Titel: Die Beschlüsse des internationalen Congresses für einheitliche Garnnumerirung in Turin; von A. Lohren.
Fundstelle: Band 219, Jahrgang 1876, S. 36
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Die Beschlüsse des internationalen Congresses für einheitliche Garnnumerirung in Turin; von A. Lohren.Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes, den 6. December 1875. Lohren, die Beschlüsse des internationalen Congresses für einheitliche Garnnumerirung in Turin. Am 12. bis 16. October fand in Turin der dritte und letzte Congreß für einheitliche Garnnumerirung statt, welcher diejenigen allgemeinen Fragen erledigt hat, welche auf den Congressen in Wien (vergl. 1873 209 93) und Brüssel (vergl. 1874 214 87) unerledigt geblieben waren. Jene beiden Congresse hatten in erster Linie die legislativen Grundfragen gelöst, und ihr Ergebniß tritt am klarsten aus der Eingabe des deutschen Handelstages an den Bundesrath hervor, in welcher um Erlaß folgender Gesetze petitionirt wird: I. „Die Nummer eines Garnes (Seide ausgenommen) wird bezeichnet durch die Anzahl von Metern Faden, welche in einem Gramm enthalten sind. II. Die Länge eines Strähnes beträgt 1000m mit decimalen Unterabtheilungen. III. Der Verkauf der Garne ist sowohl nach metrischem Maße wie nach metrischem Gewichte zulässig.“ Diese Beschlüsse bilden eine nothwendige Ergänzung der neuen Maß- und Gewichtsordnung. Wie jeder Staatsangehörige gezwungen ist, im Handel und Wandel, beim Einkauf von Getreide, oder Kartoffeln, oder Oel, oder Tuch nach Meter, Liter und Kilogramm zu rechnen, so soll auch im Garnhandel nur dieses Maß und Gewicht Giltigkeit haben. Außer diesen Cardinalpunkten wurden in Brüssel noch folgende Beschlüsse gefaßt: „Jede Art von Haspelung ist zulässig, insofern sie 1000m Garn auf den Strähn ergibt“, und zwar wurden dabei folgende Haspelumfänge als empfehlenswerth bezeichnet: Für Streichgarn 1m,50 mit 67 Umläufen KammgarnVigogneFlorettseideBaumwolle 1m,37 73          „       II 1m,4285 70 Flachs u. Hanf 2m,00 50 oder 1m,25 80 Florettseide II 1m,25 80 Ferner erledigte der Brüsseler Congreß die sehr schwierige Frage über die Ausnahmsstellung der rohen und moulinirten Seide in der Titrage. In Turin wurde diesen Beschlüssen, ohne den Sinn zu ändern, folgender vereinfachter Wortlaut gegeben: „Die Nummer der rohen und moulinirten Seide wird bezeichnet durch die Anzahl von Grammen, welche ein Faden von 10000m Länge wiegt.“ Mit dem Zusatz: „Die Proben werden auf Grund der Längeneinheit von 500m und der Gewichtseinheit von 50mg vorgenommen.“ Unerledigt geblieben waren in Brüssel und Wien namentlich folgende drei Fragen: a) Wie soll die Nummer von gezwirnten, von gebleichten und von gefärbten Garnen bestimmt werden? b) Welches Verfahren ist bei der Bestimmung der Nummer anzuwenden, um die Schwierigkeiten zu überwinden, welche die hygroskopische Feuchtigkeit und die Elasticität der Gespinnste dem exacten Wägen und Messen der Garnproben entgegensetzen? c) Welches sind die zulässigen Fehlergrenzen? Auf diese Fragen hat der Congreß folgende Antworten ertheilt: ad a) Die Nummer der gezwirnten, gefärbten oder gebleichten Garne wird bestimmt (vorbehaltlich gegentheiliger Abmachung) durch die Zahl der Meter in einem Gramm. ad b) Die gesetzliche Basis für die Feststellung der Nummer ist die Conditionirung. Sie darf stets gefordert werden, ist aber facultativ. Die Conditionirung geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne Denaturation des Fadens und mit Zuschlag eines passenden Gewichtes hygroskopischer Feuchtigkeit zum Trockengewicht. Das