Titel: Bericht des Hrn. Poncelet über ein Wagensystem für Eisenbahnen mit jeder Curve, welches von Hrn. Arnoux der Akademie der Wissenschaften in Paris vorgelegt worden ist.
Fundstelle: Band 68, Jahrgang 1838, Nr. LXXXIV., S. 410
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LXXXIV. Bericht des Hrn. Poncelet uͤber ein Wagensystem fuͤr Eisenbahnen mit jeder Curve, welches von Hrn. Arnoux der Akademie der Wissenschaften in Paris vorgelegt worden ist.Die Commission, in deren Namen Hr. Poncelet diesen Bericht erstattete, in dem wir keineswegs jene Klarheit finden koͤnnen, welche sonst dergleichen Ausarbeitungen der franzoͤsischen Akademiker auszeichnete, bestand aus den HH. Arago, Dulong, Savary und Seguier.A. d. R. Aus dem Echo du monde savant 1838, No. 14 und 15. Poncelet, uͤber Arnoux Eisenbahnenwagen. Bei der hohen Wichtigkeit, welche die Eisenbahnen und die damit verbundenen Fragen erlangt haben, muß die Akademie jedem auf eine Verbesserung derselben abzielenden Versuche das lebhafteste Interesse widmen. Da es aber nicht angeht, uͤber dergleichen Verbesserungen a priori bloß nach den von der Theorie an die Hand gegebenen Huͤlfsmitteln, oder selbst nach Versuchen, die in mehr oder minder beschranktem Maaßstabe angestellt worden, abzuurtheilen; da im Gegentheil die Zeit ein unumgaͤngliches Element zu einem gruͤndlichen Urtheile bildet, so kann uns nur erlaubt seyn, uns hier mit einer gewissen Zuruͤkhaltung auszusprechen. Bei jeder Eisenbahn kommen drei Dinge von gleichem Belangs in Betracht: naͤmlich die Bahn selbst, die Mittel zur Locomotion und die Transportmittel oder Wagen. So lange man dem Bahnsysteme nicht eine Festigkeit und Stabilitaͤt zu geben vermag, welche sich mit den Grundvesten unserer guten Maschinen vergleichen laͤßt, darf man keinen dauerhaften und wohlfeil zu unterhaltenden Bau erwarten. Wie sollen frisch aufgefuͤhrte Erddaͤmme, die unregelmaͤßigen Senkungen ausgesezt sind, schwache Steinwuͤrfel oder einfache in großen Zwischenraͤumen angebrachte hoͤlzerne Querschwellen, zwischen denen sich die Schienen biegen und schwingen koͤnnen, dem Baue einige Dauerhaftigkeit sichern? Und was soll aus den Wagen werden, die allen den aus der Biegung und der Ungleichheit des Widerstandes der Bahn erwachsenden Stoͤßen und Erschuͤtterungen ausgesezt sind? Die Notwendigkeit schnell zu einem Ertraͤgnisse zu kommen und die hoͤheren Anlagekosten sind keine absoluten Hindernisse, die, der Vervollkommnung eines Systemes, welches zu so großen Opfern fuͤhrt, im Wege stehen. Das Streben, die Dimensionen der Schienen, der Steinwuͤrfel und der Querschwellen zu erhoͤhen, liefert allein schon einen triftigen Beweis hiefuͤr. Man hat zwar gesagt, daß die Schienen durch die Erschuͤtterungen, die sie erleiden wuͤrden, wenn sie mit harten nicht zu erschuͤtternden Koͤrpern in Beruͤhrung stuͤnden, schnell zu Grunde gerichtet seyn wuͤrden; allein die Erfahrung liefert keine Beweise gegen ein Schienensystem, welches unter Zwischenlage einer elastischen und comprimirbaren Substanz auf unwandelbare Weise mittelst Ausladungen und gehoͤrig vermehrten Bolzen, die in dem Maaße angezogen werden koͤnnten, als sie lose werden, mit einer ohne Unterbrechung fortlaufenden Unterlage aus Holz oder Stein verbunden waͤre. Sieht man doch auch an unseren kraͤftigsten, bedeutenden Erschuͤtterungen ausgesezten Maschinen, daß ihre Zapfenlager oder Anwellen nur dann in Schwingung gerathen koͤnnen, wenn die Schraubenmuttern der Drukschrauben einen solchen Spielraum bekommen, oder so lose werden, daß die in Beruͤhrung stehenden Theile endlicher und contraͤrer