Titel: Ueber die Reibung von Leder auf Eisen.
Autor: R. Skutsch
Fundstelle: Band 329, Jahrgang 1914, S. 355
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Ueber die Reibung von Leder auf Eisen. Von Professor Dr.-Ing. R. Skutsch. (Schluß von S. 346 d. Bd.) SKUTSCH: Ueber die Reibung von Leder auf Eisen. Bei dem Ansehen, welches die Morinschen Versuche noch immer genießen, hat wohl der vorliegende Beitrag zur Frage der Reibungsziffern eine gewisse theoretische Bedeutung, wenn es auch vorläufig nicht gelingen sollte, eine physikalische Erklärung für das beobachtete merkwürdige Verhalten des reibenden Leders zu finden. Eben dieser theoretischen Bedeutung wegen schien es tnir wichtig, die Versuche in rein physikalischer Gestalt durchzuführen und technische Anordnungen wie Riemen und Riemenscheiben bei Seite zu lassen. Daneben ist das photographische Registrierverfahren, das ich bei meiner Untersuchung mit so gutem Erfolg angewendet habe, und das gewiß noch sehr vervollkommnungsfähig ist, sicherlich an und für sich beachtenswert. Vor allem aber scheint Hoffnung zu sein, daß sich an die gewonnene Erkenntnis technische Fortschritte werden knüpfen lassen, indem man die hohe und mit der Geschwindigkeit steigende Reibung des Leders auf glatten Flächen planmäßig für Regulatoren, Bremsen und Triebwerke nutzbar macht. An dieser Stelle will ich mich darauf beschränken, einige Folgerungen für die Theorie der Riementriebe anzudeuten, welche letzteren ja auch den Anlaß zu den einschlägigen Untersuchungen gegeben haben. Zunächst muß die Vorstellung aufgegeben werden, als ob der Uebergang von der partiellen Gleitung zur totalen eine kritische Belastung darstellte, die nicht überschritten werden könnte. Noch kürzlich hatte BrauerZ. d. V. d. I. 1908, S. 966. dieser Vorstellung mit den Worten Ausdruck gegeben, es sei dann die Kraftreserve des Riementriebes erschöpft, die geringste weitere Steigerung der Belastung sei mit unzulässiger Gleitung verbunden und könne den Riemen zum Abfallen bringen. In Wirklichkeit ist diese Grenze, weit entfernt sich störend bemerklich zu machen, vielmehr so schwer festzustellen, daß die bisher aufgenommenen Kurven von Schlupf und Wirkungsgrad den schwachen Knick, der den Uebergang von der partiellen zur totalen Gleitung und wahrscheinlich zugleich den höchsten Wirkungsgrad immerhin kennzeichnen müßte, überhaupt nicht anzeigen. Man kann den betreffenden Punkt der Schlupfkurve nur daran mit einiger Sicherheit erkennen, daß sie bei partieller Gleitung entsprechend dem Hookeschen Gesetz fast genau linear mit der Nutzkraft ansteigt, bei totaler hingegen entsprechend der oben gefundenen Abhängigkeit nach einer höheren PotenzMan vergleiche etwa das Diagramm von Niethammer und Czepek, Z. d. V. d. I. 1908, S. 671.. Ob die in diesen Verhältnissen begründete starke Ueberlastungsfähigkeit der Riementriebe so ganz unbedingt als Vorteil zu buchen ist, mag dahingestellt bleiben, jedenfalls ist nicht zu verkennen, daß zu schwach vorgespannte Riementriebe dauernd unbemerkt mit großen Schlupfverlusten arbeiten könnenIn einem Aufsatz „Riementrieb, Luftdruck und Reibungselektrizität“ im Jahrgang 1913 der Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes habe ich über Versuche berichtet, bei denen absichtlich mit sehr hohem Schlupf gearbeitet wurde. Wilfred Lewis (s. Anm. 9) hält einen Schlupf bis zu 20 v. H. für möglich.. Soweit bei wichtigen Trieben nicht etwa Belastungsspannung angewendet wird, sollte man also auf dauernde Kontrolle des Schlupfes bedacht sein. