Titel: Ueber neue Dampfmaschinen-Steuerungen; von Ingenieur Müller-Melchiors.
Fundstelle: Band 219, Jahrgang 1876, S. 1
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Ueber neue Dampfmaschinen-Steuerungen; von Ingenieur Müller-Melchiors. Mit Abbildungen im Text und auf Taf. I. Müller-Melchiors, über neue Dampfmaschinen-Steuerungen. Im Jahrgang 1874 von Dingler's polytechnischem JournalVergl. 1874 212 1. 82. 181 261. 357. 532. 213 265. 214 261. 345. 500.Auch als besonderer Abdruck unter dem Titel „Die Dampfmaschinensteuerungen auf der Wiener Weltausstellung 1873; von Franz Müller-Melchiors, Ingenieur“ erschienen (Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1874). Die Red. hat es Verfasser versucht, in gedrängter Darstellung die zahlreichen auf der Wiener Weltausstellung 1873 vertretenen Steuerungsmechanismen zu schildern und damit gleichzeitig ein Gesammtbild des gegenwärtigen Standes dieses interessantesten Constructionsdetails der Dampfmaschinen darzulegen. Seit dieser Zeit sind zahlreiche neue Ideen zur Verbesserung oder Vereinfachung der Steuerungsmechanismen aufgetaucht, und theils durch die Mittheilungen von Fachschriften, theils von den Erfindern direct dem Verfasser bekannt gemacht worden, und wenn deren Veröffentlichung in diesem Journal nicht schon früher erfolgte, so geschah dies zumeist aus den: Grunde, um durch Zusammenfassung größerer Gruppen einen deutlicheren Ueberblick und festeren Standpunkt zur Beurtheilung der einzelnen Systeme bieten zu können. Die Behandlung des vorliegenden Materials wird sich vollständig an die Darstellung der frühern Abhandlung über die Steuerungen der Weltausstellung anschließen, in welcher, nach Aufstellung der leitenden Grundsätze für die allgemeine Beurtheilung aller Steuerungen (Bd. 212 S. 1 ff.) die einzelnen Steuerungssysteme unter folgenden vier Hauptgruppen zusammengefaßt behandelt wurden: Steuerungen mit einem Schieber. Doppelschieber-Steuerungen. Drehschieber-Steuerungen. Ventil- und Corliß-Steuerungen. In diese vier Hauptgruppen können wir auch hier alle zu besprechenden Steuerungen einschließen, wenn auch einige neuere Constructionen von Doppelschieber-Steuerungen schon merkliche Hinneigung zu den Corliß-Steuerungen verrathen, sowie anderseits die letztern gerade neuerdings die Tendenz zeigen, bei Anwendung gewöhnlicher Flachschieber und thunlichster Vereinfachung des Mechanismus, nur mehr den allgemeinen Grundgedanken des Corlißsystems beizubehalten. Dennoch sind die Grenzen, welche in der erwähnten Schrift zur Unterscheidung der obenangeführten Gruppen aufgestellt wurden, noch immer markirt genug, um die frühere Eintheilung aufrecht erhalten zu können, und so das Verständniß und die Darstellung, die sich nur als Fortsetzung des frühern zu geben braucht, wesentlich zu erleichtern. Aus offen liegenden Gründen haben selbstverständlich die modernen Corlißsteuerungen den wesentlichsten und bedeutendsten Zuwachs durch neue Erfindungen erhalten, worunter vor allem die Flachschieber-Steuerung von Wannieck und Köppner in Brunn anzuführen ist; ebenso haben die Drehschieber-Steuerungen, welche auf der Weltausstellung 1873 durch zwei neue Systeme, Dingler und Radinger, vertreten waren, in den verflossenen zwei Jahren abermals zwei interessante Novitäten, Musil und Luschka, aufzuweisen. Die sinnreiche Rundschieber-Steuerung endlich, welche von Hlubek bei seinem neuen