Geschwindigkeiten, die allein die Soliditaͤt des ganzen Systemes beeintraͤchtigen, theilhaftig werden koͤnnen. Wir hielten es fuͤr noͤthig, auf den Einfluß des den einzelnen Theilen des gewoͤhnlichen Eisenbahnsystemes gelassenen Spielraumes und der ihnen gestatteten Biegung aufmerksam zu machen; auf einen Einfluß, gegen den man sich bisher ungeachtet aller fuͤr die Locomotion daraus erwachsenden Nachtheile zu wenig verwahrte, und der uns veranlaßt, unsere Ansicht dahin auszusprechen, daß wir die meisten der dermalen ausgefuͤhrten Bahnen nur fuͤr provisorische halten, die spaͤter durch andere dauerhaftere ersezt werden duͤrften. Was die Locomotiven betrifft, so muß man anerkennen, daß, wenn sie schon bei der dermaligen Unvollkommenheit der Bahnen so ausgezeichnete Dienste leisteten, in der Folge bei Verbesserungen der Bahnen noch viel mehr von ihnen zu erwarten seyn wird. Uebrigens sezen uns die interessanten Versuche de Pambour's und die daraus abgeleiteten praktischen Resultate schon jezt in Stand, fuͤr jeden einzelnen Fall die Art und Kraft des Motors im Voraus zu berechnen. Diesen Resultaten wird man folgen muͤssen, bis neue Veraͤnderungen und Verbesserungen der Maschine neue Versuche erheischen. Wir kommen nunmehr, nach Vorausschikung des Obigen, zu den Verbesserungen der Transportmittel oder Wagen, auf welche sich das von Hrn. Arnoux erfundene und unserem Berichte zu Grunde liegende System bezieht. Nach der dermaligen Anordnung ruhen diese Wagen auf vier gleichen, eisernen Raͤdern, deren Randkraͤnze innerhalb der Schienen vorspringen, und die an parallelen, mit jedem Raͤderpaare einen Koͤrper bildenden Achsen aufgezogen sind. Hieraus folgt, daß nur die Achsen in Zapfenlagern laufen, welche unveraͤnderlich an dem Wagengestell fixirt sind; waͤhrend an den gewoͤhnlichen Wagen die Raͤder um die Zapfen von Achsen laufen, von denen die eine an dem Hintergestelle festgemacht ist, waͤhrend sich die andere frei um den Riebnagel des Vordergestelles bewegen kann. Diese veraͤnderte Anordnung wird dadurch motivirt, daß bei dem gewoͤhnlichen Systeme aus der Abnuͤzung der Buͤchsen oder Achsenzapfen gar bald eine unvermeidliche Flucht entsteht, in Folge deren die Radflaͤche verschiedene Neigungen bekommt, so daß die Raͤderspur wechselt. Man begreift jedoch leicht, daß diesem Uebelstande durch eine Verlaͤngerung der Achsenspindel nach Außen beliebig abgeholfen werden kann, und daß das Rad nur dann eine Schwerkraft erlangen koͤnnte, wenn dessen Neigung so stark wuͤrde, daß die Felge, die eine gewisse Breite darbietet, von der Schiene, deren Breite doch auch nicht unbedeutend ist, abweichen koͤnnte. Die gewoͤhnlichen Wagen, die so schwere Lasten zu ertragen und so heftige Erschuͤtterungen auszuhalten haben, rechtfertigen jedoch diese Besorgnisse keineswegs, und uͤbrigens wird dieser Nachtheil der um ihre Achsen umlaufenden Raͤder an den Raͤdern mit solidaren Bewegungen wohl dadurch aufgewogen, daß leztere sich nicht in Curven bewegen koͤnnen, ohne daß wenigstens das eine von ihnen, naͤmlich das dem Mittelpunkte der Curve naͤher gelegene, bei seinem Umlaufen gezwungen wird zugleich auch zu glitschen, woraus eine Reibung ersten Grades entsteht, die keineswegs außer Acht gelassen werden darf. Diese Beweggruͤnde waren es ohne Zweifel, die Hrn. Arnoux veranlaßten, sich bei der Aufstellung seines Systemes, dessen bewegliche Raͤder aus Holz verfertigt und mit eisernen Reifen beschlagen sind, nicht an obigen Einwuͤrfen zu stoßen. Die große Erfahrung, die sich dieser Mann in Allem, was die Raͤderfuhrwerke betrifft, angeeignet hat, gaͤbe uns