Titel: Ueber die Einwirkung des Wassers auf metallisches Blei; von Heinrich v. Sicherer.
Autor: Heinrich Sicherer
Fundstelle: Band 144, Jahrgang 1857, Nr. LXVII., S. 284
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LXVII. Ueber die Einwirkung des Wassers auf metallisches Blei; von Heinrich v. Sicherer. v. Sicherer, über die Einwirkung des Wassers auf metallisches Blei. Dr. Medlock, Chemiker in London, veröffentlichte kürzlich in einer von der General Apothecaries Company in London herausgegebenen Schrift eine Abhandlung: „On the action of certain waters upon lead“ (über die Wirkung gewisser Wässer auf Blei). Dieselbe ist das theilweise Resultat einer längeren Untersuchung, in Folge deren Dr. Medlock ein Patent auf ein Verfahren zum Verbessern oder Reinigen von Wasser nahm. Da diese Abhandlung noch wenig bekannt ist und einige interessante Thatsachen enthält, so will ich in Folgendem einen Auszug aus derselben geben und einige Bemerkungen beifügen. Die Frage, warum manches Wasser in hohem Grade die Eigenschaft besitzt, Bleiröhren und Bleicisternen anzugreifen, wurde schon vielseitig erörtert, da dieselbe für die Gesundheitsverhältnisse von großem Interesse ist. Man machte die Beobachtung, daß manches Wasser, welches mehrere Tage mit Blei in Berührung war, eine nicht ganz unbedeutende Menge von letzterm löste, manchmal 5–6 Grains in 1 Gallon (10 Pfd. Avoirdupois, dem durch 7000 Grains Wasser erfüllten Raum), eine Quantität, die nicht ohne nachtheilige Folgen für die Gesundheit seyn würde. Anderes Wasser hingegen greift Blei gar nicht, oder nur zu einer gewissen Jahreszeit an. Trotz aller Versuche konnte man jedoch zu keinem genügenden oder entschiedenen Resultat gelangen. Dr. Road untersuchte drei verschiedene Wasser, die sämmtlich das Blei stark angriffen. Das eine enthielt 100 Grains fixen Rückstand in 1 Gallon, wovon 57 Grains aus salpetersaurem Kalk und salpetersaurer Magnesia bestunden. Das zweite enthielt 77,74 Grains fixen Rückstand, bestehend aus Kalk-, Magnesia-, Kali- und Natronsalzen und 4,10 Grains organischer Substanz. Das dritte Wasser endlich, einer tiefen Quelle in London entnommen, enthielt circa 68 Grains fixen Rückstand, der hauptsächlich aus Kali- und Natronsalzen bestund, mit sehr wenig kohlensaurem Kalk und organischer Substanz. Diese drei Wasser unterscheiden sich bedeutend in ihren chemischen Bestandtheilen; während nämlich bei dem ersten salpetersaure Salze vorherrschen, enthält das zweite mehr organische Substanz und das dritte hauptsächlich kohlensaure Alkalien, und demgemäß wurden als bleiangreifende Ursache beim ersten die salpetersauren Salze, beim zweiten die organische Substanz und beim dritten freies Alkali betrachtet. Dr. Smith, welcher ähnliche Untersuchungen machte, fand, daß die Quantität des gelösten Bleies mit der Zeit zunimmt, während deren das Wasser mit dem Metall in Berührung bleibt, und er glaubt diese Einwirkung der Luft zuschreiben zu müssen, welche in dem Wasser gelöst ist. Vor einiger Zeit wurde auf Verlangen der englischen Regierung eine ähnliche Untersuchung gemacht, wobei auf die Anfrage „ob weiches Wasser irgend eine unangenehme Folge für den gewöhnlichen Gebrauch haben würde“ von der damit beauftragten Commission auf die bedenkliche, dem weichen Wasser meistens zukommende Eigenschaft hingewiesen wurde, metallisches Blei anzugreifen und dasselbe zu lösen. Im Gegensatz zu der bisher allgemein angenommenen Ansicht, daß weiches Wasser stets das Blei angreift, wurde jedoch dabei angeführt, daß das weiche Wasser von Surrey Hill und das künstlich weich gemachte Quellwasser keine bemerkbare Einwirkung auf Blei ausüben, was um so auffallender war, als selbst oft destillirtes Wasser in Berührung mit einer großen Oberfläche von metallischem blanken Blei 6 bis 8 Grains davon in 1 Gallon auflöst. Dr. Medlock nun machte bei seiner Untersuchung folgende Beobachtungen. Ein Gallon destillirtes Wasser mit circa 560 Quadratzoll gewalztem Blei in Berührung gebracht, löste innerhalb 48 Stunden 6,5 Grains Blei auf, welches sich am Boden der Flasche als weißes, unlösliches kohlensaures Bleioxyd sammelte, wobei bloß 1/6 Grain Blei in Lösung blieb. – Zahlreiche Versuche führten nun zu dem interessanten Resultat, daß der Stickstoff, welcher sich in irgend einem unreinen Wasser befindet, unter gewissen Umständen äußerst schnell in Ammoniak umgewandelt wird, von welchem dann ein Theil durch den Sauerstoff der Luft zu salpetriger Säure (Untersalpetersäure, NO⁴) oxydirt wird, welche hierauf mit dem noch