Dampfmaschinensystem angewendet ist, wird gleichfalls im Anschlusse an die Drehschieber-Steuerungen zu behandeln sein. Die einfache und Doppelschieber-Steuerung dagegen, welche schon längst zu festen und allgemein anerkannten Constructionsformen gelangt sind, haben in jüngster Zeit nur geringere Modificationen aufzuweisen; selbstverständlich ist es jedoch durch die Natur der Sache bedingt, zunächst mit diesen beiden Klassen in unserer Darstellung zu beginnen. I. Steuerungen mit einem Schieber. Die vorzüglichste Anwendbarkeit der einfachen Schiebersteuerung ist unstreitig bei den Reversirsteuerungen zu finden, und es unterliegt keinem Zweifel, daß sie sich hier, trotz aller Fortschritte, welche die complicirteren Steuerungsmechanismen in der allgemeinen Verbreitung machen, noch lange ihr ausgedehntes Feld der Anwendung bewahren wird. Die bewährten Constructionen der Coulissensteuerungen von Stephenson, Gooch, Allan und Heusinger von Waldegg finden nicht allein bei Locomotiven fast ausschließliche Verwendung, sondern auch bei den meisten größern Locomobilen, bei Winde- und Fördermaschinen, sowie auch bei Schiffsmaschinen, und geben bei rationeller Ausführung genügend gute Dampfvertheilung, nachdem ja der Nachtheil der schleichenden Schieberöffnung, der in erster Linie diesen Steuerungen vorgeworfen werden kann, durch die hohe hier stattfindende Compression zum großen Theil wieder ausgeglichen wird. Die einzigen Umstände, welche einer noch allgemeinern Anwendung der oben genannten Constructionen entgegen stehen, sind darin begründet, daß dieselben theuer und, besonders bei gekrümmten Coulissen, nur schwer mit vollkommener Genauigkeit herzustellen sind, sowie endlich auch die Disposition des zweiten Excenters und die Aufhängung der Coulisse unter Umständen Schwierigkeiten macht. Was nun zunächst das zweite Excenter betrifft, so wird dies schon bei Heusinger durch Einführung der Kreuzkopfsteuerung ersetzt, vollkommen vermieden aber bei der bekannten Steuerung von Pius Fink, welche jedoch trotz ihrer großen Einfachheit wenig zur Anwendung kam, da sie nur für kleine Füllungsgrade leicht ausführbar ist, bei höhern Füllungen jedoch die Coulisse unpraktische Dimensionen annimmt. Auch in der Herstellung bietet die gekrümmte Coulisse von Fink die gleichen Schwierigkeiten wie die übrigen Coulissensteuerungen (mit Ausnahme jener von Allan), und es ist daher kaum zu verwundern, daß die Fink'sche Steuerung, obwohl sie schon im J. 1857 patentirt wurde, so wenig in Gebrauch gekommen istAuf der Wiener Weltausstellung 1873 war dieselbe bei der Walzwerksmaschine von Galloway vertreten (vergl. 1874 212 8). Kürzlich jedoch wurde eine neue reversible Expansionssteuerung mit einem Excenter bekannt, welche die Fink'sche Steuerung an Einfachheit noch übertrifft und gleichzeitig im Stande ist, höhere Füllungsgrade zu geben. Es ist dies die Steuerung des Amerikaners Hackworth, welche in Fig. 1 und 2 (Taf. I [c/2]) dargestellt ist. Selbstverständlich kann auch hier die Anwendung einer Coulisse nicht umgangen werden; dieselbe ist aber von mäßiger Länge, etwa gleich der dreifachen Excentricität, und vollkommen gerade; sie ist in beiden Seiten eines Bügels b angebracht (Fig. 2), der mit seinen Endzapfen z, welche genau im Mittel der Coulisse stehen, in einem festen Lager mittels des Hebels H verdrehbar und in beliebigen Stellungen zu fixiren ist. In dieser Coulisse