Titel: Ueber den Nuzeffect der Locomotivmaschinen auf horizontalen und ansteigenden Bahnen.
Fundstelle: Band 61, Jahrgang 1836, Nr. LXVIII., S. 321
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LXVIII. Ueber den Nuzeffect der Locomotivmaschinen auf horizontalen und ansteigenden Bahnen. Aus dem Mechanics' Magazine, No. 674, S. 245. Ueber den Nuzeffect der Locomotivmaschinen auf horizontalen und ansteigenden Eisenbahnen. Die zur Pruͤfung der projectirten Eisenbahn von London nach Brighton niedergesezte Parliaments-Commission richtete an den beruͤhmten Civilingenieur Robert Stephenson folgende Frage: „Gesezt es werde auf einer horizontalen Streke eine gewisse, durch irgend eine Figur zu bezeichnende Zugkraft (strain) angewendet, und diese werde auf einer anderen Bahn durch mehrere Steigungen und Gefalle unterbrochen; so fragt sich, wie groß die Differenz des Effectes an der Maschine ist, wenn in beiden Faͤllen der Gesammtbetrag der Kraft gleich ist?“ Auf diese Frage lautete die Antwort des Hrn. Stephenson wie folgt: „Ich muß, um meine Antwort vollkommen verstaͤndlich zu machen, vorausschiken, daß nach meiner Ansicht die Frage sich um die Bestimmung der Differenz dreht, welche auf zwei verschiedenen Bahnen von einem Punkte A bis zu dem Punkte B zwischen dem Nuzeffect der Locomotivkraft Statt findet. Auf der einen dieser Bahnen soll sich die Zugkraft gleichbleiben und durch 1/a bezeichnen lassen; waͤhrend sie auf der anderen durch ansteigende und abfallende Flaͤchen verschieden modificirt wird: so jedoch, daß der Gesammtaufwand an mechanischer Kraft in beiden Faͤllen gleich ist. Daß in lezterem Falle die ansteigenden Flaͤchen gaͤher seyn muͤssen, als in ersterem, indem sie sonst die abfallenden Flaͤchen nicht ausgleichen wuͤrden, erhellt offenbar. „Von diesen Daten ausgegangen, kann nun gar kein Zweifel daruͤber obwalten, daß sich die geringere und mehr gleichmaͤßige Zugkraft sowohl in Hinsicht auf die Geschwindigkeit, als in Hinsicht auf die fortzuschaffende Last besser fuͤr die Locomotivkraft eignet, und zwar aus folgenden Gruͤnden: „1) was die Geschwindigkeit betrifft, so erhellt offenbar, daß man, um einen vollkommen gerechten Vergleich in dieser Beziehung anzustellen, nur anzunehmen braucht, daß zwei Maschinen von gleicher Kraft mit gleicher Last gleichzeitig von A nach B abfahren; und daß die Maschine an jedem Theile einer jeden der beiden Bahnen ihre volle Kraft auszuuͤben im Stande ist, d.h. an den Gefaͤllen der undulirenden Bahn eben so wie bei dem gleichfoͤrmigen Laufe auf der geraden Bahn. Bei dieser Annahme muͤßten beide Maschinen, indem jede derselben innerhalb gleicher Zeit eine gleiche Kraft ausuͤbt, und indem der Gesammt-Kraftaufwand zwischen A und B gleich ist, gemeinschaftlich oder gleichzeitig in B anlangen. „Diese Hypothese haͤlt jedoch bei der undulirenden Bahn nur innerhalb gewisser Glaͤnzen Stich; denn in der Praxis ist die Geschwindigkeit, womit man eine Maschine laufen lassen kann, sowohl in Hinsicht auf Sicherheit, als in Hinsicht auf Abnuͤzung, und in Hinsicht auf innere Einrichtung, namentlich der Schieber, die den Eintritt des Dampfes in die Cylinder reguliren, durch mancherlei Umstaͤnde beschrankt. Aus diesen und anderen Gruͤnden ist bei unserer gegenwaͤrtigen Erfahrung eine Geschwindigkeit von 35 bis 40 engl. Meilen in der Zeitstunde, das Maximum, welches mit Sicherheit erreicht werden kann, besonders uͤber schiefe Flaͤchen hinab. Um die Langsamkeit beim Hinansteigen auszugleichen, muͤßte aber die Geschwindigkeit beim Hinabrollen weit groͤßer seyn, als mit Klugheit gestattet werden kann; folglich geht bei dem undulirenden Principe die Differenz zwischen der Zeit, die beim Hinabrollen mit regulirter Geschwindigkeit verbraucht wird, und zwischen jener Zeit, die bei der groͤßten Geschwindigkeit noͤthig waͤre, verloren. Ich will ein Beispiel geben. „An der Eisenbahn von London nach Brighton betraͤgt die ganze Distanz nach Sir John Rennie's Vorschlag 49 englische Meilen 68 Ketten; hin und her also 99 Meilen 56 Ketten; nach Stephenson's Vorschlag aber 54 engl. Meilen 68 Ketten; bin und her also 109 Meilen 56 Ketten. An