Titel: Unsere Unterwasser-Handelsschiffe vom Deutschland-Typ.
Autor: Kraft
Fundstelle: Band 332, Jahrgang 1917, S. 17
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Unsere Unterwasser-Handelsschiffe vom Deutschland-Typ. Von Dipl.-Ing. Kraft, Berlin. KRAFT: Unsere Unterwasser-Handelsschiffe vom Deutschland-Typ. Wie der Krieg teilweise zum Entstehen neuer Wirtschaftsformen Veranlassung gegeben hat, so hat er auch eine ganze Reihe neuer, den Verhältnissen der Kriegswirtschaft angepaßter Erzeugnisse zutage gefördert, besonders auf dem Gebiete der Technik. Manche befinden sich darunter, deren Wert und Bedeutung über den durch die Kriegsverhältnisse gezogenen zeitlichen Rahmen weit hinausreicht. In besonderem Maße gilt dies, abgesehen von den zum unmittelbaren Dienst der Kriegführung geschaffenen Erzeugnissen, die mehr indirekt durch Erprobung neuer Herstellungsverfahren unsere Erfahrungen bezüglich Materialerzeugung und Verarbeitung zu erweitern und zu vertiefen geeignet sind, von den Erzeugnissen unserer eigentlichen Friedenstechnik, weil hier fast durchweg die bisherige Art der Materialbeschaffung und -Verwendung durch die Deckung des Kriegsbedarfs beschränkt oder verhindert ist. Das Wort „Rohstoff-Ersatz“ ist so zu einem Schlagwort von umfassendster Bedeutung geworden, das für die Fülle technischer Aufgaben, die hierunter zusammengefaßt werden können, nur einen schwachen Ausdruck liefert. Nur wem es vergönnt ist, das verwickelte Netz der Entwicklungslinien unserer Technik, dessen Fäden unter dem Druck des Krieges vielfach neu geknüpft werden mußten, in vollem Umfange zu übersehen, ein Geschick, das heute sicher nur wenigen Bevorzugten blüht, der wird sich ein einigermaßen richtiges Bild der enormen Schaffenskraft unseres Volkes machen können. Wir anderen müssen uns begnügen mit dem Ausblick auf einige weitragende Wegmarken und Zielpunkte, die, teils erreicht, teils erfolgreich angestrebt, uns zeigen, in welcher Richtung die Entwicklung ihren Gang nimmt. Auch die Schaffung unserer Unterwasser-Handelsschiffe, deren erstes, die „Deutschland“, bereits mehrfach die sogenannte „Blockade“ durchbrochen hat, können wir als einen dieser Marksteine der technischen Entwicklung betrachten. Stellt sie sich doch als kennzeichnendes Beispiel deutscher Tatkraft und deutschen Könnens dar, ein Beispiel, dessen Gewicht vielleicht deswegen um so schwerer in die Wagschale fällt, weil gerade das Moment, das mancher anderen unserer technischen Kriegsschöpfungen Wert und Bedeutung verleiht, nämlich ihre wirtschaftliche Auswertung in der Zeit nach dem Kriege, für das. Unterwasser – Handelsschiff nicht gilt. Wir brauchen hierbei nur an unsere Bestrebungen zur Einschränkung unseres Kupferbedarfs, an die Versuche zum Ersatz hochwertiger Mineralschmieröle durch uns zugängliche Schmiermittel anderer Art, an die Arbeiten zur synthetischen Gummierzeugung und zur Luftstickstoffgewinnung zu denken, um uns das Gegensätzliche der wirtschaftlichen Grundlagen hinreichend zu veranschaulichen. Das U-Boot als Handelsschiff konnte demgegenüber seinem Wesen nach nur als reines Kriegserzeugnis gedacht sein, d.h. als ein Schiff, das vorläufig nur für den Krieg gebaut, seinen Daseinszweck mit Ende des Krieges wahrscheinlich erschöpft sieht. Gerade deshalb verdient die zielsichere Kühnheit eines derartigen Unternehmens, wie es die „Bremer Ozean-Reederei“ mit Einrichtung eines dauernden Kriegs-Handelsverkehrs mit Unterwasser-Fahrzeugen in die Wege leitete, volle Bewunderung. Bereits im Herbst 1915 hatte die Germaniawerft in Kiel die Pläne für ein derartiges Fahrzeug fertig. Da das Projekt bezüglich der Höhe der Nutzleistung im Vergleich zu den Kosten allen billigen Anforderungen Genüge leistete, wurden die Bauaufträge für die ersten Fahrzeuge an die Germaniawerft vergeben. Als erstes Schiff wurde die „Deutschland“ fertiggestellt. Das Schiff hat die folgenden