Titel: Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit.
Autor: A. Stodola
Fundstelle: Band 333, Jahrgang 1918, S. 17
Download: XML
Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit. Von Professor Dr. A. Stodola, Zürich. (Schluß von S. 3 d. Bd.) Eine neue kritische Wellengeschwindigkeit. 2. Welle mit vielen gleichmäßig verteilten Scheiben. Meine hierüber a. a. O. veröffentlichte Arbeit bezog sich auf vollständig ausgewuchtete Scheiben (e streng = 0) und führte auf das Vorhandensein eines indifferenten Gleichgewichts bei der Hälfte der jeweiligen gewöhnlichen kritischen Drehzahl. Nachfolgende Untersuchung zeigt, daß bei endlicher Exzentrizität die Verhältnisse unvergleichlich verwickelter sind. Machen wir die Verbindungslinie der Lagermitten zur X-Achse, legen die Y-Achse wagerecht, die Z-Achse senkrecht. Die wirklichen Räder denken wir in unendlich dünne gleichmäßig verteilte Scheiben gespalten und bezeichnen mit m 1 die Masse der Scheiben und der Welle für 1 cmder Länge, \Theta_{\mbox{p}_1}=m_1\,q^2 polares Massenträgheitsmoment f. 1 cm d. L., Θ1 = m1q12 auf einen Durchmesser bezogenes Trägheits-moment f. 1 cm d. L., Jp, J entsprechende Querschnitts-Trägheitsmomente Sy, Sz Schubkräfte parallel zu Y und Z, My, Mz Biegungsmomente in den YOX-, ZOX-Ebenen. Ein Element zwischen den Achsenlängen x und x + dx bietet in Richtung der Achse den Anblick in der Abbildung (vgl. S. 2), wobei S den Schwerpunkt der. zugehörigen Scheiben und Wellenmasse bedeutet. Mit y, z bezeichnen wir hier jedoch die Koordinaten des Wellendurchstoßpunktes W. Für den Schwerpunkt ist ys =y + ey; zg = z + ez. Daher \dot{y}_{\mbox{s}}=\dot{y}+\dot{e}_{\mbox{y}}; \ddot{y}_{\mbox{s}}=\ddot{y}+\ddot{e}_{\mbox{y}} ähnlich für z. In der Projektion auf die YOX-Ebene wirkt die Schubkraft Sy, auf die Stirnfläche bei x nach abwärts, My im Sinne des Uhrzeigers, auf die Stirnfläche bei x + dx beide entgegengesetzt. Die Resultierende der Fliehkräfte ist m1dxω2 (y + ey), diejenige der Corioliskräfte 2\,m_1\,d\,x\,\omega\,(\dot{z}+\dot{e}_{\mbox{z}}). Daher lauten die Schwerpunktsgleichungen (nach Kürzung mit m1dx), wenn man noch bei unendlich kleinem Wert des Winkels τ die Annäherungen e_{\mbox{y}}=e;\ \dot{e}_{\mbox{y}}=0;\ e_{\mbox{z}}=e\,\tau;\ \dot{e}_{\mbox{z}}=e\,\dot{\tau} . . (17a) einführt \ddot{y}=(y+e)\,\omega^2+2\,\omega\,(\dot{z}+e\,\dot{\tau})+\frac{1}{m_1}\,\frac{d\,S_{\mbox{x}}}{d\,x}-g\,\sin\,\omega\,t (18) (\ddot{y}+e\,\ddot{\tau})=(z+e\,\tau)\,\omega^2-2\,\omega\,\dot{y}+\frac{1}{m_1}\,\frac{d\,S_{\mbox{z}}}{d\,x}-g\,\cos\,\omega\,t (19) Für die Drehungsgleichungen um den Schwerpunkt müßte man strenggenommen, da Drehung um drei Achsen stattfindet, die Eulersche Form benutzen. Da indessen die Winkelgeschwindigkeiten der relativen Drehung ebenso wie die Auslenkungen als unendlich klein vorausgesetzt werden müssen, darf man die mit dem Produkt der Geschwindigkeiten behafteten Glieder weglassen. Die Neigungen gegen die festen Achsen sind τ, yI, zI, wenn wir mit römischen Ziffern I, II... die Ableitungen nach x bezeichnen, die Winkelgeschwindigkeiten \dot{\tau}\,\dot{y}^{\mbox{I}}\,\dot{z}^{\mbox{I}}, die Winkelbeschleunigungen \ddot{\tau}\,\ddot{y}^{\mbox{I}}\,\ddot{z}^{\mbox{I}}. Es findet grundsätzlich auch eine Verdrehung der Welle statt, so daß die Zunahme von τ auf der Länge dx