Titel: Die amerikanischen District-Telegraphen.
Fundstelle: Band 219, Jahrgang 1876, S. 464
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Die amerikanischen District-Telegraphen. Die amerikanischen District-Telegraphen. Eins der wichtigsten Bedürfnisse in einer Stadt von solcher topographischen Eigenthümlichkeit wie New-York ist die Regelung eines raschen und zuverlässigen innern Verkehrs, wozu nicht nur eine schnelle Beförderung von Personen zu rechnen ist, sondern auch und ganz vorwiegend eine schleunige Besorgung von Bestellungen aller Art. Letzterer Aufgabe unterzieht sich seit 1872 die amerikanische District-Telegraphen-Compagnie in einer ganz eigenartigen, aber höchst vollkommenen Weise. Ihren Erfolg bei diesem Unternehmen verdankt jene Gesellschaft ganz wesentlich mit der Verwendung von jungen Leuten, deren Ehrgeiz, Hingebung und Thatkraft bei geeigneter Organisation und Ueberwachung des Betriebs erfahrungsgemäß zum Gelingen des Unternehmens das meiste beitragen. Ueberhaupt haben junge Leute, ja selbst blose Knaben überall in der Entwicklung der amerikanischen Telegraphie eine wichtige Rolle gespielt, und Männer von nicht über 25 Jahren finden sich in den wichtigsten telegraphischen Stellungen Amerika's. Das Botencorps der amerikanischen District-Telegraphen-Compagnie besorgt den Dienst vollkommen zuverlässig, pünktlich und billig; ihm fällt zwar der Haupttheil der Geschäfte zu, dennoch bildet der Polizei-, Wach- und Feuerdienst daneben einen nicht unwichtigen Zweig des Gesammtdienstes. Der dem Ganzen zu Grunde liegende Plan ist höchst einfach. Die Stadt ist in geographische Bezirke abgetheilt und zwar so, daß jeder Punkt des Bezirkes von dem in diesem liegenden Centralamte von einem Boten innerhalb 3 Minuten erreicht werden kann. Jeder Bezirk hat seine vollstandige Telegraphenanlage und ähnelt sehr einer mit Channing und Farmer's Feuerwehr-Telegraphen versehenen Stadt. Jeder Abonnent in dem Bezirke hat in seinem Hause ein kleines eisernes Kästchen, von der Größe einer Kaffeetasse, mit einer Kurbel an der Außenseite, welche auf eines der drei Worte: Bote, Polizei, Feuer gestellt werden kann. Jedes Kästchen liegt in einer elektrischen Schleifenleitung, deren Enden im Centralamte liegen; für das Centralamt aber erhält jedes Kästchen seine besondere Nummer. Wird die Kurbel eines Kästchens verstellt, so wird ein in ihm befindliches Triebwerk aufgezogen, welches dann beim Ablaufen mittels eines Unterbrechungsrades durch entsprechende Stromunterbrechungen die Nummer des Kästchens nach dem Centralamte telegraphirt. Verlangt der Abonnent einen „Boten“, so erscheint seine Nummer einmal auf dem Empfangsapparate des Centralamtes, ruft er nach „Polizei“, so erscheint sie zweimal, meldet er „Feuer“, so erscheint sie dreimal. Die Centralämter unterscheiden sich nur nach dem Umfange ihrer Geschäfte, in ihrer Einrichtung stimmen sie überein. Ein Gitter schließt den Amtsvorstand und seine Beamten ab, zugleich mit den Apparaten. Rückwärts befindet sich ein Raum für die als Boten verwendeten Knaben, welche unter einem Vormann stehen; letzterer wird nach Geschicklichkeit und guter Führung aus der Reihe der Boten gewählt und hat auf Ordnung zu halten und die Knaben der Reihe nach zum Dienst aufzurufen. Auf einem Tische innerhalb des Gitters stehen eben so viele Empfangsapparate als Schleifen von dem Centralamte auslaufen; jede Schleife läuft durch einen bestimmten Theil des Bezirkes, enthält aber nicht mehr als 75 bis 80 Kästchen; jede Schleife hat ihre eigene Batterie, ihren besondern Empfänger und Wecker; für jede Schleife ist ein Gestell mit so vielen kleinen Fächern, wie viel Signalkästchen in dieser Schleife liegen, vorhanden, und in jedem Fache liegen eine Anzahl gedruckter Zettel, auf denen die Adresse