Messen der Garnproben muß nach einer exacten Methode ausgeführt werden. ad c) In Betreff der letzten Frage, über die zulässige Fehlergrenze, hält der Congreß sich nicht für competent, feste Zahlen zu proclamiren, und überläßt die genaue Beantwortung der Initiative der einzelnen Industriebranchen. Betrachten wir zunächst den ersten Beschluß, so ist darauf aufmerksam zu machen, daß derselbe nicht genau dasjenige wiedergibt, was der Congreß festgestellt hat, sondern derselbe ist durch nachträgliche redactionelle Aenderung aus zwei getrennten Beschlüssen hervorgegangen, von welchen der erste lautete: „Die Nummer der gezwirnten Fäden wird genau wie diejenige der einfachen Garne durch die Zahl der Meter in einem Gramm bestimmt.“ Nur für gebleichte und gefärbte Garne wurden dieser Definition die Worte: sauf stipulation contraire zugefügt. Durch das Zusammenziehen beider Beschlüsse wurde diese Ausnahmsbestimmung auch auf gezwirnte Garne ausgedehnt, und dies ist sehr zu beklagen; denn auf dem Continent und namentlich in deutschen Spinnereien wird das Gesetz für Zwirne streng befolgt; und es sind vornehmlich die Engländer, bei welchen große Willkür in der Numerirung gezwirnter Garne herrscht. Während deutsche Spinnereien als „36r 2fach“ ein Garn liefern, welches die richtige Nummer 18 ergibt, also aus einfachen Garnen gesponnen werden muß, welche feiner sind als Nr. 36, liefern die englischen Spinnereien als „36r 2fach“ meistens einen Zwirn, welcher mehrere Procent unter Nr. 18 normirt. Hier wäre eine strenge Controle ganz am Platze. Volle Berechtigung hat dagegen die Ausnahmsbestimmung für gebleichte und gefärbte Garne. Obschon zugegeben werden muß, daß alle Garnsorten, welche in großen Quantitäten fabrikmäßig gebleicht, gefärbt und dann verpackt in den Handel kommen, also namentlich Webegarne, gefärbte Baumwollketten und farbige Streichgarne, genau ebenso numerirt werden können wie die rohen Garne, so ist dies doch bei den Garnen für die Wirkerei, für Musterweberei und für den Detailverkauf, wo manchmal 100 Pfd. Garn in zehn verschiedenen Nüancen gefärbt werden, eine absolute Unmöglichkeit. Denn durch das Bleichen, Schwefeln und Färben wird die Natur der Faser, ihre hygroskopische Capacität und ihr specifisches Gewicht verändert, und zwar bedingt jede Farbe eine andere Veränderung dieser Eigenschaften, so daß an Stelle der einen Nummer vor dem Bleichen und Färben, zehn verschiedene Nummern nach dieser Operation hervorgehen. Aus diesen Gründen befürwortete ich die Einschaltung der Worte: „(vorbehaltlich gegentheiliger Abmachung)“, wodurch diese Schwierigkeiten eine genügende Berücksichtigung finden und der Handel nicht erschwert wird. Das Hauptwerk des Turiner Congresses liegt in den Beschlüssen über die genaue Feststellung der Nummer bei den verschiedenen Gespinnsten. Alle Gespinnste sind hygroskopischer Natur und mehr oder minder elastisch. Schickt ein Spinner bei feuchtem Wetter 100k Garn per Eisenbahn weg, und trifft es sich, daß das Garn in brennender Sonnenhitze beim Käufer ankommt, so fehlen oft 1 bis 2 Proc., und es entstehen Streitigkeiten. Gibt ein Fabrikant dem Handweber 5k Garn mit nach Haus, welche im Keller gelagert hatten, und der Weber bringt nach acht Tagen die Waare nebst Abfall aus der heißen Arbeitsstube trocken zurück, so fehlen einige Gramm, der Dieb wird gewittert und mit Abzügen und Gefängniß bedroht, wo in Wahrheit nicht der Schatten einer Schuld vorliegt. Denn wenn der Fabrikant Stück und Abfall einige Tage lang in denselben Keller legt, wo das Garn gelagert hat, so wird das fehlende Gewicht