Titel: Ueber die Zusammensetzung des Anilinroths, von E. Kopp.
Fundstelle: Band 167, Jahrgang 1863, Nr. LXXVII., S. 302
Download: XML
LXXVII. Ueber die Zusammensetzung des Anilinroths, von E. Kopp. Aus der Chemical News, 1862, vol. VI Nr. 139; durch die schweizerische polytechnische Zeitschrift, Bd. VII S. 170. Kopp, über die Zusammensetzung des Anilinroths. Hofmann's Untersuchungen über den AnilinfarbstoffPolytechn. Journal Bd. CLXV S. 60. haben die bisherigen Ansichten über die Natur dieses Farbstoffes völlig geändert. Man richtete früher die meiste Aufmerksamkeit auf die Aehnlichkeit zwischen dem Farbstoff des Safflors und dem Anilinroth, und erklärte alle Erscheinungen mit Rücksicht hierauf. Carthamin wirkt aber nur als Farbstoff, wenn es frei ist, sich nicht in chemischer Verbindung befindet; es ist im wasserhaltigen Zustand schön carminroth, im trockenen zeigt es den Metallschimmer der Canthariden oder des Murexids. Obgleich es streng genommen keine Säure ist, verbindet es sich mit Alkalien, und diese in Wasser löslichen Verbindungen sind farblos und nicht zum Färben verwendbar; sättigt man jedoch das Alkali mit einer Säure, so erscheint der Farbstoff wieder und ist im Moment der Abscheidung zum Färben am geeignetsten. Man hatte angenommen, daß der reine unverbundene rothe Farbstoff des Anilins, welcher im getrockneten Zustand den grünen Metallschimmer zeigt, aus seiner Lösung in reinem Wasser durch neutrale Alkalisalze wieder gefällt wird. Man hatte festgestellt, daß das Anilinroth basische Eigenschaften besitzt und sich mit Säuren verbindet; diese Verbindungen wurden aber als sehr locker und schon durch Wasser zersetzbar betrachtet, welches, indem es die Säure wegnahm, das Anilinroth mit allen seinen färbenden Eigenschaften in Freiheit setzte. Die Entfärbung eines mit Anilinroth gefärbten Zeuges, wenn dieser mit einer starten Säure (Salzsäure, Salpetersäure etc.) bedruckt wurde, erklärte man durch das Entstehen von Salzen, welche, da sie zumeist farblos waren, gar nicht oder nur gelblich färbten. Beim Waschen mit überschüssigem Wasser erschien die rothe Farbe wieder, weil das Wasser die Säure mit einem Theil des Farbstoffs wegnahm, aber von letzterem doch soviel zurückließ, daß die rothe charakteristische Farbe wieder erscheinen konnte. Andererseits hatte man allgemein angenommen, daß das Anilinroth sich auch mit Basen verbinden könne, mit denen es farblose Verbindungen bilde (Fuchsate), daß aber durch Zufügung der schwächsten Säure diese Verbindungen zerstört und das Anilinroth mit seinen färbenden Eigenschaften wieder in Freiheit gesetzt werde. Diese Ansicht schien durch die Erscheinungen bestätigt zu werden, daß auf einem mit Anilinroth gefärbten Zeuge sofort durch Aufbringen von Ammoniak oder eines andern Alkalis ein weißer Fleck entsteht, der aber nach und nach, vorzüglich bei Anwendung von Ammoniak, sich wieder röthet. Diese Zersetzung wurde natürlich der allmählichen Zersetzung des Ammoniakfuchsates zugeschrieben, welches so unbeständig sey, daß es sein Ammoniak an der Luft abdunste, während das Anilinroth mit seinen ursprünglichen Eigenschaften auf dem Zeug zurückbleibe. Hofmann's Untersuchungen zeigen jedoch: 1) Daß das, was bisher als freies Anilinroth betrachtet wurde (Fuchsin, Azalein, Depouilly's Roth u.s.w.), in Wirklichkeit ein Salz des Rosanilins ist, mehr oder minder rein und oft freies Rosanilin enthaltend. Diese Salze zeigen im trockenen Zustande den grünen Metallschimmer der Canthariden