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus ist ein Betrieb mit erheblicher Gleitung selbstverständlich nicht zu rechtfertigen, weil der Vorteil der Achsdruckverminderung den Schlupfverlust nicht wettmachen kann und der geringeren Verzinsung eines zu sparsam bemessenen Riemens infolge des schnelleren Verschleißes eine höhere Amortisation gegenüberstehen würde, v. Bach, dessen Versuche am Eingang dieser Abhandlung genannt wurden, rechnet infolgedessen ebenso wie Wilfred Lewis für alle Geschwindigkeiten mit 1 v. H. Schlupf, was wohl den Verhältnissen der Praxis entsprechen dürfte; er sieht wie Lewis in der Zunahme der Reibungsziffer mit wachsender Gleitgeschwindigkeit den Grund für ein Wachsen der übertragbaren Kraft mit der Riemengeschwindigkeit „insoweit sie nicht durch die Fliehkraft vermindert wird“. Es erscheint aber angesichts der Verwirrung, die die neueren, mit den Elementen der Mechanik gänzlich unvereinbaren Auslassungen von Gehrckens allerorten angerichtet haben, sehr wichtig, alsbald planmäßig zu prüfen, welche Bedeutung dem Vorbehalt zukommt; und zwar will ich dazu v. Bachs eigene Zahlen benutzen. v. Bachs Werte für das Spannungsverhältnis k steigen fast genau linear mit der Riemengeschwindigkeit V, und zwar kann man in dem ganzen Gebiet zwischen V = 2 m/Sek. und V = 50 m/Sek. setzen k = 0,263 V + 1,344. Der Faktor \frac{k-1}{k}, von Boesner „Ausbeute“ genannt, nämlich das Verhältnis der Nutzkraft zur „freien“ Kraft im führenden Trum, steigt danach um 2,5 v. H., wenn V von 17 m/Sek. auf 20 m/Sek. erhöht wird. Ist nun andrerseits V0 diejenige Geschwindigkeit, bei welcher die Fliehkraft allein den Riemen bis zur zulässigen Beanspruchung spannen würde, so ist für jede Geschwindigkeit V die Differenz V02 – V2 ein Maß für die genannte freie TrumkraftDie Theorie der Fliehkraftwirkung darf als bekannt vorausgesetzt werden; sie stammt wohl von Rankine (Engineer 1869, erster Halbjahrsband, S. 165).. Diese Differenz sinkt aber für V0 = 70 m/Sek., wenn V von 17 m/Sek. auf 20 m/Sek. gesteigert wird, um 2,4 v. H., so daß schon zwischen diesen beiden Geschwindigkeiten die Nutzkraft nicht mehr wächst. Während also Radingers Lehre, daß Riemen schon bei mäßiger Geschwindigkeit besser „durchziehen“, als bei ganz langsamem Lauf, und allenfalls auch Gehrckens' Tabelle von 1893, die nur bis V = 25m/Sek. reichte, in dem Ansteigen der Reibungsziffer ihre Begründung finden, so kann doch nicht entfernt davon die Rede sein, als ob derselbe Umstand auch für die späteren Gehrckensschen Hypothesen bezüglich höherer Riemengeschwindigkeiten irgendwelche Stütze abgeben könnte. Wie wenig das der Fall ist, zeigt besonders eine ähnliche Rechnung über die Nutzleistungen, die noch einem dritten Faktor V proportional sind, also durch das Produkt \frac{k-1}{k}\,({V_0}^2-V^2)\,.