ist. Bedeutet Mx das Torsionsmoment, so ist = Mxdx : JpG oder Mx = JpGdτ/dx. Im Endpunkt x + dx wirkt Mx + d . Mx, das freie Moment ist d\,M_{\mbox{x}}=J_{\mbox{p}}\,G\,\frac{\partial^2\,\tau}{\partial\,x^2}\,d\,x. Mit Rücksicht auf die Abbildung Seite 2 erhalten wir also die Drehungsgleichung für die zur X-Achse parallele Schwerpunktsachse \Theta_{\mbox{p}_1}\,d\,x\,\ddot{\tau}=e_{\mbox{z}}\,d\,S_{\mbox{y}}-e_{\mbox{y}}\,d\,S_{\mbox{z}}+J_{\mbox{p}}\,G\,\tau^{\mbox{II}}\,d\,s . (20) In die Drehgleichung für die Y-Achse tritt das Moment der Fliehkräfte ein, welches der Neigung yI entsprechend = – Θ1dxω2yI ist. Die Corioliskräfte ergeben kein Moment, die Schubkraft erzeugt Sydy, die elastischen Spannungen liefern dMy. Da immer JEyII = My gilt, ist dMy = JEyIIIdx, und die Drehungsgleichung wird: \Theta_1\,\ddot{y}^{\mbox{I}}=S_{\mbox{y}}-\Theta_1\,y^{\mbox{I}}\,\omega^2+J\,E\,y^{\mbox{III}} . . (21) ähnlich für z: \Theta_1\,\ddot{z}^{\mbox{I}}=S_{\mbox{z}}-\Theta_1\,z^{\mbox{I}}\,\omega^2+J\,E\,z^{\mbox{III}} . . (22) In den fünf Grundgleichungen (18) bis (22) kommen yzτ und SySz als Veränderliche vor; wir differentieren (21), (22) nach y bzw. z, und setzen die Werte dSy/dx: dSz/dx in Gleichung (18) und (20) ein. Wir bestimmen dann diejenige Auslenkung y = y0; z = 0 die bei stationärer Bewegung für g = 0 an unserer Welle zustande kommen würde, und setzen y = y0 + η: z = z0 + ζ. Dadurch gehen (18) und (19) über in -\ddot{\eta}+\eta\,\omega^2+2\,\omega\,(\dot{\zeta}+e\,\dot{\tau})+{q_1}^2\,(\ddot{\eta}^{\mbox{II}}+\eta^{\mbox{II}}\,\omega^2)-\frac{J\,E}{m_1}\,\eta^{\mbox{IV}}-g\,\sin\,\omega\,t=0 . . . (23) -(\ddot{\zeta}+e\,\ddot{\tau})+(\zeta+e\,\tau)\,\omega^2-2\,\omega\,\dot{\eta}+{q_1}^2\,(\ddot{\zeta}^{\mbox{II}}+\zeta^{\mbox{II}}\,\omega^2)-\frac{J\,E}{m_1}\,\zeta^{\mbox{IV}}-g\,\cos\,\omega\,t=0 . . . (24) Die Lösung y0 für die stationäre Bewegung muß aus Gleichung (y_0+e)\,\omega^2+{q_1}^2\,{y_0}^{\mbox{II}}\,\omega^2-\frac{J\,E}{m_1}\,{y_0}^{\mbox{IV}}=0 (24a) genommen werden. Indem man in der Drehungsgleichung (20) Produkte der kleinen Größen ηζτ vernachlässigt, entsteht -\Theta_1\,\ddot{\tau}+(\Theta_1\,{y_0}^{\mbox{II}}\,\omega^2-J\,E\,{y_0}^{\mbox{IV}})\,e\,\tau-[\Theta_1\,(\ddot{\zeta}^{\mbox{II}}+\zeta^{\mbox{II}}\,\omega^2)-J\,E\,\zeta^{\mbox{IV}}]\,e+J_{\mbox{p}}\,G\,\tau^{\mbox{II}}=0 (25) Der Ansatz η = Y sin ωt: ζ = Z cos ωt: τ = T cos ωt, wo Y, Z, T Funktionen von x allein sind, liefert die partikuläre, periodische Lösung, die der Wirkung der Schwerkraft entspricht. Die Gleichungen lauten: 2\,\omega^2\,Y-2\,\omega^2\,(Z+e\,T)-\frac{J\,E}{m_1}\,Y^{\mbox{IV}}-g=0 . (26) -2\,\omega^2\,Y+2\,\omega^2\,(Z+e\,T)-\frac{J\,E}{m_1}\,Z^{\mbox{IV}}-g=0 . (27) (\omega^2\,\Theta_{\mbox{p}_1}+\Theta_1\,{y_0}^{\mbox{II}}\,\omega^2\,e-J\,E\,{y_0}^{\mbox{IV}}\,e)\,T+J\,E\,e\,Z^{\mbox{IV}}+J_{\mbox{p}}\,G\,T^{\mbox{II}}=0 . . (28) Es ist hiernach grundsätzlich die Biegungsschwingung mit einer Drehschwingung vereinigt, und es kommt ganz auf die Verhältnisse jedes besonderen Falles an, ob man letztere vernachlässigen darf oder nicht. Bei verschwindend kleiner Verdrehung, d.h. unendlich großem Jp ist in der Grenze JpIIdx = dMx der Unterschied der Drehmomente am Element dx. Wir eliminieren diese Unbekannte durch Integration von Gleichung (24) zwischen 0 und L, der Länge der