Titel: | Ueber die Verzuckerung stärkemehlhaltiger Substanzen; von Bondonneau. |
Autor: | A. Bondonneau |
Fundstelle: | Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 76 |
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Ueber die Verzuckerung
stärkemehlhaltiger Substanzen; von Bondonneau.
Bondonneau, über die Verzuckerung
Stärkemehlhaltiger Substanzen.
Die Verzuckerung stärkemehlhaltiger Substanzen bei Gegenwart von
Wasser wurde auf zwei verschiedene Arten interpretirt. Nach der
ältern Ansicht gibt die Stärke hierbei zuerst Dextrin, das dann
durch Wasseraufnahme Glucose bildet; nach der zweiten Ansicht
bildet sich durch Spaltung des Stärkemolecüls unter
gleichzeitiger Wasseraufnahme Dextrin und Glucose.
Ein näheres Studium der hierbei verlaufenden Reactionen und
daraus resultirenden Producte zeigt aber, daß die ältere
Auffassung die richtige ist. Wenn man nämlich die zweite
Hypothese zuläßt, so ergibt sich, daß in irgend einem Momente
der Operation — wenn man den Verzuckerungsproceß
unterbricht, so lange überhaupt noch Stärke vorhanden ist
— die saccharificirte Partie nicht weniger als 25 Proc.
Glucose enthalten kann. Die letzte von Musculus hierfür aufgestellte Formel zeigt dieses
deutlich:
4C12H10O10 + 2HO
= C12H12O12 + 3C12H10O10(4C6H10O5 + H2O = C6H12O6 + 3C6H10O5)
Unterbricht man aber den Proceß schon
bald, so daß noch viel Stärke ungelöst ist, und bringt das
Gemenge zur Trockne, so erhält man durch Wiederauflösen in
kaltem Wasser eine Flüssigkeit, die nur die saccharificirte
Partie enthält; bei 100° getrocknet enthält diese:
Glucose 13,70 und Dextrin 86,30.
Jedoch dieses Dextrin ist nicht ein
Individuum, sondern ein Gemenge von drei verschiedenen, aber
isomeren Substanzen. Untersucht man nämlich die Producte der
Einwirkung von Säuren auf Stärke in irgend einem Stadium des
Processes, so findet man (nach vorhergehender Eliminirung etwa
noch vorhandener Stärke durch etwas Alkohol), daß die
Flüssigkeit durch Jod roth wird, und daß das Dextrin, welches
man durch Fällung mit Alkohol und Wiederauflösen in kaltem
Wasser aus dieser Flüssigkeit erhalten kann, aus einem
veränderlichen Gemenge besteht von Dextrin, das durch Jod roth
gefärbt wird, identisch mit dem durch Röstung entstehenden
Dextrin = Dextrin α und aus einem Dextrin, welches durch
Jod nicht gefärbt wird, = Dextrin β.
Bei längerer Einwirkung einer Säure verschwindet das
α-Dextrin immer mehr und zuletzt ganz; Alkohol fällt dann
nur mehr Dextrin β.
Werden die alkoholischen Lösungen, welche von der Fällung des
Dextrins β herrühren, eingedampft und dann so lange mit
absolutem Alkohol behandelt, bis sich Alles gelöst hat, so kann
man durch die Analyse nachweisen, daß diese Flüssigkeit aus
einer Mischung von Glucose mit einer nicht reducirenden Substanz
besteht, die in großer Menge vorhanden ist:
Glucose
75,4
70,2
Nicht reducirende Substanz
24,6
29,8.
Behandelt man letztern Körper mit verdünnten Säuren, so wird er
vollständig in Glucose übergeführt; er steht also zwischen
Dextrin β und Glucose. Nun könnte man glauben, das sei
ganz einfach Dextrin β, das nur durch die Glucose in
Lösung gehalten wird; doch ist dem nicht so, denn aus einer
concentrirten Lösung von 90 Proc. Glucose und 10 Proc. Dextrin
β wird dieses letztere durch absoluten Alkohol gefällt.
Demnach ist die fragliche Substanz ein Dextrin, da es dessen
Hauptcharaktere theilt: Nichtreducirbarkeit durch die alkalische
Kupferlösung, leichte Umwandlung in Glucose und starkes
Rotationsvermögen; wir bezeichnen es daher als Dextrin γ.