sofort durch die hygroskopische Feuchtigkeit wieder ergänzt. Aendert man den Lagerort für Garne oder ändert sich das Wetter, so ändern sich Gewicht und Nummer. Läßt man ferner den Garnfaden beim Probehaspeln einmal wenig gespannt durch die Finger gehen, ein andermal stark gespannt, so erhält man wiederum zwei ganz verschiedene Nummern. Alle diese wohlbekannten Mittelchen und Kniffe werden in schlechten Geschäftszeiten hervorgesucht, um die größten Streitigkeiten daraus abzuleiten, und es ist kein Richter da, welcher ein gerechtes Urtheil zu sprechen vermöchte. Man sagt sich mit Recht: Was nützen alle Beschlüsse über Numerirung, wenn man nicht im Stande ist, einen Strähn absolut genau zu messen und absolut genau zu wiegen. Soweit diese außerordentlich schwierige Frage nach dem heutigen Stande der Technik und Wissenschaft lösbar erscheint, hat der Turiner Congreß dieselbe, meiner Ansicht nach, in mustergiltiger Weise gelöst; zunächst durch die Proclamation der einzig und allein zuverlässigen Methode für die Feinheitsbestimmung, lautend: Die gesetzliche Basis für die Feststellung der Nummer ist die Conditionirung.“ Dieser Satz, welcher den Italienern und Franzosen so selbstverständlich erschien, daß sie nicht begreifen konnten, wie ein internationaler Verein von Fachcapacitäten es wagen dürfe, denselben gleichsam wie eine neuentdeckte Wahrheit hinzustellen, wurde von den Vertretern der belgischen, italienischen und österreichischen RegierungenDas deutsche Reich war leider nicht vertreten. mit lebhafter Zustimmung begrüßt, und die einstimmige Annahme ist ein beredtes Zeugniß von der großen Bedeutung desselben. Der Zusatz, daß diese Conditionirung stets verlangt werden kann, jedoch facultativ bleibt, wird diejenigen beruhigen, welche wieder ein Gesetz, eine neue Fessel, eine obligatorische Maßregel fürchten. Dies ist nicht der Fall. Dem redlichen Manne sollen nur die legalen Mittel geboten werden, sich vor dem Unredlichen zu schützen. Darin liegt die Bedeutung dieses Satzes. Die reichste Fülle von Erfahrungsresultaten bot die Debatte über den ersten Ergänzungssatz, lautend: „Die Conditionirung geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne Denaturation des Fadens und mit Zuschlag eines passenden Gewichtes hygroskopischer Feuchtigkeit (reprise) zum Trockengewicht.“ Für die praktische Ausführung dieses Beschlusses wurden vom Congreß folgende Temperaturen und Reprisen als Zuschlag zum Trockengewicht empfohlen: Für Seide 120° C. und 11 Proc. Zuschlag an Feuchtigkeit. gekämmte Wolle (Zug) 105–110° C 18 1/4 Kammgarn 17 Baumwollgarn   8 1/2 Flachsgarn 12 Hanfgarn 12 Jutegarn 13 3/4 Werggarn 12 1/2 Kein Ort in Europa hätte günstiger gewählt werden können, um die praktische Bedeutung dieser Beschlüsse durch Erfahrungen zu belegen, als Turin. Die Lombardei ist das Land des Seidenhandels par excellence. In den Schwesterstädten Turin und Mailand werden alljährlich an 3 1/2 Millionen Kilogramm Seide conditionirt in den Handel gebracht. Die Vertreter dieser Städte, sowie die der Handelskammern von Bergamo, Brescia, Como, Lecco eröffneten die Debatten über die Vorzüge und Mängel der Conditionirung mit jener vollwiegenden Sachkenntniß, welche nur langjährige Erfahrung und Ueberzeugung verleihen können. Es entfaltete sich der lebendigste Parteikampf, nicht um den Werth der Institution selbst, sondern über die Art der Verwaltung und über die Manipulation bei der Conditionirung. Es wurde durch Thatsachen festgestellt, daß die Seide häufig bei der Conditionirung ihrer Natur nach verändert werde. Dies zeige sich ganz klar daran, daß