schwingt ein Gleitbacken, dessen Zapfen g in einer Verlängerung des Excenterbügels befestigt ist; an einer weitern Verlängerung dieses Bügels endlich greift die Schieberschubstange an, wie aus Fig. 1 ersichtlich ist. In der hier gezeichneten Stellung der Coulisse befindet sich die Steuerung auf Mittelstellung, der Schieber gibt beim todten Punkte gerade die dem linearen Voreilen entsprechende Oeffnung des Canals, um beim Kolbenausgang sofort zu schließen, wie dies der Mittelstellung aller Coulissensteuerungen entspricht. Wird jedoch der Hebel H, und mit ihm die Coulisse, um den Zapfen z in die Stellung x x verdreht, so findet beim Kolbenausgang noch weitere Oeffnung des Dampfcanals statt und zwar um so mehr, je größer der Verdrehungswinkel der Coulisse ist. Beim Rückwärtslegen des Hebels H nach der andern Seite findet Rückwärtsgang der Maschine mit denselben Expansionsgraden statt. Wie schon aus der Construction hervorgeht, besitzt diese Steuerung, nachdem der Gleitbacken für die todten Punkte immer im Mittel der Coulisse und somit in deren festem Drehungspunkte sich befindet, für alle Expansionsgrade gleiches lineares Voreilen – eine Eigenschaft, die sie mit den Coulissensteuerungen von Gooch, Heusinger und Fink theilt, und welcher übrigens nicht allzuviel Gewicht beizulegen ist. Inwieweit diese Steuerung aber speciell für höhere Füllungsgrade geeignet ist, geht aus der folgenden Betrachtung ihrer geometrischen Verhältnisse hervor. Es bezeichne in beistehendem Holzschnitte I: Fig. 1., Bd. 219, S. 4 L die gesammte Länge der Excenterstange, d.h. die Distanz vom Excentermittel bis zum Angriffspunkte der Schieberschubstange, l die Distanz des Excentermittels von dem Gleitbackenmittel, r die Excentricität, p die Distanz des festen Drehzapfens Coulisse von dem Wellenmittel, α den für den betreffenden Expansionsgrad constanten Verdrehungswinkel der Coulisse, ω die Winkelentfernung der Kurbel aus dem todten Punkte, ξ endlich den Schieberausschlag aus der Mittelstellung, unter selbstverständlicher Vernachlässigung der Neigung der Schieberschubstange. Die Größen ρ und u sind Hilfswerthe, und bezeichnet ρ den jeweiligen Neigungswinkel der Excenterstange gegen die Mittelstellung der Coulisse, u die entsprechende Entfernung des Gleitbackens aus dem Coulissenmittel. Mit diesen Beziehungen ist ξ = L sin ρr cos ω die Gleichung des Schieberweges. Zur Elimination des Werthes von u dienen die Beziehungen: l cos ρ + r sin ωpl sin ρr cos ω = u cos α= u sin α ––––––––––––––––––––––––––––– l (cos ρ sin αsin ρ cos α) = p sin α r cos (ωα). Unter Berücksichtigung, daß der Winkel ρ in den äußersten Grenzen höchstens 5 bis 10° erreicht, und in diesem Falle dessen Cosinus 0,996 bis 0,985 beträgt, kann derselbe ohne weiteres = 1 gesetzt werden, um so mehr als selbst bei der Theorie der einfachen Excenterbewegung stets diese Vernachlässigung gemacht werden muß, um die Darstellung durch ein Diagramm zu ermöglichen. Ferner ist als Constructionsbedingung p = l zu setzen, wodurch allerdings das lineare Voreilen nicht mehr ganz constant bleibt, und so erhalten wir den einfachen Ausdruck: sin ρ = r/l cos(ωα)/cos α. Diesen Werth in die Gleichung für ξ substituirt, ergibt sich ξ = r (L/l – 1) cos ω + r (L/l tang α) sin ω. Diese Form entspricht der bekannten Zeuner'schen Grundformel: ξ = A cos ω + B sin ω und gestattet somit die Darstellung der Steuerung durch einen