Hauptabmessungen: Länge über alles 65,– m Größte Breite auf Spanten 8,90 Tiefgang etwa 4,50 Wasserverdrängung eingetaucht 1900 t Die Breite des Schiffes ist darnach recht bedeutend und im Verhältnis zur Länge wesentlich größer als bei den entsprechenden Kriegsfahrzeugen. Das Gleiche gilt für den angegebenen Tiefgang. Die von den normalen Verhältnissen stark abweichenden Zahlenwerte finden natürlich ihre Begründung in der Zweckbestimmung des Bootes, bei dem es weniger auf hohe Geschwindigkeit bei möglichst kleinem Widerstände als auf die Schaffung einer guten Ladefähigkeit und günstiger Unterkunftsverhältnisse für die Besatzung, eine bei der langen Fahrtdauer notwendige Forderung, ankam. Bestimmte Angaben über die Geschwindigkeit des Bootes sind bisher nicht gemacht worden. Indessen ist aus den für die bisherigen Fahrten der Deutschland angegebenen Fahrzeiten eine mittlere Ueberwassergeschwindigkeit – das Boot soll bei einer Gesamtfahrstrecke von 4000 bis 5000 Seemeilen nur etwa 100 Seemeilen in untergetauchtem Zustande zurückgelegt haben – von etwa 8 bis 9 Kn zu erreichen. Die Geschwindigkeit kommt also der kleinerer Frachtdampfer im Küstenverkehr gleich. Die Tragfähigkeit des Schiffes wird mit etwa 750 bis 800 t angegeben. Sie ist, bezogen auf das Schiffsgewicht bzw. die Wasserverdrängung in untergetauchtem Zustande, trotz der mäßigen Geschwindigkeit ganz erheblich kleiner als bei einem normalen Ueberwasser-Frachtschiff entsprechender Geschwindigkeit, bei dem vergleichsweise für 1 t Ladefähigkeit mit einem um 50 bis 60 v. H. kleineren Schiffsgewicht zu rechnen sein wird als bei den Unterwasser-Handelsfahrzeugen vom Deutschland-Typ. In diesem Zahlenverhältnis kommt im wesentlichen der Unterschied im Gewicht der Maschinenanlage zur Geltung, die beim Unterwasser-Handelsschiff mit getrennten Antriebseinrichtungen für Ueber- und Unterwasserfahrt einen wesentlich größeren Anteil des gesamten Schiffsgewichtes, der so der Ladefähigkeit verloren geht, in Anspruch nimmt, als beim normalen Frachtdampfer. Diese wirtschaftlichen Verhältnisse, die beim Handelsverkehr mit U-Booten notgedrungen mit in Kauf genommen werden müssen, weisen deutlich darauf hin, daß das Unterwasser-Handelsschiff im internationalen Seeverkehr nur so lange einigermaßen wettbewerbsfähig bleiben kann, als die Frachtsätze durch die Kriegsverhältnisse auf ihrer schwindelnden Höhe gehalten werden. Dieser wirtschaftliche Wettbewerb wird dem Unterwasser-Handelsschiff noch dadurch wesentlich erschwert, daß, wie bereits angedeutet, bei der beschränkten Verwendungsdauer derartiger Fahrzeuge, ihren hohen Betriebskosten und dem verhältnismäßig großen Betriebsrisiko, das sie bieten, ihre Anlagekosten in kürzester Zeit abgeschrieben werden müssen. Sie können also lediglich für die Beförderung ganz besonders hochwertiger Ladegüter, für deren Austausch andere Verkehrsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, in Frage kommen. So soll die „Deutschland“ ausgehend außer Wertpapieren namentlich größere Mengen von Farbstoffen und Medikamenten, also die kostbarsten und begehrtesten Erzeugnisse unserer chemischen Industrie befördert haben, während die Rückfracht im wesentlichen aus Nickel und Rohgummi vielleicht auch aus Gold bestand. Es war natürlich, daß die Baudaten unseres ersten Unterwasser-Handelsschiffes das Interesse Englands in höchstem Maße in Anspruch nahmen. Da bestimmte Angaben über die Schiffsabmessungen zunächst nicht zur Verfügung standen, mußte man sich notgedrungen mit Schätzwerten begnügen. Auf Grund dieser Werte errechnete man eine lächerlich niedrige Tragfähigkeit, um damit die Bedeutung dieser Boote für den Frachtverkehr möglichst herabzusetzen. Die englische Fachzeitschrift Engineering geht bei einer derartigen Nachrechnung von einer Ueberwasserverdrängung von 2000 t aus, unter Annahme einer Schiffslänge von rund 90 m und etwa 9 m Breite, und setzt für 14 