Titel: Ueber Schuhfabrication.
Fundstelle: Band 206, Jahrgang 1872, Nr. XXX., S. 102
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XXX. Ueber Schuhfabrication. Ueber Schuhfabrication. Die gesteigerten Anforderungen, welche die neueste Zeit an die Productionskraft der Gewerbe stellt, haben sich auch dem Schuhmacherhandwerk gegenüber geltend gemacht, und fangen an, es in die Reihen der gewerblichen Industrie zu drängen, welche die durch die Neuzeit gebotenen, durch die Fortschritte der Intelligenz und der Technik geschaffenen Hülfsmittel sich dienstbar machen, um den gesteigerten Anforderungen an die Production gerecht zu werden. Es ist allgemein bekannt, daß die Zeit, wo man anfing, das Schuhwerk nicht mehr durch Nähte mittelst des sogenannten Pechdrahtes, sondern durch Nagelung mit Holzstiften zu verbinden, noch gar nicht weit hinter uns liegt, und an diese Methode knüpfte sich der erste fabrikmäßige Betrieb zur Erzeugung von Schuhwerk. Abgesehen von der dadurch hervorgerufenen, nicht unbedeutenden Fabrication von Holzstiften für den Bedarf der Schuhmacher, entstanden in England und namentlich in Frankreich, zwei großartige Fabriken, welche mit mehr oder weniger günstigem Erfolge anfangen, die Holznagelung durch eiserne Stifte oder Niete oder durch messingene Schrauben zu ersetzen. Dabei bediente man sich eines vollkommen ausgebildeten Systemes von Hülfsmaschinen, um mittelst derselben die verschiedenen vorkommenden Arbeiten zu verrichten. Die Theilung der Arbeit war mit Consequenz durchgeführt, und man war dadurch sogar im Stande, lediglich durch Frauenarbeit selbst das schwerste Schuhwerk fertig herzustellen. Denn der größere Theil der in den französischen Fabriken hergestellten Schuhe und Halbstiefel war für den Export bestimmt und ging nach Amerika, und besonders nach Californien und den westlichen Staaten. Amerika, welchem wir die Erfindung der Nähmaschine verdanken, hat unter Benutzung derselben denn auch ein anderes System der Schuhfabrication eingeführt, indem es die Methode, die Schuhe durch Nagelung herzustellen, aufgab und zu dem alten Verfahren, die Sohle durch eine mittelst Pechdraht hergestellte Naht mit dem Obertheile zu verbinden, wieder zurückging. Die Benutzung der Nähmaschine zur Herstellung des Obertheiles, zum Zusammensteppen der Gamaschen etc., ist bei uns allerdings auch längst und mit bestem Erfolge üblich, aber die Herstellung der Pechdrahtnaht mittelst einer Nähmaschine ist bei uns jedenfalls neu und auch für denjenigen, der das Verfahren und die dazu verwendeten Maschinen früher schon an anderen Orten gesehen hat, durch die Vervollkommnung welche die Maschine inzwischen erfahren hat, in hohem Grade interessant. Es erscheint deßhalb wohl nicht am unrechten Orte, wenn hier ein kurzer Abriß des in der Schuhwaarenfabrik des Hrn. Bernhard Wohlauer, Breslau, Tauentzienstraße 59, deren Besichtigung derselbe den Mitgliedern des Gewerbevereines jüngst mit freundlicher Bereitwilligkeit gestattete, befolgten Verfahrens gegeben wird, da dasselbe sich dem oben bezeichneten amerikanischen Systeme anschließt. Die erste Operation ist eine zur Appretur des Leders gehörige, das „Walzen“ desselben. Es verfolgt denjenigen Zweck, den der lediglich auf Handarbeit angewiesene Schuhmacher durch das Klopfen des Leders mit dem Hammer zu erreichen strebt, nämlich das Leder biegsamer und geschmeidiger zu machen. Durch den Gerbproceß werden nämlich die Poren der Häute aufgetrieben, so daß ein lohgares Leder ein Conglomerat hohler Zellen darstellt. Eine solche Structur setzt selbstverständlich einer Biegung größeren Widerstand entgegen, gibt aber auch folgerichtig bei eintretender Biegung vorzugsweise Veranlassung zum Zerreißen der Zellenwände, so daß ein Leder, welches der Manipulation des Klopfens nicht unterworfen worden ist, leichter bricht, als geklopftes. Das Klopfen hat nämlich den Erfolg, die aufgetriebenen Zellen wieder flach zu drücken, und die Stuctur des Leders in eine lamellenartige zu verwandeln, welche selbstredend für einen biegsamen Körper die geeignetere ist. Denselben Zweck verfolgt nun das Walzen. Das Leder geht zwischen glatt gedrehten eisernen Walzen hindurch, welche durch Gewichte mittelst Hebelcombination einen starken Druck auf einander ausüben, dabei aber wegen dieser Einrichtung doch auch nachgeben können, wenn das Leder dickere Stellen enthält. Würde man die Walzen durch Schraubenstellung an einander pressen, welche nicht nachgeben kann, so würde