Titel: Zur Frage der Hochschulreform.
Autor: Gümbel
Fundstelle: Band 334, Jahrgang 1919, S. 128
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Zur Frage der Hochschulreform. Von Professor Dr.-Ing. Gümbel, Charlottenburg. [Zur Frage der Hochschulreform.] In seiner in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure veröffentlichten DenkschriftZerfall der Technischen Hochschule und Neubau der Hochschule, von Dr. A. Riedler. Z. d. V. d. I. Heft 14, 15. über die Reform des Hochschulunterrichtes erhebt Prof. Dr. Riedler eine Reihe schwerer Vorwürfe gegen die Handhabung des heutigen Hochschulunterrichtes, insbesondere an der Maschinenbauabteilung der Technischen Hochschule zu Berlin und stellt eine Reihe von Forderungen auf, die der Reform des Unterrichts dienen sollen. Man wird sich beim unbefangenen Lesen der Denkschrift nicht des Eindrucks erwehren können, daß die Vorwürfe, welche Riedler dem jetzigen Hochschulunterricht und den Lehrern macht, zu einem nicht geringen Teil nur aufgestellt sind, um auf dem so gewonnenen Hintergrund seine Reformgedanken sich besser abheben zu lassen, zu einem großen Teil wird man aber den Gedanken Riedlers zustimmen müssen. Ich glaube allerdings sagen zu dürfen, daß es sich in diesem Fall zumeist um Fragen handelt, die von allen Einsichtigen und nicht zum wenigsten von der Lehrerschaft in ihrer Bedeutung längst erkannt sind und innerhalb des Lehrkörpers zur Reformbewegung drängen. Zur Beurteilung von Reformvorschlägen ist die Kenntnis des beabsichtigten Unterrichtsplanes erforderlich. Wer nun in der Riedl ersehen Denkschrift diese Angaben über die Ausgestaltung des Unterrichts sucht, wird die Denkschrift enttäuscht aus der Hand legen. Um so gespannter konnte man auf die Ausführungen sein, welche Riedler einem kleinen geladenen, die wesentlich interessierten Hochschullehrer ausschließenden Kreise für den 20. Mai in Aussicht gestellt hatte. Diese Aussprache hat die von den Lehrern erhoffte, zur endgültigen Beurteilung der Riedlerschen Gedanken unbedingt notwendige, ausführliche Bekanntgabe des Riedlerschen Stundenplanes nicht gebracht. Ueber das in der Denkschrift Gesagte hinausgehend, wurde nur das folgende bekannt. In den beiden ersten Semestern sollen die theoretischen Fächer – als solche wurde die Mathematik im besonderen genannt, es dürften noch die Mechanik und darstellende Geometrie eingeschlossen gedacht sein – von 28 auf 10 Wochenstunden verringert werden. Die ersparte Zeit soll zur Erweiterung der Rechtsund Wirtschaftslehre sowie zur Aufnahme einer „Begriffslehre“ (Philosophie) und einer „Kulturlehre“, ferner zu einem in besonderer Weise geübten Unterricht der Fachlehre verwendet werden. Der Unterricht in den höheren Semestern soll durch Weiterführung der wissenschaftlichen Fächer – von denen Mathematik, Chemie und Physik genannt wurden – wissenschaftlich „vertieft“ werden. Durch besondere Ausgestaltung des Fachunterrichtes soll die Gesamtvortragsstundenzahl in der Fachlehre von 138 auf 80 Stunden oder da Riedler die Durchführung seines Reformprogramms in sechs Semestern für möglich hält, auf 60 Stunden ermäßigt werden. Der Unterricht soll von sechs Lehrern erteilt werden, welche einen geschlossenen, einheitlichen Ausbildungsgang gewährleisten und neben der jetzt bestehenden Abteilung für Maschineningenieurwesen tätig sein sollen. Es handelt sich also bei der Durchführung der Riedlerschen Reformgedanken um Eröffnung einer