Titel: Ueber einen neuen, glasklaren, spritzbaren Werkstoff.
Autor: K. Hesse
Fundstelle: Band 346, Jahrgang 1931, S. 101
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Ueber einen neuen, glasklaren, spritzbaren Werkstoff.aus TFT 1931/5. Verlag Richard Dietze, Berlin W 50. Von Postdirektor Dipl.-Ing. K. Hesse. Ueber einen neuen, glasklaren spritzboren Werkstoff. In den letzten Monaten ist ein Werkstoff erfunden worden, der eine Reihe von Eigenschaften besitzt, die bisher von anderen Materialien nicht erreicht wurden. Es handelt sich um einen chemischen Kunststoff, der der Gruppe „polymerer Vinylverbindungen“ angehört und lediglich aus den Elementen Kohlenstoff und Wasserstoff aufgebaut ist; die chemische Bezeichnung lautet „Polystyrol“. Hersteller sind die Rheinisch-Westfälischen Sprengstoffwerke in Troisdorf, die das Material unter dem Namen „Trolitul“ auf den Markt bringen. Es lassen sich daraus Gegenstände herstellen, die sich weder dem Aussehen noch dem Klange nach von solchen aus Glas oder Porzellan unterscheiden, ohne dabei, was naturgemäß von besonderem Wert ist, deren Sprödigkeit zu besitzen. Durch Zusatz von Farbstoffen erzielt man, ähnlich wie bei bunten Glassorten, auch zarte und leuchtende Tönungen. Im übrigen gehen die Werkstoffeigenschaften aus nachstehender Uebersicht hervor: a) Biegefestigkeit: rd. 600 kg/cm2. b) Schlagbiegefestigkeit: 10–11 emkg/em2. c) Elektrische Isolationsfähigkeit: fast unendlich. d) Dielektrischer Verlustwinkel tgδ: 0,001. e) Wärmebeständigkeit in Martensgraden: 60°. f) Glutsicherheit: 1. g) Spez. Gewicht: 1,05. Zu a). Die Biegefestigkeit ist recht beträchtlich, wenn man berücksichtigt, daß z.B. Gußeisen nur fast den halben Wert erreicht und Glas eine Biegefestigkeit von etwa 370 kg/cm2 besitzt; sie entspricht etwa derjenigen des Hartgummis. Zu b). Die Schlagbiegefestigkeit ist ein Maß für die Zerbrechlichkeit der Stoffe bei Schlag- und Stoßbeanspruchung (z.B. Fall auf den Boden).Der Wert von 10 bis 11 cmkg/cm2 ist sehr günstig, wenn man bedenkt, daß die Schlagbiegefestigkeit z.B. von Hartporzellan nur 1,7, von Kunstpreßharz (Bakelit) nur 6 bis 8 cmkg/cm2 beträgt. Zu c) und d). Besonders hervorragend sind die elektrischen Eigenschaften als Isolierstoff, die lediglich von dem sehr teuren Bernstein erreicht werden. Der dielektrische Verlustwinkel ist z.B. bei Bakelit je nach der verwendeten Sorte 4- bis 150mal so hoch. Das neue Material dürfte daher auch in der Elektrotechnik bald ein unentbehrlicher Baustoff sein. Zu e). Unter Wärmebeständigkeit in Martensgraden ist folgendes zu verstehen. Ein aus dem zu untersuchenden Material hergestellter Stab wird mit dem einen Ende in eine Vorrichtung eingeklemmt und an dem freien Ende so mit Gewichten belastet, daß eine Biegebeanspruchung von 50 kg/cm2 erreicht wird. Diejenige Temperatur in Gelsiusgraden, bei der sich der Stab in einer Entfernung von 120 mm vom eingeklemmten Ende um 3 mm biegt, gilt als Wärmebeständigkeit in Martensgraden. Mit einem Wert von 60° entspricht sie bei dem neuen Material derjenigen des Hartgummis (50 bis 80°). Da eine Belastung von 50 kg/cm2 verhältnismäßig hoch ist und bei den meisten Konstruktionen bei weitem nicht in Frage kommt, können die aus dem neuen Werkstoff hergestellten Gegenstände Temperaturen von mehr als 60 ° ausgesetzt werden, ohne daß Formveränderungen auftreten. Zu f). Man hat sechs Grade der „Glutsicherheit“ als Maß für die Brennbarkeit eines Stoffes festgelegt. „Null“ bedeutet, daß ein Material leicht und selbsttätig weiterbrennt; „5“ bedeutet, daß es nicht entflammbar, also feuerfest ist, Die Zahlen 1 bis 4 sind Zwischenstufen. Der neue Werkstoff ist demnach brennbar, wenn auch nicht in sehr starkem Ausmaß. Hartgummi hat z.B. die Glutsicherheit Null. Zu g). Das spez. Gewicht von 1,05 ist außerordentlich niedrig. Bei Aluminium beträgt es z.B. 2,6, bei Glas 2,4 bis 3,9. Das neue Material ist widerstandsfähig gegen fast alle Säuren und Alkalien, auch gegen Alkohol. Gegenstände aus dem Material werden mittels Spritzpressen hergestellt. In einen senkrecht angeordneten eisernen Zylinder, der am unteren Ende in eine Düse ausläuft, wird das Spritzmaterial eingefüllt und meist durch Gasheizung in den plastischen Zustand versetzt. Eine durch Hand oder Maschine betätigte Vorrichtung drückt einen Kolben in den Zylinder und damit das plastische Material durch die Düse, die in die stählerne Form mündet. Dieses Verfahren hat den besonderen Vorzug, daß selbst komplizierte Gegenstände schnell, ohne nennenswerte Nacharbeit und daher mit geringen Kosten gefertigt werden können. Metallteile lassen sich haltbar mit einspritzen, während bei Glas das Einpressen von Metallteilen an besondere Bedingungen geknüpft und daher nur in wenigen Fällen möglich ist. Trotz der mittelmäßigen Wärmebeständigkeit und Glutsicherheit wird der neue Werkstoff sich wegen seiner sonstigen guten Eigenschaften bald große Anwendungsgebiete erschließen. Die Kosten für Material und Spritzverfahren sind gering, so daß vom Standpunkt der Wirtschaftlichkeit aus die Anwendung nicht erschwert wird.