es leicht vorkommen, daß an stärkeren Stellen des Leders der Druck auf dasselbe so hoch steigt, daß eine Zerstörung der Lederstructur die Folge seyn würde, während an schwächeren Stellen hinwieder der Druck zu gering ausfallen könnte.In Frankreich zieht man die Operation des Hammers vor, und man hat in den berühmten Lederappreturanstalten von Paris zu diesem Behufe besondere Hammermaschinen. Sie gestatten nach dem Ermessen des geübten und erfahrenen Appreteurs einzelne Theile des Leders länger der Einwirkung der Maschine, andere dagegen weniger auszusetzen, was in der Verschiedenheit des Leders begründet seyn soll, während die Walzen auf alle Theile des Leders, sey es stellenweise härter oder weicher, nur eine gleichmäßige Wirkung ausüben können und nicht gestatten, einzelne Stellen einer Verlängerung der Operation zu unterwerfen. Aus dem appretirten Leder werden nun die zur Herstellung des Schuhwerkes erforderlichen Theile in der entsprechenden Façon durch Schablonen mittelst Maschinenhülfe herausgeschnitten. Diese Schablonen haben durchaus Aehnlichkeit und gleichen Zweck mit den bekannten Locheisen, deren sich Sattler und Riemer bedienen, oder mit den Ausschlageisen, welche Blumenmacher zum Ausschlagen der Blätter etc. gebrauchen. Es sind eigentlich ringförmig geschlossene Stahlschienen, deren untere scharfe Kante der Form des auszuschneidenden Lederstückes, also unter der Contur einer Sohle, entspricht. Die Einrichtung besteht nun darin, daß über einem Tische mit starker Holzplatte sich ein Stempel innerhalb ziemlich enger Grenzen im mäßigen Tempo aber mit großer Kraft durch eine mechanische Vorrichtung auf und ab bewegt, welche durch den Fuß des Arbeiters bewegt wird. Dieser breitet nun die Lederhaut über der glatt gearbeiteten Hirnfläche eines auf dem Maschinentische stehenden niedrigen Holzklotzes aus, legt an der betreffenden Stelle das Schabloneneisen mit der scharfen Kante auf das Leder und schiebt nun den Klotz, während der Stempel in die Höhe geht, unter diesen. Indem der Stempel darauf wieder niedergeht, drückt er die scharfe Kante der Schablone durch das Leder durch, und schneidet mit dieser einzigen Bewegung eine Sohle aus dem Leder heraus. So wie der Stempel wieder in die Höhe geht, zieht der Arbeiter den Klotz darunter hervor und verrückt das Leder, um nun an einer anderen Stelle dieselbe Operation zu wiederholen u.s.f. Daß er dabei darauf Rücksicht zu nehmen hat, daß die Schnitte möglichst dicht an einander treffen, damit so wenig wie möglich Abfall entstehe, versteht sich von selbst. Stückchen, welche keine größere Sohle mehr geben, werden zu Sohlen für Kinderschuhe verwendet oder in anderer Weise, und es leuchtet hiernach ein, daß die Fabrik nicht nur für alle vorkommenden Größen von Sohlen mit passenden Schablonen versehen seyn muß, sondern daß sie auch von derselben Größe je zwei, eine für den rechten und eine für den linken Fuß passend haben muß. In ähnlicher Weise werden auch die Kappen an Zeugstiefelchen, die Hackenbesätze u. dgl. m. aus dem Leder mittelst Schablonen ausgeschnitten. Eine parallel daneben gehende Arbeit ist die Herstellung der Obertheile, welche fast ausschließlich durch Zuhülfenahme der Nähmaschinen bewirkt wird. Wir können über diese Operation mit einem um so kürzeren Berichte hinweggehen, als sie nur eine unter einer gewissen Theilung der Arbeit in größerer fabrikmäßiger Ausdehnung betriebene Gamaschen-Stepperei darstellt. In einem Saale sind an einer großen Zahl von Nähmaschinen Mädchen beschäftigt, die zur Herstellung der sogenannten Gamaschen erforderlichen Näharbeiten zu vollbringen. Die einen nähen die Gamaschen zusammen, andere nähen die Gummizüge ein, während noch andere die verschiedenen Zierarten auf den Glanzlederkappen u. dgl. einsteppen. Zu gleicher Zeit ist in diesem Nähsaal noch eine beträchtliche Zahl Handnäherinnen mit Adjustirung des fertig hergestellten Schuhwerkes, resp. mit Annähen von Knöpfen, Bändern, Einfassen u. dergl. beschäftigt. Aus den durch getrennte Operationen hergestellten Obertheilen und den Sohlen wird nun in dem Montirsaal das Schuhwerk zusammengestellt. Theils geschieht dieß noch in der bekannten einfachen Manier, theils aber mit besonderer Rücksicht auf die durch Maschinen zu betreibende Fabrication in besonderer Weise, die nicht wie bei der Handarbeit Obertheil und Sohle beim Zusammenstellen zugleich durch Nähen oder Nageln dauernd an einander fügt, sondern sich darauf beschränkt, den Schuh aus seinen