vorhandenen Ammoniak salpetrigsaures Ammoniak bildet; das so entstandene salpetrigsaure Ammoniak bleibt in dem Wasser gelöst und seine Gegenwart wurde durch eine Reihe von Versuchen nachgewiesen, so daß darüber kein Zweifel besteht; diese Verbindung ist es nun, welche sowohl destillirtes wie anderes Wasser für den gewöhnlichen Gebrauch untauglich macht, durch ihre Eigenschaft das Blei anzugreifen. Es bildet sich ein lösliches salpetrigsaures Bleioxyd, das in Berührung mit der Luft durch deren Kohlensäuregehalt in unlösliches kohlensaures Bleioxyd umgewandelt wird, während die frei gewordene salpetrige Säure von neuem ihre Wirkung auf das Blei auszuüben beginnt. Von Themsewasser oder einem ähnlich verunreinigten Wasser erhält man immer ein entschieden sauer reagirendes destillirtes Wasser; dasselbe alsdann mit Aetzkali neutralisirt und zur Trockne verdampft, liefert einen Rückstand, welcher salpetrigsaures Kali enthält; oder wenn man es mit einigen Tropfen Salzsäure versetzt und zur Trockne verdampft, erhält man im Rückstand Salmiak) ein Beweis, daß das destillirte Wasser salpetrigsaures Ammoniak enthält. Um nun zu bestimmen, ob diese Verbindung wirklich die Auflösung des Bleies verursacht, wurden in einer kupfernen Destillirblase 20 Gallons Themsewasser unter Zugabe von zwei Stängelchen Aetzkali destillirt, und es zeigte sich, daß das Wasser, welches vorher sauer überdestillirte, nun alkalisch reagirte; ein Beweis, daß das salpetrigsaure Ammoniak in dem Wasser durch das Aetzkali zersetzt wurde unter Bildung von salpetrigsaurem Kali und freiem Ammoniak. Nachdem alles Ammoniak entbunden war, destillirte das Wasser ganz rein und neutral über. – 1 Gallon von diesem destillirten Wasser mit 560 Quadratzoll Blei in Berührung gebracht, zeigte nach 48 Stunden nicht die geringsten Spuren von Blei. Aus diesen und zahlreichen anderen Beobachtungen zieht Dr. Medlock folgende Schlüsse: 1) daß destillirtes Wasser, erhalten aus einem mit stickstoffhaltigen organischen Substanzen verunreinigten Flußwasser, stets mit salpetrigsaurem Ammoniak verunreinigt ist; 2) daß ein solches Wasse für den medicinischen Gebrauch ungeeignet ist und hierzu stets über Aetzkali destillirt werden sollte, um die Gegenwart von salpetriger Säure zu verhindern; 3) daß gewöhnliches und destillirtes Wasser einzig und allein in Folge des darin enthaltenen salpetrigsauren Ammoniaks auf das Blei wirken; 4) daß ein solches Wasser nie durch bleierne Röhren geleitet werden soll, weil in diesem Falle das Blei in einer der Gesundheit nachtheiligen Quantität im Wasser gelöst wird. Mehrere Versuche die ich deßhalb anstellte, überzeugten mich von der Richtigkeit obiger Behauptungen im Allgemeinen. Ueberdieß stellte ich Versuche über die Einwirkung von metallischem Eisen auf so verunreinigtes Wasser an, worauf sich hauptsächlich das Patent von Dr. Medlock zur Verbesserung solchen Wassers stützt. Da mir jedoch die Specification desselben nicht bekannt ist, so kann ich zur Zeit darüber nichts weiteres mittheilen. Das metallische Eisen verhielt sich ganz ähnlich wie das Blei. Dasselbe wird von allem Wasser, welches Blei auflöst, ebenfalls gelöst, wobei der allmähliche Oxydationsproceß sehr deutlich bemerkt werden kann. Das von der salpetrigen Säure gelöste Eisen wird zuerst von dem freien Ammoniak als grünliches Oxydul niedergeschlagen, welches nach und nach in voluminöses braunes Oxyd übergeht. Das Wasser selbst hat dann eine sehr deutliche alkalische Reaction und in dem Filtrat findet sich eine kaum erkennbare Menge Eisen gelöst. So lange nun die atmosphärische Luft Zutritt hat, und noch freies Ammoniak sich vorfindet um das gebildete salpetrigsaure Eisenoxyd zu zersetzen, so lange wird auch die Einwirkung der salpetrigen Säure auf das Eisen stattfinden. Enthält ein solches Wasser zugleich organische Substanzen in feiner Vertheilung, so werden dieselben, wie es scheint, durch das niederfallende fein vertheilte Eisenoxydhydrat ebenfalls mitgerissen und das Filtrat enthält dann nur noch eine äußerst geringe Menge von organischen Substanzen. Auf dieser Beobachtung beruht Dr. Medlock's Verfahren das unreine Wasser zu verbessern. Diese Thatsachen sind auch für die analytische Chemie beachtenswerth, sowohl in Bezug auf die Analyse solchen unreinen Wassers selbst, wie auf die Anwendung des daraus erhaltenen destillirten Wassers für analytische Zwecke. Letzteres kann man jedoch durch Destillation über Aetzkali rein erhalten, indem man den zuerst übergegangenen Theil unbenützt läßt.50) London, im Mai 1857.