Schieberkreis, dessen Mittelpunkt durch die Abscisse A/2 = r/2 (L/l – 1) und die Ordinate B/2 = r/2 L/l tang α bestimmt ist. Die Größe A ist constant für alle Füllungsgrade, conform dem Diagramme von Gooch, Heusinger und Fink, die Ordinate wächst mit wachsendem Winkel α. Für r = 50mm, L = 600mm, l = 400mm erhält man folgende Mittelpunktscoordinaten: Winkel α = 10° 20° 30° Abscisse A/2 = 12mm,5 = = = Ordinate B/2 = 0 6mm,5 13mm,5 21mm,5. Das entsprechende Diagramm ist in Holzschn. II in natürlicher Größe dargestellt, und ergibt für 20mm äußere Ueberdeckung des Schiebers die Füllungsgrade 10, 33, 60 und 80 Proc., in genügender Uebereinstimmung mit den durch thatsächliche Construction der verschiedenen Stellungen gefundenen Schieberwegen. Fig. 2., Bd. 219, S. 6 Selbstverständlich ist das Diagramm nur ein beiläufiges Bild verwirklichen Bewegungen; einer praktischen Ausführung dieser Steuerung, sowie jeder Coulissensteuerung, muß also jedenfalls der Versuch an einem nach Angabe des Diagrammes construirten Modelle vorangehen, wobei sich am besten die kleinen Modificationen ergeben, durch welche die Steuerung noch vervollkommnet werden kann. Neben dieser interessantesten neuen Coulissensteuerung verdienen noch zwei andere kurze Erwähnung, welche gleichfalls mit Anwendung von Coulisse und einem Excenter reversible Expansionssteuerungen ergeben, jedoch sowohl in der Ausführung complicirter, als auch in den Abnützungsverhältnissen und der Dampfvertheilung selbst ungünstiger sind als die Hackworth'sche Steuerung. In Figur 3 und 4 [a/4] ist die Steuerung von Towle (zum erstenmale publicirt im Engineer, Februar 1872 S. 112) in Fig. 5 und 6 [b/4] die Steuerung von Deprez (nach Engineering, Juni 1875 S. 518) dargestellt. Erstere hat insofern einige Aehnlichkeit mit der Hackworth'schen Steuerung, als die Excenterstange gleichfalls durch Vermittlung eines in gerader Coulisse gleitenden Backens eine Schwingung normal gegen die Achse der Schieberbewegung erhält. Die Gleitbahn ist jedoch hier im hintern Excenterbügel selbst angebracht, während der Zapfen g des Gleitbackens fest gelagert ist (vergl. Fig. 4). Der vordere Bügel des Excenters endigt in einem Kloben b, in welchem der Zapfen z eines Gleitbackens e gelagert ist. Letzterer umfaßt eine gekrümmte Coulisse C, die durch einen Zapfen mit der Schieberstange S verbunden ist, und mittels eines (in der Zeichnung nicht angedeuteten) Steuerhebels um ihren Mittelpunkt nach rechts oder links verdreht und in verschiedenen Stellungen fixirt werden kann. Die Coulisse hat den Mittelpunkt ihres Krümmungshalbmessers für die in Fig. 4 gezeichnete Mittelstellung im Punkte g, so daß hier die Oscillationen des Gleitbackens e frei längs der Coulisse erfolgen können, ohne die Schieberbewegung zu beeinflussen, welche somit nur durch die Bewegung des Excentermittelpunktes o bestimmt wird. Derselbe steht der Kurbel diametral gegenüber und ist so gewählt, daß der Maximalausschlag des Excenters im todten Punkte grade das lineare Voreilen gibt, welches für die gezeichnete Mittelstellung gleichzeitig den Maximalausschlag des Schiebers darstellt. Sobald jedoch die Coulisse C um ihren Zapfen d mit dem obern Ende nach rechts verdreht wird, erfolgt bei der Bewegung der Kurbel k in der Richtung des Pfeiles ein über das lineare Voreilen hinausgehendes Oeffnen des Schiebers, das um so größer wird, je mehr die Coulisse verdreht