Titel: Knickerscheinungen bei Zylindern und Ringen.
Autor: Paul Usinger
Fundstelle: Band 332, Jahrgang 1917, S. 85
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Knickerscheinungen bei Zylindern und Ringen. Von Paul Usinger, Darmstadt. USINGER: Knickerscheinungen bei Zylindern und Ringen. Einleitung. Ein Hohlzylinder, der eine über die Kreisränder der Endquerschnitte gleichmäßig verteilte Last trägt oder durch einen gleichmäßigen Außendruck beansprucht ist, erfährt unter dem Einflüsse der Last eine Längsverkürzung bzw. eine radiale Zusammendrückung. Bei wachsender Last wird, ähnlich dem Knicken eines geraden Stabes, bei einer gewissen Größe der Last die Wand nicht mehr gerade bleiben, sondern einknicken. Die ursprünglich kreisförmige Mittellinie der Wand geht dann in eine ovale Form über. Wir setzen voraus, daß sie in bezug auf zwei zueinander senkrechte Richtungen symmetrisch sei und legen in den folgenden Betrachtungen für die Abweichungen von der ursprünglichen Kreisform das Gesetz: η = f . sin 2 φ . . . . . . (1) zugrunde, wobei f den größten Wert dieser Abweichung und φ den Winkel eines Fahrstrahles gegen eine angenommene Achse bedeuten (vgl. Abb. 1 S. 87). Die Enden des Zylinders seien so festgehalten, daß die Endquerschnitte kreisförmig bleiben müssen. Die vor der Formänderung geraden Mantellinien bilden dann nachher eine Kurve, deren größte Ordinat η in der Mitte liegt. Wir nehmen für diese Kurve eine Sinuslinie an; dann ist bei gelenkiger Befestigung der Enden y=η.sinπl.x . . . . . (2) bei eingespannten Enden: y=η2(1cos2πlx) . . . . (3) Verbindet man (2) bzw. (3) mit (1), so erkennt man, daß die gesamte Formänderung sich durch y=f.sin2φ.sinπl.x . . . (4) bzw. y=12f.sin2φ(1cos2πlx) . (5) beschreiben läßt, je nachdem die Enden gelenkig befestigt oder eingespannt sind. Läßt man nun den Zylinder willkürlich eine den soeben aufgestellten Gesetzen folgende Formänderung erfahren, so wird einerseits die Belastung eine gewisse Arbeit leisten, andererseits durch die Biegung eine gewisse Arbeit aufgezehrt werden. Die Knickkraft ergibt sich dann aus der Bedingung, daß im Augenblick des Knickens die geleistete Arbeit genau gleich der aufgezehrten Arbeit sein muß. Mit Hilfe dieser Bedingung sollen im Folgenden für einige Fälle die kritischen Belastungen ermittelt werden. I. Knicken eines stehenden Hohlzylinders unter senkrechter Last. Die Formänderung des Zylinders läßt sich zusammensetzen aus einer Biegung der lotrechten Fasern und einer Biegung der wagerechten Ringe. Demgemäß zerfällt auch die bei der Biegung aufgewandte Arbeit in zwei Teile. Der Symmetrie wegen genügt es dabei, nur die Hälfte des Zylinderumfanges zu betrachten. Für den geraden Stab, dessen Trägheitsmoment J' ist, bestehen zwischen Moment und Krümmung einerseits und Moment und Formänderungsarbeit andererseits die beiden Beziehungen EJ.d2ydx2=M, A=M22EJ.dx. Durch Verbindung beider läßt sich daher bei geradem Stab die Formänderungsarbeit durch die Gleichung A=EJ2(d2ydx2)2dx . . . . . (6) darstellen. Da in dem vorliegenden Falle das Trägheitsmoment eines Streifens von der Breite r . d φ und einer Dicke δ gleich 1.δ312.rdφ, oder wenn man das Trägheitsmoment für die Einheit der Breite 1.