Titel: Ein Markstein in der Röntgentechnik.
Autor: Max Neumann
Fundstelle: Band 331, Jahrgang 1916, S. 229
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Ein Markstein in der Röntgentechnik. Von Dr. Max Neumann, Neukölln. NEUMANN: Ein Markstein in der Röntgentechnik. Bereits vor dem Kriege hatte man die Eigenschaften der Röntgenstrahlen und das Verhalten der Röntgenröhren unter verschiedenen Betriebsbedingungen erforscht, und der Technik war es gelungen, Instrumentarien zu bauen, mit denen man Strahlen von bestimmten Wirkungen sicher hervorbringen konnte, vorausgesetzt, daß der Arzt, der damit umzugehen hatte, über ausreichende Erfahrung und Geschicklichkeit verfügte Allerdings waren die Einrichtungen mit der Zeit immer verwickelter geworden. Mancherlei Hilfseinrichtungen an den Stromquellen für die Röntgenröhre und an der Röhre selbst hatten sich nötig gemacht, wenn man gewisse störende Einflüsse mit Sicherheit ganz ausschalten oder wenigstens unschädlich machen wollte. Was das Arbeiten mit Röntgenstrahlen besonders erschwerte, war vor allem der Umstand, daß die beiden wichtigsten Größen, von denen neben der Dauer der Bestrahlung ihre Wirkung abhängig ist, die Durchdringungsfähigkeit und die Intensität der Strahlen bei derselben Röhre und unter unveränderten Betriebsbedingungen nicht unveränderlich sind. Im allgemeinen nimmt während des Betriebes die Durchdringungsfähigkeit, die Härte der Strahlen zu, bis die Röhre, wie man es nennt, unbrauchbar hart geworden ist. Es können indessen auch Fälle vorkommen, in denen die Strahlenhärte verhältnismäßig schnell abnimmt. Deshalb waren Hilfseinrichtungen notwendig, um das Auftreten von Betriebsbedingungen zu verhindern, die eine Abnahme der Strahlenhärte bewirken, und weitere, um die Durchdringungsfähigkeit der Strahlen möglichst gleichmäßig zu erhalten. Dies gelang jedoch nur in sehr beschränktem Maße. Versuche, die Strahlenhärte in weiteren Grenzen regulierbar zu machen, blieben so gut wie ganz erfolglos. Dazu kam, daß bei jeder Röhre Intensität und Härte in einer ganz bestimmten Beziehung zueinander stehen, die durch den bei dem Luftleermachen der Röhre in ihr zurückgelassenen Gasrest bedingt ist. Es war also nicht möglich, die Intensität der Strahlung zu ändern, ohne gleichzeitig auch die Härte zu beeinflussen. Waren bei der Verwendung der Strahlen in der Diagnostik oder der Therapie bestimmte Werte für Intensität und Härte nötig, so konnte man diese nicht etwa durch Einstellen von Reglern erreichen, sondern man mußte aus einer größeren Zahl von vorrätigen Röhren diejenige auswählen, bei der Härte und Intensität der Strahlen den erforderlichen Graden am besten entsprechen. Eine weitere Unbequemlichkeit lag darin, daß die gebräuchliche Röntgenröhre in jeder Richtung für den Strom leitend ist, daß also jede der beiden Elektroden sowohl Anode als auch Kathode sein kann. Will man, wie es für eine gleichmäßige, schließungslichtfreie Strahlung notwendig ist, einen Stromfluß nur in einer Richtung haben, so muß man entweder gleichgerichteten Strom durch die Röhre senden oder durch Einschalten von Ventilröhren dafür sorgen, daß die Stromstöße in der nicht erwünschten Richtung unterdrückt werden. Alle bisher erwähnten Uebelstände haben ihre Ursache in dem Gasrest in der Röntgenröhre. Er war notwendig, damit die Röhre stromleitend wurde, denn eine möglichst vollkommen gasleer gemachte Röntgenröhre leitet den Strom selbst dann nicht, wenn man an sie die höchsten technisch verwertbaren Spannungen legt. Die Möglichkeit, die Uebelstände zu beseitigen, bestand also nur dann, wenn es gelang, die Mitwirkung des Gasrestes bei der Stromleitung entbehrlich zu machen. Einen Weg dazu hatte die von Wehnelt beobachtete Tatsache gewiesen, daß glühende Metalloxyde Strahlen aussenden, die gleicher Art mit den von der Kathode der Röntgenröhre ausgehenden Kathodenstrahlen sind. Auf dieser Beobachtung und den Arbeiten anderer Forscher weiterbauend hatte der Amerikaner Coolidge eine gasfreie Röntgenröhre hergestellt, die zunächst dazu bestimmt war, die für die Therapie sehr wertvollen harten Röntgenstrahlen zu erzeugen. Aus ihr entstand dann im Laboratorium der Siemens & Halske A.