Titel: Ueber die neuesten Fortschritte der Industrie in Mülhausen, im oberrheinischen Departement.
Fundstelle: Band 50, Jahrgang 1833, Nr. XXXVI., S. 138
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XXXVI. Ueber die neuesten Fortschritte der Industrie in Muͤlhausen, im oberrheinischen Departement. Ueber die neuesten Fortschritte der Industrie in Muͤlhausen. Seit mehr als einem Jahre herrscht auch in den Fabriken des Elsasses wieder die erfreulichste Thaͤtigkeit; zudem aber zeigt das aͤußere Leben, in Muͤlhausen zumal, eine Regsamkeit, wie sie wohl noch nie Statt gefunden. Es ist dieß zum Theil eine Wirkung der dermaligen Handelsconjuncturen; hauptsaͤchlich aber eine Folge der nunmehr in vollen Gang gekommenen Canalschifffahrt. Fast jede Woche kommen 30, 40 und mehr Schiffe an, die gewoͤhnlich 2000 Ctr. Waaren fuͤhren. Der Hauptgegenstand der Industrie ist natuͤrlich immer noch die Verarbeitung der Baumwolle. In der Spinnerei sind in den lezten Jahren wenig Verbesserungen eingefuͤhrt worden. In den Cardings sah ich jezt erst das vor 15 Jahren schon von Bodmer angenommene System adoptirt, die Cardings zusammenzufuͤhren und sofort zu Watten aufrollen zu lassen. Auch ersezt man die Kaͤmme immer mehr durch 2 canellirte Walzen. Insbesondere ruͤhmt man die Erfindung eines in Gebwyler etablirten Englaͤnders de Joung, welche den Flyroving (oder die Spindelbank) ersezen soll. Eine aͤhnliche Maschine liefert schon seit einiger Zeit Hr. Escher in Zuͤrich, die Joung'sche soll aber noch weit vorzuͤglicher seyn. So trefflich naͤmlich die Spindelbank auch war, um eine ganz regulaͤre Vorspunst zu liefern, und allmaͤhlich daher die Laternenstuͤhle verdraͤngen mußte, so stand doch ihrer allgemeinen Einfuͤhrung gar sehr ihre Kostbarkeit im Wege, und zudem erforderte sie viel Kraft. Die neue Vorspunstmaschine soll weit einfacher und productiver seyn, und sehr leicht arbeiten. Rascher vervollkommnete sich die Weberei. Die Schlichtmaschinen verbreiten sich immer mehr, und die meisten Handweber erhalten geschlichtete Zettel. Auch die mechanischen Webstuͤhle vermehren sich zwar; in Muͤlhausen allein stehen ihrer an 700 und im Elsaß schon einige tausend; vielen genuͤgt aber das Handweben mit mechanisch geschlichteten Zetteln. Wahr ist, daß Maschinenstuͤhle fast das Unglaubliche leisten; eine Weberin kann taͤglich auf 2 Stuͤhlen (denn mehrere findet man nicht vortheilhaft) 1 Stuͤk von 32 Staͤb (à 44'') fertigen. Dann muß sie jedoch sehr fleißig und an 14 Stunden an der Arbeit seyn, und der Fabrikant sie durch besondere Praͤmien aufmuntern. Einige zahlen z.B. nur 25 C. per Stuͤk. ordentlichen Lohn, aber 8 Franken Praͤmie, wenn 12 Stuͤk in 2 Wochen geliefert werden. Dabei mag immerhin nur etwas leichte Waare in dieser Quantitaͤt herzustellen seyn, und dann nur wenn das Garn vorzuͤglich gut ist. Denn die Lade thut per Minute 80–90 Schlaͤge; man erhaͤlt also per Minute etwa 1'', wenn 20 Schuͤsse auf 3''' gehen; in 1 Stunde also, wenn sehr wenige Unterbrechung Statt hat, hoͤchstens 1 1/4 Staͤb; und zu 16 Staͤb oder 1/2 Stuͤk wuͤrden demnach 12–14 Stunden erfordert. Gute Callico's haben aber 26–28 Schuͤsse auf 3''', und 2 Stuͤhle wuͤrden daher taͤglich nur 20–24 Staͤbe geben koͤnnen, und der Handweber kann ebenfalls, hat er eine geschlichtete Kette auf seinem Stuhle, an 10 Staͤbe per Tag weben. Abgesehen nun, daß die Dampfkraft kostbar und nur in großen Webereien anwendbar ist, gewaͤhrt die Bequemlichkeit, die Arbeit unterbrechen zu koͤnnen, immer einen gewissen Vortheil, und macht fuͤr Viele einen geringern Lohn zulaͤssig; die Anwendung der Schlichtmaschinen hat hingegen auch bei der Handweberei ausnehmenden Nuzen, und manche Fabrikanten verkaufen daher geschlichtete Zettel. Die Maschine ist noch immer dieselbe.S. Bernoulli uͤber die Baumwollenfabrikation etc. 1825, S. 133. Das eigentliche Scheeren faͤllt dabei weg, indem an der Schlichtmaschine ein Zaͤhler angebracht ist, der die Kette abmißt. 