einen triftigen Grund fuͤr sein System, wenn in Fragen dieser Art ja etwas den Probirstein einer im Großen lange genug fortgesezten Anwendung ersezen koͤnnte. Bevor wir jedoch zu einer Beschreibung jener Anordnung uͤbergehen, durch welche sich das System des Hrn. Arnoux von allen bis zum heutigen Tage in Vorschlag gebrachten unterscheidet, muͤssen wir noch einen Augenblik bei der Art und Weise, auf welche an den gewoͤhnlichen Eisenbahnwagen die Fortpflanzung der Bewegung von einem zum anderen geschieht, verweilen; denn man koͤnnte von diesem Standpunkte aus eine andere, scheinbar sehr gewichtige Einwendung gegen das neue System vorbringen. Man verbindet dermalen die Wagen mit Ketten oder mit ziemlich kurzen, mit Federn ausgestatteten Stangen, die innerhalb gewisser Graͤnzen einen Wechsel im Abstande der Wagen gestatten. Diese Anordnung ist, wie man sagt, deßhalb getroffen, damit dem Motor gestattet ist die Bewegung mitzutheilen, und den der Abfahrt im Wege stehenden Widerstand, namentlich den durch die Traͤgheit geleisteten, allmaͤhlich zu uͤberwinden, obschon er den Gesammtwiderstand nicht auf ein Mal zu uͤberwaͤltigen vermoͤchte. Kurz die Kraft erhaͤlt einen groͤßeren Spielraum zur Entfaltung ihrer Thaͤtigkeit, wenn man ihr gestattet, auf die ersten Wagen eine groͤßere Menge lebendiger Kraft auszuuͤben. Obschon das auf den Einfluß der Traͤgheit bei der ersten Bewegung sich fußende Motiv nur in Hinsicht auf die mehr oder minder lange Dauer der Bewegungsthaͤtigkeit von Belang ist; obschon durch die Versuche von Coulomb, die neuerlich durch Morin ihre Bestaͤtigung erhielten, dargethan ist, daß an den metallenen Oberflaͤchen die Reibung beim Beginnen der Bewegung dieselbe ist, wie im Verlaufe dieser lezteren, so muß doch zugegeben werden, daß die Wagenzuͤge theils wegen der Biegsamkeit und Unebenheit der Bahn, theils aber auch aus irgend einer zufaͤlligen groͤßeren Adhaͤrenz in vielen Faͤllen einen Initialwiderstand darbieten koͤnnen, der groͤßer ist als der mittlere Widerstand, selbst jenen der Luft mit inbegriffen. Wir raͤumen daher in dieser Beziehung gern ein, daß es vortheilhaft sey, die einzelnen Wagen durch Zugketten zu verbinden, und dadurch von einander unabhaͤngig zu machen. Allein es erwachsen aus dieser Einrichtung bei jeder Beschleunigung oder Verminderung der Geschwindigkeit so bedeutende Erschuͤtterungen der Wagen; es ist diesem Uebel durch die Stoßaufhaͤlter und Federn, welche man anzuwenden pflegt, so unvollkommen abgeholfen; und es ist endlich so leicht, fuͤr den ersten Moment der ungenuͤgenden Wirkung der Triebkraft nachzuhelfen, daß wir nicht glauben, daß man hierauf einen ernstlichen Einwurf gegen die Annahme eines Systemes gruͤnden koͤnnte, bei dem die Wagen durch starre Stangen oder durch eine Art von Deichseln, die sich nur um die an ihren Hinter- und Vordergestellen angebrachten Riebnaͤgel bewegen koͤnnten, mit einander in Verbindungen stuͤnden. Die Anwendung solcher Deichseln, wie sie auch Hr. Arnoux vorschlagt, gewaͤhrt nicht nur eine vollkommenere Verbindung, sondern die Zugkraft wirkt hiebei auch an den Bahncurven in einer minder schiefen Richtung, als dieß der Fall ist, wenn die Wagen dem gewoͤhnlichen Systeme gemaͤß mit Ketten an einander gehaͤngt sind. Einer der groͤßten Fehler, welche man den Wagen mit parallelen und unveraͤnderlich gestellten Achsen zum Vorwurfe machen kann, ist der, daß sie an den Curven den Widerstand bedeutend erhoͤhen; und daß hiedurch ein Widerstand erzeugt wird, der in Verbindung mit der, bei großen Geschwindigkeiten erwachsenden Centrifugalkraft, gar sehr viel zu den