\,V gemessen werden. Ist die „Ausbeute“ \frac{k-1}{k}, wie man bisher gewöhnlich annahm, konstant, so wird dieses Produkt, wie Grashof zeigte, ein Maximum für V = 0,577 V0 und es ist insbesondere für V0 = 70 m/Sek. die „günstigste“ Riemengeschwindigkeit, d.h. diejenige, bei der ein Riemen von gegebener Breite die größte Leistung überträgt, 40,4 m/Sek. Nach der oben angegebenen Formel für k dagegen würde die „Ausbeute“ von 0,916 bei 40 m/Sek. auf 0,921 bei 43 m/Sek, also um 0,55 v. H. steigen, während gleichzeitig das Produkt der beiden anderen Faktoren von (4900 – 1600) ∙ 40 = 132000 auf (4900 – 1849) ∙ 43 = 131190 oder um 0,61 v. H. abnimmt. Die günstigste Geschwindigkeit liegt also jetzt zwischen 40 und 43 m/Sek., etwa bei 41,5 m/Sek., sie ist gegen Grashofs Berechnung um rund 1 m/Sek. heraufgerückt! Ich habe übrigens schon vor Jahresfrist in einer Diskussion, die sich an einen Vortrag „Ueber Riementriebe, Tatsachen und Meinungen“ knüpfte, gegenüber anderweiten Vermutungen betont, daß eine mit der Geschwindigkeit steigende Ausbeute die Verhältnisse im Gebiet sehr hoher Geschwindigkeiten nicht mehr wesentlich verschieben kann„Technische Mitteilungen“ des Westfälischen Bezirksvereins Deutscher Ingenieure 1913, Heft 3.. Denn ohne Frage ist die Ausbeute schon bei den längst üblichen Geschwindigkeiten so günstig, daß eine weitere Steigerung in dieser Hinsicht keinen nennenswerten Gewinn mehr bringt. Fassen wir nunmehr das zweite Hauptergebnis der vorstehend beschriebenen Versuche ins Auge, wonach die Reibungsziffer auch vom Flächendruck nicht unerheblich abhängt und z.B. gemäß Abb. 10 auf das anderthalbfache steigt, wenn der Flächendruck auf ein Drittel vermindert wird. Es ist wohl ohne weiteres klar, daß unter diesen Umständen große Riemenscheiben ein höheres Spannungsverhältnis liefern müssen als kleine, eine Tatsache, die zwar heute allgemein bekannt ist, für die aber bisher noch keine befriedigende Erklärung gegeben werden konnte. Ich will versuchen, auch den Einfluß des Scheibendurchmessers auf die Nutzkraft an Hand meiner Versuche zahlenmäßig zu schätzen. Zwischen der freien Trumkraft t, die an irgend einer Stelle des Scheibenumfanges auf den Zentimeter Riemenbreite entfällt, und dem Flächendruck p an dieser Stelle besteht die Beziehung p=\frac{t}{r}. wo r den Scheibenhalbmesser in Zentimetern bedeutet. Wir können somit unter vorsichtiger Benutzung der in Abb. 10 dargestellten Verhältnisse die Reibungsziffer bei einer bestimmten Gleitgeschwindigkeit annähernd proportional \sqrt[3]{\frac{r}{t}} setzen. Verfolgen wir aber die Reibung längs des Scheibenumfanges, so haben wir auch noch der veränderlichen Geschwindigkeit Rechnung zu tragen, mit welcher der Riemen seiner jeweiligen Dehnung entsprechend auf der Scheibe gleitet. Hierbei kann man sich insbesondere an der getriebenen Scheibe den Fall vorstellen, daß die Gleitung gerade proportional der freien Trumkraft ist; es ist das offenbar ein Zustand, bei welchem bereits, wenn auch in sehr geringern Maße, eine totale Gleitung auf dem ganzen Umfang eingesetzt hat. In diesem Fall ist die Gleitgeschwindigkeit v=\frac{t}{E\,\delta}\,.