ersterer Bahn sind nach Dr. Lardner 32 Meilen Gradienter, welche durch 1/270 bezeichnet sind; an lezterer 28 Meilen mit 1/330. „Nehmen wir nun an, daß auf beiden Bahnen eine Maschine von gleicher Kraft und mit gleicher Belastung abfahre; daß sie sich hiemit bei Benuzung ihrer ganzen Kraft mit einer Geschwindigkeit von 40 Meilen in der Zeitstunde zu bewegen vermag, und daß die Reibung 9 Pfd. per Tonne oder 1/250 betrage, so wird die ganze Streke nach Brighton und zuruͤk bei Anwendung der ganzen Kraft in 2 St. 29 M. 30 S. und in 2 St. 44 M. 30 S. zuruͤkgelegt werden, abgesehen jedoch von dem durch die schiefe Flaͤche von Croydon veranlaßten, Aufenthalte. Hiebei ist jedoch angenommen, daß auf Rennie's Bahn die absteigenden Flaͤchen mit einer Geschwindigkeit von 720 Meilen in der Zeitstunde zuruͤkgelegt werden, waͤhrend oben vorausgesezt wurde, daß die Geschwindigkeit an beiden Bahnen nicht uͤber 40 engl. Meilen betrage. Es muß demnach fuͤr die 32 Meilen absteigender Flaͤchen, welche hin und her vorkommen, die Differenz hinzugezahlt werden, die sich in der Zeit ergibt, wenn diese 32 Meilen mit einer Geschwindigkeit von 40 anstatt von 720 Meilen in der Zeitstunde zuruͤkgelegt werden. Diese Differenz betraͤgt 45 M. 20 S., so daß sich also fuͤr die Bahn Rennie's ein Zeitaufwand von 3 St. 14 M. 50 S. ergibt. Fuͤr die Bahn Stephenson's hingegen ist nur die Differenz von 28 Meilen, die mit einer Geschwindigkeit von 16 anstatt von 40 Meilen in der Zeitstunde zuruͤkgelegt werden, mit 31 M. 30 S. hinzuzaͤhlen, so daß sich in Summa 3 St. 16 M. Zeitaufwand herauswerfen. „Dazu sind aber noch an Stephenson's Bahn fuͤr zweimaliges Anhalten, worunter ein Mal zum Einnehmen von Wasser, zwei Mal 3 Minuten; an Rennie's Bahn hingegen 3 Mal 3 Minuten fuͤr Anhalten und 5 Minuten fuͤr den Aufenthalt an der schiefen Flaͤche von Croydon zu rechnen, wonach sich fuͤr erstere Bahn ein Zeitaufwand von 3 Stunden 22 M., fuͤr leztere hingegen einer von 3 St. 28 M. 5)0 S. berechnet, so daß zu Gunsten der Stephenson'schen Bahn 6 M. 50 S. bleiben. „Bei diesen Berechnungen ist uͤbrigens von den Curven ganz Umgang genommen, obschon nach Dr. Lardner die Gesammtkruͤmmung an Rennie's Bahn 840 Grade, an Stephenson's Bahn aber nur 790 Grad betraͤgt. Reducirt man dieß auf Curven einer Meile, so ergeben sich fuͤr erstere Bahn 7 Meilen mit einem Radius von 3/4 einer Meile und fuͤr leztere 6 Meilen mit einem Radius von 1/10. Meilen. Dieß gleichfalls in Anschlag gebracht, so berechnet sich der Zeitaufwand auf Rennie's Bahn zu 3 St. 36 M. 30 S., auf jener Stephenson's hingegen nur zu 3 St. 29 M. Die Annahme Lardner's ist jedoch nicht ganz richtig; denn die Curvatur betraͤgt an Rennie's Bahn 15 und an Stephenson's Bahn nur 11 1/2 Meile mit einem Radius von einer Meile, wonach der Unterschied zu Gunsten lezterer noch groͤßer wird. „Bei diesen Berechnungen ist auf die Verschiedenheit der Ansichten uͤber die Unterschiede der Kraft der Maschinen bei verschiedenen Geschwindigkeiten gar nicht Ruͤksicht genommen, indem diese auf beide Bahnen gleiche Anwendung findet. „Was die Vergleichung in Hinsicht auf die Last betrifft, so verhaͤlt sich die Sache sehr einfach. Die Last mag naͤmlich nach der Adhaͤsion der Raͤder oder nach dem Druke des Dampfes im Cylinder gemessen werden, so wird, da die Maschine in beiden Faͤllen in Hinsicht auf Kraft und Schwere gleich ist, das Maximum der Last durch die Reibung auf einem horizontalen Niveau + der Schwere berechnet seyn; mithin wird sich auch hier ein Unterschied zu Gunsten der mehr gleichfoͤrmigen und leichteren Gradienten zeigen. „Hienach ergeben sich die Verhaͤltnisse der Bahn Rennie's zu jener Stephenson's wie 15 . 80 = 9 × 6 + 80 = (2240/330) zu 17 . 50 = 9 × 8 + 50 = (2240/264); d.h. die Differenz zu Gunsten der Stephenson'schen Bahn betraͤgt in der Bruttolast 11 Proc., und wird in der Nettolast noch groͤßer seyn oder gegen 20 Proc. betragen.Wir bemerken hiezu, daß nach den neuesten Berichten die Bill fuͤr die Stephenson'sche Bahn im Oberhause verworfen wurde, nachdem die Kosten fuͤr die Foͤrderung der Bill bis dahin bereits uͤber eine Million Gulden betrugen.A. d. R.