Titel: Tractoriograph und Construction der transcendenten Zahlen „π“ und „e“ sowie Construction der n-seitigen, dem Kreise eingeschriebenen regelmässigen Polygone.
Fundstelle: Band 305, Jahrgang 1897, S. 260
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Tractoriograph und Construction der transcendenten Zahlen „π“ und e sowie Construction der n-seitigen, dem Kreise eingeschriebenen regelmässigen Polygone. (Schluss der Abhandlung S. 234 d. Bd.) Mit Abbildungen. Tractoriograph und Construction der transcendenten Zahlen „π“ und e u.s.w. 5) Die Multisection eines gegebenen Kreisbogens und die Construction eines dem Kreise eingeschriebenen regelmässigen n-seitigen Polygons. Es sei ein gegebener Kreisbogen K0Kφ (Fig. 6) in n gleiche Theile zu theilen. Wird derselbe auf die vorher entwickelte Weise rectificirt, so ergibt sich K0Kφ=KφEφ Theilt man die Länge K0Kφ in z.B. drei gleiche Theile, wie in Fig. 6, und zieht vom Mittelpunkt C nach den Theilungspunkten E1', E2' . . . En' Strahlen, so entsprechen die Winkel E1'CKφ = α1, E2'CKφ = α2 u.s.w. den Bögen K0Kφ3, 2K0Kφ3 u.s.w.
[Textabbildung Bd. 305, S. 260]
Fig. 6.
Ein um Kφ mit dem Halbmesser r geschlagener Kreisbogen schneidet von den Strahlen CE1', CE2' u.s.w. die Strecken CT1=φ1, CT2=φ2 u.s.w. ab, welche die Radii vectores der Tractorienpunkte T1, T2 u.s.w. sind und den Winkeln α1, α2 u.s.w. entsprechen. Aus dem Vorstehenden folgt, dass man den ersten Theilpunkt K1 des gegebenen Kreisbogens, von K0 aus gerechnet, erhält, indem man um C mit dem Halbmesser ρ1 = CT1' die Tractorie in T1 schneidet und um diesen Punkt mit dem Halbmesser r den Kreisbogen schlägt: K0K1=1nK0\Kφ=13K0Kφ Hiermit ist gezeigt und bewiesen, wie die Multisection eines Kreisbogens unter Zuhilfenahme der gezeichneten Tractorie auszuführen und ausführbar ist. Im Anschluss hieran ist noch als interessant anzuführen: Für die Winkel β und γ, welche von den Strahlen CT'i und CT'i ± 1 bezieh. von CT1 und CTi ± 1 eingeschlossen werden, gilt β+γ=1nφ . . . . . 1) und in Fig. 6 ist β+γ=13φ. Ferner ist Punkt S der Schwerpunkt des Kreisbogens mit dem Centriwinkel 2 φ. Punkt S wird durch folgende Construction erhalten: K0B || CKφ, AS || EφKφ.
[Textabbildung Bd. 305, S. 260]
Fig. 7.
Schliesslich ist noch ΔSEφKφ = dem Kreissegment über der Sehne K0Kφ und ΔSEφC = Δ K0CKφ. Die Multisection eines Kreisbogens kann recht bequem und sehr einfach für die Construction eines dem Kreise einzubeschreibenden regulären n-seitigen Polygons verwendet werden. Bezeichne nämlich ψ den der Polygonseite entsprechenden Centriwinkel, so gilt ψ=2πn oder ψ=4(12πn) . . . . . 2) Die Construction ist in Fig. 7 dargestellt. Nachdem, wie im Vorstehenden, die Tangente Kπ2Fπ2=12π construirt ist, theile man dieselbe in n gleiche Theile, von denen nach Gleichung 2) von Kπ2 aus vier Theile bis Punkt D abgesetzt werden, so dass Kπ2=ψ wird. Der um Kπ2 mit dem Halbmesser r geschlagene Kreisbogen schneidet den Strahl CD in T'ψ, und ist CTψ gleich dem Radius vector der Tractorie, welcher dem zu bestimmenden Kreiswinkel ψ entspricht, also in die Lage CTψ zu bringen ist. Der dem Punkte T4 entsprechende Punkt auf dem Grundkreise ist K4, wenn, wie bei der Multisection, der Schnittpunkt des um T4 mit r geschlagenen Kreisbogens mit dem Grundkreise bestimmt wird. Der Winkel
[Textabbildung Bd. 305, S. 261]
Fig. 7a.
