Titel: Ein wesentlicher Fortschritt in der Erzeugung von Stahl auf Weicheisen.
Autor: Walter Beck
Fundstelle: Band 342, Jahrgang 1927, S. 87
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Ein wesentlicher Fortschritt in der Erzeugung von Stahl auf Weicheisen. Von Dr. Walter Beck, Frankfurt am Main. BECK, Ein wesentlicher Fortschritt in der Erzeugung von Stahl. Seit einer Reihe von Jahren werden Maschinenteile verschiedenster Art, z.B. Zahnräder, aus weichen, kohlenstoffarmen Eisensorten hergestellt, deren Bearbeitung naturgemäß mit geringem Werkzeugverschleiß möglich ist. Erst nach erfolgter Bearbeitung werden diese Teile, und zwar oberflächlich, in härtbaren Stahl verwandelt, indem man sie in eisernen Kästen mit kohlenstoff-, teilweise auch stickstoffhaltigen Härtepulvern längere Zeit auf 830–950° C erhitzt. Bei diesem Prozeß dringt der Kohlenstoff und Stickstoff des Härtepulvers je nach Temperatur. Zusammensetzung des Härtepulvers und Dauer des Erhitzens mehr oder weniger tief und intensiv ins Eisen ein. Eisen unter 0,6% Kohlenstoff ist nicht mehr härtbar. Die Praxis verlangt deshalb eine oberflächliche Aufkohlung des weichen Ausgangsmaterials, das in der Regel 0,1–0,2% Kohlenstoff enthält, auf wenigstens 0,9% Kohlenstoff. Diesen Vorgang nennt man Zementation. Die Oberfläche des Werkstückes ist nach dem Abschrecken in Wasser oder Oel stahlhart, während der Kern weich, zäh und biegsam bleibt, was für durch Stoß beanspruchte Maschinenteile wertvoll ist. Diese Art zu zementieren ist sehr umständlich und zeitraubend. Einmal nimmt das Verpacken der Werkstücke in die Kästen viel Zeit in Anspruch. Ferner sind die Einsatzpulver schlechte Wärmeleiter; die Wärmeübertragung auf das Härtegut geht deshalb sehr langsam vor sich. Um das Innere größerer Härtekästen zunächst einmal auf Zementiertemperatur zu bringen, sind allein schon mehrere Stunden erforderlich. Man hat daher versucht, durch Anwendung einer glühendflüssigen, kohlenden Salzschmelze die Wärmeübertragung wirtschaftlicher zu gestalten. Das Härtegut gelangt durch Eintauchen in diese Salzbäder nahezu sofort, größere Teile in wenigen Minuten auf Zementiertemperatur. Für diese Zwecke werden in Deutschland und in besonders großem Umfange in Amerika seit einigen Jahren Cyanidbäder (Cyankalium, Cyansalz. Cyandoppelsalz, Kaliblutlaugensalz usw.) bei Temperaturen bis max. 850° C verwendet. Will man die Temperatur steigern, so schäumen diese Bäder über. Das alte Cyankali-Tauchbadverfahren ist nur noch dort mit einigem Vorteil anwendbar, wo es sich um Erzielung geringer Härtetiefen handelt, etwa bis zu 0,4 mm, die in 4 Stunden erreichbar sind. Doch schon die Erreichung des 4. Zehntels ist nicht mehr wirtschaftlich. Vor einigen Monaten ist nun im Handel unter dem Namen „Durferrit Cyanhärtefluß III“ ein neues Tauchbad mit gewissen Zusätzen erschienen, in welchem Zementierungen bei Temperaturen ausgeführt werden können, die um ca., 120°C über den bei Anwendung von Cyankalium möglichen Temperaturen liegen. Durch diese erhöhten Einsatztemperaturen resp. die Zusätze erreicht man in einer halben Stunde bereits eine Härtetiefe von 0,4 mm – d. i. ein Mehrfaches gegenüber allen sonstigen Tauchbädern, beispielsweise das Achtfache gegenüber den bisherigen Cyanidbädern. In einer Stunde erzielt man in dem neuen Bad 0,6–0,8 mm, in 2 Stunden 1 mm. Das sind Härtetiefen, die man im alten Cyanidbade überhaupt nicht erreichen konnte. Da Kohlungstiefen von 0,4–0,7 mm – d.h. Einsatzzeiten von ½–1 Stunde – für die Mehrzahl der praktischen Fälle, z.B. für die Automobilindustrie, genügen, ist die Zementation in Cyanhärtefluß III bereits beendet, bevor die nach dem alten Einsatzverfahren in Härtepulver eingepackten Werkstücke die erforderliche Kohlungstemperatur erreichen, d.h. noch ehe dort eine nennenswerte Kohlung überhaupt begonnen hat; denn das Innere auch kleinerer Einsatzpulverkästen ist frühestens in 1–1½ Stunden auf Zementiertemperatur zu bringen. Die Ersparnisse, die dadurch an Arbeitszeit, Heizung usw. erzielt werden, sind sehr bedeutend. Ein Tauchbadofen braucht an sich etwa nur ein Viertel des Brennstoffes, den ein Einsatzpulverofen gleicher Charge benötigt. Rechnet man hinzu, daß die Einsatzdauer im Cyanhärtefluß-III-Salzbad für eine Härtetiefe von beispielsweise 0,7 mm nur eine Stunde beträgt, gegenüber 4 Stunden beim alten Einsatzverfahren einschließlich Durchheizung, so verringert sich der auf die gleiche Anzahl Werkstücke