Titel: Dampfkolben mit beseitigter Kolbenreibung; von Obermaschinist G. Krauß in Lindau.
Autor: G. Krauß
Fundstelle: Band 144, Jahrgang 1857, Nr. I., S. 2
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I. Dampfkolben mit beseitigter Kolbenreibung; von Obermaschinist G. Krauß in Lindau. Mit Abbildungen auf Tab. I. Krauß's Dampfkolben mit beseitigter Kolbenreibung. Die wesentlichste Function der Kolbenringe eines Dampfkolbens ist die, einen ganz dichten Schluß zwischen den beiden Seiten eines Cylinders zu bewirken. Von der größern oder geringern Vollkommenheit dieser Bedingung hängt hauptsächlich die Leistungsfähigkeit einer Dampfmaschine, sowie der Verbrauch an Brennmaterial ab. Das bisherige System behufs des dichten Schlusses der Kolbenringe besteht darin, dieselben durch innere mit Stellschrauben versehene Federn so gegen die Cylinderwand zu spannen, daß sie dem von Außen auf sie wirkenden Dampfdruck vollkommen Widerstand leisten. Bei jedem Dampfdrucke soll nun das Durchströmen des Dampfes vermieden werden, und es muß also diese Spannung mindestens dem Maximaldrucke des arbeitenden Dampfes entsprechen. Selbstverständlich ist eine solche Spannung, abgesehen von ihrer Verminderung durch Abnützung, eine constante, und sie ist deßhalb bei Expansions-Dampfmaschinen und besonders bei Locomotiven, wo der arbeitende Dampf immer eine sehr variable Spannung hat, von großem Nachtheil. Es ist dieses die Ursache der oft auffallenden Abnützung sowohl der Kolbenringe als des Cylinders, und zwar aus folgendem Grunde: In dem Falle, wo im Dampfcylinder während des ganzen Kolbenhubes Dampf vom Maximum der Spannung wirkt, wird der Druck auf die äußere Seite der Kolbenringe, jenem durch die Feder bewirkten Drucke auf die innere Seite das Gleichgewicht halten, wenn, wie dieß der Fall seyn soll, diese Spannung gleich dem Maximaldrucke ist. Demzufolge werden sich die gegenseitigen, auf den Kolbenring wirkenden Kräfte das Gleichgewicht halten und eine Reibung an der Cylinderwand nicht verursachen. Bei Expansions-Dampfmaschinen vermindert sich stets die Spannung des Dampfes gegen das Ende des Kolbenhubes, und es wird somit ein Ueberdruck der Feder gegen die Cylinderwand stattfinden, entsprechend der Differenz der Maximalspannung des Dampfes und der Spannung des im Augenblicke arbeitenden Dampfes. Je geringer also die Dampfspannung wird, desto größer ist die Differenz des innern Druckes gegen den äußern, desto größer wird also auch die Reibung des Kolbenringes an der Cylinderwand seyn. Dieser für Kolbenringe, Cylinder und Nutzeffect höchst nachtheilige Ueberdruck ist dann am größten, wenn, wie dieses bei Locomotiven sehr häufig vorkommt, die Maschinen im Gange sind, ohne daß im Cylinder Dampf arbeitet. Jeder Locomotivführer hat wohl schon die Bemerkung gemacht, daß besonders frisch gespannte Kolben, wie man sagt, brummen, wenn Dampf abgesperrt oder nur wenig eingelassen wird. Besagter Uebelstand äußert sich auch bei jenen Locomotiven am fühlbarsten, welche auf Bahnen benützt werden, die beträchtliche Gefälle haben, wo sie oft lange Zeit ohne Dampfarbeit laufen müssen. Man ist vielfach der Meinung, daß die starke Abnützung der Kolben und Cylinder von dem sehr häufigen Trockenlaufen der Kolbenringe herkommt, es ist jedoch der genannte Ueberdruck der Kolbenfedern die wirksamste Ursache der Abnützung. Die Bahnstrecke Lindau-Kempten der bayerischen Ludwigs-Süd-Nord-Bahn hat eine 7 Meilen lange, beinahe ununterbrochene einprocentige Neigung und müssen die Maschinen bei der Thalfahrt während dieser ganzen Strecke ohne Dampfarbeit im Gange seyn. Das Obengesagte hat sich hier am treffendsten bewahrheitet, die Abnützung war eine so starke, daß schon nach 1 1/2 bis 2jährigem Gebrauche sämmtliche Dampfcylinder ausgebohrt werden mußten. Diese, für die Leistungsfähigkeit der Maschinen höchst nachtheiligen, überdieß hinsichtlich des Brennmaterialverbrauchs und der erforderlichen Reparaturen sehr kostspieligen Uebelstände wurden durch die Construction meiner Dampfkolben ganz und gar beseitigt. Das Princip derselben ist: den Druck auf die innere Seite der Kolbenringe variabel und immer gleich mit dem im Augenblicke arbeitenden Dampfdrucke zu machen. Es wird dieses dadurch erreicht, daß der innere Kolbenraum immer mit jener Seite des Cylinders communicirt, auf welcher der Dampf arbeitet, d.h. der constante Federdruck wird durch den variablen Dampfdruck ersetzt und ist hiebei der Hauptvortheil der, daß mit der Dampfwirkung im Cylinder auch der Druck der Kolbenringe auf die Cylinderwand aufhört, also auch alle Reibung beseitigt ist. Es ist zu dem Ende im Kolben ein Doppelventil