Titel: Ueber Bereitung des Soda-Bicarbonates mittelst der Kohlensäure der Quellen zu Vichy, im Deptt. Allier. Von Hrn. D'Arcet.
Fundstelle: Band 37, Jahrgang 1830, Nr. CXXI., S. 441
Download: XML
CXXI. Ueber Bereitung des Soda-Bicarbonates mittelst der Kohlensaͤure der Quellen zu Vichy, im Deptt. Allier. Von Hrn. D'Arcet. Aus dem Journal de Pharmacie. Jun. S. 329. Mit Abbildungen auf Tab. VIII. D'Arcet, uͤber Bereitung des Soda-Bicarbonates. Bei meinem ersten Besuche der Baͤder zu Vichy fand ich mich einige Tage nach dem Gebrauche derselben so wohl, daß ich meine ganze Aufmerksamkeit auf die Anwendung, Wirkung und noch moͤgliche Vervollkommnung in der Verwaltung dieses Heilmittels wendete. Da ich die Eigenschaft, schwache Verdauung wieder herzustellen, an dem Wasser zu Vichy zugleich mit der Langsamkeit bemerkte, mit welcher dasselbe diese heilsame Wirkung hervorbringt; so dachte ich Soda-Bicarbonat, welches der wirksame Bestandtheil dieses Mineralwassers ist, im trokenen Zustande und befreit von der Menge Wassers, in welcher dasselbe aufgeloͤst ist, anzuwenden. Damals war es, wo ich die alkalischen Pastillen (pastilles alcalines), die zeither beinahe allgemein gebraucht werden, zum ersten Male mit dem besten Erfolge anwendete. (Vergl. Annal. de Chim. et de Phys. t. 31. p. 58, 301.) Da nun die Vortheile der Alkalisirung der Nahrungsmittel, wenn sie sich in einem schwachen Magen befinden, erwiesen waren, dachte ich auf Mittel, das Soda-Bicarbonat, von welchem ich nun einen bedeutenden Verbrauch voraussah, so wohlfeil zu machen als moͤglich. Ich wuͤnschte zu dieser Fabrikation die Kohlensaͤure zu verwenden, welche sich in ungeheuerer Menge aus den gashaltigen Quellen zu Vichy entwikelte, und errichtete zu diesem Ende einen hoͤchst einfachen Apparat, der mir sehr gute Resultate gab. Ich will nun hier diesen Apparat beschreiben, die guͤnstigen Umstaͤnde bemerken, welche die Anwendung desselben erleichtern, und den Handelsmann in den Stand sezen, allen Bedarf an Soda-Bicarbonat sich so leicht und wohlfeil als moͤglich zu verschaffen. Fig. 1. ist der Grundriß der Quelle la Grande grille zu Vichy Das Beken dieser Quelle bildet ein Achtel, und ist mit einer Stuͤzmauer, bb, verbunden, welche die bedekte Promenade, in welcher sich die Trinkgaͤste befinden, von dem Gemache abscheidet, in welcher die Flaschen zur Versendung gefuͤllt werden. Fig. 2. ist ein senkrechter Durchschnitt der Quelle und der Stuͤzmauer, zugleich mit einem Aufrisse des ganzen Apparates, so wie derselbe zur Arbeit aufgestellt seyn muß. Dieselben Buchstaben bezeichnen dieselben Gegenstaͤnde. a, senkrechter Durchschnitt des Bekens der Quelle. bb, Durchschnitt der Stuͤzmauer. cd, großer Trichter aus Eisenblech. e, Brett, das quer uͤber die Quelle gelegt ist, und durch welches die Roͤhre des Trichters laͤuft, die in demselben wohl befestigt ist. f, Gewicht aus Gußeisen oder großer Stein, der das Brett, e, und den Trichter, c, d, fest an seiner Stelle haͤlt. g, doppelt gekruͤmmte Roͤhre aus Eisenblech zur Leitung des kohlensauren Gases aus der Quelle in das Gefaͤß h. h, Bottich aus weißem Holze oder aus Steingut, welcher mit einer gesaͤttigten Aufloͤsung von reiner kohlensaurer Soda gefuͤllt ist. i, reine kohlensaure Soda, welche auf einem hoͤlzernen Gitter liegt, und in Saͤken aus Leinwand stekt, oder in einem Siebe hingestellt ist, und einige Centimeter