Titel: Ueber die Wirkung, welche eine Menschenmenge, die sich in militärischem Schritte über eine Kettenbrüke bewegt, auf dieselbe hervorbringt. Von D***.
Fundstelle: Band 46, Jahrgang 1832, Nr. IV., S. 35
Download: XML
IV. Ueber die Wirkung, welche eine Menschenmenge, die sich in militaͤrischem Schritte uͤber eine Kettenbruͤke bewegt, auf dieselbe hervorbringt. Von D***. Aus dem London Journal and Repertory of Patent-Inventions, Julius 1832, S. 137. Ueber Kettenbruͤken. Das Einstuͤrzen einer Kettenbruͤke zu Broughton bei Manchester Waͤhrend des Marsches einer Abtheilung Soldaten uͤber dieselbe veranlaßt mich um so mehr zu Betrachtungen uͤber die Ursachen dieses Unfalles, als die Bruͤke bekanntlich ein weit groͤßeres Gewicht zu tragen im Stande war, als die Soldaten hatten, die uͤber dieselbe marschirten, und als bisher wahrscheinlich noch Niemand auf die Schluͤsse und Resultate, zu welchen diese Beobachtungen fuͤhren, aufmerksam wurde. Die empfindlichste Probe, der man eine Haͤnge- oder Kettenbruͤke aussezen kann, besteht darin, daß man eine Masse Truppen in regelmaͤßigem Schritte uͤber dieselbe marschiren laͤßt. Die Wirkung, welche diese Menschenmasse hervorbringt, ist naͤmlich, abgesehen von jener ihres todten absoluten Gewichtes, eine doppelte: 1) muß sie sich bei jedem Schritte, den sie vorwaͤrts thun will, gegen die Plattform der Bruͤke stemmen oder auf dieselbe druͤken; 2) sezt sie die Ketten in Bewegung, und wenn die Schwingungen der Kette, die dadurch entstehen, mit den Schritten zusammenfallen, so ist die Gewalt und der Zug, der auf das Eisen ausgeuͤbt wird, weit groͤßer, als man ihn von dem Gewichte der Menschenmasse allein haͤtte erwarten koͤnnen. Ich will hier folgende Bemerkungen uͤber diesen Gegenstand vortragen, die jedoch bloße theoretische Untersuchungen sind, indem bisher noch keine, in hinlaͤnglich großem Maßstabe gemachten Versuche und nicht so viele Thatsachen vorhanden sind, daß man genaue Schluͤsse aus denselben zu ziehen im Stande waͤre. Der Gegenstand ist zwar vielleicht in Bezug auf unsere Bruͤken in Großbritannien von geringer, praktischer Wichtigkeit; allein man baut auch in solchen Gegenden, die oft den Schauplaz von Kriegen geben, und die selbst zu Friedenszeiten mit Armeen uͤberfuͤllt sind, Haͤngebruͤken. Das Princip der Haͤngebruͤken duͤrfte ferner vielleicht einst auf die Erbauung militaͤrischer Bruͤken angewendet werden, bei denen nothwendig auf Altes gesehen werden muß, was mit ihrem Zweke und ihrem Dienste in Zusammenhang steht. Die Untersuchung der Wirkung, welche eine Menschenmasse, die in gleichem Schritte uͤber eine Bruͤke marschirt, auf diese Bruͤte hervorbringt, ist mithin allerdings einiger Aufmerksamkeit werth. Es waͤre sehr zu wuͤnschen, daß man mehrere Versuche daruͤber wachen koͤnnte, wie groß die sich bewegenden Massen bei verschiedenen Geschwindigkeiten seyn muͤssen, um eine Kettenbruͤke zum Bruche zu bringen. Die einzige, in groͤßerem Maßstabe erfolgte Thatsache, die mir bekannt ist, ist das Einstuͤrzen der Broughton-Bruͤke, bei welcher einer der Haupttrage-Bolzen brach, Waͤhrend 60 Mann in gleichem Schritte uͤber die Bruͤke marschirten. Der Druk oder Zug, der hier durch das Gewicht der Bruͤke und durch das bloße todte Gewicht der Soldaten erzeugt wurde, betrug unter 20 Tonnen, Waͤhrend der Bolzen, obschon er schwacher war, als er kluger Weise haͤtte seyn sollen, erst bei einem Zuge von 60 bis 70 Tonnen hatte nachgeben sollen, wenn man seine Staͤrke