ist. Auf diese Weise kann somit wie bei der Hackworth'schen Steuerung der Füllungsgrad regulirt werden, sowie durch Verdrehung der Coulisse nach der andern Seite die Maschine reversirt wird. Die Wirkungsweise der Steuerung ist sonach mit der frühern ziemlich identisch; auch hier bleibt das lineare Voreilen constant, dagegen verursacht hier die Verdrehung der Coulisse an der Schieberstange während des Ganges einige Complication, sowie die Anwendung zweier Gleitbahnen, darunter eine gekrümmte, sowohl die Ausführung als Erhaltung wesentlich erschwert. Die Steuerung von Deprez dagegen beruht auf einem ganz andern Principe wie die beiden frühern, und zwar wesentlich auf dem Einflusse des sogen. Fehlergliedes. Die Schieberstange umspannt hier in einem Bügel die Maschinenwelle, ist hinter derselben nochmals geradegeführt und enthält hier eine Coulisse, welche in dem Excentermittel o (Fig. 5) ihren Krümmungsmittelpunkt hat. Das Excenter ist diametral der Kurbel gegenüber aufgekeilt, die Excenterstange ist durch einen verstellbaren Gleitbacken in der Coulisse geführt und überträgt die Bewegung des Excenters auf die Schieberstange. Ist diese Excenterstange im Verhältnisse zur Excentricität sehr lang, so entspricht die Bewegung des Schiebers nahezu vollkommen der Projection der Bewegung des Excentermittelpunktes, was immer auch die Neigung der Excenterstange sein mag, und es könnte somit keine variable Füllung erzielt werden. Sobald aber, wie es hier geschieht, das Verhältniß der Excentricität zur Länge der Excenterstange ein großes wird, macht sich der Einfluß der Neigung der Excenterstange stark genug geltend, um eine variable Schieberbewegung hervorzurufen. Auf diese Weise findet bei der Bewegung der Kurbel in der Richtung des Pfeiles und der punktirt angedeuteten Verschiebung der Excenterstange nach links erst dann ein Rückgang des Schiebers gegen seine Mittelstellung statt, trotz der entgegen gerichteten Bewegung des Excentermittelpunktes, wenn die Kurbel ca. 90° aus ihrem todten Punkte verdreht ist; denn hier erst schneidet der aus g' mit g'o beschriebene Kreis wieder die Bahn des Excentermittelpunktes. Bei dieser extremen Stellung findet somit ca. 50 Proc. Füllung statt, näher gegen die Mittelstellung zu geringere Füllungsgrade, bei Verschiebung des Gleitbackens nach rechts Reversirung der Maschine. Die Steuerung ist sehr geistreich erdacht und gewiß in vielen Fällen, besonders bei kurzem Abstand zwischen Cylinder und Wellenmittel, mit Nutzen verwendbar; selbstverständlich ist auch hier das lineare Voreilen constant. Sie hat jedoch gleichfalls gekrümmte Coulisse, gibt außerdem nur halbe Füllung und ist außerordentlich empfindlich, so daß sie bei stärkerer Abnützung bald unbrauchbar werden dürfte. Zu den Coulissensteuerungen mit zwei Excentern übergehend, ist eine vortreffliche Disposition der bekannten Steuerung Heusinger's von Waldegg hervorzuheben, wie dieselbe bei den Tenderlocomotiven der „Schweizerischen Locomotivfabrik“ in Winterthur, bestimmt für normalspurige Secundärbahnen, zur Ausführung gelangte. Bekanntlich ist bei der ursprünglichen Steuerung von Heusinger (in ihrer Anwendung bei Locomotiven) die Coulisse zwischen Cylinder und Treibachse aufgehängt, während der mit der Schieberstange verbundene Hebel direct vom Kreuzkopfe aus bewegt wird. Durch diese Disposition wird die Excenterstange sowie besonders die zur Coulisse