K 0 CK 4 = ψ ist der gesuchte Theilwinkel für das n-seitige reguläre Polygon; K0K4 also eine Seite desselben. In Fig. 7 ist diese Construction für n = 5 ausgeführt. Ist die Anzahl n der Polygonseiten verhältnissmässig gross, z.B. über 9, so ist es für die Genauigkeit der Construction vortheilhaft, 4 π in n gleiche oder 2 π in n2 gleiche Theile zu theilen. Es wird die n2 entsprechende Seite sich in 2 × 2 π nmal eintragen lassen. Die Endpunkte der Bögen K0K4, nmal in 4 π abgetragen, bilden die Ecken des n-seitigen Polygons auf der Peripherie von 2 π. Diese Construction ist in Fig. 7a für n = 17 ausgeführt; VIIIK0 ist die Seite des 17-Ecks und K0CVIII=2π17. Die Ziffern I, II, III . . . XVII geben in der Reihenfolge die Ecken des in 4 π eingeschriebenen Polygons an, während die Gesammtfigur für 2 π das 17-Eck darstellt, wie Fig. 7a deutlich zeigt.3) In Fig. 7a ist die Theilung des Kreisbogens in doppelter Weise ausgeführt, nämlich einmal mittels des Punktes T17, wodurch unmittelbar die Seite des 17-Ecks erhalten wurde, das andere Mal mittels des Punktes T, wodurch die Seite eines 8½-Ecks erhalten wurde. Demnach ist K0C1=12K0C2=2π17. In Fig. 7b ist ein reguläres 11-Eck unmittelbar construirt.
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Fig. 7b.
6) Graphische Bestimmung der Zahl „e“, Basis des natürlichen Logarithmus. In Fig. 8 ist mit meinem Instrument die Huyghens'sche Tractorie, also die Tractorie der Geraden K0X, gezeichnet. Von der Anfangslage K0 an hat sich der Fahrstift die Gerade K0X entlang bewegt; die Länge des Instruments betrug K0T0 = t. Sind nun η und ξ die Coordinaten des Punktes D der Tractorie, so besteht bekanntermaassen die Gleichung derselben: ξ=t2η2+tln(t+t2η2η) . . . . . 1) oder ξ+t2η2=tln(t+t2η2η) . . . . . 2) Zieht man durch D zu AX eine Parallele bis zum Schnittpunkte mit dem um K0 mit der Länge t geschlagenen Kreise, so ist die linke Seite der Gleichung 2), also ξ+t2η2=CD . . . . . 3) und t+t2η2=AP . . . . . 4) Nach Einsetzung dieser Werthe in 2) ergibt sich: CD=tlnAPCP . . . . . 5) Betrachtet man die beiden Dreiecke A0QK0 und CPA, welche einander ähnlich sind, so gilt PAPC=K0QK0A0 und es folgt nach Einsetzung der Werthe, wenn K0Q=y eingeführt wird, PAPC=yt . . . . . 6) Mittels Gleichung 5 ergibt sich dann: CD=t.lnyt . . . . . 7) Wird um K ein Kreisbogen mit dem Halbmesser t geschlagen, welcher die Grundlinie AX in M und N schneidet, so gibt die Verbindungslinie MD mit der Lothrechten in K den Schnittpunkt L, während die Verbindungslinie ND mit der nämlichen Lothrechten den Schnittpunkt L'' liefert.
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Fig. 8.
Wie ersichtlich, ist Dreieck MLK congruent dem Dreieck A0QK0, und ferner sind die Dreiecke K0Q'A und KL''N einander congruent. Mithin ist: KL=K0Q=y Da aber K0K=CD=x die Abscisse des Punktes L ist, so folgt aus Gleichung 8): x=t.lnyt . . . . . 8) Diese Gleichung definirt die Natur der logarithmischen Linie, und es ergibt sich für t = 1: x = lny . . . . . 9) das heisst y = ex . . . . . 10) Wie oben gezeigt ist, können die Punkte L der logarithmischen Linie mittels der gezeichneten Tractorie sehr einfach construirt werden. Durch die Verbindungslinie CA entstehen zwei ähnliche Dreiecke CPA und Q'K0A, für welche die Proportion gilt: APCP=K0AK0Q In Folge der Gleichung 5) ist dann noch CD=tlnK0AK0Q=tlntK0Q. Wird noch K0Q=y gesetzt, so ist CD=tlnyt . . . . . 11) Ferner ist, da, wie nachgewiesen, K0Q' = K0L'' = y' ist, x=t.lnty . . . . . 12) das heisst ty=cxet . . . . . 13) und endlich für t = 1: y' = e– x . . . . . 14) Die Punkte L'' entsprechen Punkten der logarithmischen Linie für Ordinaten y' < 1, also für den Ast dieser Curve auf der negativen Seite der X-Achse. In Fig. 8 ist dieser Ast der logarithmischen Linie um 180° umgeklappt in dem positiven X-Felde dargestellt. Wird also die Ordinate für die Abscisse K0K = x von den Strahlen MD und ND geschnitten, so stellen die Schnittpunkte L und L'' Punkte der logarithmischen Linie für gleich grosse Abscissen mit entgegengesetzten Vorzeichen dar. Die Construction der Zahl „e“ ergibt sich nun folgendermaassen. Nach Gleichung 10) ist für x die entsprechende Ordinate: y = e . . . . . 