und geben, in Wasser oder Alkohol gelöst, die schöne carminrothe Farbe, durch welche das Anilinroth so berühmt geworden ist. 2) Daß es ferner saure Salze des Rosanilins gibt, welche aus ihren Lösungen in Wasser durch neutrale Alkalisalze gefällt werden. Hieraus folgt der wichtige Schluß, daß dieser Niederschlag eine zweifache Zusammensetzung haben kann; so wird der Niederschlag, der in einer Lösung von essigsaurem oder salpetersaurem Rosanilin in reinem Wasser durch Chlornatrium entsteht, nicht das reine Acetat oder Nitrat seyn, sondern wird mehr oder weniger salzsaures Rosanilin enthalten, da letzteres Salz weniger löslich als die beiden ersten ist. Dieß findet in der That statt. Der Verf. hat das reine Roth von Lauth und Depouilly (erhalten durch Fällung der kochenden Lösung des rohen, mit Salpetersäure dargestellten Anilinroths mittelst Kochsalz) mit einem schwachen Ueberschuß von Kalkmilch gekocht und die filtrirte, vollkommen farblose Flüssigkeit im Wasserbad eingedampft (dabei wurden die Wände der Schale roth gefärbt und in der Flüssigkeit, welche einigemal eine schöne blaue Farbe annahm, setzten sich gelbe Flocken ab). In der eingeengten Flüssigkeit ließen sich beträchtliche Mengen von Chlor nachweisen. Es ist nun leicht, die von Bolley erhaltenen Resultate zu erklären; wenn das mit Zinnchlorid dargestellte Fuchsin durch Kochsalz ausgefällt wurde, so enthielt es nur Chlor; wurde es aber mit Salpeter niedergeschlagen, so enthielt es Chlor und Sauerstoff; löste man das chlorhaltige Fuchsin in verdünnter Schwefelsäure, erhitzte eine Zeit lang, sättigte sodann mit reinem kohlensauren Natron und fällte mit Salpeter, so enthielt der Niederschlag kein Chlor. In dem ersten Fall enthielt der Niederschlag nur salzsaures Rosanilin, im zweiten ein Gemenge von salzsaurem und salpetersaurem Rosanilin, und im dritten Fall, wo alle Salzsäure durch die Schwefelsäure ausgetrieben war, enthielt der Niederschlag kein Chlorid, aber wahrscheinlich ein Gemenge von Sulfat mit mehr oder weniger Nitrat und vielleicht in Folge der Sättigung mit Soda eine gewisse Quantität freies Rosanilin. 3) Durch die Einwirkung starker Säuren auf Anilinroth werden dreifach-saure Salze von Rosanilin gebildet. Da dieselben von gelber Farbe sind, so erklärt sich das Verschwinden der rochen Farbe von dem Gewebe; sie sind aber sehr schwache Verbindungen und werden vom Wasser zersetzt, indem ihnen 2 Aequiqualente Säure entzogen werden, während einfach-saure Salze, d.h. die rothfärbenden Substanzen zurückbleiben. Hierbei kann wiederum das rothe Salz durch die angewendete Säure verändert werden, so daß z.B. wenn das essigsaure Rosanilin durch Salzsäure gelöst wurde, durch Wasser alsdann salzsaures Rosanilin ausfällt. Es ist auch erklärlich, daß durch eine in der Hitze erfolgte Lösung des salpetersauren Rosanilins in Salzsäure, ein Theil des Farbstoffes durch das gebildete Königswasser zerstört werden kann. 4) Die wichtigste von Hofmann festgestellte Thatsache ist die, daß bei der Einwirkung von Alkalien auf Anilinroth die Farbe nicht deßhalb verschwindet, weil sich das Alkali mit dem Farbstoff verbindet, sondern weil die (im reinen Zustande farblose) Basis in Freiheit gesetzt wird. Die Wiederherstellung der Farbe durch Säuren geschieht in Folge der Neubildung der Rosanilinsalze. Die außergewöhnliche Eigenschaft des Rosanilins, im Moment des Freiwerdens farblos zu seyn, dann aber allmählich beim Liegen an der Luft einen Rosaton anzunehmen und schließlich