die gummiartige Haut der Rohseide stellenweise aufgelöst sei. Der Grund liege in der Anwendung einer zu hohen Temperatur. Die Conditionirungsanstalten der Lombardei conditioniren bei 125 bis 135°. Selbst bei 125° werde die Seide denaturirt. Die Reprise von 11 Proc. sei bei solchem Verfahren zu gering. Wenn also die Conditionirungsanstalten eine niedrigere Temperatur für zu zeitraubend ansähen, so müßte die Reprise auf 12 1/2 Proc. für Seide erhöht werden. In den Commissionssitzungen, wo diese stürmischen Debatten weiter geführt wurden, einigte man sich zunächst dahin, daß die Temperatur bei der Conditionirung niemals so hoch genommen werden dürfe, daß das Garn dabei in seiner Natur eine Aenderung erleide, und so blieb nur die Frage, welcher Temperaturgrad dies für Seide sei? Das Resultat der Compromisse war 120° unter Beibehaltung der Reprise von 11 Proc. Nächst der Seide ist Wolle der hygroskopischste Körper, und es bedürfen die hierfür empfohlenen Werthe einer Erläuterung. Es muß in hohem Grade überraschen, daß der Kammgarnspinner beim Einkauf des Rohproductes (Zug) 18 1/4 Proc. Wasser bezahlt, beim Verkauf des Garnes aber nur 17 Proc. in Rechnung stellen darf. Woher diese Anomalie? Ist der hygroskopische Feuchtigkeitsgehalt zwischen gesponnener Wolle und gekämmter Wolle wirklich so verschieden? Nach meinen eigenen Erfahrungen muß ich dies verneinen. Wenn auch die lockern Wollfasern im Zugbande etwas mehr Feuchtigkeit aufnehmen als im Garn, so zeigt sich in der Verarbeitung doch deutlich, daß dieses „Mehr“ größtentheils mechanisch anhängende, durch unvollkommenes Trocknen der Lisseusenbänder absichtlich erzeugte, nicht aber hygroskopische Feuchtigkeit ist. Dieselbe verschwindet nach der ersten Passagen-Streckung vollständig. Die Zahl von 17 Proc. kommt dem Feuchtigkeitsgehalte bei mittlerer Lufttemperatur und mittlerer atmosphärischer Feuchtigkeit für beide Fabrikate am nächsten. Da nun die Garnconsumenten gewiß niemals mehr als 17 Proc. Reprise dulden werden, so wäre es wünschenswerth, daß die großen deutschen Consumenten von französischem Zug sich dahin einigten, die officiöse Zahl von 18 1/4 Proc. zu verwerfen und die officielle von 17 Proc. vorzuschreiben. Wird ein solcher gemeinsamer Schritt der deutschen Spinner zu erwarten sein? Ich zweifle daran. Bei den schlimmen Erfahrungen, welche die Kammgarnspinnerei seit 20 Jahren mit Petitionen gemacht hat, sie mochten noch so unwiderlegbar begründet sein, ist der Sinn für gemeinsames und gemeinnütziges Wirken wie abgestorben. Bei dem niederdrückenden Gefühle, daß ein Theil der Beamtenwelt und die großen Grundbesitzer jedes Lebenszeichen der Industrie und namentlich der Spinnfabriken wie eine Gefahr ansehen, erscheint Resignation geboten, und muß die scheinbare Gleichgiltigkeit der Spinner betreffs der brennendsten wirthschaftlichen Tagesfragen mildernd beurtheilt werden. Soweit sich die Situation der deutschen Spinnerei beurtheilen läßt, muß man sagen, daß der Kampf ums Dasein nirgends mehr Vorsicht und Fleiß erheischt. Die Existenzberechtigung ist in Frage gestellt, und jeder tüchtige Mann kennt nur das eine Gebet, daß das Schicksal mit seinen in systematischer Nothwendigkeit wiederkehrenden Industrie-Katastrophen nicht auch ihn hinwegschwemme – und nicht Schimpf und Schande der Lohn seines mühevollen und thatenreichen Lebens werde. Ganz das entgegengesetzte Bild bot das Zusammenwirken der Spinner Belgiens, welche in großer Zahl in Turin erschienen waren, um die Conditionirungsfrage für Streichgarn ihren Interessen gemäß zu gestalten. In keiner Gattung