Titel: Russischer Torf. – Untersuchung der Producte der trockenen Destillation des Torfes von Rostockina (Dorfschaft auf dem Wege von Moskau nach Pusjkina) und die Verwendung dieser Producte zu industriellen Zwecken; von Dr. H. Vohl in Bonn.
Autor: Hermann Vohl
Fundstelle: Band 144, Jahrgang 1857, Nr. CXII., S. 444
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CXII. Russischer Torf. – Untersuchung der Producte der trockenen Destillation des Torfes von Rostockina (Dorfschaft auf dem Wege von Moskau nach Pusjkina) und die Verwendung dieser Producte zu industriellen Zwecken; von Dr. H. Vohl in Bonn. Vohl's Untersuchung eines russischen Torfes. Der Torf der Gruben von Rostockina hat im lufttrockenen Zustande eine schön kaffeebraune Farbe, er ist ziemlich schwer und nur von geringen Mengen Wurzelfasern durchzogen. Am nächsten kommt er, seinem Aeußern nach, dem erdigen friesländischen Stichtorfe, aus der Gegend von Norden gleich. Wird dieser Torf der Verbrennung unterworfen, so brennt er mit einer lebhaften hellleuchtenden Flammenentwickelung, die einen bedeutenden Bitumengehalt bekundet, und hinterläßt nur eine geringe Aschenmenge. Die lebhafte Flammenentwickelung, welche bei der Verbrennung erzeugt wurde, ließ ein günstiges Resultat der Analyse, welche seine Verwendung als Beleuchtungsmaterial darthun sollte, voraussehen. Diese Annahme wurde vollkommen durch das Ergebniß der Untersuchung bestätigt. Die mir zu Gebote stehende Torfmenge betrug ungefähr 70 Pfd. und war hinreichend eine Untersuchung in der Ausdehnung zu unternehmen, wie sie für eine technisch maaßgebende nothwendig war. Der lufttrockne Torf wurde einer trockenen Destillation unterworfen, d.h. in eisernen Retorten, wie ich solche in diesem Journal schon oft erwähnt, einer allmählich bis zur Rothgluth gesteigerten Temperatur ausgesetzt, und die sich entwickelnden Dämpfe und Gase durch gute Abkühlung verdichtet. Auf die Condensation mußte besonderer Fleiß verwandt werden, da die großen Mengen unverdichtbarer Gase die leichten Oele mit sich fortführten und so einen bedeutenden Verlust hätten veranlassen können. Die Destillation begann schon einige Grade über dem Siedepunkte des Wassers, und lieferte zuerst neben großen Mengen von kohlensaurem Gase bedeutende Quantitäten Wasser, auf welchem geringe Mengen eines sehr flüchtigen Oeles schwammen. Erst nachdem fast alles Wasser ausgetrieben war und die Temperatur der dunkeln Rothgluth nahe kam, entwickelten sich brennbare Gase, worunter Schwefelwasserstoff in nicht unbedeutender Menge vorkam; gleichzeitig erzeugten sich die Dämpfe der empyreumatischen Oele massenhaft. Nachdem die DestillationDestillatton zwei Stunden lang gewährt hatte (eine jede Destillation wurde mit 10 Pfd. vorgenommen), brannte das sich entwickelnde Gas mit einer starkleuchtenden Flamme, und bestand größtentheils aus ölbildendem Gase; auch wurden während der Zeit Paraffinmassen als gelber Rauch bis zu den Gasmündungsröhren hingeführt, weßhalb ich nun das Gas zur Condensation dieser paraffinhaltigen Masse noch zwei Blechkasten, die mit Zwischenwandungen versehen waren, passiren ließ. Das Gas verlor dadurch bedeutend von seiner Leuchtkraft und brannte nun nicht mehr unter Rußerzeugung. Zu Ende der dritten Stunde brannten die Gase nur noch mit einer hellblauen Flamme und bestanden größtentheils