Unfaͤllen beitraͤgt, welche gewoͤhnlich dieser lezteren Ursache allein zugeschrieben werden. In der That folgt aus dem Streben der Wagen bei ihrer Bewegung eine und dieselbe Richtung beizubehalten und aus der Schiefheit, in welche bei einem solchen Systeme die Flaͤche der Raͤder in Hinsicht auf die concaven Elemente der mit den inneren Randvorspruͤngen in Beruͤhrung stehenden Bahn nothwendig geraͤth, nicht bloß eine Reibung dieser Randvorspruͤnge an der dem Mittelpunkte der Curve gegenuͤberliegenden Schiene (welche Reibung um so groͤßer ist, als die Punkte, an denen der Druk Statt findet, weiter von der Rotationsachse an der Radachse entfernt sind), sondern das vordere Rad bekommt auch eine bestaͤndige Neigung, um den Punkt, der ihm als Stuͤzpunkt auf der Schiene dient, zu kippen, so daß es die Schiene wenigstens quer bestreicht, wenn es ihm unter Beihuͤlfe der Centrifugalkraft, welche freilich durch die Zugkraft und durch die quere Reibung der Raͤder auf den Schienen zum Theil aufgewogen wird, nicht gar gelingt sie gaͤnzlich zu uͤbersteigen. Diese Maͤngel in Verbindung mit der bedeutenden, aus verschiedenen bereits erwaͤhnten Ursachen erwachsenden Widerstands-Erhoͤhung, fuͤhrten in lezter Zeit nothwendig zu einer solchen Vergroͤßerung des Radius der Curven, daß die bei dem Entwurfe der Bahnen sich darbietenden Schwierigkeiten und die fuͤr deren Bau erwachsenden Mehrkosten wirklich mit jenen verglichen werden koͤnnen, die sich in gebirgigen Gegenden daraus ergeben, daß das Gefaͤll des Profiles hoͤchstens 0,505 Meter im Meter betragen darf, indem sich die Wagen hiebei durch die Wirkung des Widerstandes allein merklich im Gleichgewichte erhalten koͤnnen. Man hat, um allen diesen bedeutenden Nachtheilen zu begegnen, schon verschiedene Mittel in Vorschlag gebracht, bei denen wir gleichfalls einen Augenblik verweilen muͤssen. Erstlich dachte man daran, an den Curven dem oberen Niveau der inneren Schiene eine geringere Hoͤhe zu geben, als eben diesem Niveau der aͤußeren Schiene, um auf diese Weise die Wirkung der Centrifugalkraft durch jene der Schwerkraft aufzuwiegen. Dieses Palliativmittel eignet sich jedoch nicht fuͤr alle Geschwindigkeiten, so wie denn auch oben schon gezeigt wurde, daß die Centrifugalkraft keineswegs die einzige Ursache der Unfaͤlle und der Widerstaͤnde ist, welche aus der Kruͤmmung der Bahn und aus dem Parallelismus der Achsen entstehen. Man hat ferner versucht, den Radfelgen eine conische Form zu geben, damit die von Außen nach Innen zu gerichtete Abdachung die dem Mittelpunkte der Curven ferneren Raͤder beim Durchlaufen der Curven zwaͤnge, auf dem groͤßten Umfange der Felge zu laufen, waͤhrend die dem Mittelpunkte naͤher liegenden Raͤder dagegen auf dem kleineren Felgenumlaufe liefen. Aus dieser Verschiedenheit in den Radien der arbeitenden Theile der Raͤder folgte nicht nur die Wirkung einer wahren von Außen gegen innen gerichteten Gegenabdachung, sondern es ward hiedurch auch theilweise jenen Mangeln abgeholfen, die bereits oben an den Wagen mit parallelen Achsen und gleichen Raͤdern geruͤgt wurden. In der That strebt jedes Wagensystem mit parallelen Achsen und mit ungleichen Raͤderneigungen offenbar durch sich selbst dahin, einen um so kleineren Kreis zu beschreiben, als die Differenz zwischen den Raͤdern groß ist. Es ist auch klar, daß dergleichen Raͤder, wenn sie an Achsen aufgezogen waͤren, die gegen den gemeinschaftlichen Mittelpunkt der Kreise, die sie zu beschreiben suchen, convergirten, auf ihren kreisrunden Schienen eben so frei laufen muͤßten, wie ein einfach auf eine wagrechte Flaͤche gesezter