Auch durch Einwirkung von Diastase entsteht dieses Dextrin
γ und kann durch Auflösen in absolutem Alkohol etc. wie
oben nachgewiesen werden.
Es entstehen also bei jeder Verzuckerung drei Dextrine.
Wenn man eine Mischung von den Dextrinen α und β
auf 24 bis 25° B. concentrirt und auf + 1°
erkältet, so scheiden sie sich auf dem Grunde des Kolbens mit
milchigem Ansehen aus. Steigert man nun die Temperatur, so wird
dieser Niederschlag wieder durchsichtig und löst sich, mit der
wässerigen obern Schichte geschüttelt, wieder vollständig und
ohne Rückstand auf. Geringe Zuckermengen hindern die Reaction
nicht, größere aber hemmen sie vollständig.
Die Einwirkung der Diastase auf das Dextrin αist
bemerkenswerth und erklärt die Schwierigkeit, warum man dessen
Entstehung beim Maischen so leicht übersieht. Bringt man nämlich
Diastase zu einer Lösung von Dextrin α, so färbt sich
dieses nicht mehr roth, und die Rotationskraft sinkt schon nach
15 Minuten (in der Kälte) um 1/20 die Quantität der schon
präexistirenden Glucose bleibt constant und Dextrin γ
bildet sich hierbei nicht. Man sieht daraus, darauf, daß die
Diastase in der Kälte ohne Einwirkung auf das β-Dextrin
ist, das sich bei diesem Versuche bildet. Bei einer Einwirkung
in der Wärme aber verschwindet das α-Dextrin
augenblicklich, selbst in Lösungen von 25 bis 30° B., und
durch fortgesetzte Einwirkung der Wärme bildet sich dann Dextrin
γ und Glucose, indem nun die Diastase auf das Dextrin
β einwirkt, wovon ein Theil übrigens nicht umgewandelt
wird. Reines Dextrin γ habe ich jedoch noch nicht
erhalten können. Unter dem Einflüsse der Bierhefe nimmt es rasch
Wasser auf und geht ebenso schnell in Gährung über wie der
präexistirende Zucker.
1k
Traubenzucker des Handels, der 12 Proc. Dextrin γ
enthielt, lieferte nach 8tägiger Gährung nur 40g
eines Syrups, welcher Glucose, Dextrin β und endlich
einige Gramm Dextrin γ enthielt, während ich wenigstens
100g davon hätte erhalten sollen. Bei Gegenwart von
verdünnten Säuren nimmt das Dextrin γ gerne Wasser auf,
ja sogar bei längerm Contacte mit kaltem Wasser. Eine
alkoholische Lösung von 20 Proc. (um die Schimmelbildung zu
verhüten), welche auf 100cc 23,7 Glucose und 4,8 Dextrin
γ enthielt, hatte nach 6 Minuten nur mehr 2 Proc.
Dextrin; der Rest hatte sich in Glucose verwandelt. Als nun
diese Lösung mit Wasser verdünnt wurde, zeigte sie nach 2
Monaten auf 100cc 1,7 Glucose und
0,05 Dextrin γ; ihre Rotation für 0m,20
Länge betrug 1,85°. Die Eigenschaften und Reactionen
dieses γ-Dextrins nähern sich also sehr den Glucosanen
Berthelot's.
Da ich noch kein reines γ-Dextrin darstellen konnte, so
war auch dessen Rotation nicht direct zu messen, sondern nur aus
einer Mischung mit Glucose zu berechnen. Zu diesem Behufe wurde
zuerst die Rotation der reinen Stärkeglucose bestimmt.
Bei einer ersten Probe bestimmte Girard die Ablenkung zu 47,24° für C12H12O12 +
2HO, d. i. also 52,8° für C12H12O12.
Weitere Proben sind in Vorbereitung.
Zwei Proben nun, welche beide Substanzen in verschiedenen
Verhältnissen enthielten, gaben für das Dextrin γ die
Ablenkung 165,24° bezieh. 163,21°, das Mittel =
164,22°.