aus Kohlenoxydgas. Nach kurzer Zeit verlöschte die Flamme, da eine jede Gasentwickelung aufgehört hatte und demnach die Destillation beendet war. Nach dem Erkalten der Retorte wurde der Rückstand untersucht. Derselbe betrug 35,8125 Proc. des angewendeten Torfes. Der Destillationsrückstand hatte die ursprüngliche Form des Torfes beibehalten; dagegen waren die Stücke sehr zerklüftet und deßhalb ihr Zusammenhang gestört. Das Volumen des Torfes war um ein Achtel geschwunden. Dieser holzkohlenähnliche Rückstand war von dunkelschwarzer Farbe und der Selbstentzündung sehr unterworfen, welch' letztere Eigenschaft durch fein zertheilte Schwefelkiesmassen bedingt wurde. Der Rückstand verbrannte in einem Windofen mit einer lebhaften Kohlenoxydgasflammen-Entwickelung, widerstand jedoch der Einwirkung eines Gebläses schlecht und hinterließ 8 Proc. einer sehr leichten Asche. Die flüssigen Destillationsproducte wurden zur besseren Abscheidung der theerartigen Flüssigkeit von der wässerigen erwärmt und das Wasser durch einen Scheidungstrichter entfernt. Die Wassermasse betrug 32,24 Proc. vom angewandten Torf und reagirte sehr stark alkalisch. Die Untersuchung ergab als Ursache der Alkalinität einen großen Gehalt an Ammoniak. Zur Bestimmung des letzteren wurde das Ammoniakwasser mit Salzsäure neutralisirt, durch Filtration das ausgeschiedene Oel getrennt und die Flüssigkeit im Wasserbade bis zur Trockene abgedampft. Die rückständige Salzmasse, welche aus Chlorammonium und den Chlorverbindungen der erzeugten organischen Basen bestand, wurde behufs Trennung derselben von dem Salmiak mit einer Mischung von Aether und Alkohol behandelt, wodurch die organischen Basen in Lösung gebracht und der Salmiak als eine weiße Salzmasse erhalten wurde. Die Flüssigkeit, welche von 100 Pfd. Torf gewonnen wurde, und welche zwischen 32 und 33 Proc. des angewandten Torfes betrug, ergab ein Viertelpfund reinen weißen Salmiak. Die organischen Basen wurden quantitativ nicht weiter bestimmt, nur wies ich in diesem Salzgemisch die Gegenwart des Leukol, des Amilin und des Pikolin nach. (Die Gegenwart von Pyrrholbasen wurde in dem bei der trockenen Destillation entweichenden Gasgemische durch die bekannte Reaction nachgewiesen.) Der bei der Destillation erhaltene Theer wurde durch einen Zusatz von Kochsalz seiner letzten Wasserantheile beraubt, und das spec. Gewicht desselben bestimmt; es war gleich 934 (Wasser gleich 1000). 100 Gewichtstheile Torf ergaben eine Theerausbeute gleich 11,344, die größte, welche mir bisher bei Torf vorgekommen ist. Der Theer hat eine butterartige Consistenz und der Schmelzpunkt desselben liegt bei + 9° R. Das Erstarren des Theers ist durch einen Paraffingehalt bedingt. Die Farbe des Theers, welche bei dem frisch bereiteten bierbraun ist, verwandelt sich sehr bald durch Oxydation des in ihm enthaltenen Kreosots von Dunkelbraun in Schwarz. Der entwässerte Theer wurde der fractionirten Destillation unterworfen, bei welcher ich im Anfang neben geringen Mengen von Wasser ein leicht flüchtiges und dünnflüssiges Oel von höchst durchdringendem ekelhaftem fischähnlichem Geruch erhielt (wahrscheinliche Gegenwart von Propylamin). Sobald das Oel beim Erkalten erstarrte, wurde dasselbe besonders aufgefangen und zur Bestimmung des Paraffins mitverwandt. Die Destillation wurde bis zur Trockene