Kegel um seine Spize umlaͤuft. Es geht jedoch bei dem eben beschriebenen Systeme keineswegs Alles so leicht von Statt ten; so daß es keinem Zweifel unterliegt, daß kegelfoͤrmige Felgen fuͤr Curven von kleinen Radien nicht genuͤgen und außerdem auch noch ihre Nachtheile haben. Alles dieß laͤßt nun glauben, daß ungeachtet der Verbesserungen, die wir bereits Hrn. Laignel verdanken, die Erfindung einer Einrichtung, welche sich innerhalb gewisser Graͤnzen der Geschwindigkeit allen Entwuͤrfen, Biegungen und Veraͤnderungen in den Curven der gewoͤhnlichen Straßen anpaßte, von den mit dem Baue der Eisenbahnen Beschaͤftigten guͤnstig aufgenommen werden muͤßte. Diesen Zwek suchte nun gerade Hr. Arnoux bei dem der Pruͤfung unterliegenden Systeme zu erreichen. Er entsagte zu diesem Behufe dem Parallelismus und der Fixirung der Achsen mit verkuppelten Raͤdern gaͤnzlich, und nahm dafuͤr das System der gewoͤhnlichen Wagengestelle an, die er mittelst einer gabelfoͤrmigen oder dreiarmigen Langwied verbindet, und denen er uͤberdieß gestattet, sich um Riebnaͤgel zu drehen, welche an den oberen Schwangbaumhoͤlzern (lissoirs), die mittelst Federn den Kasten tragen, festgemacht sind. Da jedoch eine so vollkommene Unabhaͤngigkeit zwischen den eigentlichen Rotationsbewegungen der Achsen die Sicherheit der Richtung der Raͤder auf den Schienen beeintraͤchtigen koͤnnte, indem diese Richtung durch die Randvorspruͤnge der Raͤder nur unvollkommen gesichert ist, so suchte Hr. Arnoux diese Bewegung dadurch solidarisch zu machen, daß er Eisenstangen anbrachte, welche sich unter der Langwied kreuzen und die sich mit Ketten enden, welche zum Theil auf den aͤußeren Umfang zweier hoͤlzerner Ringe oder Directionskronen von gleichem Halbmesser, die an den Achsen aufgezogen sind und sich mit diesen um Riebnaͤgel bewegen, aufgewunden sind. Zwei Kreise, an welche innere gemeinschaftliche Tangenten gefuͤhrt sind, geben eine Idee von dieser sehr einfachen Einrichtung; besonders wenn man sich die Enden der Ketten mittelst Klammern und Ziehbolzen an jedem Ringe befestigt denkt; und wenn man sich zugleich vorstellt, daß sich uͤber diesen Ringen andere concentrische Kronen oder Lenkscheite (sassoires) befinden, unter denen sich jene mit gelinder Reibung bewegen, und welche mit der Langwied, den oberen Schwangbaumhoͤlzern (lissoirs) und dem Kasten einen Koͤrper bilden: beinahe so wie dieß an dem beweglichen Vordergestelle der in Federn Hangenden Wagen der Fall ist. Da der Einrichtung dieser lezteren gemaͤß die Hintere Achse unbeweglich an dem Kasten und an der Langwied, die sich nur um den Riebnagel des Vordergestelles bewegen kann, befestigt ist, so kann das Vordergestell das Hintere nur zum Umlaufen bringen, indem es das Hintere, dem allgemeinen Rotations-Mittelpunkte zunaͤchst gelegene Rad zwingt, sich um den Punkt, an dem es mit dem Erdboden in Beruͤhrung steht, zu drehen. Dieses Verhalten, welches fuͤr die Eisenbahnen seine Nachtheile haͤtte, findet an der von Arnoux getroffenen Anordnung jedoch keineswegs Statt, indem bei der Gleichheit der Directionskronen des Hinter- und Vordergestelles, dieses keinen bestimmten Winkel beschreiben kann, ohne daß nicht sogleich auch jenes gezwungen wird, denselben Winkel, jedoch nach entgegengesezter Richtung zu beschreiben, so daß also die zusammengehoͤrigen Raͤder gezwungen werden, sich in die Richtung des im Kreise laufenden Weges, gegen den die vordere Achse in Folge von Anordnungen, die wir anschaulich zu machen suchen werden, bereits senkrecht steht, zu verfuͤgen. Was den vordersten Wagen eines Wagenzuges betrifft, so