\,V, wo E der Elastizitätsmodul, δ die Riemendicke und V die Riemengeschwindigkeit ist. Die Reibungsziffer wurde nun früher bei einem bestimmten Flächendruck gleich 0,28+0,54\,\sqrt[3]{v} gefunden; wir können sie also hier vielleicht zu einer Ueberschlagsrechnung auch proportional einem Ausdruck \frac{1}{2}+\sqrt[3]{v}=\frac{1}{2}+\sqrt[3]{\frac{V}{E\,\delta}}\,\sqrt[3]{t} setzen, oder wenn wir eine Beispielrechnung etwa mit K = 20 m/Sek. und E δ = 1500 kg/cm durchführen wollen, proportional einem Ausdruck 2,1+\sqrt[3]{t}. Der veränderliche Flächendruck und die veränderliche Gleitgeschwindigkeit am Umfang der Scheibe würden also beide in unserem Beispiel etwa zum Ausdruck kommen, indem man setzt \mu=\mbox{konst.}\,(2,1+\sqrt[3]{t})\,\frac{\sqrt[3]{r}}{\sqrt[3]{t}} und zwar wird man die Konstante etwa mit 0,06 ansetzen dürfen. Nun gilt bekanntlich für die Zunahme der Riemenkraft auf einem Umfangsbogen r d α die Gleichung d t = μ t d α, und wenn wir hierin den Ausdruck für μ. eintragen, erhalten wir \frac{d\,t}{(2,1+\sqrt[3]{t})\,\sqrt[3]{t^2}}=0,06\,\sqrt[3]{r}\,d\,\alpha oder nach leichter Integration \mbox{log nat}\,(2,1+\sqrt[3]{t})=0,02\,\sqrt[3]{r}\,\alpha+\mbox{konst.} Das Integral ist zwischen den Grenzen α = 0 und α = π zu nehmen, für α = π liegt sein Wert durch die zulässige Spannung fest und gestattet die Integrationskonstante zu bestimmen. Setzen wir die zulässige freie Kraft im führenden Trum für einen einfachen Riemen bei V = 20 m/Sek. gleich 12 kg/cm, so haben wir \mbox{log nat}\,(2,1+2,29)=0,02\,\sqrt[3]{r}\,.\,\pi+\mbox{konst.}, woraus sich die Konstante für verschiedene Werte des Scheibenhalbmessers folgendermaßen ergibt: für r =   25 cm konst. = 1,295   50 cm 1,247   75 cm 1,214 100 cm 1,187 Alsdann berechnen sich aber die Spannungen beim Auflauf mit α = 0 zu 3,7 bzw. 2,6 bzw. 2,0 bzw. 1,6 kg/cm, und die Nutzkraft wird bei r =   25 cm kn = 12 – 3,7 =   8,3 kg/cm   50 cm 12 – 2,6 =   9,4 kg/cm   75 cm 12 – 2,0 = 10,0 kg/cm 100 cm 12 – 1,6 = 10,4 kg/cm Auch ein anderer Umstand mag hier mitwirken, dessen Bewertung freilich nicht leicht sein würde. Wächst nämlich die Reibungsziffer mit Zeit oder Weg der bereits erfolgten Gleitung, wie das die photographischen Aufnahmen vom 22. Januar 1914 andeuten, so kommt das wiederum in steigendem Maße den großen Scheiben zu gute. Allerdings sind Weg und Zeit beim Passieren einer Scheibe nur sehr kurz, so daß die Reibungsziffer bei kleinen Scheiben und großer Riemengeschwindigkeit vielleicht die Werte meiner Versuchsreihen nicht erreichen wird, zumal die innige Anschmiegung des Leders, die bei den Versuchen mit einer Lederscheibe zur dauernden Bildung eines Spiegels führt, beim Riementrieb immer wieder unterbrochen wird und sich dann von neuem herstellen muß. Alles in allem genommen scheint mir der Einfluß des Scheibendurchmessers auf die Nutzspannung, wie ihn etwa v. Bach a. a. O. S. 437 bewertet, durch das Vorstehende ganz befriedigend erklärt; und wahrscheinlich kommen daneben sonstige Umstände, auf welche man die Unzweckmäßigkeit kleiner Scheiben bisher zurückzuführen suchte, wie Riemensteifigkeit und Fältelung der Riemeninnenfläche, erst in zweiter Linie in Betracht.