entfallende Brennstoffverbrauch bei Cyanhärtefluß III also max. bis auf 6 Prozent des Brennstoffverbrauches beim alten Einsatzverfahren. Auch gegenüber Cyankalium und sonstigen Salzbädern beträgt Arbeitszeit und Brennstoffverbrauch nur noch einen Bruchteil. In einem Ofen setzt man in der gleichen Zeit bei Anwendung des neuen Verfahrens ein Mehrfaches von früher um. Weitere Vorteile des Cyanhärtefluß-III-Verfahrens, wie absolut gleichmäßige Erhitzung und sichere Erreichung der angestrebten Kohlungstiefe – die Erhitzung des Härtepulverkasteninhalts erfolgt dagegen von außen nach innen ungleichmäßig – sind allgemeine Vorzüge der Tauchbäder überhaupt und brauchen heute kaum noch besonders angeführt zu. werden. Ein wesentlicher Vorteil ist die Leichtflüssigkeit des Bades. Ein Verbiegen des Härteguts, wie es bei manchen, infolge Bildung eines Bodensatzes zähflüssigen Bädern stattfindet, kommt bei Cyanhärtefluß III niemals in Frage. Infolge der Dünnflüssigkeit bleiben außerdem nur geringe Mengen Cyanhärtefluß III an den getauchten Gegenständen haften; in der Praxis rechnet man mit ca. ½–4% des Tauchgutgewichtes, je nach Größe und Form des Tauchgutes. Das Cyanhärtefluß-III-Bad behält trotz der hohen Anwendungstemperatur seinen hohen Wirkungsgrad dauernd bei und braucht niemals zwecks Erneuerung ausgeschöpft zu werden. Es bedarf nur einer Ergänzung des obengenannten, geringen Anhafteverlustes von ½–4% des Härtegutgewichtes. Ein Verdampfen kommt durch besondere Vorkehrungen praktisch nicht in Frage, wie schon der geringe Gesamtverbrauch an Salz besagt. Durch die bedeutend verkürzte Einsatzdauer bei Cyanhärtefluß III wird endlich das Wachsen der Eisenkristalle auf ein Minimum herabgedrückt und ein äußerst feinkörniger, zäher und biegsamer Eisenkern erhalten, im Unterschied zu Gegenständen, die, um in Härtepulvern oder anderen Salzbädern auf gleiche Tiefe zementiert zu werden, wesentlich längere Zeit erhitzt werden müssen. Deren grobes Kerngefüge kann, z.B. nach Einsetzen in Pulvern bei 830°C und Abkühlen im Härtekasten nur durch nochmaliges kurzes Erhitzen und anschließendes Abschrecken verfeinert werden; nur durch diese Mehrarbeit erlangen solche Teile die Zähigkeit und Biegsamkeit des in Cyanhärtefluß III zementierten Härtegutes. Große Zähigkeit und Bruchsicherheit des Kernes soll bei durch Stoß beanspruchten Teilen aber gerade der wesentliche Vorzug der Einsatzhärtung sein. Die überragende Bedeutung des Cyanhärtefluß-III-Verfahrens ist hiernach offensichtlich. Die Urteile aus allen Zweigen der stahlverarbeitenden Industrie, die das Verfahren bereits eingeführt haben, lauten sehr günstig. Neuerdings wird Cyanhärtefluß III noch als Zusatz zu neutralen Glühsalzen benutzt, die für sich allein zum bloßen Erhitzen von Stählen mit genügend hohem Kohlenstoffgehalt dienen. Durch Zusatz weniger Prozente Cyanhärtefluß III wird die in einfachen Glühsalzen unvermeidliche Entkohlung der Oberfläche solcher Stähle sicher vermieden. Die Stähle verlassen das kombinierte Bad bezw. das Abschreckwasser silbergrau und glashart, ohne Erweichung der Oberfläche. Für besonders geformte Stähle mit scharfen Spitzen und Kanten, wie z.B. Feilen, wird der Zusatz von Cyanhärtefluß III entsprechend erhöht und dem Kohlenstoffgehalt der Stähle resp. der erforderlichen Glühtemperatur angepaßt. Ein Einschmieren der Feilen mit einer die Entkohlung der Feilenspitzen verhindernden Schutzpaste, deren Entfernung nach dem Glühen im Bleibad usw. ist vollständig überflüssig geworden, und in den meisten Fällen erübrigt die silbergraue, glasharte Oberfläche sogar jede Nachreinigung im Sandstrahlgebläse. In neuester Zeit soll eine derartige Salzbadkomposition mit Cyanhärtefluß III zur Wärmebehandlung von Legierungen wie Alpaka, Neusilber, Messing, Duralumin usw. angewandt werden, wobei ebenfalls jede Verzunderung verhindert wird. Die Teile sollen blank aus dem Bad herauskommen, so daß also auch hier ein ganzer Fabrikationsgang ausgespart wird. Bei wertvolleren Legierungen ist die dadurch erzielte Verhinderung von Materialverlust noch in Rechnung zu ziehen. Ueber diese neuesten Anwendungsgebiete soll später berichtet werden. Die außerordentliche Verkürzung der Arbeitsdauer sowie Vereinfachung der Arbeitsweise, die sämtliche Durferrit-Salzbad-Verfahren bringen, ermöglichen vielen Industriezweigen gleichzeitig die Einführung von Fließarbeit. Hierzu geeignete Salzbad-Oefen werden demnächst im Handel erscheinen.