tief in die Aufloͤsung der kohlensauren Soda in dem Bottiche, h, eintaucht. l, Sieb oder hoͤlzernes Gitter. m, Wasser der Quelle. n, Zapfen am Boden derselben. s, Quelle oder Ursprung der Quelle la grande grille. Diese Beschreibung und die Ansicht der Figuren wird hinreichen um begreiflich zu machen, wie die Kohlensaͤure s unter dem Trichter, d, aufgefangen und von da durch den Druk des Wassers in die Roͤhre, g, und aus dieser durch die gesaͤttigte Aufloͤsung der kohlensauren Soda in dem Bottiche h getrieben wird.Ein aͤhnlicher Apparat wuͤrde sich zu Pyrmont, im Marienbade, an allen Mineralquellen Deutschlands, Boͤhmens, Ungerns, Polens, Italiens, welche viel kohlensaures Gas entwikeln, so wie auf großen Wein-Cider-Bierfaͤssern mit Vortheil anbringen lassen. Die Grotta del Cane zu Neapel waͤre ein herrliches Laboratorium fuͤr einen Carbonat- (nicht Carbonari-) Fabrikanten: er koͤnnte ganz Italien mit Soda-Bicarbonat versehen. A. d. Ue. Da das Soda-Bicarbonat, welches sich hier bildet, weniger aufloͤsbar ist, als die kohlensaure Soda, so faͤllt es als Pulver auf den Boden des Gefaͤßes h nieder, waͤhrend die Aufloͤsung durch die kohlensaure Soda i auf dem Gitter l, welche einige Centimeter tief in diese Aufloͤsung eintaucht, immer auf dem Saͤttigungspunkte erhalten wird. Folgende Betrachtungen werden erklaͤren, wie dieser Apparat, obschon an und fuͤr sich klein, bedeutende Mengen produciren kann. Eine große Menge von Beobachtungen waͤhrend drei verschiedener Jahre hat mich uͤberzeugt, daß die hoͤchste Temperatur der Quelle am Grunde des Ursprunges, s, 40° am hundertgradigen Thermometer betraͤgt, und daß die gewoͤhnliche Temperatur dieses Mineralwassers oben im Beken, bei m, 38,5° betraͤgt. Es folgt hieraus, daß das Gas warm in dem Bottiche, h, anlangt, und daß es schnell die Temperatur der darin enthaltenen Aufloͤsung der kohlensauren Soda erhoͤht. Da diese Aufloͤsung bestaͤndig in Beruͤhrung mit der krystallisirten kohlensauren Soda ist, welche sich in dem Siebe, l, befindet, und da die Saͤttigung unter einer Temperatur von 30° Statt hat, so loͤst sie eine sehr große Menge dieses Salzes auf, und bietet so, ungeachtet der hoͤheren Temperatur, weit groͤßere Gelegenheit zur Einsaugung dar, als wenn die Aufloͤsung, nicht mit kohlensaurer Soda gesaͤttigt, bei der gewoͤhnlichen Temperatur von 12 bis 15° am hundertgradigen Thermometer geblieben waͤre. Man muß, einige Zeit, ehe man den Apparat abnimmt, dafuͤr sorgen, daß die uͤberfluͤssige Soda in dem Siebe, l, weggehoben wird, damit alle Soda, welche sich in der Fluͤssigkeit befindet, noch ehe in Bikarbonat verwandelt wird, ehe man das Bicarbonat, welches sich in Pulverform am Boden des Gefaͤßes gesammelt hat, herausnimmt. Man erspart auf diese Weise die Nothwendigkeit, das Soda-Bicarbonat, das man auf einem Tenakel abtroͤpfeln laͤßt, mit etwas Wasser abzuwaschen. Das gut abgetroͤpfelte Salz kommt hierauf zwischen Leinwand und unter eine starke Presse, und wird sodann zerdruͤkt und an der Luft oder in einer sehr schwach geheizten Trokenstube getroknet. Auf diese Weise erhaͤlt man gutes Soda-Bicarbonat, welches gewoͤhnlich im Zentner   35 Soda,   50 Kohlensaͤure,   15 Wasser enthaͤlt. ––––– 100 Dieses Soda-Bicarbonat besizt keine deutlich ausgesprochene krystallinische Form; es ist ein koͤrniges matt weißes Pulver. Es besizt einen nur sehr schwachen alkalischen Geschmak, und