Titel: Rechts-Schau.
Autor: Werneburg
Fundstelle: Band 332, Jahrgang 1917, S. 230
Download: XML
Rechts-Schau. Rechts-Schau Aus dem Patentrechte. Nach der grundlegenden Bestimmung des § 35 des Patentgesetzes ist derjenige, der wissentlich oder aus grober Fahrlässigkeit den Bestimmungen der §§ 4 und 5 des Patentgesetzes entgegen eine Erfindung in Benutzung nimmt, dem Verletzten zur Entschädigung verpflichtet. Bei dem der Entscheidung des Reichsgerichtes vom 15. November zugrunde liegenden Sachverhalt handelte es sich um folgenden Tatbestand: Die Klägerin war Inhaberin des ihr mit Wirkung vom 2. Juli 1902 erteilten deutschen Patentes Nr. 144 584 betreffend ein Verfahren zur Darstellung magnetisierbarer Manganlegierungen, dadurch gekennzeichnet, daß in Manganmetall oder in Manganlegierungen, insbesondere Mangankupfer, die Elemente Aluminium, Zinn, Arsen, Antimon, Wismut oder Bor eingeführt werden, und zwar in der Art, daß die Legierungen mindestens 3 v. H. der genannten Elemente und in der Regel nicht weniger als 9 v. H. Mangan enthalten. Die Beklagte hatte Legierungen von etwa 27 v. H, Mangan, etwa 63 v. H. Kupfer und etwa 10 v. H. Aluminium hergestellt und davon in der Zeit vom 5. Juli 1912 bis 3. September 1913 an die Firma F. K. in E. verkauft und geliefert, und zwar unter der ausdrücklichen Bedingung, daß die Ware nur zum Desoxydieren und Weiterlegieren, nicht aber zu magnetischen Zwecken benutzt werde. Mit der Behauptung, daß die Beklagte dadurch in das Patent 144 584 schuldhaft eingegriffen habe, hat die Klägerin Unterlassungs- und Schadensersatzklage erhoben, ist aber mit beiden Ansprüchen vom Landgericht in E. abgewiesen worden. Ihre Berufung hatte zunächst den Erfolg, daß das Oberlandesgericht in H. durch Teilurteil vom 28. November 1913 der Beklagten die Herstellung und den Vertrieb der genannten Legierungen bei Vermeidung einer Geldstrafe von 1000 M für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagte. Dieses Urteil hat mit Zurückweisung der dagegen eingelegten Revision Rechtskraft erlangt. Dagegen hat das Berufungsgericht durch Schlußurteil vom 13. April 1915 die Klägerin mit ihrem Schadensersatzanspruch von 8000 M nebst Zinsen gleichfalls abgewiesen und die Kosten des ersten und zweiten Rechtszuges ihr zu einem Drittel, der Beklagten zu zwei Dritteln auferlegt. Mit der Revision beantragt nunmehr die Klägerin, unter Aufhebung des angefochtenen Urteiles ihrem Berufungsantrage stattzugeben, während die Beklagte um Zurückweisung der Berufung bat. Das Reichsgericht bestätigte, jedoch die vorerwähnte Entscheidung des Berufungsgerichtes und wies die hiergegen eingelegte Revision der Klägerin zurück, indem es das Vorliegen von grober Fahrlässigkeit auf Seiten der Beklagten verneinte. „Das Berufungsgericht“, so heißt es in den wesentlichen Gründen seines Urteils, „stellt fest, daß die Beklagte in der Ueberzeugung, keine Patentverletzung zu begehen, die Legierungen verkauft und geliefert hat, und daß sie es nicht getan haben würde, wenn sie diese Ueberzeugung nicht gehabt hätte. Es nimmt ferner an, daß sie sich diese Ansicht nach sorgfältiger Prüfung des Sachverhaltes gebildet hat, und daß ihr weder Vorsatz noch grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei. Der Revision, welche Verletzung sowohl materieller Rechtsnormen, insbesondere des § 35 PG. als auch der §§ 286, 139 CPO. rügt, ist ohne weiteres zuzugeben, daß, wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 23. Mai 1914 bereits ausgeführt hat, in der Patentschrift 144584 der Erfindungsgegenstand und der Schutzumfang des Patentes