fand Hr. Arnoux kein besseres Mittel die Achse des Vordergestelles zu dirigiren, als die Anwendung von 4 Rollen, welche an den inneren Seiten der Schienen anliegen, und die an den Eken eines Rechtekes fixirt sind, welches aus eisernen Buͤgeln zusammengesezt mit dieser Achse einen Koͤrper ausmacht. Diese Vorrichtung wuͤrde offenbar große Nachtheile haben, wenn sie an dem Vordertheile eines stark befrachteten Wagens angebracht werden sollte; denn da der Druk an dem Lenkscheite oder an den beiden Reibungskronen dieses Gestelles einen sehr großen Widerstand, dessen Hebelarm sich mit jenem des auf die Rollen wirkenden Drukes vergleichen ließe, erzeugen wuͤrde, so wuͤrden die Rollen einer Gewalt ausgesezt werden, die entweder gefaͤhrliche Bruͤche oder wenigstens ungeheure Reibungen und mithin lasche Abnuͤzungen bewirken muͤßte. Dagegen laͤßt sich nicht laͤugnen, daß diese Nachtheile beinahe verschwinden, wenn der erste Wagen dem Vorschlage des Erfinders gemaͤß, nur sehr leicht befrachtet wird. Die Art und Weise, auf welche den Vorderachsen der nachfolgenden Wagen die Direction gegeben werden soll, beruht auf einem sehr einfachen Principe, gegen welches sich die eben erhobenen Einwuͤrfe nicht vorbringen lassen. Der Erfinder verbindet naͤmlich die zwei einander zunaͤchstgelegenen Gestelle der folgenden Wagen auf eine ganz aͤhnliche Weise wie die beiden Gestelle eines und desselben Wagens: mit dem Unterschiede jedoch, daß hier eine Deichsel, welche sich frei um Riebnagel drehen kann, die Stelle der Langwied vertritt, und daß die Krone des Hintergestelles eines jeden Wagens einen um die Haͤlfte kleineren Durchmesser hat, als die Krone des Vordergestelles des naͤchstfolgenden Wagens, und daß sie nicht mit der Achse, sondern mit der Langwied, dem Schwangbaumholze etc., denen sie entspricht und als Sattel dient, einen Koͤrper ausmacht, wobei sie jedoch auf dem unteren, von dieser Achse und ihrer großen Krone gebildeten Systeme im Kreise gleitet. Aus dieser Verbindung zweier auf einander folgender, aber verschiedenen Wagen angehoͤriger Gestelle folgt: daß, wenn die zu ihrer Verbindung dienende Deichsel gezwungen wird, in Hinsicht auf die Langwied oder auf die Laͤngenachse des ersten Wagens einen gewissen Winkel zu bilden, die Achse des folgenden Wagens nach entgegengesezter Richtung die Haͤlfte dieses Winkels beschreiben muß, wodurch auch diese Achse wieder in senkrechte Richtung gegen den Kreis der Schienen zuruͤkgefuͤhrt wird. Es erhellt dieß offenbar, wenn man, wie es denn auch hier der Fall ist, annimmt, daß die Entfernung zwischen den Riebnaͤgeln an allen auf einander folgenden Wagen eine und dieselbe ist. Wenn man die Erklaͤrung, die wir von den von Hrn. Arnoux getroffenen Anordnungen gegeben haben, gehoͤrig aufgefaßt hat, so wird man finden, daß, wenn sich die Wagen in einer geradlinigen Richtung bewegen, saͤmmtliche Raͤdergestelle streng jenen Parallelismus und jene Staͤtigkeit beibehalten, die dem gewoͤhnlichen Systeme eigen sind; nur daß hier die Schwingungen nach der Quere und die von mangelhafter Verbindung herruͤhrenden Stoße unmoͤglich sind. So wie aber das Vordergestell des ersten Wagens in die Bahncurve eintritt, werden sich das Hintergestell dieses Wagens und mithin auch die beiden Gestelle des naͤchstfolgenden Wagens sogleich zu drehen beginnen, und in Hinsicht auf den geradlinigen Theil der Bahn eine progressiv immer mehr und mehr schief werdende Richtung annehmen. Dasselbe tritt nach und nach an saͤmmtlichen Hintergestellen der Wagen in dem Maaße ein, als die entsprechenden Vordergestelle an den Vereinigungspunkt der