die Erfahrung hat erwiesen, daß es zur Bereitung der alkalischen Pastillen sehr gut taugt. Wir wollen nun sehen, wie hoch das auf diese Weise erzeugte Salz zu stehen kommen kann. Ein Zentner krystallisirte im Handel vorkommende Soda enthaͤlt im Durchschnitte   21 Soda,   15 Kohlensaͤure,   64 Wasser. ––––– 100 Wenn man dieses Verhaͤltniß der Bestandtheile mit dem oben angegebenen des Bicarbonates vergleicht, so ergibt sich, daß, um 100 Kilogramm Bicarbonat zu erzeugen, 167 Kilogramm krystallisirte kohlensaure Soda nothwendig sind, die, da 100 Kilogramm 72 Franken kosten, nur 120 Franken kosten wuͤrden. Die uͤbrigen Auslagen bei der Arbeit, wenn diese zu Vichy selbst vorgenommen wird, waͤren unbedeutend. Wenn wir aber auch annehmen, daß diese Kosten und der Gewinn, den die Arbeit gewaͤhren soll, zusammen eben so viel betragen sollten, als der Ankaufspreis der Soda selbst, so ließe sich, selbst unter dieser moͤglich unguͤnstigsten Bedingung, das Kilogramm Soda-Bicarbonat noch um 2 Franken 40 Cent. verkaufen. Die Vortheile, welche die Baͤder zu Vichy in dieser Hinsicht gewaͤhren, sind unermeßlich, wie aus Folgendem erhellt. 1) kann man, ohne mindesten Nachtheil fuͤr die Badeanstalt, alle Kohlensaͤure sammeln und anwenden, welche sich aus den Gasquellen zu Vichy waͤhrend 6–7 Monaten des Jahres entwikelt. 2) liefert die Quelle La Grande Grille, an welcher ich den hier beschriebenen Apparat aufstellte, 19 Liter Gas in Einer Minute (1 Liter = 70,068 Wiener Maß); sie koͤnnte folglich in 24 Stunden 216 Kilogramm Soda-Bicarbonat erzeugen. 3) liefern die Quellen de l'hôpital und des grand puits carré, erstere in Einer Minute 74 Liter, leztere 52 Liter Kohlensaͤure.Ich habe oͤfters, und zwei Jahre nach einander, alle Quellen zu Vichy abgeeicht, um mit aller Genauigkeit die Menge Wassers und Gases zu bestimmen, welche sie liefern; allein, zu der Zeit, wo ich diese Arbeit unternahm, war der bedekte Behaͤlter am vierekigen großen Brunnen „(an der Quelle Grand puits carré)“ in sehr schlechtem Zustande, und ließ das Gas uͤberall entweichen. Bei aller Vorsicht, die ich angewendet habe, war es mir unmoͤglich diesem Nachtheile abzuhelfen. Die oben angegebene Menge Gases ist zuverlaͤssig weit unter derjenigen Menge, die diese Quelle waͤhrend einer Minute ausstoͤßt. A. d. O. Ich will nicht bei den Folgen verweilen, welche sich aus diesen Thatsachen ziehen lassen; sie sind offenbar, und es ist eben so klar erwiesen, daß die Gasquellen zu Vichy ungeheuere Huͤlfsmittel sowohl zur Erzeugung der Bicarbonate, als anderer Producte, zu welchen man kohlensaure Soda, als rohes Material, noͤthig hat, darbieten. Es wird ohne Zweifel ein Tag kommen, wo man diese, gegenwaͤrtig so schlecht benuͤzten, Huͤlfsmittel besser zu wuͤrdigen verstehen wird, und wo die alkalischen und gashaltigen Quellen von Vichy zur Erzeugung gashaltiger Mineralwasser zur Erzeugung kohlensaurer schaͤumender Mineralwasser, zur Erzeugung mehrerer kohlensauren Salze und Bicarbonate und der Pastilles alcalines, zu einer großen kuͤnstlichen Bruͤte-Anstalt, zu einer großen Hanfroͤstungs-Anstalt des Hanfes der Limagne mittelst der kohlensauren Soda, zur Soda- und krystallisirten kohlensauren Soda-Erzeugung werden verwendet werden.Siehe Berthier und Buvis Abhandlung uͤber diesen Gegenstand in den Annales des Mines V. T. S. 401. 