zweifelsfrei zum Ausdruck gelangt sind, und daß daher nach feststehender Rechtsprechung des Reichsgerichtes die Heranziehung des Standes der Technik zur Auslegung der Patentschrift unzulässig sei. Das hat das Berufungsgericht aber auch nicht übersehen. Es hat nur der Beklagten geglaubt, daß sie der Ueberzeugung gewesen sei, das Patent schütze die Herstellung und den Vertrieb magnetisierbarer Manganlegierungen nur, wenn sie zu magnetischen Zwecken erfolgen, nicht aber dann, wenn ihre magnetische Eigenschaft für den beabsichtigten Verwendungszweck gleichgültig sei und außer Betracht bleibe. Es glaubt ihr das deshalb, weil nach der Auffassung, welche die oben gedachte Rechtsprechung des Reichsgerichtes hinsichtlich der Auslegungsfähigkeit einer Patentschrift in den hier in Betracht kommenden Kreisen gefunden habe, vor allem aber, weil nach dem, was die streitige Patentschrift selbst als das wesentliche Neue der Erfindung bezeichne, ein Fachmann aus der ersteren über die Tragweite des Patentes das entnehmen konnte und durfte, was die Beklagte aus ihr tatsächlich entnommen hat. Hierin ist ein Rechtsirrtum ebensowenig zu erblicken, wie darin, daß das Berufungsgericht zur Unterstützung der Annahme des guten Glaubens der Beklagten auf das Gutachten des B. und Dr. D. hinweist.“ Dieser Auffassung des Reichsgerichtes ist meines Er-achtens auch beizustimmen. Wie ersichtlich, macht das Reichsgericht die Entscheidung der Frage nach einer Patentverletzung von der Frage abhängig, ob der angebliche Verletzer des betreffenden Patentes in gutem Glauben gehandelt hat oder nicht. Es bejaht aber diesen guten Glauben – und damit das Nichtvorliegen einer Patentverletzung im Sinne des § 35 PG. – auf Seiten des Letzteren schon dann, wenn auch ein Fachmann unter den gegebenen Verhältnissen – insbesondere auf Grund der vorliegenden Patentschrift – annehmen konnte, daß die betreffende Handlung sich nicht als eine Verletzung der in der Patentschrift näher bezeichneten und umschriebenen Erfindung darstelle. Dieses von dem Reichsgericht aufgestellte Maß der Sorgfaltspflicht eines Fabrikanten stimmt auch mit dem Gesetz überein, da der § 35 PG., wie erwähnt wurde, Wissentlichkeit oder grobe Fahrlässigkeit auf Seiten des angeblichen Patentverletzers voraussetzt. Das ist in jedem einzelnen Fall von dem Richter bei behaupteter Patentverletzung stets besonders eingehend zu prüfen, wobei ihm insbesondere die Gutachten technischer Sachverständiger maßgebend zur Seite stehen. In dem Reichsgerichtsurteil vom 15. Mai 1916 (I 15/16 U 124/14) ist als Grundsatz aufgestellt worden, daß es unzulässig ist, einen Gegenstand als patentiert zu bezeichnen, von dem tatsächlich nur ein Teil unter Patentschutz steht, sofern nicht dieser Teil für das Wesen der zusammengesetzten Sache bestimmend und ausschlaggebend ist und ihn gerade seiner Beschaffenheit und seiner Eigenschaften wegen zu einem besonders geschätzten und begehrten macht (§ 40 des Patentgesetzes). Nach dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war für den Kläger ein Verfahren zur Herstellung von Bindemitteln für Pigmentfarben, Korkmehl und dergleichen Materialien sowie von lackartigen Produkten durch ein deutsches Patent geschützt. Der Kläger bot in Zeitschriften und Preislisten nicht nur das neueste Bindemittel, sondern auch die mit ihm hergestellten Farben mit dem Zusatz „DRP.