nach seinen Dimensionen berechnet. Das Eisen des Bolzens soll jedoch nicht ganz gesund gewesen seyn, und daher laͤßt sich auch auf diesen einzelnen Versuch nichts bauen. Ich will zuerst die Kraft untersuchen, die der Mensch beim Gehen ausuͤbt, denn es ist offenbar, daß wir beim Gehen mit einer groͤßeren Gewalt auf den Boden druͤken, und ihn mehr dehnen, als wir dieß thun, wenn wir ruhig auf demselben stehen bleiben. Es handelt sich naͤmlich darum, die Groͤße dieser Kraft bei verschiedenen Geschwindigkeiten auszumitteln, indem diese Kraft, wie groß sie auch seyn mag, den vermehrten Druk oder Zug gibt, welcher auf die Ketten einer Haͤngebruͤke ausgeuͤbt wird. Diese Kraft kann approximativ dadurch geschaͤzt werden, daß man dieselbe mit jener Kraft vergleicht, die noͤthig ist, um irgend einen schweren Koͤrper, z.B. einen Wagen auf einer Eisenbahn, in Bewegung zu sezen. Ein Mensch muß beim Gehen bei jedem Schritte mit derselben Kraft auf den Boden druͤken, die er braucht, um eine unthaͤtige Masse mit jener Geschwindigkeit, mit der er sich bewegt, in Bewegung zu sezen. Die Kraft, die man braucht, um einem Koͤrper irgend eine Geschwindigkeit zu geben, ist die Masse multiplicirt mit der Hoͤhe, durch welche diese Masse hatte fallen muͤssen, um die Geschwindigkeit zu erreichen, mit welcher sie sich bewegt. Die Hoͤhe wird dadurch gefunden, daß man die Geschwindigkeit (in Fußen per Secunde angegeben) durch 8,02 theilt, und den Quotienten zum Quadrate erhebt. Bei einer Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde betraͤgt also die Hoͤhe, welche dieser Geschwindigkeit entspricht: 4,4 Fuß per Secunde/8,02 = 0,5487, welches zum Quadrate erhoben = 0,301 Fuß. Das Gewicht eines Soldaten mit seiner ganzen Ruͤstung wird gewoͤhnlich auf 180 Pfunde angenommen; diese 180 × 0,301 geben also 54 Pfunde, als die Kraft, die bestaͤndig, gleichfoͤrmig durch einen Fuß ausgeuͤbt werden muß, wenn ein Koͤrper von 180 Pfunden mit einer Geschwindigkeit von 4,4 Fuß per Secunde vorwaͤrts bewegt werden soll. Der Druk, den der Fuß beim Gehen ausuͤbt, wirkt jedoch keineswegs gleichfoͤrmig, sondern er ist im Gegentheile ein ploͤzlicher, und bei jeder groͤßeren Geschwindigkeit heftigerer Druk, der wahrscheinlich einem Gewichte von 100 Pfunden weit naͤher steht, als einem Gewichte von 54. Man kann folglich annehmen, daß wenn eine Truppenabtheilung uͤber eine Kettenbruͤke marschirt, die Plattform derselben, außer dem wirklichen Gewichte der Soldaten, von jedem Manne bei jedem Schritte eine Kraft oder einen Druk von 100 Pfunden zu ertragen hat. Der wirkliche Druk oder Zug, welchen 1000 Mann, die mit einer Geschwindigkeit von drei Meilen auf die Stunde marschiren, ausuͤben, wird also der Last eines todten Gewichtes von (280 × 1000 =) 280,000 Pfunden oder 125 Tonnen gleich seyn. Das Resultat, welches sich aus dieser Berechnung ergibt, stimmt so ziemlich genau mit einem Versuche uͤberein, der zur Ausmittelung der Kraft, die beim Rudern eines Boches angewendet wird, angestellt wurde. Es ergab sich naͤmlich durch eine Probe mit einem Dynamometer, daß der todte Schlag, den ein Mann von gewoͤhnlicher Kraft und gewoͤhnlichem Gewichte beim Rudern ausuͤbt, 44 bis 50 Pfunde betraͤgt; folglich muß der Druk auf den Fußblok und auf den Siz oder auf die Widerstandspunkte eben so viel betragen. Da nun die Arbeit oder der Kraftaufwand, welcher beim Rudern mit einer solchen Kraft Statt findet, beilaͤufig jenem Kraftaufwands gleich ist, der sich beim Gehen