Man kann also aus der Einwirkung der Diastase auf das Dextrin
α, sowie aus der Gegenwart aller drei Dextrine vom
Beginne der Verzuckerung an schließen, daß hier nicht eine
Spaltung mit Wasseraufnahme stattfindet, sondern daß jedes
Stärkemolecül, um zu seiner höchsten Entwicklungsstufe
„Glucose“ zu gelangen, folgende Stadien
successive durchlaufen muß:
Rotation.
Jod wirkung.
Wirkung des abs. Alkohols.
Stärke
216
blau
unlöslich
Dextrin α
186
roth
unlöslich
Dextrin β
176
ungefärbt
unlöslich
Dextrin γ
164
ungefärbt
löslich
Glucose C12H12O12
52
ungefärbt
löslich
Vorstehende (den Comptes rendus, 1875
t. 81 p.
972 und 1210 entnommenen) Resultate Bondonneau's sind um so interessanter, als fast
gleichzeitig hiermit eine Note von Petit in dem Bulletin de la société
chimique de paris vom 5. December 1875 erschien, worin
derselbe Folgendes mittheilt: „Wenn man 1000g
Stärkekleister von 10 Proc. Stärkegehalt mit 1g
Diastase mehrere Stunden auf 50° erhitzt, so bleiben
hiervon 8 bis 10 Proc. ungelöst, und erhält man 1) 5 Proc.
Dextrin, 2) Maltose* 3) eine
neue Zuckerart, etwa ¾ von der gefundenen Maltose, welche
zwar vollständig vergährt, aber die Fehling'sche Lösung weder
für sich, noch nach 5 Minuten langem Kochen mit Schwefelsäure
reducirt. “ Petit schließt
hieraus, hierauf, daß fast die ganze Menge Stärke durch die
Einwirkung der Diastase in Zucker verwandelt werde.
Zunächst ist nun zu bemerken, daß Bondonneau mehrere in letzter Zeit erschienene Arbeiten
übersehen hat oder absichtlich ignorirt, welche unsere
Auffassung über den Maischproceß wesentlich berichtigt haben.
Dubrunfaut hat schon längst (vgl.
1848 107 358) dargethan, daß der durch
Diastase erzeugte Zucker von der Glucose wesentlich verschieden
ist; auch hat er die wesentlichen Eigenschaften desselben ganz
richtig angegeben. Doch hat man, wie das so oft oft geschieht,
seine Arbeit wenig beachtet, und so kam es, daß dieser fragliche
Zucker, Malzzucker oder Maltose genannt, noch einmal entdeckt
werden mußte, und zwar geschah dies sowohl durch Cornelius O'Sullivan (vgl. 1874 214 339) als auch etwas später durch Schulze und Urich (vgl. 1874
214 339).
Die Maltose hat die Formel C12H22O11 und die Rotation:
Sullivan
Schulze
und Urich
α = + 150.
α = + 149,5 bis
150,6.
Sie ist in Alkohol etwas weniger löslich
als die Glucose; auch reducirt sie die Fehling'sche Lösung
weniger und zwar in der Art, daß 0g,075 Maltose gleich sind 0g,050
Glucose, oder 100 Maltose = 66,67 Glucose.
Während Diastase ohne Einwirkung auf die gebildete Maltose
bleibt, wird dieselbe sowohl durch Kochen mit verdünnter
Schwefelsäure in Glucose als mit alkalischer Kupferlösung in
Glucose + Dextrin umgewandelt, wovon erstere natürlich sofort
oxydirt wird. Es ergibt sich hieraus hierauf die Unrichtigkeit
sämmtlicher Würzeanalysen; in allen wird der Zuckergehalt zu
gering und der Dextringehalt zu hoch angenommen.
Die Bieranalysen hingegen werden trotzdem richtig sein. Es ist
nämlich höchst wahrscheinlich, wenn auch nicht positiv gewiß,
daß die Maltose bei der Gährung durch das eigenthümliche Ferment
der Hefe, (von Béchamp
„Zymase“, von Donath„Invertin“ genannt) in analoger
Weise invertirt wird wie der Rohrzucker, also:
C12H22O11 + H2O
=
C
6
H
12
O
6
+
C
6
H
12
O
6
Maltose
=
Glucose
+
Glucose.
Die von Bondonneau bestimmten Glucosemengen müssen daher durch
Multiplication mit 3/2 in Maltose umgerechnet werden.
