Titel: Die „lebenswichtigen“ Fensterscheiben.
Autor: A. Salmony
Fundstelle: Band 343, Jahrgang 1928, S. 115
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Die „lebenswichtigen“ Fensterscheiben. Von Dr. A. Salmony. SALMONY, Die „lebenswichtigen“ Fensterscheiben. In der Februar-Nummer des vorigen Jahres ist schon von der heilenden Wirkung der ultravioletten Strahlen durch die Hanauer Quarzlampe (künstliche Höhensonne) gesprochen, und sind die medizinischen Spezial-Apparate genauer beschrieben worden. Im Anschluß hieran dürfte es zweckmäßig sein, das zurzeit viel beachtete Thema das für ultra-violette Strahlen durchlässige Fensterglas näher zu betrachten. Bis vor nicht langer Zeit war man der Ansicht, daß nicht nur die sichtbaren Strahlen, die ein Wellengebiet von 800 bis 400 millionstel Millimeter (abgekürzt Millimikron) umfassen, durch Fensterscheiben dringen, sondern auch die unsichtbaren, besonders die im Bereiche der ultra-violetten Strahlen liegenden, d.h. die, die noch kürzere Wellenlängen bis 287 Millimikron aufweisen. Das hat sich als ein Irrtum herausgestellt, denn nach genauen und einwandfreien Forschungen läßt das gewöhnliche Fensterglas nur die Strahlen bis 320 Millimikron durch. Hier aber hört wohl das Gebiet der chemisch wirksamen Strahlen auf, d.h. der auf die photographischen Platten einwirkenden, wogegen die das Leben stark beeinflussenden Strahlen einsetzen, die ihren Höhepunkt bei 300 Millimikron haben. Diese Erkenntnis führte dazu, daß man schon im Anfange dieses Jahrhunderts ein für optische Zwecke sehr stark ultra-violette Strahlen durchlässiges Glas herstellte, eine Erfindung der berühmten Jenaer Glaswerke Schott & Gen. in Jena. Dieses Glas ist aber als Tafelglas infolge des hohen Preises nicht geeignet; dennoch hätte man glauben sollen, daß man in Deutschland auch eine hierfür zweckmäßige Glassorte zuerst finden würde. Leider sind uns Amerika und England als Pioniere vorangegangen, denn es gelang vor 2 Jahren einem englischen Professor, ein Glas mit einer für die „lebenswichtigen“ Strahlen großen Durchlässigkeit herzubringen, besonders durch Anwendung möglichst reiner Rohmaterialien und unter Ausschaltung von Blei. Er nannte sein Glas „Vita“-Glas, welches von der „Vitaglas-Corporation“ in ausgedehntem Maße hergestellt wird. In Amerika ist eine der bekanntesten derartigen neuen Glassorten, das Quarzglas der Corning Glas-Works. – In Deutschland ist es nunmehr auch geglückt, ein für ultra-violette Strahlen durchlässiges Glas zu erzeugen und sogar zum Teil von weit größerer Durchlässigkeit, als das genannte Vitaglas. Die Durchlässigkeit ist abhängig besonders von der Glasstärke. Da das Fensterglas meist 2 mm stark ist, so dürfte das Prüfungsergebnis an Hand dieser Glasdicke die Allgemeinheit besonders interessieren und zwar bei 300 Millimikron Wellenlänge, d.h. dort, wo die Strahlen von größter Heilkraft sind. Das Vitaglas läßt etwa 50% durch, während das U. V. Neu-Glas (Neue Glas-Industrie, Weißwasser) sowie das Uviol-Glas (Schott & Gen., Jena) und das Sendlinger Glas (Sendlinger Opt. Glas-Werke, Berlin-Zehlendorf) bis zu 50% mehr Strahlen durchlassen. Das Ultravitglas, das Brephos-Glas und das Sanalux-Glas, auch deutsche Fabrikate, sind dem englischen Vitaglas gleichwertig. Die Abnahme der Durchlässigkeit für dickeres Glas zeigt z.B. folgendes Prüfungsergebnis: 1 mm Dicke 62%; 2 mm 40%; 3 mm 25% Durchlässigkeit. Ueber therapeutische Versuche in Schulen sei kurz erwähnt, daß