beiden Bahntheile gelangen. Die fragliche Schiefheit hat sehr eng gestekte Graͤnzen, welche sowohl von der Distanz zwischen den auf einander folgenden Wagengestellen, als auch von dem Radius der Curve oder von dem Verbindungskreise der Bahn bedingt sind. Immer erwachst aber an ihr ein Einwurf gegen das System des Hrn. Arnoux, den wir beruͤhren zu muͤssen glauben. Derselbe gruͤndet sich naͤmlich einerseits dar, auf, daß diese Schiefheit eine geringe Reibung an den Schienen erzeugt; und andererseits darauf, daß die Raͤder des Hintergestelles eine Neigung bekommen die Schienen zu uͤbersteigen. Lezterer Umstand ist ganz dem analog, was bei dem gewoͤhnlichen Systeme an den Curven eintritt: nur mit dem Unterschiede, daß hier die Schiefheit und die daraus folgende Abweichung von den Schienen progressiv eintritt, und so zu sagen nur einen unbemerkbaren Augenblik uͤber dauert, indem deren Zu- und Abnahme an jedem Wagen vollbracht ist, sobald das Hintergestell den in einer Curve laufenden Theil der Bahn erreicht hat. Sie tritt immer nur an drei der auf einander folgenden Achsen zugleich ein, und wird in umgekehrter Richtung nur dann erzeugt, wann die Vordergestelle allmaͤhlich den krummlinigen Theil der Bahn verlassen, um wieder auf einen geradlinigen Theil uͤberzutreten. Endlich lassen sich diese leichten Abweichungen, die das nothwendige Resultat eines jeden schnellen Wechsels in der Curve der Bahn sind, nach Belieben durch eine gehoͤrige Verzeichnung der Bahn vermindern, so daß wir in ihnen keinen ernstlichen Einwurf gegen das fragliche System erbliken. Man wird ferner finden, daß, wenn der Wagenzug ein Mal in den krummlinigen Theil der Bahn, welchen Radius dieser auch haben mag, eingetreten ist, derselbe schon durch sich selbst jene Staͤtigkeit der Verbindung, die man an den geradlinigen Theilen trifft, beizubehalten strebt; waͤhrend die Raͤder, die gezwungen sind, sich in einer tangentiellen Richtung fortzubewegen, weder irgend eine durch Glitschen um sich selbst bedingte Reibung erleiden, noch auch den Trieb die Schienen zu uͤbersteigen bekommen. Denn die Wirkung der Centrifugalkraft beschraͤnkt sich hier: 1) auf die Tendenz die Wagen aufzuheben, und sie um die Stuͤzpunkte der aͤußeren Raͤder zu drehen; und 2) auf eine horizontale Kraft, welche den Randvorsprung eben dieser Raͤder gegen den inneren Rand der Schienen andruͤkt. Um nun die Wirkungen dieser Tendenz zu verhuͤten, was schon durch die Solidaritaͤt der Wagen eines Wagenzuges in hohem Grade geschieht, genuͤgt es, daß die durch die Geschwindigkeit veranlaßte Hoͤhe nicht den vierten Theil der vierten Proportionale zur Hoͤhe des Schwerpunktes der Last unter dem Stuͤzpunkte der Raͤder, zur mittleren Breite und zum Radius der Bahncurve uͤbersteige. Und damit die Wirkungen der in zweiter Linie erwaͤhnten Kraft, und mithin auch die aus ihr erwachsende seitliche Reibung des Randvorsprunges der Raͤder unmoͤglich werden, braucht es nichts weiter, als daß dieselbe Geschwindigkeit nicht groͤßer sey als jene, welche durch eine Hoͤhe erzeugt wird, deren Maaß die Haͤlfte des Radius der durchlaufenen Curve multiplicirt mit dem numerischen Coefficienten dieser Reibung ist. Uebrigens muß von diesen beiden Bedingungen die erste an jedem Wagensysteme nothwendig und im Uebermaaße erfuͤllt seyn; waͤhrend der zweiten durch gehoͤrige Vergroͤßerung des Radius der Curven wo nicht streng, so doch sehr approximativ Genuͤge geleistet werden kann. Auch lassen sich, außer den unvermeidlichen aber sehr geringen Unannehmlichkeiten, welche durch die Schiefheit der Richtung des Zuges selbst bedingt