15) Der um A mit dem Halbmesser K0K=1 geschlagene Halbkreis schneidet die X-Achse in den Punkten Me (K0) und in Ne, die Tractorie in De, die Verbindungslinie K0De schneidet die in A errichtete Ordinatenrichtung in Le, und ist y=ALe also auch ist die transcendente Zahl e=ALe . . . . . 16) mittels der Huyghens'schen Tractorie constructiv sehr einfach bestimmt. Wie leicht ersichtlich, ist noch e=1ALe=1y Noch folgende werthvolle Eigenschaften der Tractorie der Geraden und der logarithmischen Linie sind zu erwähnen. a) Jedem Punkte D der Tractorie entsprechen zwei Punkte L und L'' der logarithmischen Linie. Diese drei Punkte liegen auf einem Kreise, dessen Mittelpunkt W in der Richtung der Ordinaten von L und L'' liegt. Die Ordinate des Punktes W ist gleich dem arithmetischen Mittel der Ordinaten von L und L''. b) Wie leicht zu beweisen, ist MD.ML=2 d.h. die Tractorie der Geraden und der Ast T0L der logarithmischen Linie für x > 1 sind inverse Gebilde für das auf der X-Achse bewegliche Centrum M. Die X-Achse ist die Asymptote der beiden Curven. Ferner ist ND.NL=2, d.h. die Tractorie der Geraden und der Ast T0L'' der logarithmischen Linie für x < 1 sind inverse Gebilde für das auf der X-Achse (Asymptote) bewegliche Centrum N. Ausserdem ist der Abstand der beiden Centren M und N von einander = 2, d.h. gleich dem Modul der Inversion. c) Die Geraden MD und ND sind Tangenten in den Punkten L und L'' und schneiden einander unter rechtem Winkel. d) Wie bekannt, ist die rectificirte Länge des Tractorienbogens T0T für t = 1: s=ln1η und für η = y' ist s=ln1y Die Gerade L''Q' schneidet die Tractorie im Punkt T und es ist T0T=s=ln1y=K0K=CD1, d.h. die Abscisse des Punktes L'', welcher mit T gleiche Ordinate hat, ist die rectificirte Länge des Bogens T0T. Umgekehrt kann man für ein gegebenes Bogenstück T0T der Tractorie der Geraden die entsprechende rectificirte Länge CD finden, wie aus Fig. 8 ersichtlich ist. e) Will man für eine gegebene Zahl y den natürlichen Logarithmus graphisch bestimmen, so gibt man K0Q die Länge y und verbindet Q mit A0. Die durch C parallel zur Asymptote gezogene Gerade schneidet die Tractorie in D und es ist lny=CD. Wenn schliesslich x gegeben ist, und gesucht wird y = ex, so trage man x=K0K auf der X-Achse – Asymptote – ab. Der um K mit dem Halbmesser 1 geschlagene Halbkreis schneidet die X-Achse in M, die Tractorie in D. Der Verbindungsstrahl MD gibt mit der in K gezogenen Ordinatenrichtung den Schnittpunkt L, und es ist: ex=KL=y wie auch KL=1ex ist.
Schlusswort. Es wäre von hohem wissenschaftlichen Interesse, die Tractorien noch anderer bekannter Linien, z.B. der Lemniscate, zu untersuchen und ihre Gleichungen aufzustellen. Diese Tractorien werden im Allgemeinen transcendente Linien sein. Da nun alle diese Linien mit meinem Instrument zu zeichnen sind, so ist zu hoffen, dass man noch viele, vielleicht schon bekannte, transcendente Gleichungen graphisch zu lösen im Stande sein wird. Und ich glaube, dass man eine Geometrie der Tractorien – für constante Tangenten – würde aufbauen können, in der vielleicht noch manche oder gar viele geometrische Sätze verborgen liegen; und ferner glaube ich, dass in meiner Tractoriographie ein grosses Material für Doctordissertationen vorhanden ist. Wie das Lineal und der babylonische Zirkel uns viele Aufgaben auf dem Gebiete der algebraischen Curven gelöst haben, so wird man auch, hoffe ich, mit meinem als Lineal und Zirkel combinirten Instrument im Stande sein, viele Aufgaben auf dem Gebiete mancher noch unbekannten transcendenten Linien zu lösen und manche noch neue Sätze aufzustellen, und so graphisch in das transcendente Gebiet der Geometrie eindringen. Belgrad, December 1896. gez. Ljubomir Kleritj, Staatsrath, jetzt Minister für Volkswirthschaft und Handel.