führende Schubstange gewöhnlich ziemlich kurz, was die Genauigkeit der Steuerung beeinträchtigt; die ganze Anordnung rückt weit vom Kesselmittel heraus, und die Anbringung der unter dem Kessel durchführenden, möglichst hoch zu legenden Steuerwelle macht Schwierigkeiten. Statt dessen hat die in den Figuren 7 und 8 [a.b/1] dargestellte Construction die Coulisse hinter die Treibachse und hinter die letzte Kuppelachse gelegt und ermöglicht so, daß die Reversirwelle, auf welche der Steuerhebel direct befestigt ist, hinter der Boxhinterwand durchgeführt wird. Die Excenterstange geht von der Gegenkurbel aus zum untern Ende der um ihren festen Mittelpunkt schwingenden Coulisse nach rückwärts; die im Führungsträger geradgeführte Schieberstange hat an ihrem hintern Ende den vom Kreuzkopf bewegten Hebel angelenkt, welcher jedoch mit letzterm nicht direct, sondern durch eine Schubstange in Verbindung steht. Mit einem mittlern Punkte dieses Hebels ist endlich die zur Coulisse führende Schubstange verbunden, deren Gleitbacken durch den Steuerungshebel in der Coulisse aufwärts oder abwärts bewegt werden kann. Obwohl demnach die ganze Anordnung im Princip vollkommen identisch mit der originalen Disposition von Heusinger ist, so hat sie doch wesentliche Vorzüge vor derselben aufzuweisen und wird ihr gewiß erweiterte Anwendung verschaffen. Eine interessante Novität ist ferner die neue Expansionssteuerung von dem in diesem Gebiete anscheinend unerschöpflichen Deprez Vergl. S. 7 dieses Aufsatzes; ferner die Note 1874 212 360. (Daselbst ist Deprez statt „Beprez“ zu lesen.), welche in Fig. 9 und 10 [a.b/2] dargestellt ist. Dieselbe bezweckt, die schleichende Bewegung des Schiebers in den todten Punkten aufzuheben und erreicht dies auf die nachstehend beschriebene originelle Weise, welche allerdings nur bei Zweicylindermaschinen mit um 90° versetzten Kurbeln, wie dies übrigens die meisten Reversirmaschinen sind, anwendbar ist. Auf jeder Seite der Maschine sind je zwei Excenter angebracht, welche eine Gooch'sche Coulisse antreiben – derart, daß durch Verstellung der mit dem Gleitbacken verbundenen Schubstange mittels des Steuerhebels die Expansion verändert und die Maschine reversirt werden kann. Diese Excenter sind jedoch nicht auf der Schwungradwelle, sondern jedes Paar auf einer eigenen Welle aufgekeilt, welche mittels eines Lenkerarmes von der Treibstange aus bewegt wird, wie dies aus dem Aufrisse Fig. 9 ersichtlich ist. Nach dieser Anordnung erhalten die Excenterwellen variable Umdrehungsgeschwindigkeit – und zwar die größte, wenn die Schubstange in der durch Figur 9 veranschaulichten Mittelstellung ist. Für diesen Fall ist die andere Kurbel selbstverständlich im todten Punkte; wenn somit die rechtshängende Coulisse den Schieber des linken Cylinders antreibt und umgekehrt, so ist offenbar bei Oeffnung der Canäle eine Maximalgeschwindigkeit vorhanden, die auf die Dampfvertheilung nur günstig einwirken kann. Dies geschieht bei der in Fig. 9 und 10 dargestellten Maschine einfach dadurch, daß die mit dem Gleitbacken der rechtsseitigen Coulisse verbundene Schubstange nicht direct an die Schieberstange, sondern an den Hebelsarm D einer Welle A angreift, welche quer zwischen den beiden Dampfcylindern gelagert ist und am andern Ende durch einen gleichen Hebel die Schieberstange des linken Schiebers bewegt. Ebenso erhält der rechte Schieber seine Bewegung