mit einer Geschwindigkeit von drei Meilen in einer Stunde und mit einer Last von 15 bis zu 20 Pfunden ergibt, so ist folglich der Aufwand, der beim Marschiren mit einer Last von 35 bis 40 Pfunden (die beilaͤufig dem Gewichte der Waffen und des Gepaͤkes eines Soldaten gleichkommt), und bei einer Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde, erforderlich ist, weit groͤßer. Der Druk auf den Boden oder die Plattform der Bruͤke betraͤgt mithin bei jedem Schritte, wenn dieselben gleichfoͤrmig sind, 40 bis 50 Pfunde. Wenn man bedenkt, daß der Stoß oder der Kraftaufwand beim Rudern beinahe durch den ganzen Ruderschlag gleichfoͤrmig fortwaͤhrt, Waͤhrend der Druk des Fußes beim Gehen nicht ein Mal die Haͤlfte eines Schrittes hindurch gleichmaͤßig anhaͤlt, so wird man zugeben, daß wir die Wirkung des Marschirens im gleichen Schritte eher zu niedrig als zu hoch halten, wenn wir annehmen, daß eine Truppe, die mit einer Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde marschirt, und von welcher Mann fuͤr Mann mit Waffen und Gepaͤk im Durchschnitte 180 Pfunde wiegt, bei jedem Schritte nicht nur mit ihrem ganzen tobten Gewichte, sondern außerdem mit einer Kraft auf die Plattform druͤken wird, die wenigstens einer todten Last von 100 Pfunden auf den Mann gleichkommt, so daß sie mithin einen Gesammtdruk hervorbringt, der 1,55 Mal groͤßer ist, als ihr wirkliches todtes Gewicht. Ueberdieß kommt aber diese Extralast von 100 Pfunden immer ploͤzlich auf die Bruͤke, indem sie bei jedem Schritte aufgehoben, und dann wie mit einem Schlage wieder auf dieselbe gebracht wird. Es entsteht also dabei eine Art von Stoß, der der Bruͤke weit groͤßeren Schaden bringt, als ihr ein groͤßeres, aber allmaͤhlich auf die Bruͤke gelangendes Gewicht gebracht haben wuͤrde. Es ist nun ferner noch zu untersuchen, inwiefern die Kraft bei verschiedener Geschwindigkeit wechseln wird. Die Drukkraft, die ein Mensch oder ein Thier auf den Weg ausuͤben muß, um sich auf demselben vorwaͤrts zu bewegen, steht mit der Geschwindigkeit dieser Bewegung im Verhaͤltnisse, und kann beilaͤufig dadurch bemessen werden, daß man sie mit dem Verluste an Kraft vergleicht, der beim Ziehen einer Last Statt findet, wenn sich die Thiere mit groͤßeren Geschwindigkeiten bewegen. Die Kraft, die die Pferde beim Ziehen einer Last zu aͤußern im Stande sind, wird immer geringer, je groͤßer die Geschwindigkeit wird, mir welcher sich die Thiere bewegen; es geschieht dieß nach einem gewissen Geseze, welches zwar noch nicht ganz genau bestimmt ist, welches aber darauf zu beruhen scheint, daß die Kraft, die die Thiere zu aͤußern im Stande sind, sich umgekehrt wie die Quadrate ihrer Geschwindigkeiten verhaͤlt. Die Ursache der Verminderung der Kraft beim Ziehen einer Last liegt bloß darin, daß die Thiere einen Theil ihrer Kraft zur Bewegung ihres eigenen Gewichtes verwenden muͤssen, die sie sonst zum Ziehen der Extralast haͤtten benuzen koͤnnen. Wenn nun die Kraft zum Ziehen einer Last wie die Quadrate der Geschwindigkeiten abnimmt, so ist dieß ein Beweis, daß die Kraft, mit welcher das Thier auf den Boden druͤkt, um sich vorwaͤrts zu schaffen, wie das Quadrat seiner Geschwindigkeit zunimmt. Man kann daher annehmen, daß der Druk, den die Thiere dadurch, daß sie sich vorwaͤrts bewegen, auf den Boden oder die Plattform ausuͤben, sich direct wie das Gewicht, welches sie in Bewegung sezen, und wie die Quadrate der Geschwindigkeiten, mit denen sie sich bewegen, verhalt. Wenn