fortgeführt, wobei 25,658 Procent eines kohligen Rückstandes zurückblieben. Das erhaltene Rohöl wurde zur Beseitigung des Kreosots, der Karbolsäure u.s.w. mit Alkalien behandelt und nun mit concentrirter Schwefelsäure von 66° B. gemischt. Nachdem die Säure abgelassen und das Harz entfernt worden war, wurde das Oel zur Entfernung der Schwefelsäure und der gebildeten schwefligen Säure zuerst mit warmem Wasser und schließlich mit Aetznatronlauge zur vollständigen Neutralisation gewaschen. Das von der Säure abgezogene Oel wird schon durch die bloße Behandlung mit warmem Wasser fast farblos, und die letzten Antheile der ihm anhaftenden Säuren und des Kreosots werden durch die nachträgliche Behandlung mit Natronlauge entfernt. Wird das behandelte Oel nun vermittelst Wasserdämpfen abgeblasen, so erhält man als Destillat ein farbloses dünnflüssiges Oel, welches keinen unangenehmen Geruch besitzt und dessen spec. Gewicht 830 (Wasser gleich 1000) ist. Dieses Oel, welches ich schon früher mit dem Namen Turfol belegt habe, repräsentirt, da es ein reiner Kohlenwasserstoff ist, in welchem die Wasserstoffatome im Verhältniß zu den Kohlenstoffatomen, wie in dem Leuchtgas enthalten sind, flüssiges Leuchtgas. Der Brenn- und Beleuchtungswerth kommt dem des Photogens gleich; ebenso war das als Rückstand resultirte Schmieröl von gleicher Beschaffenheit wie das aus anderen bituminösen Fossilien erhaltene, weßhalb ich auf die Eigenschaften desselben nicht näher eingehe und in Betreff desselben auf meine früheren Abhandlungen verweise. Der Theer lieferte 20,39 Proc. Turfol und 20,24 Proc. Schmieröl. Das Paraffin, welches ich aus diesem Theere darstellte, betrug 0,15 Procent. Das Kreosot, welches die zur Reinigung angewandte Lauge aufgenommen hatte, wurde aus derselben gleichzeitig mit der Karbolsäure durch Schwefelsäure abgeschieden; ich erhielt von demselben 33,562 Proc. des Theers. Demnach werden 100 Pfd. dieses lufttrocknen Torfes ergeben an: Turfol     2,  3104 Gasöl oder Schmieröl     2,29606 Paraffin     0,01702 Kohks   35,81250 Salmiak     0,25000 Kreosot     3,80727 Verlust, Rückstand bei der Theerdestillation                       und Wasser   34,90065 Gas   20,60350 ––––––––– 100,00000 Wenn man den annähernden Werth der zu erzielenden Producte nach dem jetzigen Marktpreise annimmt und dabei das Paraffin unberücksichtigt läßt, dagegen die Kohks und das Gas (als Brennmaterial bei dem Betriebe zu verwenden) nicht als Producte in der Rechnung aufführt, so erhält man als Gesammtwerth der Producte die aus einer Retorte in 24 Stunden gewonnen werden (eine Retorte verarbeitet täglich 1000 Pfd. und bedarf 2000 Pfd. Torf als Brennmaterial, wenn keine Kohks und Gas unter derselben verbrannt werden), folgende Summe: (annähernd) 10 Quart Turfol 3 Thlr. 10 Sgr.         „         10    dito Schmieröl   2    „     –    „         „           2 1/2 Pfd. Salmiak –    „    15   „         „         38       Pfd. Kreosot     –    „    10   „ –––––––––––– 6 Thlr.   5 Sgr. Von dieser Gesammtsumme gehen ab für die Beschaffung des zu destillirenden Torfes und für denjenigen der zur Heizung verwandt wird, also für 3000 Pfd. ungefähr 3 Thlr., ferner für Arbeitslohn und Ingredienzien 1 Thlr. bis 1 Thlr. 5 Sgr., demnach würde pro Retorte ein täglicher Reingewinn von 2 Thlrn. sich ergeben. Bonn, im April 1857.