“ oder „Deutsches Reichspatent“ zum Kaufe an. Hinsichtlich der Farben hielt die Beklagte diesen Zusatz für eine widerrechtliche Patentberührung, sie hat dagegen in einem an ihre Kunden und sonstigen Interessenten versandten Rundschreiben Verwahrung eingelegt auch Strafanzeige erstattet. Kläger hat darauf, gestützt auf § 4 Satz 2 PG. klagend beantragt, festzustellen, daß er berechtigt sei, seine aus Farbkörpern und dem Bindemittel des Patentes bestehende Streichfarbe als patentiert zu bezeichnen, während die Beklagte Klageabweisung und zugleich im Wege der Widerklage begehrt hat, den Kläger zu verurteilen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in den für einen größeren Kreis von Personen bestimmten Mitteilungen diese Bezeichnung für seine Farben zu unterlassen. Im Gegensatz zu dem Landgericht hat das Oberlandesgericht die Klage zugesprochen und die Widerklage der Beklagten abgewiesen, welche Entscheidung von dem Reichsgericht bestätigt wurde. „§40“, so heißt es in den hier interessierenden Gründen dieses Erkenntnisses, PG. will das kaufende Publikum vor Täuschungen schützen und zugleich verhindern, daß jemand durch unbefugte Patentberührung im geschäftlichen Wettbewerb Vorteile erzielt, die sich nach den Grundsätzen eines anständigen und soliden Geschäftsverkehrs nicht rechtfertigen lassen. Davon ausgehend muß es als zulässig bezeichnet werden, einen Gegenstand als patentiert zu bezeichnen, von dem tatsächlich nur ein Teil unter Patentschutz steht, vorausgesetzt, daß dieser Teil für das Wesen der zusammengesetzten Sache bestimmend und ausschlaggebend ist und gerade seiner Beschaffenheit und seiner Eigenschaften wegen sie zu einer besonders geschätzten und begehrten macht. Dieser Gedanke ist von dem Reichsgericht bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht worden. So ist zum Beispiel in dem Urteil vom 28. November 1900 ausgesprochen, daß bei der Patentierung eines Netzbodens für Metallmatratzen deshalb, weil dieser den Hauptteil der letzteren bildet, auch die Matratzen selbst mit dem Vermerk DRP. versehen werden dürfen. Im vorliegenden Falle bezieht sich das Patent auf ein Verfahren zur Herstellung von Bindemitteln für Pigmentfarben, Korkmehl und dergleichen. Die Wirkung dieses Patentes, d.h. die ausschließliche Benutzung und Verwertung der Erfindung erstreckt sich nach § 4 Satz 2 PG. auch auf das durch das geschützte Verfahren unmittelbar hergestellte Erzeugnis, das Bindemittel selbst. Durch dessen innige Vermischung mit einem Farbkörper entsteht ein neuer Stoff, die streichfertige Farbe, in der aber, wie das Oberlandesgericht im Anschluß an das Gutachten des Dr. M. feststellt, die Bedeutung des Bindemittels überwiegt. Der Erfinder eines neuen oder verbesserten Bindemittels kann unter Umständen eine neue Farbentechnik begründen. Vor allem legt aber das Oberlandesgericht mit Recht Wert darauf, daß die Vorzüge eines Bindemittels allen Farben, zu deren Erzeugnis es benutzt wird, zu gute kommen. Wenn das Berufungsgericht aus diesen Erwägungen den Schluß zieht, daß auf Grund des Verfahrenspatentes auch die mit der patentierten Erfindung (Bindemittel) hergestellten Streichfarben mit dem Patentvermerk versehen werden können, so ist darin ein Rechtsirrtum nicht zu erblicken. Dieses Urteil bezieht sich, wie ersichtlich, auf die rechtliche Beurteilung der sogenannten Verfahrenspatente. Es stellt neben dem oben erwähnten Grundsatz insbesondere fest, daß sich die Wirkung eines solchen Patentes auch auf die durch dieses hergestellten Erzeugnisse selbst erstrecke, so daß also die Erzeugnisse wie das Verfahren selbständigen Patentschutz genießen, demnach auch letztere selbst mit dem Vermerk DRP. bezeichnet werden können, wie dies ja auch der § 4 Absatz 2 des Patentgesetzes selbst ausdrücklich bestimmt. In dem