Vergleichsversuche während ¾ Jahren in Schulklassen unter Verwendung von gewöhnlichem bzw. Vitaglas das staunenswerte Ergebnis hatten, daß das Durchschnittsgewicht der Schüler in den Vitaglas-Zimmern etwa um das Doppelte zugenommen hatte und der Gehalt an roten Blutkörperchen war über doppelt so groß geworden, während die Durchschnittsgröße etwa 33% mehr erreicht hatte. Versuche sind auch im. vergangenen Jahre von der Zoologischen Garten-Gesellschaft in London durch Bedeckung des Löwen- und Affenhauses mit Vitaglas praktisch erprobt worden, mit dem Ergebnis, daß im Gegensatz zu den sonstigen Jahren alle Tiere leben und gesund blieben. Ferner beobachtete man in Gewächshäusern, die mit dem englischen Vitaglas bedeckt waren, in Vergleichsversuchen ein schnelleres und stärkeres Wachstum der Pflanzen, schöneres und volleres Aussehen der Blumen und den sehr wichtigen Faktor eines weit reicheren Vitamingehaltes. Es dürfte für die Allgemeinheit von Interesse sein, zu wissen, daß Bios-Neuglas (U. V. Neuglas der Neuen Glasindustrie, Weißwasser, O./L.) aus den üblichen Rohmaterialien, wie Sand, Soda, Glaubersalz in reinster Form unter Zufügung geringer Mengen besonderer Chemikalien hergestellt wird. Das englische Vitaglas, und diesem ähnliche Sorten, wie Ultravitglas (der Hirsch & Co. Glashütte, Kunzendorf), bestehen auch aus angeführten Rohmaterialien möglichst ohne fremde Beimengungen, besonders frei von Eisenoxyden. Die sogenannten optischen Gläser, wie der Sendlinger Opt. Werke, Berlin-Zehlendorf und von Schott & Gen., Jena, enthalten in der Hauptsache Borsäure. Die sorgfältige Herstellung dieser U.V.-Fenstergläser und ihre z. T. teuren Rohmaterialien bedingen einen wesentlich höheren Preis als für gewöhnliches Fensterglas, etwa 2–3mal so hoch. So ist der Unterschied im Preise etwa folgender: Gew. Fensterglas, geblasen oder gezogen 2 mm stark, p. qm M. 3,75, U.V.-Neuglas (Bios Neuglas) durchsicht. 2 mm stark, p. qm M. 11–13,50, Sendlinger oder (Uviol)-Glas, durchsicht. 2 mm stark, p. qm M. 9–19, Sendlinger oder (Uviol)- oder Neuglas, durchscheinend 2 mm stark, p. qm M. 4–5,50. Die vitaglasähnlichen, wie z.B. das Ultravitglas, kosten nach Angabe etwa das Gleiche. In geringeren Ausmaßen wie 1 qm kosten diese U.V.-Gläser bis zu 25% weniger. Die durchscheinenden Gläser sind gegossen, haben eine leichtgewellte Oberfläche und sind daher unklar. Sie eignen sich nur für gewisse Zwecke wie Badezimmerfenster, Büroräume, Gewächshäuser. Wie schon gesagt, sind diese lebenswichtigen Strahlen nicht nur im direkten Sonnenlicht, sondern auch im zerstreuten Tageslicht vorhanden; hierdurch wird das Verwendungsgebiet dieses neuen Glases außerordentlich umfangreich. Selbstverständlich wird in erster Linie von größter Wichtigkeit sein, alle Gebäude und Räume mit dem neuen Glas zu versehen, die Kranken und Erholungsbedürftigen dienen sollen, und im ganz Besonderen in Heilstätten für Lungenkranke; darüber hinaus muß in erster Linie an die heranwachsende Jugend gedacht werden, so z.B. sollten die Schulen, Kinderheime und Sporthallen sämtlich dieses neue „heilbringende“ Fensterglas erhalten. Auch liegt es im weiten volksgesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Interesse, dem sogenannten Stubenhocker und dem Fabrikarbeiter nach Möglichkeit den Vorteil dieser U.V.-Strahlen zu bieten, um die Arbeitskraft und den Arbeitswillen zu erhalten und zu starken, um die Schwächlichen zu heilen und die Gesunden gesund zu erhalten.