von Gespinnsten herrscht bekanntlich ein größere Verwilderung und Unreellität als bei Streichgarn. Das Gewicht der Stoffe, welche nicht Wolle sind, bildet einen Haupttheil des Fadens. Die Conditionirung würde hier wunderbare Resultate zu Tage fördern. Die unreelle Kunst, die Wolle nur partiell rein zu waschen, mit Kunstwolle zu mengen, durch außerordentlich großen Zusatz von ölenden Substanzen spinnfähiger zu machen und so ein Garn zu erzeugen, welches billiger verkauft werden kann als die Wolle, aus welcher es nach alter guter Art gesponnen wurde, diese Kunst findet in der Conditionirung einen unerbittlichen Feind. Da es nun aber anderseits nicht Sache des Congresses sein konnte, Beschlüsse zu fassen, welche eine großartig entwickelte Industrie gefährden, so drangen die Wünsche der Belgier insoweit durch, als die Reprise für Streichgarn unentschieden blieb. Das allgemeine Gesetz der Conditionirung gilt aber nichts destoweniger auch für Streichgarn, und es ist Jedem unbenommen, sich durch eine Conditionirung zu vergewissern, welcher factische Wollgehalt in der Handelswaare sich vorfindet. Die Abtheilungsberathungen für Baumwoll-, Jute-, Hanf-, Flachsund Werggarn ergaben die mitgetheilten Zahlen. Hier hat die Conditionirung keine so intensive Bedeutung wie bei Wolle und Seide. Der zweite Ergänzungssatz der Titrage: „Das Messen der Garnproben muß nach einer exacten Methode ausgeführt werden“ erhielt noch eine erläuternde Recommandation: „Der Congreß ladet die Directoren der Conditionirungsanstalten ein, die Methoden und mechanischen Vorrichtungen zu ermitteln, durch welche die Garnnummer am genauesten bestimmt werden kann.“ Ueber diese Punkte kann ich mich um so kürzer fassen, als aus meiner letzten Abhandlung (vergl. 1875 218 291) erinnerlich sein wird, welchen sehr großen Fehler man begeht, wenn man Garne nach der alten hundertjährigen Methode mit dem Haspel abweist, ohne Rücksicht auf die Spannung des Fadens und ohne Rücksicht darauf, daß die Fadenwindungen immer mehr an Umfang zunehmen, je dicker man sie auf einander haspelt. Die Fehler, welche man hier bei nur einiger Routine, nach Belieben zu Gunsten des Käufers oder Verkäufers hervorzaubern kann, betragen 2 bis 6 Proc. In den Conditionirungsanstalten darf dies nicht vorkommen, und ich habe deshalb die Wege angedeutet, welche hier zu fehlerfreien Resultaten führen. Durch die Beschlüsse des Congresses ist auch dieser schwierige Punkt erledigt. Der letzte Punkt der Tagesordnung betraf die gesetzliche Durchführung der Congreßbestimmungen, und die hierüber kundgegebenen Anschauungen lassen sich nicht besser wiedergeben, als durch den zum Beschluß erhobenen Antrag des Vertreters der belgischen Regierung: „Der Congreß betrachtet es nicht als seine Aufgabe, alle detaillirten Vorschriften festzustellen, welche zu Gunsten der einheitlichen Garnnumerirung angestrebt werden müssen; aber er fühlt sich verpflichtet, feierlichst den Wunsch auszusprechen, daß alle Regierungen im Interesse des internationalen Handels die Maßregeln ergreifen, welche nöthig sind, um die durch den Congreß festgestellten allgemeinen Principien in die Praxis einzuführen.“ Hiermit hat der Congreß für einheitliche Garnnumerirung seine Mission für beendet erklärt, und bei der hohen Wichtigkeit, welche die Frage für die Zukunft besitzt, wird nachstehende übersichtliche Zusammenstellung sämmtlicher Beschlüsse und Vorschläge von Interesse sein. Uebersicht der Congreßbeschlüsse zu Wien, Brüssel und Turin. A. Allgemeine Beschlüsse des Congresses. 1) Die internationale Garnnumerirung gründet sich auf dem metrischen System. 