Kn Ueberwassergeschwindigkeit die Maschinenleistung mit 2 × 1300 PS an. Damit würde sich, wenn die Unterwasserfahrstrecke mit 90 Seemeilen angenommen wird, das Gewicht der gesamten Maschinenanlage zu rund 260 t ergeben. Hierzu kommt das eigene Gewicht des Schiffskörpers, das einschließlich der Hilfsmaschinen und Einrichtungen zu 1110 t geschätzt wird, ferner der Brennstoffvorrat mit 190 t, das Gewicht der Mannschaft einschließlich ihrer Vorräte mit 60 t und schließlich ein Restbetrag von 30 t, der sich auf den Ballast und auf die möglicherweise mitgeführte Geschützbewaffnung verteilt. Der letztere Posten würde bei Wegfall der Bewaffnung teilweise der Erhöhung der Ladefähigkeit zugute kommen. Hiernach errechnet sich also eine Tragfähigkeit von etwas über 350 t. Wie man sieht, hat die Absicht des betreffenden Autors, zuviel beweisen zu wollen, ihm gründlich das nüchterne Urteil getrübt. Natürlich will man in England an Hand einer derartigen Beweisführung in der Inbetriebsetzung von Unterwasser-Handelsschiffen lediglich den Wunsch erkennen, auf das neutrale Ausland Eindruck zu machen. Aber selbst in England kann man sich offensichtlich diesem Eindruck nicht völlig entziehen, was man wohl am besten daraus ersehen kann, daß Engineering die erste Durchquerung des Atlantischen Ozeans durch die „Deutschland“ eine Tat von geschichtlicher Bedeutung nennt, die immerhin einiges Interesse verdient. Sicher war es gerade auf Grund der vorerwähnten Konstruktionsgrundlagen ein nicht geringes wirtschaftliches Wagnis, das die Reederei mit der Inbaugabe der Unterwasser-Handelsschiffe unternahm, ein Wagnis, das durch eine eventuelle Gefahr der Wegnahme oder Zerstörung ihrer Fahrzeuge durch feindliche Kriegsschiffe noch erhöht wurde. Um so mehr verdient die tatkräftige Initiative der Ozean-Reederei, die trotz dieser Schwierigkeiten das Unternehmen in erstaunlich kurzer Zeit ins Werk zu setzen wußte, dankbare Anerkennung. Allerdings kamen ihr hierbei die weitreichenden Erfahrungen der Germaniawerft, die, was den Bau von U-Booten nach Zahl wie nach Größe anbelangt, heute wohl unbestritten an erster Stelle steht, in größtem Umfange zugute. Trotzdem dürfen die Schwierigkeiten, die die Aufgabe bot, nicht unterschätzt werden, und es stellt der Leistungsfähigkeit der Bauwerft ein rühmliches Zeugnis aus, daß sie, nachdem die von ihr ausgearbeiteten Entwürfe die Billigung der Reederei gefunden hatten, es verstand, trotz größter Inanspruchnahme durch Kriegsschiffsaufträge den ersten Neubau in der überraschend kurzen Zeit von knapp fünf Monaten probefahrtsbereit fertigzustellen. Bereits 1½ Monate später konnte das Boot nach Durchführung der Probe- und Uebungsfahrten, die völlig störungsfrei verliefen, seinen Dienst aufnehmen, ein glänzender Beweis nicht allein für die zweckmäßige Durchbildung des Entwurfs und die einwandfreie Arbeitsausführung, sondern auch für die Tüchtigkeit der Besatzung, die sich in so kurzer Zeit mit der neuartigen Anlage vertraut zu machen verstand. Textabbildung Bd. 332, S. 19 Abb. 1. „Deutschland“ vor dem Stapellauf. Die „Deutschland“ ist ebenso wie alle von der Germaniawerft entworfenen U-Boote als Zweihüllen-Tauchboot gebaut. Der Schiffskörper besteht also aus einem zylindrischen Druckkörper, der die Maschinenräume, die Wohn- und Laderäume enthält, und aus der das Außenschiff bildenden äußeren Hülle des Druckzylinders, in dem die Tauchtanks und die Oelzellen untergebracht sind (s. Abb. 1 und 2). Der in diesen Zellen mitgeführte Oelvorrat ist so groß bemessen, daß das Schiff seinen vollen Bedarf für die Hin- und Rückreise über den Atlantischen Ozean daraus decken kann. Der Druckkörper ist durch sieben wasserdichte Querschotte in acht Räume geteilt. Der Heckraum enthält im wesentlichen die elektrischen Antriebsmaschinen für das Vertikalruder und das hintere Tiefenruder, daneben eine Hilfslenzpumpe und andere Hilfseinrichtungen. An