Welle, wobei an den Grenzen Mx = 0 gesetzt wird (unbeschadet des zur Ueberwindung des Widerstandes dienenden Momentes, da Mx nur das freie Moment bedeutet). Indem wir Gleichungen (26) und (27) einmal addieren, dann subtrahieren, erhält man mit Y + Z = U: Y – Z = V. . . . (29) JEUIV= – 2m1g. . . . . (30) 4\,\omega^2\,V-\frac{J\,E}{m_1}\,V^{\mbox{IV}}-4\,\omega^2\,e\,T=0 . . (31) wo T als Konstante betrachtet wird. Indem wir weiter die Veränderliche W = V – eT einführen, wird die letzte Gleichung JEWIV = 4ω2m1W. . . . (32) die in bekannter Weise integriert, mit h4 = 4m1ω2/JE. . . . . (33) V = W + eT = aehx+ a'e– hx+ b cos h . x + b' sin hx + eT liefert. Zufolge der Bedingungen am Wellenende werden alle Konstanten zu eT proportional, also wird auch V die Form V = eTf1 (x) haben. Schreiben wir Gleichung (30) in der Form \frac{1}{2}\,J\,E\,U^{\mbox{IV}}=-m_1\,g, so wird klar, daß U/2 nichts anderes ist, als die Verbiegung der Welle unter dem Eigengewicht. Das Integral hiervon schreiben wir als U = 2 f2 (x) und erhalten aus den Gleichungen (29) \left{{Y=\frac{1}{2}\,(U+V)=\frac{1}{2}\,e\,T\,f_1\,(x)+f_2\,(x)\ \ }\atop{Z=\frac{1}{2}\,(U-V)=-\frac{1}{2}\,e\,T\,f_1\,(x)+f_2\,(x)}}\right\}\ \ \ (34) Indem wir mittels des Integrals von (24a) y0IIy0IV und mittels (34) ZIV in (28) einsetzen, kann diese Gleichung, wie angeführt, integriert, und zur Bestimmung von T benutzt werden. Diese vereinfachte Behandlung der Aufgabe würde zu gleichen Folgerungen führen, wie mein zitierter Aufsatz. Die wirklichen Verhältnisse können jedoch nur aus der vollständigen Lösung der Gleichungen (26) bis (28) abgeleitet werden. Wir behalten uns späteres Eingehen hierauf vor, und teilen inzwischen mit, was die praktische Integration, d.h. der Versuch ergab. Unterhalb der 1. normalen kritischen Drehzahl tritt eine Störung durch das Gewicht sehr nahe bei der halben kritischen Drehzahl auf, und zwar sowohl bei freier Auflagerung und Antrieb mittels des Kreuzgelenkes, als auch bei doppelseitiger Einspannung. Diese Störung verschwinde vollkommen, wenn man die Welle senkrecht aufstellt. Zwischen der 1. und 2. normalen kritischen Drehzahl zeigt sich bei Kreuzgelenkantrieb eine Störung sowohl bei wagerechter wie bei senkrechter Welle. Wenn man jedoch die Ueberwucht sinusförmig über die Scheiben verteilt, bleibt die Störung bei wagerechter, verschwindet bei senkrechter Welle. Dabei findet sich folgendes Verhältnis \frac{\mbox{Drehzahl der }2.\mbox{ Gewichtsstörung}}{\mbox{Drehzahl der }1.\mbox{ normalkritischen Geschwindigkeit}}=2,5. An der eingespannten Welle konnte bei wagerechter Aufstellung nur eine Unstabilität des Gleichgewichts bis zum 1,4-fachen der normalen 1. kritischen Drehzahl festgestellt werden. Wir setzen die Versuche fort und werden nach deren Abschluß über das Ergebnis berichten. 3. Die Stabilität des relativen Gleichgewichts bei stationärer Bewegung über der kritischen Drehzahl. Ueber dem kritischen Punkt liegt der Schwerpunkt S gegenüber der Abbildung innen und der Wellenstoßpunkt W außen, daher für die „Anschauung“ eine Unstabilität des Gleichgewichts besteht. Die von mir hierüber veröffentlichte Untersuchung glaubt Gümbel durch eine Energiebetrachtung ersetzen zu können, indem er für eine Anzahl von Winkelgeschwindigkeiten die aus dem kritischen und dem potentiellen Anteil bestehende