2 Schlichtmaschinen erfordern ungefaͤhr die Kraft von 3 Pferden, da die Windhaspel viele Kraft absorbiren. Sie arbeiten indessen nicht continuirlich. Auch in der Zeugdrukerei sind manche Fortschritte gemacht worden. in vielen Fabriken drukt man jezt mit 2, in einigen sogar mit 3 Walzen, und mit ausnehmender Praͤcision. Dann liefert Muͤlhausen seit Kurzem auch gedrukte Seidenzeuge (Foulards und gedrukte Atlasse), gedrukte Chalis (aus feiner Wolle und Seide) und gedrukte Wollmusseline und Wollzeuge. Das feine Wollgarn wird aus Paris bezogen. Wie ich hoͤre haben einige franzoͤsische Manufacturen das neulich von dem Amerikaner Goulding eingefuͤhrte Kardirsystem angenommen, das feine Boudins von unbestimmter Laͤnge liefert, die sofort auf ein Mal rein gesponnen werden koͤnnen. Manche behaupten aber, daß so kardirte Wolle sich weniger gut filze. Eine der interessantesten und ausgedehntesten Fabrikanstalten ist die Maschinenfabrik des Hrn. Andreas Koechlin in Muͤlhausen. Auch diese erfreut sich der groͤßten Thaͤtigkeit, und arbeitet seit geraumer Zeit bloß mit Inlaͤndern, da wie anderwaͤrts die Englaͤnder baldmoͤglichst verabschiedet wurden. Noch nie sah ich in der Gießerei so viele Gegenstaͤnde in Arbeit. Die uͤbrigen Werkstaͤtten beschaͤftigen sich dermalen hauptsaͤchlich mit der Verfertigung von mechanischen Webstuͤhlen, die wie gewoͤhnlich ganz aus Eisen hergestellt werden, und eine uͤberaus einfache Einrichtung haben. Dann fand ich unter andern eine große Papiermaschine in Arbeit. Hr. Koechlin lieferte schon mehrere solcher Maschinen nach der Schweiz, und die eben in Construction sich befindende ist so eingerichtet, daß sie wenn hinten die Lumpen aufgeschuͤttet werden, diese allmaͤhlich in ganz fertiges Papier verwandelt werden. Die Lumpen passiren zuerst mehrere Schneidemaschinen, gelangen dann in eine Hollaͤndermaschine, von da in den Zeugtrog, der mit neuen Ruͤhrapparaten versehen ist, und darauf in die eigentliche Papiermaschine. Diese ist nach dem Didot'schen Princip eingerichtet. Das breilgte Zeug wird auf ein langes uͤber 2 Walzen endlos gespanntes und zugleich seitwaͤrts sich bewegendes Drahtgewebe allmaͤhlich ausgegossen, und gelangt von da durch mehrere Walzwerke, welch? das endlose Papier auspressen und glaͤtten. Lezteres geschieht hauptsaͤchlich vermittelst 2 Paar an 20 Ctr. schweres eisernen Walzen, wovon die eine zuerst die obere, und dann die untere mit Tuch bedekt ist. So wird das Papier ganz ausgepreßt, und doch auf beiden Seiten glatt. Nachher gelangt das Papier durch 5 oder 6 hohle mit Dampf geheizte kupferne Walzen, die es vollkommen troknen, und von da endlich auf einen Haspel, der es aufwikelt, so daß es nur noch zerschnitten zu werden braucht. Nicht unmoͤglich wuͤrde es wohl seyn, das Papier sofort zwischen Drukwalzen durchzufuͤhren, und so Lumpen durch ein zusammenhangendes System von Maschinen ohne Unterbrechung in Tapeten oder in Zeitungen etc. zu verwandeln! Auf Verlangen liefert Hr. K. uͤbrigens auch Maschinen nach dem Leistenschneiderschen (oder englischen) System, wo ein Drahtgewebecylinder das Papier schoͤpft, und eine Luftpumpe die Verdichtung befoͤrdert. Auf den obigen geschieht dieß, indem die horizontale Drahttafel bestaͤndig seitwaͤrts geschuͤttelt wird. Eine solche Maschine, die taͤglich an 60 Ries liefert, kostet ohne die Vorbereitungsapparate etwa 24,000 Fr. Besonders interessant war mir noch die Heilmann'sche