carminroth zu werden, ohne doch dabei irgend eine Veränderung im Gewicht oder der Zusammensetzung zu zeigen, wäre einer gründlichen Untersuchung werth. Der Verf. führt hierbei eine ähnliche, noch nicht weiter erforschte Erscheinung an. Er löste etwas von Lauth und Depouilly's reinem Anilinroth in wenig warmer Salzsäure und goß diese Lösung in einen schwachen Ueberschuß von kochender Kalkmilch; nach 10 Minuten langem Sieden war der Niederschlag beinahe weiß, die darüber stehende Flüssigkeit ganz farblos. Um den geringen Ueberschuß des Kalks zu entfernen, wurde zu der kochenden Lösung Chlorammonium gefügt; es sollte sich Chlorcalcium bilden und das frei gewordene Ammoniak sich verflüchtigen. Sowie das Chlorammonium zugebracht wurde, färbte sich der Niederschlag sofort intensiv rosa; die Flüssigkeit blieb farblos. Es bleiben trotz Hofmann's ausgezeichneten Untersuchungen noch viele Fragen zu lösen übrig. Der Verf. gibt dann zur leichteren Vergleichung der früheren Analysen mit denen von Hofmann die procentische Zusammensetzung des Hydrats, Chlorids und Nitrats des Rosanilins und zugleich des nitrirten Rosanilins, eines. noch hypothetischen Körpers, an. C. H. N. O. Cl. Rosanilinhydrat: C⁴⁰H²¹N³O² = 75,23 6,58 13,16   5,03 salzsaur. Rosanilin: C⁴⁰H²⁰N³Cl = 71,11 5,92 12,44 10,53 salpeters. Rosanilin: C⁴⁰H²⁰N⁴O⁶ = 65,93 5,49 15,38 13,20 nitrirtes Rosanilin: C⁴⁰H¹ ⁷N⁴O⁴ = 69,35 5,20 16,18   9,26 nitrirtes Leucanilin: C⁴⁰H²⁰N⁴O⁴ = 68,96 5,75 16,09   9,20 Da Hofmann mit den Producten von Nicholson, welcher im Januar 1860 ein vorläufiges Patent auf die Darstellung von Anilinroth mittelst Arsensäure genommen, experimentirt hat, so ist es sehr wahrscheinlich, daß dieser auf eine neue, noch nicht veröffentlichte Weise gereinigte Farbstoff zu jenen Untersuchungen gedient hat. Wenn gleich nun kaum die Identität der auf verschiedene Weise erhaltenen Rosanilinsalze bezweifelt werden kann, so wäre es dennoch wünschenswerth, diese durch Versuche zu beweisen. Indem der Verf. noch andeutet, daß eine Untersuchung über die Darstellung des nitrirten Rosanilins durch Einwirkung von Salpetersäure auf Anilin von Nutzen seyn würde, macht er zugleich auf eine Lücke in Hofmann's Arbeit, den Mangel einer Beschreibung des salpetersauren Rosanilins, aufmerksam. Es würde ferner von Interesse seyn, den Vorgang bei der unter dem Einfluß von rohem Holzgeist oder von Aldehyden vor sich gehenden Umwandlung der sauren Rosanilinsalze in Anilinviolett zu kennen. Der Verf. erwähnt hierauf die jene Fragen noch nicht beantwortenden Untersuchungen von Jacquelain über das Anilinroth (Comptes rendus, (März 1862, welcher einen Unterschied in den auf verschiedene Weise bereiteten reinen Producten festzustellen strebt und annimmt, daß aus dem Anilin durch Salpetersäure, Arsensäure, Schwefelsäure, Chlorkohlenstoff, Zinnchlorid, Quecksilbernitrat drei Hauptverbindungen, nämlich eine rothe, eine violette und eine harzartige Materie, von der Farbe der Sepia, entstehen und daß die Handelsproducte Mischungen dieser verschiedenen Körper nach bestimmten Verhältnissen sind. Es ist nach dem Verf., da Jacquelain weder auf die verschiedenen Salze, welche durch die Säuren der benutzten Agentien entstehen können, noch auf die farblosen Basen Hofmann's Rücksicht nimmt, von Wichtigkeit, zu untersuchen, ob die von Jacquelain beobachteten Unterschiede von den verschiedenen bei der Darstellung des Farbstoffs in Anwendung gebrachten Säuren (Arsensäure, Salpetersäure, Salzsäure) herrühren.