-G. die Glühkathoden-Röntgenröhre (s. Abb. 1), deren praktische Verwendbarkeit zu Anfang dieses Jahres in der Berliner medizinischen Gesellschaft zuerst vorgeführt wurde. Textabbildung Bd. 331, S. 230 Abb. 1. Die neue Röntgenröhre ist, soweit dies technisch möglich ist, vollkommen gasfrei. Die Kathode besteht aus einer Metalldrahtspirale, die in derselben Weise erhitzt wird wie der Faden einer Glühlampe, indem man durch sie zum Beispiel Strom aus einem besonderen Heiztransformator hindurchsendet. Bei genügend hoher Temperatur sendet die Spirale Elektronen aus, und legt man nun eine hohe Spannung an die Röhre, so entsteht durch die unter dem Einflüsse dieser Spannung auf die als Antikathode ausgebildete Anode treffenden Elektronen die Röntgenstrahlung. Es hat sich ergeben, daß die Intensität dieser Strahlung lediglich von der Temperatur des glühenden Kathodendrahtes abhängt. Da sich die Drahttemperatur durch Aenderung des Heizstromes leicht regeln läßt, so kann man also mit derselben Röntgenröhre Strahlen in beliebigen, leicht einstellbaren Mengen erzeugen. So lange die gleiche Temperatur eingestellt ist, bleibt auch die Intensität der Strahlung die gleiche, weil diese eben nur von der Temperatur der glühenden Kathode, aber nicht von der an der Röhre liegenden Spannung oder sonstigen Größen abhängig ist. Die Strahlenintensität jeder Röhre ist also in weiten Grenzen regelbar, so daß sich mit einer einzigen Röhre alle Intensitäten erreichen lassen, die bei diagnostischen Aufnahmen vorkommen können. Das Gebiet, innerhalb dessen die Intensität geregelt werden kann, ist um so größer, je höher man die Kathodentemperatur steigern kann, ohne das Kathodenmetall anzugreifen. Es ist deshalb nur ein sehr schwer schmelzbares Metall für die Kathode geeignet, und die Siemens & Halske A.-G. verwendet dazu das von ihr hergestellte Wolframmetall, dessen Schmelzpunkt bei etwa 3000° C liegt und das ohne seine Form zu verändern oder zu zerstäuben bei kleinster Oberfläche sehr viel Elektronen aussenden kann. Als Antikathodenmetall hat sich Wolfram schon seit Jahren bewährt, weil es auch bei sehr hoher Belastung der Röhre (z.B. bei Moment- und Einzelschlagaufnahmen) ein Arbeiten mit scharfem Brennpunkt, also scharfe Aufnahmen ermöglicht, ohne daß die Antikathodenoberfläche durch die Wärmeentwicklung zerstört wird. Auch die Strahlenhärte ist bei der neuen Glühkathodenröhre beliebig regelbar innerhalb sehr weiter Grenzen. Sie ändert sich mit der an der Röhre liegenden Spannung und bleibt dauernd die gleiche, so lange die Spannung ihren Wert nicht ändert. Man kann demnach mit derselben Röhre alle Strahlenarten von sehr weichen bis zu sehr harten erzeugen. Die Glühkathodenröhre bietet also den Vorteil, daß sich Intensität und Durchdringungsfähigkeit der von ihr ausgesandten Strahlen voneinander unabhängig und in weiten Grenzen, ganz wie man will, regeln lassen, und daß die einmal eingestellten Werte dieser Größen unveränderlich bleiben, so lange die Einstellung nicht geändert wird. Textabbildung Bd. 331, S. 230 Abb. 2. Eine einzige Röhre reicht deshalb z.B. für alle diagnostischen Zwecke aus, und es ist nicht mehr notwendig, erst aus einer größeren Zahl von Röhren die am besten geeignete auszusuchen. Das Einstellen auf bestimmte Werte ist eine einfache mechanische Arbeit, die mit Hilfe zweier Reglerkurbeln leicht ausgeführt, und deren Ergebnis an geeigneten Meßinstrumenten sofort festgestellt werden kann. Die Bauart der Röhre wird sehr einfach, weil sie keine Vorrichtungen verlangt, um den Gasdruck im Innern der Röhre auf gleicher Höhe zu halten. Die Röhre hat, abweichend von den bisher gebauten Röhren, bei denen für Kathode, Anode und Antikathode besondere Stromzuführungen notwendig sind, nur zwei Elektroden, weil die Anode gleichzeitig als Antikathode dient. Der Strom durchfließt die Röhre stets so, daß die glühende Elektrode Kathode ist. Ein Strom in umgekehrter Richtung geht nicht durch sie hindurch, so lange nicht auch die Anode glühend geworden ist. Das kann aber, da für genügende Abkühlung Sorge getragen ist, bei ordnungsgemäßem Betriebe nicht eintreten. Die Glühkathodenröhre wirkt also selbst als Ventil, und es sind keinerlei Vorrichtungen erforderlich, um Schließungslicht zu verhindern. Man kann deshalb die Röhre auch ohne weiteres an eine Wechselspannung legen, denn von dem Wechselstrom wird nur die Hälfte durch die Röhre fließen, die so gerichtet ist, daß die glühende Elektrode Kathode ist. Kann der Wechselstrom unmittelbar aus einem Netze entnommen werden, so wird das ganze Instrumentarium sehr einfach (s. Abb. 2); es besteht dann nur noch aus der Röhre selbst und einem Spannungswandler, mit dem die Netzspannung auf die für den Betrieb der Röhre erforderliche Höhe gebracht wird, und den Reglern.