δ312 mit J bezeichnet, gleich Jrdφ ist, erhält man mit Benutzung von (4) bei gelenkiger Befestigung die Arbeit, die bei der Biegung der lotrechten Streifen aufgewandt wird, zu As=π42EJrl4f2φ=0πx=0lsin22φsin2πlx.dφdx. Da 0πsin22φdφ=π2, 0lsin2πlxdx=l3 ist, ergibt sich As=π58EJrl3.f2 . . . . . (7) Bei der Biegung von Ringen besteht zwischen den Abweichungen der Biegelinie von dem ursprünglichen Kreis und dem wirkenden Moment der Zusammenhang1) M=EJr2(η+d2ηdφ2). Für die Arbeit, die bei der Biegung eines Kreisringes geleistet wird, erhält man somit: AR=EJ2r3(η+d2ηdφ2)2dφ. Das Trägheitsmoment für den Querschnitt eines Ringes von der Dicke δ und der Höhe dx ist 1.δ312.dx oder Jdx, wenn 1.δ312 wie vorher mit J bezeichnet wird. Die Abweichung von der ursprünglichen Kreisform in der Höhe x beträgt f.sin2φ.sinπl.x. Wird dies, sowie der zweite Differentialquotient eingesetzt, so nimmt die Klammer den einfachen Wert 9f2.sin22φ.sin2πl.x an. Um die Arbeit sämtlicher Ringe zu erhalten, muß noch über die Höhe integriert werden. Daher beträgt die bei der Biegung der Ringe aufgewandte Arbeit AR=92EJr3f2φ=0xx=0lsin22φ.sin2πlxdφdx oder nach Auswertung der Integrale AR=9π8EJlr3f2 . . . . . (8) Schließlich ist noch die Arbeit der Last zu berechnen. Beträgt die Belastung P kg für die Längeneinheit des Endringes, und ist Δl der Weg, um den sich das obere Ende nach unten bewegt, so leistet die Last die Arbeit: Aa=Prdφ.Δl. Wird ein gerader Stab nach einer Sinuslinie mit dem Pfeil η gebogen, so nähern sich die Enden um2) Δl=π2η24l. Mit Benutzung von Gleichung (1) erhält man dann: Aa=π24Prlf20πsin22φdφ=π38Prlf2 . (9) Zur Bestimmung der kritischen Last P ist nun Aa = As + Ar zu setzen, also π38.Prlf2=π58EJrl3f2+9π8EJlr3f2. Als Knickkraft für den belasteten Zylinder mit gelenkiger Befestigung folgt hieraus P=π2EJl2+9EJl2π2r4 . . . . (10) oder P=π2EJl2(1+9π4l4r4) . . . . (10') Für r = ∞ liefert dies die Eulersche Formel. In der gleichen Weise läßt sich der Zylinder mit eingespannten Enden behandeln. Für die bei der Biegung aufgewandten Arbeiten findet man As=2π4EJrl4f2φ=0πx=0lsin22φ.cos22πlxdφdx und AR=98EJr3f2φ=0πx=0lsin22φ(1cos2πlx)2dφdx, oder, wenn man außer den früher angegebenen Integralwerten noch beachtet, daß 0lcos22πlxdx=l2 und 0l(1cos2πlx)2dx=32l, As=π52EJrl3f2, AR=27π32EJlr3f2 . (11) Da der Ausdruck für die Arbeit der äußeren Kräfte hier der gleiche wie vorher ist, lautet die Arbeitsgleichung π38Prlf2=π52EJrl3f2+27π32EJlr3f2, und aus ihr folgt für die kritische Belastung eines Zylinders mit eingespannten Enden P=4π2EJl2+274π2=EJl2r4 .. (12) oder P=4π2EJl2(1+2716π4l4r4) .. (12') Für r = ∞ ergibt sich auch hier die Eulersche Formel für den eingespannten Stab. II. Knicken eines Ringes unter Außendruck. Zunächst soll nun ein Ring behandelt werden, der unter einem gleichmäßigen Außendruck steht. Diese Aufgabe bildet die Grundlage für die Berechnung von Zylindern, die unter Druck stehen, und deshalb möge die zunächst folgende Näherungsrechnung noch durch ein genaueres Verfahren geprüft werden. Der Ring möge die Höhe l besitzen und erleide eine Verbiegung, die dem durch die Gleichung (1) ausgedrückten Gesetz folgt (vgl. Abb. 1). Der Symmetrie wegen genügt es, auch hier die Hälfte des Ringes zu betrachten. An den Punkten A und B kann man sich, ohne an der Aufgabe etwas zu ändern, Gelenke vorstellen.
[Textabbildung Bd. 332, S. 87]
Abb. 1.
[Textabbildung Bd. 332, S. 87]
Abb. 2.