wir nun z.B. als Grundsaz annehmen, daß eine Truppe Soldaten, die sich mit einer Geschwindigkeit von 3 Meilen in der Stunde bewegt, einen Druk ausuͤbt, der 1,55 Mal groͤßer ist, als sein wirkliches Gewicht, so wird eine Truppe Cavallerie von 160 Pferden, welche beilaͤufig 100 Tonnen wiegt, bei derselben Geschwindigkeit einen Druk von 155 Tonnen erzeugen. Und wenn man nun annimmt, daß sich die verschiedenen Grade von Druk, wie die Quadrate der Geschwindigkeiten verhalten, so wird sich der Druk, den dieselbe Masse Cavallerie bei einer Geschwindigkeit von 6 Meilen in der Stunde ausuͤbt, zu jenem Druke, den sie bei einer Geschwindigkeit von 3 Meilen erzeugt, wie 36 zu 9 verhalten, d.h. sie wird (155 Tonnen × 36)/9 = 602 Tonnen seyn. Bei einer Geschwindigkeit von 8 Meilen in der Stunde wird dieselbe Menge Cavallerie einen Druk von beilaͤufig (155 × 64)/9 = 1102 Tonnen bewirken. Endlich ist auch noch die Schwingung der Ketten, welche hervorgebracht wird, in Erwaͤgung zu ziehen. Die Wirkung dieser Schwingung ist ein sehr unsicheres Ding. Wenn sich naͤmlich eine Truppenmasse in gleichem Schritte uͤber eine Kettenbruͤke bewegt, und deren Schritte fallen mit den Wogen der Schwingungen zusammen, so werden die lezteren weit staͤrker und kraͤftiger werden, und folglich eine starke Dehnung oder einen Zug des Eisens bewirken. Wenn hingegen die Schritte der Mannschaft mit einer entgegengesezten Bewegung der Schwingungen zusammenfallen, so werden diese Schwingungen dadurch gehemmt, und zum Theil, wo nicht ganz unschaͤdlich gemacht. Es ist uns nicht bekannt, daß die Schwingungen der Strike mit Versuchen an Ketten, die an und fuͤr sich schwerer sind, und außerdem mit Gewichten belastet worden waren, gehoͤrig verglichen wurden; wir sind daher nicht im Stande die Wirkung der Schwingung, die durch eine bestimmte Truppenmenge, welche sich mit einer gewissen Geschwindigkeit uͤber eine Kettenbruͤke bewegt, hervorgebracht wird, genau zu ermessen und zu berechnen. Nur so viel ist gewiß, daß diese Wirkung sehr groß ist, und daß man sich gegen dieselbe zu verwahren hat. Die wenigen mir bekannten Faͤlle, in denen das Eisenwerk an Kettenbruͤken brach, ereigneten sich entweder deßwegen, weil sich eine zu große Menge Menschen uͤber dieselbe bewegte, oder in Folge der Schwingungen, in die sie durch heftige Windstoͤße versezt wurde. Gegen diese lezteren kann man sich nur dadurch verwahren, daß man den aufgehaͤngten Theil solcher Bruͤken so stark gespannt als moͤglich macht; gegen den ersten Fall gibt es leicht ein Mittel: man darf nur nie gestatten, daß sich eine groͤßere Menge Menschen in gleichfoͤrmigem Schritte uͤber die. Bruͤke bewegt. Wenn eine Bruͤke z.B. so gebaut ist, daß deren Plattform ganz mit ruhig stehenden Menschen gefuͤllt seyn kann, ohne daß die Bruͤke an irgend einem Theile Schaden leidet, so wird diese Bruͤke wahrscheinlich einstuͤrzen, wenn sich dieselbe Masse in gleichfoͤrmige Bewegung zu sezen anfinge. Man soll daher zu aller Vorsicht nie dulden, daß sich mehr als der sechste Theil der Menschen, welche eine Bruͤke zu tragen vermag, gleichmaͤßig uͤber die Bruͤke bewegen darf. Wenn z.B. die Plattform einer. Bruͤke von 400 Fuß Laͤnge auf 30 Fuß Breite 6000 MenschenCarnot und Navier rechnen 3 Quadratfuß fuͤr einen Mann mit Waffen und Gepaͤk; Bei einem dichten wurden jedoch auf einen Mann nicht mehr als 2 Quardratfuß kommen.A. d. O. faßt, so koͤnnen nur 1000 Mann auf ein Mal mit Sicherheit uͤber dieselbe marschiren.