von links aus durch Vermittlung der Querwelle B und des Hebels C. Eine genaue Theorie der vorliegenden Steuerung aufzustellen, dürfte kaum gelingen, sowie die Darstellung durch das Zeuner'sche Diagramm hier absolut unmöglich wird; doch ist es wohl ersichtlich, daß sich mit dieser Anordnung die von Deprez erzielten Resultate thatsächlich erreichen lassen, sowie auch die vom Erfinder publicirten Tabellen (Engineering, Mai 1875 S. 442) darthun, daß Füllungen von 0 bis 90 Proc. vor- und rückwärts mit größern Canalöffnungen (besonders bei den kleinern Füllungen), kürzern Voraustritt- und Compressionsperioden sich erzielen lassen, als wie bei der gewöhnlichen Gooch'schen Coulissensteuerung. Im Anschlusse an die hier angeführten Mechanismen wären nun, gleichfalls unter die Klasse der Steuerungen mit einem Schieber rangirend, eine Anzahl von Anschlagsteuerungen der verschiedensten Constructionen anzuführen, wie sie bei den unerschöpflich auftauchenden direct wirkenden Dampfpumpen angewendet werden; von diesen sind jedoch schon die hervorragendsten in diesem Journal bald nach ihrem Erscheinen beschrieben worden und außerdem sind dieselben für Dampfmaschinen im Allgemeinen absolut unverwendbar, so daß sie auch nicht unter Dampfmaschinen-Steuerungen angeführt zu werden verdienen. Nur eine interessante, gleichfalls dieser Klasse verwandte Novität möge hier angeführt werden, nachdem sie bestimmt scheint, an Stelle der veralteten und unpraktischen Knaggensteuerung unserer direct wirkenden Wasserhaltungsmaschinen zu treten. Die Disposition dieser Steuerung, welche von ihrem Erfinder Davey „Differential-Steuerung“ genannt wird, ist in Fig. 11 bis 13 [c.d/1] dargestellt. Die nach Woolf'schem System construirte Maschine hat den großen und kleinen Cylinder unmittelbar hinter einander angeordnet, erstern durch einen gewöhnlichen Entlastungsschieber, letztern durch einen Canalschieber gesteuert, welche mit einer gemeinsamen Schieberstange verbunden sind. Diese Stange hat in der Mitte (Fig. 12) einen doppelarmigen Hebel CDE angelenkt, welcher in dem Punkte C mit einer zum Kreuzkopfe der Maschine führenden Schubstange S verbunden ist. Am andern Ende ist dieser Hebel bei E mit einer Kolbenstange verbunden, welche einerseits den Steuerkolben F, anderseits den in einem Oelbad schwimmenden Kataraktkolben G trägt. Durch einen um den festen Punkt J schwingenden Hebel wird beim Hubende der Schieber des Steuercylinders bewegt, der Steuerkolben F bewegt sich nach rechts (beim Rückgang nach links), mit ihm der Hebel CDE um C als Drehpunkt, die beiden Dampfschieber des großen und kleinen Cylinders werden nach rechts verschoben und Kolben und Kreuzkopf bewegen sich endlich im selben Sinne. Nachdem aber die zum Kreuzkopf führende Schubstange S nicht direct mit demselben verbunden ist, sondern durch Vermittlung zweier Winkelhebel, so findet für den Rechtsgang des Kolbens Linksgang des Punktes C und damit allmälige Schließung des Eintrittscanals statt. Der Steuerkolben F bewegt nun, in Folge des gleichmäßigen Widerstandes des vom Kolben G zu verdrängenden Oeles, das Ende E des Hebels CDE mit absoluter, genau zu regulirender Gleichförmigkeit nach rechts; das Ende C jedoch des Hebels CDE bewegt sich um so rascher nach links, je geringer der Widerstand der von der Maschine zu leistenden Arbeit ist. In Folge dessen ist bei geringem Widerstande und raschem Gang der Maschine