a', a (Fig. 1) so angebracht, daß der eine Sitz im Kolbenkörper und der andere im Kolbendeckel liegt. Die Ventile sind der Dauerhaftigkeit wegen aus Gußstahl gefertigt und haben eine gegenseitige Führung. Die äußeren Ventilstiele bilden einen mit vier Löchern versehenen Hohlcylinder, durch welche abwechselnd der Dampf in den innern Kolbenraum tritt. Durch eine schwache Messingspiralfeder wird das Offenbleiben der Ventile bei eintretendem Dampfwechsel verhindert. Die Construction der Kolbenringe, sowie deren Vorzüge habe ich bereits in diesem Journal Bd. CXL S. 14 bekannt gegeben und dieselbe nur noch mehr vereinfacht angewendet. Fig. 1 ist der Durchschnitt des Kolbens und Fig. 2 die Ansicht eines geöffneten Kolbens nebst einem Kolbenringe. Jeder Kolbenring besteht aus zwei Metallen. m ist ein nuthförmig ausgedrehter schmiedeeiserner Ring und n ist das aufgegossene Compositionsmetall, welches allein zu wenig Halt hätte und dieser Uebelstand ist deßhalb durch den eisernen Ring aufgehoben. Die Reparatur solcher Ringe ist eine ungemein billige, da der eiserne Ring mehrmals verwendet werden kann. Der geöffnete Theil des Kolbenringes wird durch einen Keil geschlossen, auf welchen eine schwache Kreisfeder drückt. Diese Feder ist von einer solchen Spannung und Stärke, daß sie auf die Innenfläche des Kolbenringes nur einen Druck ausübt, der dem Producte der Differenz der äußern und innern Oberfläche des Kolbenringes in die Maximaldampfspannung entspricht. Damit die Feder auch bei allenfallsiger Abnützung der Kolbenringe ihre Spannung beibehält, ist dieselbe bei c geöffnet und so gesprengt, daß diese Enden im freien Zustande 4 Zoll weit aus einander stehen. Um die Steifigkeit des Ringes möglichst zu vermeiden, ist es von Vortheil, denselben nicht stärker, als in der Zeichnung angegeben, zu verfertigen. Die Ersparung bei Anwendung genannter Kolbenringe stellt sich nach den bisher gemachten Erfahrungen per Maschine auf mindestens 1000 fl. jährlich (per Wegstunde 8 kr.), da sie nicht bloß eine bedeutende Erhöhung des Nutzeffectes, sondern auch eine bedeutende Verminderung der Reparaturkosten und des Brennmaterialaufwandes ermöglicht. Die Locomotive „Retzbach“, eine Güterzugmaschine mit 16zölligen Cylindern, verbrauchte bei gußeisernen Kolbenringen 34,2 Kubikfuß Torf per geographische MeileCntr. Torf, während sie nach Anwendung genannter Kolbenringe unter gleichen Verhältnissen gegenwärtig nur 22,2 Cntr. Torf verbraucht. Allerdings kommen hier auch noch einige andere wesentliche Verbesserungen in Betracht; doch ist die oben angegebene Ersparniß nur auf Rechnung der verbesserten Kolben zu setzen. Nicht bloß bei Kolbenringen, sondern auch bei allen reibenden und gleitenden Theilen, wie Dampfschiebern, Kreuzköpfen, Excentrics, Kolben- und Schieberstangenführungen, bei allen Arten von Lagern, Saugrohrkuppelungen, Scharnieren, Coulissenbacken etc. wende ich Compositionsmetall, bestehend aus 80 Theilen Zinn, 12 Thln. Antimon und 8 Thln. Kupfer, nach Umständen von letzterm Metall noch etwas mehr, an. Dieses Metall hat den außerordentlichen Vortheil, daß es die geringste Reibung und also auch die geringste Abnützung, vorzüglich bei Gußeisen und Stahl, verursacht. Es gewährt den großen Vortheil, daß es bei einer allenfalls eintretenden Erhitzung eines Zapfens denselben nie beschädigt oder zerfrißt und einige Tropfen Oel den eingetretenen Uebelstand sogleich beseitigen. Der einzige Nachtheil seiner geringen Festigkeit kann leicht wie bei den Kolbenringen, durch Verbindung mit Guß- oder Schmiedeeisen beseitigt werden. Da der Einguß von Compositionsmetall in diesem Falle nur ganz gering zu seyn braucht, so sind die Anschaffungskosten bedeutend niedriger, und da bei Reparaturen der eigentliche aus Guß- oder Schmiedeeisen bestehende Maschinentheil immer wieder verwendet werden kann und nur das Belege erneuert zu werden braucht, so sind die Reparaturen auch ungleich billiger. Bei Kuppel- und Flügelstangenlagern, bei Excentrics, Coulissenbacken mache ich z.B. den festen Körper aus Schmiedeeisen; überhaupt wende ich bei keinem Theile mehr das theure und doch weniger dauerhafte Metall an. Da die Kolben- und Schieberstangenführungen, sowie die Flügel- und Kuppelstangenlager in diesem Falle mit durch Oel verdünntem Talg geschmiert werden können, bei letzteren dadurch besonders das Herausschleudern der Schmiere verhindert wird, und überhaupt auch die anderen beweglichen Theile nur wenig Oel erheischen, so ist dadurch auch eine beträchtliche, mehr als 100 Proc. betragende Ersparniß an Schmiermaterial ermöglicht.

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