Stikmaschine, die ich hier zum ersten Male sah Bekanntlich wurde dieselbe schon vor 5 Jahren von Hrn. Josua Heilmann in Thann erfunden, und bald darauf an Hrn. Koͤchlin abgetreten. Erst seit Kurzem aber beschaͤftigt sich diese Anstalt mit der Verfertigung solcher Maschinen, zum Theil weil Hr. K. sich vorerst und namentlich in England die sichernden Patente verschaffen wollte. Jezt arbeiten schon manche in England, Deutschland und der Schweiz, und wie ich in St. Gallen hoͤrte, mit großem Erfolg. Ich versuche nicht diese sinnreiche Maschine zu beschreiben; aus dem Folgenden wird man sich aber wohl einen Begriff von der Einrichtung derselben machen koͤnnen. Es handelt sich darum, daß auf 1 oder mehrere neben einander aufgespannte Stuͤke Zeug dasselbe Muster 40, 80 oder mehr Mal zugleich gestikt werden kann; denn das Stilen einer einzigen kann unstreitig von Hand immer weit schneller ausgefuͤhrt werden. Die Maschine dient also namentlich zum Stilen des Grundes. Das Eigenthuͤmliche der Heilmann'schen Maschine besteht aber noch darin, daß mit Nadeln (nicht mit Haͤkchen) gestikt wird, und daß ohne besondere Vorrichtung beinahe jedes Muster gestikt werden kann. Das Stiken mit Nadeln wird moͤglich, indem man Nadeln (fein, wie gewoͤhnliche Naͤhnadeln) mit zwei Spizen anwendet, die in der Mitte ein Oehr haben. Die Nadel braucht daher nicht umgekehrt zu werden, was durch Mechanismen sehr schwierig waͤre, sondern nur eine horizontale hin- und hergehende Bewegung zu erhalten. Um nun 80 Muster z.B. auf ein Mal zu stiken, wird das Zeug auf 2 Walzen gewikelt, und ein Theil davon zwischen beiden senkrecht ausgespannt. Vor und hinter dem Tuche befindet sich ein auf kleinen Raͤdern und Eisenschienen laufender Wagen, der 2 Stangen fuͤhrt, in welchen nach dem Abstande der Muster kleine Zangen eingesezt sind. Jede Stange truͤge demnach 40 Zangen, und in jede dieser Zangen wird mit dem einen Ende eine eingefaͤdelte Nadel gestekt. Wird nun dieser Wagen bis dicht vor das Tuch gefuͤhrt, so stechen alle 80 Nadeln durch. Zugleich naͤhert sich aber auch der Hintere Wagen, und zwar mit offenen Zangen; diese ergreifen die Nadeln, schließen sich sofort, und nachdem die Zangen des vordem Wagens sich geoͤffnet, entfernt sich jener und zieht hiermit die Nadeln durch. Der Wagen ruͤkt jedes Mal so weit fort, als eben der Faͤrling es gestattet; der Stich wird daher ganz dicht. Natuͤrlich verrichtet darauf der Hintere Wagen das Durchstechen, und das Nahen geschieht also stets mit 80 Stichen zugleich, indem wechselsweise die vorderen oder Hinteren Zangen die Nadeln durchstechen, oder ergreifen und ausziehen. Jedes Mal muß vorerst aber der Stich etwas verruͤkt werden. Es geschieht dieß, indem das Tuch geruͤkt wird; und zwar vermittelst einer Vorrichtung, die nichts anders als ein starker Storchschnabel oder Pantograph ist. Zur Seite hat der Arbeiter das Muster in großem Maßstab gezeichnet und eingetheilt auf einer Tafel vor sich haͤngen, und wie er nach jedem Stich den Stift des langen Armes ruͤkt, macht der kleinere eine ganz analoge Bewegung, auf-, ab- oder seitwaͤrts, und dieser folgt der Tuchrahmen, da er an dem kuͤrzeren Arme des Pantographs befestigt ist. Es ergibt sich daraus, daß ohne alle kuͤnstliche Einrichtung jedes Muster leicht auszufuͤhren ist; nur muͤssen anfangs, je nachdem die Dessins groͤßer oder kleiner sind, und sich ferner oder naͤher stehen, mehr oder weniger Zangen und in groͤßerer oder kleinerer Distanz eingesezt werden. Immerhin erhaͤlt man stets 2 Reihen Figuren zugleich, jeder Arbeiter kann bei wenig Uebung das Stiken verrichten, und außer ihm bedarf es bloß Kinder, welche die Nadeln einfaͤdeln und in die Zangen einsteken.