des Abonnenten, dessen Signalkästchen dieselbe Nummer wie das Fach trägt, die Nummer der seiner Wohnung zunächst gelegenen Stadt-Feuerwehr-Telegraphenstation u.s.w. steht. Braucht nun z.B. John Smith, 147 Broadway, 10 1/4 Uhr einen Boten, so stellt er die Kurbel seines als Nr. 32 in der 3. Schleife liegenden Kästchens auf „Bote“; sofort ertönt im Centralamte der zur 3. Schleife gehörige Wecker, und der Empfänger dieser Schleife schreibt einmal 32 auf den Papierstreifen. Aus dem 32. Fache des 3. Gestelles nimmt nun der Beamte einen Zettel und schreibt zu dem aufgedruckten „John Smith, 147 Broadway“ noch die Zeitangabe „10h 15m und die Nummer des Boten, etwa „75“, und Bote 75 trabt ab, den Zettel in der Hand. Der Vormann ruft sofort „Bote 76“ zum Einrücken auf. Innerhalb 3 Minuten kommt Bote 75 bei Smith an und wird etwa mit einem Packet nach Brooklyn geschickt, was Smith auf den Zettel schreibt; auch der Empfänger des Packetes bestätigt den Empfang auf dem Zettel; bei Zufriedenheit mit der Besorgung unterzeichnet Smith auch den Zettel, und der Bote kehrt ins Centralamt zurück, liefert den Zettel an den Beamten ab, welcher die Zeit der Rückkehr dazu schreibt und Nr. 32 (d.h. John Smith) mit dem Botenlohne nach dem Satze von 30 Cents für die Stunde belastet. Wenn ein „Feuerruf“ ertönt, geht sogleich ein Polizeimann mit einem Extincteur nach dem rufenden Hause ab, während im Bedürfnißfalle zugleich ein Bote mit einer rothen Fahne oder einer Signallaterne nach dem nächsten Rufposten der Stadtfeuerwehr läuft, von dort aus telegraphisch die Feuerwache alarmirt und diese bei ihrem Eintreffen sofort nach dem Orte führt, wo sie gebraucht wird. Eine der werthvollsten Zugaben der Anlage ist der Wach- oder Privatpolizeidienst. Die Wachmannschaft der Gesellschaft hat die Aufgabe, die Häuser der Abonnenten zu bestimmten Stunden während der Nacht zu visitiren, nicht etwa blos vorbeizugehen und gelegentlich einen Blick auf die Fenster zu werfen, sondern gründlich zu untersuchen, ob Alles in Ordnung ist. An jedem Ende, erforderlichen Falls auch an Zwischenpunkten der Strecke eines jeden Wächters sind Signalkästchen aufgestellt, von denen aus der Wächter in gewissen Pausen Zeichen absenden muß; wenn er irgend etwas Ungehöriges bemerkt, kann er von dem Centralamte Hilfe herbeirufen. Auch dafür ist gesorgt, daß jeder Abonnent telegraphisch, zu jeder Stunde der Nacht, von jedem in oder außer seinen Geschäftsräumen sich ereignenden Vorfalle Meldung erhält, wenn ihm eine Meldung davon erwünscht sein muß. Viele große Geschäfte wieder stellen innerhalb ihrer Gebäude ein Signalkästchen auf, von welchem aus der Nachtwächter zu gewissen Zeiten ein Signal nach dem Bezirkscentralamte senden muß; bleibt ein solches Signal aus, so wird vom Amte sofort ein Bote abgesendet, um nach der Ursache davon zu forschen. Jeden Morgen geht ein die Ankunftszeit jedes Signales zeigender, vom Beamten unterschriebener Bericht an das Geschäft ab und gibt getreue Auskunft über die Zuverlässigkeit des Wächters. Auch der so vielfach gebrauchte, gewöhnliche Haus-Diebeswecker wird oft mit dem amerikanischen Bezirkstelegraphen verbunden, so daß bei jedem Versuche, in das bewohnte oder unbewohnte Haus einzudringen, ein Wecker im Bezirksamte ertönt und vom Empfangsapparate ein Allarmsignal niedergeschrieben wird, wie von einer stets aufmerksamen Schildwache. Der ganze Dienst wird mit einer militärischen Pünktlichkeit und Genauigkeit verrichtet. Dasselbe gilt von der Einschaltung neuer Abonnenten in die Schleifen, von der Ueberwachung der Drähte, der Beseitigung von in diesen auftretenden Fehlern u.s.w. Sehr anziehend ist die Einrichtung der Boten-Abtheilung in 62 Broadway. Alle Bewerber um eine Botenstelle müssen ein Formular über Namen, Alter (14 bis 16 Jahre), Geburtsort, Wohnung, letzten Dienst, Empfehlung bekannter und zuverlässiger Personen ausfüllen und eine Probe ihrer Handschrift geben. Die Angenommenen erhalten eine kleidsame Uniform aus dunkelblauer Mütze, Rock und weiten Hosen; die beiden letztern sind mit rother Schnur besetzt, die erstere hat ein Schild mit A. D. T. Co.