ihn schließt sich nach vorn der Hauptmaschinenraum an. In ihm sind nebeneinander zwei sechszylindrige Viertaktölmaschinen, die für den Schraubenantrieb bei Ueberwasserfahrt dienen, und, durch je eine Reibungskupplung lösbar mit ihnen verbunden, zwei Gleichstrommotoren für die Unterwasserfahrt aufgestellt. Die letzteren, die hinter den Oelmaschinen angeordnet sind und bei Ueberwasserfahrt unter normalen Betriebsverhältnissen leer mitlaufen, arbeiten wie üblich beim Aufladen der Akkumulatorzellen, die den nötigen Strom für die Unterwasserfahrt liefern, als Generatoren. Bemerkenswert ist, daß die Oelmaschinen im Gegensatz zu den sonstigen U-Bootsmaschinen nicht umsteuerbar gebaut sind. Die Maschinen gestalten sich damit besonders einfach und betriebssicher. Das Umsteuern geschieht also lediglich mit Benutzung der Elektromotoren, deren Kupplung mit der zugehörigen Oelmaschine einfach und schnell gelöst werden kann. Außer den Hauptantriebsmaschinen enthält der Maschinenraum die zum Dieselbetriebe nötigen Hilfsmaschinen und Luftflaschen. Er steht durch einen Tunnel, der durch den nach vorn anschließenden, mit zwei Luken versehenen Laderaum hindurchgeführt ist, mit der mittschiffs gelegenen Kommandozentrale in Verbindung. Dieser Raum vereinigt in sich alle Elemente, die für den Betrieb des Schiffes bei Unterwasserfahrt von Bedeutung sind. Außer den beiden Tiefensteuerrädern, der Lenz- und Fluteinrichtung, den Hilfsmitteln zum Ausblasen der Ballasträume und der Kreiselkompaßanlage ist hier zusammen mit anderen Hilfsmaschinen ein Hochdruckluftkompressor auf gestellt (s. Abb. 3). Nach oben schließt sich an die Zentrale ein geräumiger Kommandoturm an, aus dem ein Sehrohr herausragt. Ein zweites Rohr reicht bis in die Zentrale hinab. Ueber dem Kommandoturm ist eine besondere Navigationsplattform angeordnet. Textabbildung Bd. 332, S. 19 Abb. 2. Druckkörper der „Deutschland“ in Spanten. Die für die Unterbringung der Mannschaft dienenden Räume liegen unmittelbar vor der Kommandozentrale In zwei Abteilungen ist hier fast die ganze Besatzung des Bootes, die außer dem Kapitän, zwei Wachoffizieren einem leitenden Ingenieur, drei Wachmaschinisten und einem Lademeister aus einem Seemanns- und Maschinenpersonal von 21 Köpfen besteht, untergebracht. Die beiden Räume bergen in ihrem unteren Teile die Akkumulatorzellen. Nach vorn schließt sich an sie ein zweiter Laderaum an, der wie der hintere zwei Ladeluken hat. Ein Tunnel führt durch diesen zum Bugraum, in dem außer dem Motor für das Ankerspill eine Hilfslenzpumpe und der Antriebsmotor für das vordere Tiefenruder untergebracht sind. Textabbildung Bd. 332, S. 20 Abb. 3. Blick in die Kommandozentrale der „Deutschland“ Bug- und Heckraum enthalten ebenfalls Einrichtungen für die Unterbringung von Mannschaften. Von sonstigen Einrichtungen des Bootes sind hervorzuheben die Lösch- und Ladevorrichtungen, die aus Lademasten und elektrisch angetriebenen Winden bestehen, ferner die den U-Bootsbetrieb kennzeichnenden Sicherheitseinrichtungen wie Luftauffrischungseinrichtung, Telephonboje und anderes, schließlich die leistungsfähige Funksprucheinrichtung. Selbstverständlich ist beim Bau und der Ausrüstung des Schiffes den maßgebenden Vorschriften des Germanischen Lloyd und der Seeberufsgenossenschaft bezüglich Freibord und Schotteinteilung, Bemessung der Materialstärken, der Ausrüstung mit Booten, mit Ankern und Ketten und anderem in weitem Umfange Rechnung getragen worden. So kam ein Fahrzeug zustande, auf das Auftraggeber wie Erzeuger in gleicher Weise mit Stolz zu blicken Veranlassung haben, ein Boot, das Dank seiner vorzüglichen Betriebseigenschaften wie der Tüchtigkeit der Besatzung seine Flagge bereits mehrfach erfolgreich über den Ozean getragen hat. Möge es ihm und ebenso seinen Nachfolgern vergönnt sein, zum Ruhme deutscher Tatkraft und Tüchtigkeit seine Aufgaben auch weiter mit Glück durchzuführen.