Die Arbeit, die zu der Biegung nötig ist, wird hier durch die Ringspannungen allein geliefert, da die äußere Belastung keine Arbeit leistet. Die zur Biegung nötige Arbeit liefert die Beziehung AR=EJ2r3(η+d2ηdφ2)dφ zu AR=92EJr3f20πsin22φdS, oder, wenn man die Integration ausführt, zu AR=9π4EJr3f2 . (13) Durch die Biegung hat sich der Halbkreis um Δl=12r0π(dηdφ)2dφ 3) verlängert. Mit dηdφ=2fcos2φ erhält man daher für die Vergrößerung Δi=πf2r . . (14) Wären die Enden A und B frei, so würde die Kraft p . r, die hier als „Auflagerkraft“ zu denken wäre, die Arbeit pr.πf2r=πpf2 leisten. Da aber die Punkte A und B festgehalten sind, verteilt sich die gesamte Längenänderung so auf die einzelnen Stabelemente, daß die nahe bei A und B liegenden Teile sich nur wenig, die weiter entfernten mehr verlängern. Wollte man ein parabolisches Gesetz für diese Längenänderungen annehmen, so wäre die Arbeit der Ringspannungen gleich 23πpf2. In Wirklichkeit jedoch wird der Ring an den Stellen, wo er über den ursprünglichen Kreis heraustritt, eine große, da wo er nach der Biegung innerhalb des Kreises verläuft, eine geringe Dehnung erfahren. Jedenfalls läßt sich also die Arbeit der Ringdruckkräfte in folgende Grenzen einschließen: 23πpf2<AR<πpf2. Der genaue Wert liegt näher bei der unteren Grenze und soll im folgenden AR=34πpf2 gesetzt werden. Aus der Gleichheit der bei der Biegung verbrauchten Arbeit und der von den Ringkräften geleisteten Arbeit folgt 34πpf2=9π4EJr3f2. Die kritische Pressung ist daher p=3EJr34) . . . . . . (15) Eine genauere Rechnung gewinnt man dadurch, daß man die Arbeit der Ringspannungen, die im Vorhergehenden nur in ihren Grenzwerten angegeben werden konnte, genauer berechnet. Bei der Formänderung des Ringes erfährt jeder Punkt eine Verschiebung in radialer und eine Verschiebung in tangentialer Richtung. Die erste wollen wir mit w, die andere mit v bezeichnen; ihre als positiv geltenden Richtungen sind aus der Abb. 2 zu ersehen. Bevor die Arbeit der tangentialen (Ring-) Spannungen berechnet werden kann, muß die Dehnung der Stabelemente bekannt sein. Einem Punkt, der vor der Formänderung die Koordinaten x = r . cos φ, y = r . sin φ hatte, entspricht nach der Verbiegung ein Punkt, dessen Koordinaten x=(rw)cosφvsinφ, y=(rw)sinφ+vcosφ sind, Die Projektionen eines Stabelementes, die vorher dx, dy waren, sind daher übergegangen in dx=[(rw+dvdφ)sinφ(v+dwdφ)cosφ]dφ, dy=[(rw+dvdφ)cosφ(v+dwpφ)sinφ]dφ. Für das Quadrat des vergrößerten Bogenelementes folgt damit: ds2=[(rw+dvdφ)2+(v+dwdφ)2]dφ2. Bezeichnet man nun die Dehnung mit ε, so ist ε=dsdsds und ds2ds2ds2=ds+dsds.dsdsds=ε(ε+2) oder, wenn man nur die Glieder vom ersten Grad in ε beibehält: ε=12ds2ds2ds2. Indem man noch die entsprechenden Werte einträgt, findet man ε=12r2[2r(wdvdφ)+(w+dvdφ)2+(v+dwdφ)2] (16) Bei einer kleinen willkürlichen Verschiebung müssen die Formänderungen vom zweiten Grad klein sein. Daher muß zwischen v und w die Beziehung bestehen wdvdφ . . . . . (17) Diese Beziehung wird, wenn auch die Bedingung, daß bei A und B die Größen w und v verschwinden müssen, erfüllt ist, befriedigt durch den Ansatz: v=12f(1cos2φ), w=dvdφfsin2φ (18) Berücksichtigt man nun, daß hier infolge der Beziehung (17) zwischen w und v ε=12r2(v+dwdφ)2 ist, so folgt für die Arbeit der Ringspannungen: AR=pf280π(1+3cos2φ)2dφ, oder ausgewertet AR=1116πpf2 . . . (19) Dies ist rund 0,69 πpf2, während die Näherungsrechnung diese Arbeit als zwischen 0,66 πpf2 und 1,0 πpf2 liegend ergab. Bei der Berechnung der Arbeit, die von den äußeren Kräften geleistet wird, ist zu beachten, daß sich die Größe der Belastung eines Bogenelementes während der Verschiebung ändert. Wir zerlegen die Last prdφ in eine wagerechte Komponente ph = pdy und in eine senkrechte pv = pdx und verfolgen getrennt die Aenderungen. Die Strecke dy = r cos φdφ ist nach der Verschiebung übergegangen in [(rw+dvdφ)cosφ(v+dwdφ)sinφ]dφ. Die entsprechende Größe der Belastung wird daraus durch Multiplikation mit p gefunden. Ihr Mittelwert während der Bewegung