Was die verschiedenen Dextrine betrifft, von welchen Bondonneau spricht, so habe ich früher
(in den Annalen der Chemie und Pharmacie, Bd. 160 S. 40)
ebenfalls die ersten zwei beschrieben, und zwar mit ganz
gleichen Eigenschaften, nur bezeichnete ich sein Dextrin
α als Dextrin I und sein
Dextrin β als Dextrin II. Ich
bin aber durch die ausgezeichnete Abhandlung von Musculus (Annales
de chimie et de physique, V.
s. t. 2.
p. 385. Vgl. 1860 158 424. 1862 164 150. 1874 214 407), welche Bondonneau leider
auch nicht kennt, anderer Ansicht geworden und benenne nunmehr
das sich mit Jod roth färbende Dextrin passender „lösliche Stärke. “ In der
citirten Abhandlung zieht Musculus
auch die Gleichung zurück, welche er früher für die Verzuckerung
aufgestellt hatte, und die Bondonneau
noch für giltig hält. Er sieht nunmehr ein, daß die Jodreaction
schon verschwindet, wenn die Verzuckerung erst bis zu einem
Viertel fortgeschritten ist.
Als Maximalgehalte an Glucose, soweit sie durch die Diastase aus
100g Stärke zu erhalten sind, gibt:
Glucose.
Maltose.
Payen
50
= 75
Münken
51–51,7
= 76,5–77,5
Schwarzer
52–53
= 78–79,5
O'Sullivan
65–66
= 97,5–99.
Musculus kommt
daher auch zu der Anschauung, der Verzuckerungsproceß beruhe auf
isomerer Umwandlung, gefolgt von Wasseraufnahme.
Ich selbst war bisher geneigt, diesen Proceß, ausgehend von einem
Stärkemolecül = C18H30O15, in folgender Weise aufzufassen:
Der erste Angriff der Diastase auf die Stärke bestehe in einer
Isomerisirung, aus der unlöslichen werde lösliche Stärke (=
Dextrin α). Nun aber trete Spaltung ein; aus der
löslichen Stärke entstehe Dextrin (= Dextrin β):
C
18
H
30
O
15
=
3C6H10O5
Lösliche Stärke
Dextrin.
Das Dextrin nehme nun Wasser auf und werde
dadurch zu zwei Dritteln Maltose:
3 C6H10O5 + H2O =
C
12
H
22
O
11
+
C
6
H
10
O
5
Maltose
Dextrin.
Dieser Proceß wird wohl theilweise gleich im status nascens verlaufen:
C18H30O15 + H2O = C12H22O11+ C6H10O5
Bei längerer Einwirkung der Diastase
wirkten dann zwei Molecüle Dextrin in der Art auf einander ein,
daß sie unter Wasseraufnahme ebenfalls in Maltose
übergingen:
2C6H10O6 + H2O = C12H22O11.
Diese meine bisherige Anschauung wird aber nunmehr durch die
Entdeckungen Bondonneau's und Petit's mit Rücksicht auf meine dritte
Gleichung alterirt. Die neuen Körper der soeben genannten
Autoren gleichen sich nämlich in allen Stücken, nur ist es
schwer begreiflich, wie Petit's
Zucker durch Schwefelsäure nicht in Glucose umgewandelt werden
sollte. Man wäre dann genöthigt, einen Körper wie das Manniton
(C6H12O5) anzunehmen, dessen Entstehung ohne gleichzeitige
Sauerstoffausscheidung wohl nicht denkbar wäre.*
Viel plausibler erscheint die Annahme Bondonneau's, daß sein Dextrin γ eine Art Glucosan
sei. Hiernach wäre meine dritte Gleichung dahin zu berichtigen,
daß dieselbe nur für einen Theil des Dextrins (Dextrin β
oder II) zu gelten hat, während eine
andere, wie es scheint, sehr variable Portion dadurch erzeugt
wird, daß ein Theil der löslichen Stärke ohne Wasseraufnahme
sich in folgender Weise zerlegt:
C
18
H
30
O
15
=
C
12
H
20
O
10
+
C
6
H
10
O
5
Glucosan
Dextrin.
Uebrigens gibt bereits Musculus (a. a.
O.) an, daß im Dextrin des Handels Glucosan enthalten sei.
Dr. Grießmayer.