sind, und welche durch die seitliche Reibung der Raͤder und durch die Wirkung der Centrifugalkraft aufgewogen werden, an dem neuen Systeme durchaus keine Ursachen zu solchen Unfaͤllen und Widerstaͤnden auffinden, wie sie bei dem dermaligen Baue der auf Bahncurven laufenden Wagen zu finden sind. Was die Schwierigkeit ein solches System solidarer Wagen in Bewegung zu sezen und anzuhalten betrifft; was die Einwendungen und Nachtheile anbelangt, welche aus der geringen Schiefheit der Raͤder beim Antritte und beim Verlassen der Curven, aus der Nothwendigkeit den ersten Wagen mittelst Rollen zu leiten, aus dem Mangel an Stabilitaͤt, welchen man bei der geringen Ausdehnung der Tragflaͤchen an den Kasten aussezen koͤnnte, und endlich aus der Verfertigungsweise der Ketten und der Directionskronen erwachsen, so lassen sich unserer Ansicht nach alle diese Dinge nicht als Hindernisse betrachten, wegen der man der Annahme des neuen Wagen-systemes fuͤr die Eisenbahnen entsagen muͤßte. Und wenn man sich ja durch die zierliche Einfachheit einer zur Loͤsung der Schwierigkeiten dienenden Anordnung bestechen lassen duͤrfte, so wuͤrden wir gern auch dasselbe Unheil uͤber die Nothwendigkeit aussprechen, in welche der Erfinder versezt ist, die Langwied und die Schwangbaͤume der schwer beladenen Wagen und namentlich der Locomotiven, durch eine dritte Achse zu unterstuͤzen, welche in der Mitte zwischen den Wagengestellen fixirt seyn, und auf zwei Raͤdern mit breiten Felgen mit oder ohne Randvorsprung ruhen muͤßte. Die nicht voraussehbaren Hindernisse, welche jedoch aus einer solchen Einrichtung theils in Bezug auf die Locomotion, theils in Bezug auf die Errichtung der treibenden Maschinen selbst erwachsen duͤrften, erlauben uns nicht uns bei dem gaͤnzlichen Mangel einer directen Erfahrung hieruͤber auch nur mit einiger Bestimmtheit auszusprechen. Hr. Arnoux hat der Akademie nur ein Modell seines Systemes im Maaßstabe von 1/5 vorgelegt; allein dieses schien bei verschiedenen Geschwindigkeiten saͤmmtlichen oben beruͤhrten Bedingungen zu entsprechen. Um den Reklamationen zu begegnen, welche aus der Ähnlichkeit, die das neue System mit jenen Wagen mit beweglichen Achsen hat, die von Sir Sydney Smith erfunden, und in lezter Zeit von Hrn. Dietz verbessert wurden, folgen duͤrften, muͤssen wir bemerken, daß diese Wagen, welche hauptsaͤchlich fuͤr den Dienst auf Landstraßen bestimmt sind, wenn sie auch in Hinsicht auf die Leichtigkeit, mit der sie sich in Wagenzuͤgen vereint unter den kleinsten Winkeln wenden, analoge Eigenschaften besizen, sich von jenen Arnoux's doch wesentlich unterscheiden. An ihnen sind naͤmlich die drei Achsen der Gestelle, aus denen sie bestehen, von welchen Achsen nur die mittlere allein Stabilitaͤt hat, durch gegliederte Eisenstangen verbunden. Die Commission ist hienach der Ansicht, daß das von Arnoux aufgestellte System die Aufmerksamkeit der mit dem Baue von Eisenbahnen beschaͤftigten Ingenieurs verdient, indem dessen Vortheile bezuͤglich auf die Verhuͤtung von Ungluͤksfaͤllen und auf die Verminderung der Reibung an Curven von kleinen Radien an und fuͤr sich nicht wohl in Zweifel gezogen werden koͤnnen; und indem auch schon dann wesentliche Dienste von demselben zu erwarten stuͤnden, wenn man es nur auf die leichteren, zum Personentransporte bestimmten Wagen anwendete. Wir schlagen daher vor, dem Erfinder die Approbation von Seite der Akademie zu erkennen zu geben, und ihm den Wunsch auszubruͤten, daß sein System demnaͤchst einem Versuche im Großen, aus dem dessen Vorzuͤge noch schlagender hervorgehen muͤßten, unterworfen werde.