Konkurrenzschule gegen die jetzt bestehende. Die Durchführung des Riedlerschen Planes scheint nach den zustimmenden Aeußerungen des anwesenden ehemaligen Kultusministers Exzellenz Schmidt gesichert. An sich wird man – wie bei allen Konkurrenzen – aus einem solchen Konkurrenzunternehmen Vorteil für die Entwicklung der Lehre erwarten dürfen. Die Frage ist nur die, ob für den Studierenden der durch solche Verhältnisse geschaffene Zustand nicht wesentlich größere Nachteile im Gefolge haben wird. Man wird erwarten müssen, daß die Kritik, welche Riedler durch seine Denkschrift an der bestehenden Lehrmethode und den jetzigen Lehrern geübt hat, zersetzend auf die Studierenden wirken muß, um so mehr als denselben in der neuen Schule eine Verkürzung der Studienzeit von acht Semestern auf sechs Semester in Aussicht gestellt wird. In den an die Riedlerschen Ausführungen anschließenden Aussprachen wurde übereinstimmend als Ziel einer Reform zum Ausdruck gebracht: Vertiefung der wissenschaftlichen Erkenntnis, Beschneidung des Wissenstoffes, Zusammenfassung statt Zersplitterung. Darf man aber von einem Studienplan wie dem von Riedler vorläufig skizzierten solche Ergebnisse erwarten? Mit Recht wurde von dem Vertreter des mathematischen Unterrichts betont, daß, so wichtig die Weiterführung des mathematischen Unterrichts in den höheren Semestern sein würde, die Beschränkung in den ersten Semestern im Rahmen von 10 Stunden des wissenschaftlichen Unterrichts zur Oberflächlichkeit, nicht zur Vertiefung führen müsse. Das würde in noch weit höherem Maße meines Erachtens für den Unterricht in Mechanik gelten. Mit Recht machte der gleiche Redner auch darauf aufmerksam, daß die Forderung, der theoretische Unterricht müsse mit Anwendungsbeispielen aus dem Fach mehr wie bisher durchsetzt werden, in vielen Fällen darum zum Schlagwort wird, weil den Studierenden die Fachbegriffe gerade in den ersten Semestern noch fremder sind als die logisch entwickelten Begriffe der Mathematik oder Mechanik. Soll das Ziel einer gesunden Hochschulreform erreicht werden, so muß meines Erachtens die wissenschaftliche Grundlage verbreitert, also der Unterricht in Mechanik, Physik, Chemie und Mathematik gerade in den ersten Semestern nicht nur nicht beschnitten, sondern erweitert und durch seminaristischen Uebungsunterricht vertieft werden. Gleichzeitig und unter lebendiger Fühlungnahme mit den Ergebnissen der wissenschaftlichen Lehre muß das Gemeinsame der Ingenieurwissenschaften in den ersten vier oder fünf Semestern – hierin stimmen wohl alle Hochschullehrer Riedler warm bei – mehr wie bisher in den Vordergrund gestellt werden. Der eigentliche Fachunterricht- das Spezialstudium – kann auf die letzten drei oder vier Semester beschränkt werden, wobei aber – wieder im Sinne Riedlers – die Weiterführung der wissenschaftlichen Fächer auch in den höheren Semestern nicht vernachlässigt werden darf. Vor allen Dingen aber muß dem Schüler das Vertrauen zu seinem Lehrer erhalten bleiben. Vertrauen verbürgt den Erfolg des Arztes wie des Lehrers. Dieses Vertrauen aber wird dem Studierenden genommen, wenn die berechtigten Reformbestrebungen weiterhin in der Form behandelt werden, in welcher Riedler es in seiner Denkschrift zu tun für gut befand, oder wenn wie es leider Wahrheit zu werden scheint, die Hochschule zu Berlin Schauplatz eines Kampfes wird, der in dieser so bitter ernsten Zeit die Kräfte zersplittert statt sie zu sammeln.