Theilen zusammenzustellen, um diese demnächst durch eine besondere, durch die Maschine zu vollziehende Operation fest zu verbinden. Behufs dieses Montirens hat der Arbeiter einen auf einer Spindel drehbaren eisernen Leisten mit der Sohlenseite nach oben vor sich. Ueber den Leisten ist vorher schon der Obertheil gezogen worden; jetzt legt der Arbeiter die innere Sohle, die sogenannte Brandsohle auf den Leisten, zieht die Ränder des Obertheiles scharf über die Kanten der Sohle fort und befestigt sie auf dieser mittelst kleiner Stifte, indem er die übergezogenen Ränder des Obertheiles mit dem Hammer möglichst flach und glatt niederklopft. Ist so ringsum der Obertheil an der Brandsohle gehörig befestigt, so werden auf den von dem Obertheil nicht bedeckten Stellen der Brandsohle besonders zugeschnittene Lederstücke aufgeklebt, um dadurch die Fläche der Brandsohle so weit zu erhöhen, daß die umgebogenen Ränder des Oberleders nicht mehr vorstehen. Ist diese Ausgleichung erfolgt, so wird die eigentliche Sohle aufgelegt, verloren befestigt und auf dieselbe der Absatz in gewöhnlicher Weise aufgenagelt. Die ganze Operation, um einen Schuh fertig zu montiren, dauert 20 Minuten, so daß man also binnen 3/4 Stunden ein Paar Gamaschenschuhe fix und fertig erhalten kann, da die nun folgenden Operationen nur wenige Minuten in Anspruch nehmen. Diese Operationen sind übrigens die interessantesten. Nachdem nämlich durch eine kleine besondere Vorrichtung dicht längs des Randes der Sohle eine falzartige Rinne zur Aufnahme der Sohlennaht aufgeworfen worden ist, kommt der Schuh unter die Nähmaschine, welche das Befestigen der Sohle bewirkt. Diese Nähmaschine sieht nun allerdings nicht nur viel größer und stärker aus, als eine gewöhnliche Nähmaschine, sie ist auch principiell von dieser verschieden; hinsichtlich dieser Maschine mögen hier folgende Andeutungen genügen. Die Maschine näht nur mit einem Faden, und zwar ist dieser Faden regelrechter Pechdraht; der Faden wird der Naht auch nicht von oben, sondern von unten zugeführt durch ein bewegliches Horn, über welches der Schuh fortgeschoben wird, so daß seine Sohle nach oben gekehrt ist. Der Faden wird also der Sohle nicht vom Inneren des Schuhes aus zugeführt. Um den Pechdraht möglichst biegsam und geschmeidig zu erhalten, damit er sich dicht schließend an die zusammenzunähenden Stoffe anlegt, muß er einer mäßigen Wärme ausgesetzt seyn, zu welchem Behufe das bewegliche Horn, auf welchem der zu nähende Schuh steckt, durch eine Gasflamme continuirlich erwärmt wird. Selbstredend muß das Anziehen des Fadens, resp. des Pechdrahtes, auch mit einer entsprechenden Kraft geschehen, um die Naht dicht herzustellen, und daß die Maschine zu dieser Kraftäußerung vollkommen befähigt ist, bewies sie durch eine kleine Versuchsarbeit: sechsfaches Sohlenleder auf einander zu nähen, welche sie ohne Schwierigkeit vor den Augen der Anwesenden vollbrachte. Außerdem ist die Maschine noch mit einem Zählapparat versehen, welcher die Zahl der von ihr gemachten Stiche angibt, so daß in diesem Sinne eine Controlle der von ihr vollbrachten Arbeit von ihr selbst geliefert wird. Das Wesentlichste ist aber, daß sie ihre Arbeit so schnell vollbringt, daß während der Zeit die wir der Schilderung der Maschine hier gewidmet haben, mehrere Paar Schuhe fertig geworden seyn würden, denn thatsächlich dauert das Annähen von einem Paar Sohlen nicht länger als 1 1/2 Minuten. Der Schuh ist nun so weit fertig, daß es nur nöthig ist, die Rinne, in welcher die Naht äußerlich jetzt noch sichtbar liegt, durch Niederdrücken des Lederrandes mittelst einer Art Falzbein zu schließen, und die letzte Hand anzulegen, behufs Adjustirung des Schuhwerkes, wie Schaben und Poliren der Sohlenränder etc. Wir müssen nun offen gestehen, daß die Leistungen der Maschine die höchste Anerkennung verdienen. Sie liefert nicht nur eine durchaus tadellose Arbeit, sie ist auch im Stande, in dieser Ausführung täglich 300 bis 400 Paar Herren- und Damenschuhe herzustellen, wozu dann allerdings die Hülfsmaschinen und Nebeneinrichtungen gehören, deren wir in dieser Mittheilung schon gedacht haben. Während die Schuhwaarenfabrication in dieser und ähnlicher Weise in Frankreich, England und Amerika schon längst betrieben wird, hat sie in unserem Vaterlande bis jetzt nur noch wenig Boden gewonnen, und entschieden ist in Schlesien die Fabrik des Hrn. Wohlauer bis jetzt noch die einzige ihrer Art. (Breslauer Gewerbeblatt, 1872 S. 68.)