1820. Vichy ist ein unbebautes Land in industrieller Hinsicht; es ist aber leicht, daselbst alle jene Verbesserungen anzubringen, von welchen ich so eben sprach, und es ist wirklich unbegreiflich, daß unter den vielen unterrichteten Fabrikanten, welche Frankreich besizt, auch nicht ein einziger an Errichtung einer Fabrik daselbst, an Benuͤzung der reichen Huͤlfsmittel dachte, die ihm daselbst zu Gebote stehen.Der vortreffliche Hr. Verfasser wird uns Fabrikanten verzeihen, wenn wir auf die bisherigen Analysen der Bade- und Mineralquellen aller Laͤnder nicht viel hielten. Wenn man die verschiedenen Analysen einer und derselben Quelle von verschiedenen beruͤhmten Chemikern angestellt vergleicht, so fehlt es nicht selten an diesem und jenem Bestandtheile um 10 p. C. und mehr, und wo wir Fabrikanten nicht wenigstens auf 8 p. C. sicher sind, koͤnnen wir gar nicht arbeiten. Keine Analyse von Vichy, wenigstens keine die uns der fleißige Bouillon-Lagrange in seinem Essai sur les eaux minerales anfuͤhrt, erwaͤhnt des kohlensauren Gases in der heißen Quelle von Vichy auch nur mit einem Worte. Wer sollte in einer heißen Quelle, die zum Huͤhnerausbruͤten taugt, eine solche Menge Kohlensaͤure vermuthen? Es ist also nicht die Schuld der Fabrikanten, wenn sie, nach den bisherigen Analysen der Mineralquellen, diesen keine Aufmerksamkeit schenkten, sondern die Schuld der Analytiker. Unter unseren heutigen Badeaͤrzten, und auch unter den fruͤheren, ist unter 25 nicht Einer, der Chemiker genug waͤre, um zu wissen und Anderen sagen zu koͤnnen, was seine Badequelle eigentlich enthaͤlt. Wir koͤnnten zum Beweise unserer sehr hart scheinenden Behauptungen die Biographie von ein paar Duzend Badeaͤrzten an hoch-, mittel- und wenig-beruͤhmten Bade- und Heilquellen namentlich liefern, wenn wir so hart seyn wollten, als wir zu seyn scheinen. Seit ungefaͤhr 30 Jahren war Chemie derjenige Theil aͤrztlicher Huͤlfswissenschaften, der am wenigsten von den Aerzten waͤhrend ihres Studiums betrieben, der sogar mit lautem Hohne verachtet wurde von den neuen Asklepiaden, und heute zu Tage ist sie an einigen medicinischen Lehranstalten sogar proscribirt. Wir haben uns durch ein dreißigjaͤhriges Studium der Analyse der Mineralwaͤsser durch Vergleichung (wir duͤrfen sagen) der meisten Analysen der beruͤhmtesten Mineralquellen uͤberzeugt, daß selbst die groͤßten, selbst die ersten Chemiker unseres Zeitalters uns bei ihren Analysen der Mineralwasser noch sehr viel, gar sehr viel zu wuͤnschen uͤbrig ließen; und es ist gewiß nicht Anmaßung oder Stolz von unserer Seite, sondern reines Gefuͤhl unserer Zerknirschung vor der Wuͤrde und dem Umfange der chemischen Wissenschaft, wenn wir hier erklaͤren, daß uns bis zur Stunde auch nicht eine einzige Analyse irgend eines Mineralwassers bekannt ist, die den Forderungen eines strengen Physiko-Chemikers entsprechen koͤnnte, und daß wir nicht einsehen, wie die Analyse einer einzigen Quelle ohne wenigstens zwei Jahre langen Aufenthalt an derselben und ohne Versuche, die den tuͤchtigsten Chemiker zwei Jahre lang vollauf beschaͤftigen koͤnnen, moͤglich ist. Dieß ist die Meinung eines Fabrikanten. Die deutschen Fabrikanten werden ihre Mineralquellen benuͤzen, wenn sie verlaͤssige Analysen derselben haben werden. A. d. Ue. Ich wuͤnsche, daß dieser Aufsaz diesem traurigen Zustande ein Ende mache und jene Entwikelung der Industrie veranlasse, deren dieselbe noch faͤhig ist.