“ und der Nummer des Boten. Bei schlechtem Wetter haben die Boten einen vollständigen wasserdichten Anzug. Jeder neue Bote wird einem Centralamte zugetheilt und läuft erst einige Tage mit einem schon eingerichteten Boten aus, bis er mit seinen Pflichten vertraut ist. Jeder Bote erhält wöchentlich 4 Dollars Lohn. Ist er zuverlässig, emsig und geweckt, so rückt er bald zum Vormann, Beamten oder Vorstandsstellvertreter auf und bezieht dann weit höhern Lohn. Jeder Amtsvorstand hat wöchentlich einen Bericht über Pünktlichkeit, Aufführung, Thätigkeit, Gehorsam, Reinlichkeit, Anzug der Boten abzugeben und censirt sie dazu mit 1 (sehr gut) bis 7 (unerträglich). Diese Censuren werden in ein Buch eingetragen und führen betreffenden Falls zur Entlassung des Boten. Dieses Verfahren erweist sich als sehr zweckmäßig, rücksichtlich der Führung dieser Burschen; als Beweis dafür diene, daß von den 3300 seit der Geschäftseröffnung der Gesellschaft, im Frühjahr 1872, angestellten Burschen nicht weniger als 70 Proc. Verzicht leisteten, um in bessere Stellungen bei Privaten und Geschäftsfirmen einzutreten, welche ihre Brauchbarkeit während ihres Dienstes als Boten kennen gelernt hatten. Im Mittel dient jeder Bursche 6 Monate. Obgleich ferner die Gesellschaft immer gegen 500 Burschen im Dienste hat, welche allerlei verantwortliche Geschäfte zu besorgen haben, so beliefen sich doch die ihr im letzten Jahre durch Zufall, Nachlässigkeit, Unfähigkeit und Unehrlichkeit der Boten erwachsenen Verluste nur auf 100 Dollars. Die Unfähigen, Trägen und Unehrlichen werden sehr bald ausgestoßen, und so erhalten die Uebrigen ihren ausgezeichneten Ruf. Die Verwendung der Boten ist eine ungemein vielseitige. Ganz besonders aber mag ihre Verwendung zum Austragen von Circularen, Karten u.s.w., an bestimmte Adressen oder nicht, hervorgehoben werden. Dazu werden sie meist in den Zeiten benützt, wo erfahrungsmäßig für sie sonst nicht viel zu thun ist, z.B. zwischen 1 und 5 Uhr. Im letzten Jahre wurden über 2 Millionen Circulare etc. ausgetragen, darunter 288000 an bestimmte Adressen und gegen gehörige Empfangsbescheinigung. Einmal wurden 148000 adressirte Circulare in einem Tage bestellt, neben den gewöhnlichen Geschäften. Im Falle des Bedarfes kann die Gesellschaft 50000 nicht adressirte Circulare in Zeit von einer Stunde austragen oder eins in jedem Hause von New-York abgeben lassen. Dabei ist die Besorgung ganz pünktlich; denn jeder Versuch der Boten, sich ihrer Pflicht zu entziehen, etwa die Circulare wegzuwerfen, hätte mit moralischer Gewißheit auf Entdeckung und Bestrafung zu rechnen. Die Gesellschaft hat 16 Aemter in verschiedenen Theilen der Stadt in Verbindung mit der „Western Union Company“ und bestellt von diesen Punkten aus alle Telegramme derselben, wozu im Durchschnitt nur wenig über 7 Minuten nöthig sind. Die erste Einrichtung der Telegraphenanlagen der Gesellschaft rührt von Edward A. Calahan her, wurde aber später mehrfach verbessert. Als Batterien werden die spiralförmigen von Lockwood benützt, welche in Bezug auf Dauer und Billigkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Die Gesellschaft hat 25 Bezirksämter über 3500 Signalkästchen und etwa 550 Beamte im Ganzen. Die Einrichtung der Districtstelegraphen in New-York ist natürlich die umfassendste und vollständigste, doch haben auch mehrere andere Städte der Vereinigten Staaten solche Telegraphen angelegt. (The Telegrapher, 1875 Bd. 11 S. 241.) E–e.