beträgt daher pnm=pdφ[rcosφ+12(w+dvdφ)cosφ12(v+dwdφ)sinφ] Der Angriffspunkt dieser Kraft legt bei der Verschiebung die Strecke w cos φ + v sin φ + (Glieder höherer Ordnung) zurück, so daß die Arbeit der wagerechten Komponente dAh=pdφ[wrcos2φ+12w(w+dvdφ)cos2φ12w(v+dvdφ)sinφcosφ+vrsinφcosφ+12v(w+dvdφ)sinφcosφ12v(v+dwdφ)sin2φ] beträgt. Auf die gleiche Weise findet man für die Arbeit der lotrechten Komponente: dAv=pdφ[wrsin2φ+12w(w+dvdφ)sin2φ+12w(v+dwdφ)sinφcosφvrsinφcosφ12v(w+dvdφ)sinφcosφ12v(v+dwdφ)sin2φ]. Die Summe beider Arbeiten liefert die gesamte Arbeit, die von den äußeren Lasten bei der Verschiebung geleistet wird, zu Aap[wrw22v22+12wdvdφ12vdwdφ]dφ (20) Im vorliegenden Falle vereinfacht sich dies, infolge der Beziehung w=dvdφ zu Aap(wrv2212vdwdφ)dφ. Führt man. die Werte für v und w ein und integriert zwischen den Grenzen 0 und π, so ergibt sich für die Arbeit der äußeren Kraft im vorliegenden Fall Aa=π16pf2 . . . . (21) Die innere Biegungsarbeit ist schon früher bestimmt worden und beträgt ABEJ2r3(w+dwdφ)2dφ, oder nach Gleichung (13) AB9π4EJr3f2 . . . . . (22) Die Bedingung, daß die Summe der Arbeiten verschwinden muß, ergibt 1116πpf2+116πpf2=94EJr3f2. Aus ihr folgt, daß der Ring knickt, wenn p=3EJr3 . . . . . (23) ist. Wir haben also das gleiche Ergebnis erhalten wie vorher.
III. Knicken eines Zylinders unter Außendruck. Nun gehen wir dazu über, den kritischen Außendruck für einen Zylinder mit gelenkig befestigten Enden zu bestimmen. Die Biegungsarbeit setzt sich wieder aus der Arbeit der Ringe und derjenigen der lotrechten Fasern zusammen und ist schon in den Gleichungen (7) und (8) berechnet. Es handelt sich jetzt noch um die Berechnung der Arbeit, die von den Ringspannungen und den äußeren Lasten geleistet wird. Dafür hatten wir vorher den Wert 34πpf2 gefunden. Um zu der entsprechenden Arbeit für den Zylinder zu gelangen, hat man nur f durch πlx zu ersetzen und über die Länge zu integrieren. Man findet dann A=34πpf20lsin2πlxdx oder A38πplf2 . . . . . (24) Aus der Gleichung A = AR + As ergibt sich dann der kritische Druck zu p=3EJr2(1+π49r4l4) . . . . (25) Sind dagegen die Enden eingespannt, so sind As und An durch die Gleichungen (11) gegeben. Die Arbeit der Ringkräfte findet man genau wie vorher, indem man f durch 12f(1cos2πlx) ersetzt und über die Länge integriert zu A316πpf2(1cos2πlx)2dx oder A932πplf2 . . . . (26) Aus der Arbeitsgleichung folgt dann für den kritischen Außendruck eines an den Enden eingespannten Zylinders p=3EJr3(1+16π427r4l4) . . . . . (27) Sind die Zylinderenden noch durch Zugkräfte parallel der Achse belastet, so wird die Tragfähigkeit bedeutend erhöht. Dieser Fall liegt zum Beispiel bei Flammrohren vor, wo die Befestigung an den Kesselböden einer Annäherung der Enden entgegenwirkt. Beträgt der Zug q kg für die Längeneinheit des Querschnittumfanges, so kommt auf der linken Seite noch die (negative) Arbeit dieser Kräfte im Betrag von 12qrΔldφ hinzu, deren Größe gleich dem entsprechenden Wert in Gleichung (24) ist, wenn man p durch q ersetzt. Zu beachten ist der Faktor 12, der hier hinzukommt, weil die Belastung q allmählich von Null bis zum Endwert anwächst. Man findet dann für den kritischen Druck Missing or unrecognized delimiter for \left Es wird mit Hilfe des Satzes, daß im Augenblick des Knickens die geleistete Arbeit gleich der verbrauchten sein muß, für verschiedene Belastungen des Zylinders und für den unter Außendruck stehenden Ring, die kritische Last abgeleitet. Die erhaltenen Werte stimmen für die Fälle, die in anderer Weise5) bereits behandelt sind, mit diesen überein. Aus den Untersuchungen läßt sich insbesondere noch der Schluß ziehen, daß es bei der Behandlung von Problemen des Knickens auf eine genaue Kenntnis der Formänderung nicht ankommt. Dies zeigen auch die Versuche,6) aus denen hervorgeht, daß die Formänderung im Augenblick des Knickens von der theoretisch zugrunde gelegten zwar erheblich abweicht, trotzdem aber die theoretisch berechnete Knicklast mit der wirklichen gut übereinstimmt.