der Schieber alsbald nach Eröffnung wieder geschlossen, ja es kann bei übermäßig raschem Gang sogar eine Reversirung der Maschine erfolgen, indem noch beim Rechtsgange der Schieber soweit nach links verschoben wird, daß Dampfeintritt auf der rechten Seite des Kolbens erfolgt. Anderseits wird bei langsamem Gang und größerm Widerstande die Linksbewegung des Punktes C durch die Rechtsbewegung von E nahezu compensirt, so daß die Schieber große Füllungen geben und eine vollkommene Regulirung des Füllungsgrades nach den Bedürfnissen der Arbeitsleistung erfolgt. Es erübrigt nur noch zu sagen, wie die Hubpausen, die bekanntlich bei jeder nicht rotirenden Wasserhaltungsmaschine stattfinden müssen, erzielt werden. Wie oben bemerkt, wird der Beginn des Hubes durch die Bewegung des Hebels JK, welcher den Schieber des Steuercylinders dirigirt, eingeleitet. Zu diesem Behufe hat der Hebel JK bei K einen Zahn, der in eine Schnecke eingreift, welche mit dem Zahnrade r (Fig. 13) auf derselben Welle aufgekeilt ist. In r greift eine Zahnstange ein, welche in ihrer Verlängerung mit dem Kolben eines Oelcylinders N und unter diesem mit dem Kolben eines Dampfcylinders M in Verbindung steht. Am Schlusse jedes Hubes wird der Schieber des letztern durch die Stange s, welche mit dem Kreuzkopf in Verbindung steht, geöffnet, die Zahnstange beginnt sich zu bewegen und dreht die Welle des Zahnrades r, bis der Hebel JK genügend verschoben ist, um den Schieber des Steuercylinders zu öffnen und die Bewegung der Maschine einzuleiten. Selbstverständlich ist dieser complicirte Mechanismus nur bei so großen Maschinen rationell, wie es eben die Wasserhaltungen im Allgemeinen sind; übrigens läßt sich auch der letzterwähnte Hilfscylinder M sammt dem zugehörigen Mechanismus einfach dadurch ersparen, daß der Schieber des Steuercylinders direct vom Kreuzkopf angetrieben und die Verbindung der Kolbenstange mit dem Hebel CDE im Punkt E durch einen Schlitz vermittelt wird, so daß sich die Größe der Hubpause nach der Länge desselben regulirt. Derartige Maschinen, ausgeführt von der Firma Hathorn, Davis, Campbell und Davey in Leeds (England) sind nun schon mehrfach ausgeführt worden und haben allen Anforderungen entsprochen, so daß sie aus dem Stadium des blosen Experimentes wohl schon herausgetreten sind. Die eigenthümliche Anordnung des Hochdruckschiebers dieser Maschine möge hier zum Schlusse noch angeführt werden. Derselbe hat nämlich einen Canal eingegossen, soll jedoch durchaus nicht die Functionen des bekannten Trick'schen Canalschiebers versehen, sondern hat nur den Zweck, bei der in Figur 11 gezeichneten Mittelstellung die Communication zwischen beiden Cylinderenden herzustellen. In diese Mittelstellung gelangt der Schieber, da ja keine continuirliche Bewegung und somit kein Voreilen stattfindet, am Ende eines jeden Hubes; es vertheilt sich dann der Arbeitsdampf von der einen Seite des Kolbens auch auf die andere Kolbenseite, so daß bei Beginn des Kolbenrückganges der frische Dampf nur einen geringern Theil des schädlichen Raumes auszufüllen hat. Diese Einrichtung ist besonders wichtig und von ökonomischem Nutzen beim Arbeiten der Maschine auf geringerem Hub, wie dies bei Wasserhaltungsmaschinen bekanntermaßen öfters vorkommt. (Fortsetzung folgt.)

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Tafel Taf. I
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