Gesamtenergie der Gleichgewichtslage bestimmt Ist diese größer als die Energie bei der kritischen Geschwindigkeit, so soll das Gleichgewicht stabil, im anderen Fall labil sein. Dieses Kriterium ist jedoch grundsätzlich fehlerhaft, wie Gümbel selbst gesehen hätte, wenn er es auf die widerstandsfreie Bewegung angewendet hätte.Im übrigen will er gewiß S. 254, 2. Spalte unten vom Bahnwiderstand absehen, rechnet indes doch mit den allgemeinen Gleichungen. Man findet für diesen Fall leicht, daß mit λ = ω : ωk E=\frac{m}{2}\,\left[\frac{e^2\,(\lambda^2+1)}{(\lambda^2-1)^2}+g^2\right]\,\lambda^2\,{\omega_{\mbox{k}}}^2 wird, und daß diese Energie bei ω = ωk aus dem Unendlichen herabsteigend, für (\lambda^2-1)^3=4\,\frac{e^2}{g^2} ein Minimum erreicht und mit wachsendem ω wieder ins Unendliche geht.Es hat vielleicht Interesse zu bemerken, daß die von mir aufgestellte richtige Stabilitätsbedingung\left(1-\frac{1}{\lambda^2}\right)^3\,>\,4\,\frac{e^2}{g^2}lautet, daß hiernach die Stabilität auch nicht etwa mit dem Minimum, sondern stets jenseits desselben beginnt. In Wirklichkeit besteht bekanntlich Stabilität der stationären Bewegung nicht bloß, wenn der allgemein gefaßte Wert der Gesamtenergie verglichen mit allen nahe benachbarten möglichen Zuständen ein Maximum, sondern ebenso gut wenn er ein Minimum ist. Führt man diese Untersuchung,Zum Beispiel nach Routh, Dynamik II S. 75 u. f. deren Wiedergabe hier zu weit führen würde, durch, so zeigt sich, daß über der kritischen Geschwindigkeit weder ein Maximum noch ein Minimum auftritt. Damit ist jedoch über die Stabilität nichts entschieden, und man muß zur Methode der kleinen Schwingungen greifen. Es nützt also nichts, daß Gümbel meine Rechnungen als „abstrakt“ ablehnt, und mir die Richtigstellung eines Versehens, welches einen nicht unheiklen Fall der Dynamik betrifft, so schwer ankreidet. Es gibt keinen anderen Weg, um zur Klarheit zu gelangen, will man nicht, wie Gümbel nun an sich erlebt, Irrtümern anheimfallen. Zusammenfassung. 1. An der wagerecht gelagerten eine einzelne Scheibe tragenden Welle wurde das Bestehen eines neuen kritischen Gebietes in der Gegend der halben gewöhnlichen kritischen Drehzahl theoretisch und durch Versuche erwiesen. Stellt man die Welle senkrecht auf, verschwindet diese Störung vollständig, sofern keine Ungleichförmigkeit des Antriebes durch Kreuzgelenkübertragung, d.h. bewegliche Kupplung vorliegt. 2. Für die durch viele gleichverteilte Scheiben belastete Welle sind die Verhältnisse theoretisch, wie eine Untersuchung mit Inbetrachtnahme der endlichen Exzentrizität zeigt, weit verwickelter. Versuche erweisen das Bestehen eines ersten kritischen Gebietes bei der halben gewöhnlichen ersten kritischen Drehzahl. Zwischen der 1. und 2. gewöhnlichen kritischen Drehzahl ist bei beweglicher Antriebskupplung eine Störung sowohl bei wagerechter wie bei senkrechter Wellenlage vorhanden, hängt jedoch ab von der Verteilung der Ueberwuchtmassen. 3. Die „Ablehnung“, die Gümbel gegenüber der unter 1. angeführten Störung aussprach, beruht auf einer irrtümlichen Auffassung der „Pendelschwingung“ und muß als unbegründet zurückgewiesen werden. 4. Die Gümbelsche Stabilitätsuntersuchung der stationären Bewegung ist ebenfalls verfehlt, und muß durch die Methode der kleinen Schwingungen, wie ich sie anwendete, ersetzt werden.