2) Die Nummer eines Garnes (Seide ausgenommen) wird bezeichnet durch die Anzahl von Metern Faden, welche in einem Gramm enthalten sind. 3) Die Länge eines Strähnes beträgt 1000m mit decimalen Unterabtheilungen. 4) Jede Art von Haspelung ist zulässig, insofern sie 1000m Garn auf den Strähn ergibt. 5) Die Nummer der gezwirnten, gefärbten und gebleichten Garne wird bestimmt (vorbehaltlich gegentheiliger Abmachung) durch die Anzahl Meter, welche in einem Gramm enthalten sind. 6) Die Nummer der rohen und moulinirten Seide wird bezeichnet durch die Anzahl von Grammen, welche ein Faden von 10000m Länge wiegt. 6a) Die Proben werden auf Grund der Längeneinheit von 500m und der Gewichtseinheit von 50mg vorgenommen. 7) Die gesetzliche Basis für die Feststellung der Nummer ist die Conditionirung. Dieselbe darf stets gefordert werden, ist aber facultativ. 7a) Die Conditionirung geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne Denaturation des Fadens und mit Zuschlag eines passenden Gewichtes hygroskopischer Feuchtigkeit zum Trockengewicht. 7b) Das Messen der Garnproben muß nach einer exacten Methode ausgeführt werden. B. Vorschläge des Congresses. 1) Der Congreß empfiehlt die Anwendung des englischen Haspelumfanges von 1m,37 und bezeichnet in Folgendem die Haspel, welche gegenwärtig in Gebrauch sind, und wie dieselben sich dem metrischen Systeme einfügen: Für Streichgarn 1m,50 mit 67 Umläufen KammgarnVigogneFlorettseideBaumwolle I 1m,37 73         „        II 1m,4285 70 Flachs und Hanf 2m,00 50      „     „      „    IIFlorettseide II 1m,25 80 2) Der Congreß empfiehlt für die Conditionirung der verschiedenen Gespinnste die beifolgenden Procentsätze hygroskopischer Feuchtigkeit als Zuschlag zum absoluten Trockengewicht, sowie die Anwendung der nachstehenden Temperaturgrade bei Ermittlung dieses Trockengewichtes: Für Seide 11 Proc. Feuchtigkeitszuschlag und          120° C. gekämmte Wolle (Zug) 18 1/4 105–110 Kammgarn 17 Baumwollgarn   8 1/2 Flachsgarn 12 Werggarn 12 1/2 Hanfgarn 12 Jutegarn 13 3/4 3) Der Congreß ladet die Directoren der Conditionirungsanstalten ein, die Methoden und mechanischen Vorrichtungen zu ermitteln, durch welche die Garnnummer am genauesten festgestellt werden kann. 4) Was die zulässige Fehlergrenze anlangt, so erklärt der Congreß, eine bestimmte Zahl nicht festsetzen zu können, und überläßt die endgiltige Beantwortung dieser Frage der Initiative der einzelnen Industriebranchen. C. Schlußbestimmungen. 1) Der Congreß betrachtet es nicht als seine Aufgabe, alle detaillirten Vorschriften festzustellen, welche zu Gunsten der einheitlichen Garnnumerirung angestrebt werden müssen; aber er fühlt sich verpflichtet, dringend den Wunsch auszusprechen, daß alle Regierungen im Interesse des internationalen Handels die Maßregeln ergreifen, welche nöhig sind, um die durch den Congreß festgestellten allgemeinen Principien in die Praxis einzuführen. 2) In Erwägung, daß der Congreß in den Sessionen zu Wien, Brüssel und Turin die Principien festgestellt hat, nach welchen die einheitliche Garnnumerirung zu regeln ist; in Erwägung, daß hierdurch das Ziel erreicht ist, welches derselbe sich gestellt hatte, sowie in Erwägung, daß die Einführung dieser allgemeinen Beschlüsse in die Praxis der Zeit, der Privatinitiative und den gesetzlichen Verordnungen überlassen werden muß: erklärt der Congreß seine Mission als beendet. Er beauftragt den ständigen Ausschuß zu Wien, die Archive des Congresses nach vollständiger Beendigung der Verhandlungen in der Bibliothek der Handelskammer zu Wien niederzulegen.