + (212 – 98) (1 + 1/25) = 217 mm/Sek.; μ = 0,984 Es würde also bei dieser Berechnung die Unsicherheit über die Art des Bewegungsvorganges nur noch einen recht geringen Einfluß auf das Ergebnis haben, und die Versuche auf den geringeren Neigungen liefern den Beweis, daß kein Bedenken besteht, bei einer Fallzeit von etwa 10 Sekunden die trigonometrische Tangente der Bahnneigung als die Reibungsziffer bei der mittleren Geschwindigkeit \frac{S}{T} anzusehen. Bei kürzeren Fallzeiten bleibt freilich der Verlauf der Bewegung unbestimmt, und es erschien deshalb doch eine selbsttätige Aufzeichnung des Vorganges sehr erwünscht, um so mehr, als wohl nur auf diesem Wege Störungen und Ungleichmäßigkeiten auch der langsamen Bewegungen, die ab und zu wahrnehmbar waren, quantitativ festgestellt werden konnten. Ich habe schließlich für diese Aufzeichnungen ein Verfahren angewendet, das bei seiner Einfachheit und Genauigkeit gewiß auch über den Zweck der vorliegenden Arbeit hinaus Interesse finden wird. Ich befestigte an dem gleitenden Körper, dem „Läufer“, eine kleine Kohlenfadenlampe für 2,5 Volt und 0,3 Amp., die durch einen von der Decke herabhängenden dünnen Draht gespeist wurde. Im Stromkreis befand sich ein Unterbrecher in Gestalt einer an einem Ende eingespannten wagerechten Feder, die in lotrechte Schwingungen versetzt wurde und bei jeder Ausschwingung nach unten während einer halben Periode einen Quecksilberkontakt schloß. Die Lampe leuchtete infolgedessen bei der Bewegung strichweise auf, und es erübrigte nur, die Erscheinung photographisch festzuhalten. Zur bequemen Auswertung der Aufnahmen war die Bahn mit einem Maßstab versehen, der schließlich bei unverrückter Kamera und geeigneter Beleuchtung besonders aufgenommen wurde. Das Verfahren bot bei zehn Unterbrechungen in der Sekunde noch so wenig Schwierigkeiten, daß seine Verwendbarkeit auch für größere Geschwindigkeiten und Genauigkeiten, als ich sie brauchte, außer Frage stehen dürfte. (Fortsetzung folgt.)