Reichsgerichtsurteil vom 11. November 1915 ist als Grundsatz ausgesprochen worden, daß ein Patent, welches die erstmalige Lösung einer allgemeinen Aufgabe (Pionierpatent) bringt, auch solche Lösungen dieser Aufgabe umfaßt, die konstruktiv sehr erheblich von der im Patent angegebenen Lösung abweichen. Um gegenüber den drei Einrichtungen der Beklagten, so heißt es in den Gründen dieses Urteils, und nach den beiden bezeichneten Patenten den richtigen Standpunkt einzunehmen, ist das Augenmerk darauf zu richten, auf welche Weise bei gleichbleibender Geschwindigkeit der Arbeitswalzen das Tempo der Betätigung der Hilfsvorrichtungen (Einführungs- und Schneidevorrichtung) verändert, insbesondere verlangsamt wird. Dies geschieht l. bei dem Patent 226462 dadurch, daß die Nebenwelle (77), von der aus die Hilfsvorrichtungen angetrieben werden, im Gange verlangsamt wird; 2. bei dem Zusatzpatent 227 902 dadurch, daß diese Welle zwar immer gleich schnell geht, aber zeitweise stillgelegt wird; 3. bei der Kopiermaschine der Beklagten dadurch, daß eine die Messer in Wirksamkeit setzende Walze (zugleich Transportwalze) zwar immer gleich schnell geht, auch nicht zeitweise stillgesetzt wird, daß aber der Weg von einer Messerbetätigung zur anderen (durch Ausschaltung eines Messers) verlängert wird; entsprechend verhält sich die Einführungsvorrichtung. Hiernach ist der Beklagten zwar Recht zu geben, wenn sie betont, daß sich eine der erwähnten Nebenwelle entsprechende Welle bei ihrer Kopiermaschine nicht vorfindet. Allein daraus kann die Beklagte nicht folgern, daß ihre Maschine außerhalb des Schutzbereiches des Patentes der Klägerin stehe. Denn es ist |zu beachten, daß – wie bereits in dem im Nichtigkeitsstreit ergangenen Urteil des erkennenden Senats vom 20. Dez. 1913 ausgesprochen wurde und auch von den Vorinstanzen anerkannt wird – das Patent 226462 zum ersten Male die Aufgabe gelöst hat, bei unveränderter Umdrehungsschnelligkeit der Hauptwelle und Kopierwalze die Zahl der Arbeitsspiele der Hauptwelle und der Hilfs-vorrichtungen veränderlich zu machen. Von diesen neuen technischen Gedanken macht die Beklagte Gebrauch. Damit gerät sie in den Schutzbereich des Patentes 226462. Dieser Entscheidung ist ebenfalls zuzustimmen. Denn das Patentgesetz schützt nicht nur die Erfindung selbst in ihrer vorliegenden äußeren Form, sondern es will auch dem geistigen Erfindungsgedanken ihres Urhebers ein alleiniges ausschließliches Recht zu Teil werden lassen. Wie dieser in der Erfindung zum äußeren Ausdruck gebrachte Erfindungsgedanke technisch konstruktiv zum Ausdruck gekommen ist, ist hierbei an sich ohne Bedeutung, es können mit anderen Worten nicht dritte Personen sich dem Patentberechtigten gegenüber darauf berufen, daß ihre technische Konstruktion von der in der Erfindung selbst zur Anwendung gebrachten erheblich – mehr oder weniger – abweicht. Gerade die Verbesserung seiner Erfindung durch Anwendung anderer als der zuerst gewählten technischen Konstruktionsform ist ein freies Recht des Erfinders, das ihm nicht von dritter Seite entzogen werden kann. Wie dem Autor eines Romans die Dramatisierung seines Werkes vorbehalten ist, so ist es auch alleiniges Recht des Erfinders einer technischen Erfindung, denselben Erfindungsgedanken in einer anderen als der zuerst gewählten Konstruktion zur praktischen Verwertung in den Verkehr zu bringen, Eingriffe in dieses alleinige Recht des Erfinders stellen sich mit anderen Worten als eine Patentverletzung mit den entsprechenden juristischen Konsequenzen für den Drittverletzer dar. Dr. iur. Werneburg, Rechtsanwalt.