Titel: Elektrische Vollbahnlocomotive für gemischten Dienst.
Fundstelle: Band 305, Jahrgang 1897, S. 284
Download: XML
Elektrische Vollbahnlocomotive für gemischten Dienst.Vgl. 1897 305 16 und * 88. Elektrische Vollbahnlocomotive für gemischten Dienst. Diese von der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft entworfene Locomotive kann sowohl zur Beförderung von Güter- und Personenzügen als auch für Anschluss- und Rangirdienst Verwendung finden. Sie ist für die normale Spurweite von 1435 mm construirt, vollständig symmetrisch gebaut und besitzt zwei Achsen, welche durch je einen Motor angetrieben werden. Es ist wohl selbstverständlich, dass bei dem Entwürfe die „Normalien für Betriebsmittel der preussischen Staatsbahnen“ zu Grunde gelegt worden sind, auch haben die Vorschriften der „Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands“, sowie der „technischen Vereinbarungen des Vereines deutscher Eisenbahnverwaltungen“ Berücksichtigung gefunden, so dass der Beförderung der Locomotive als Wagen in einem Güterzuge auf den Bahnen des genannten Vereines keine Hindernisse entgegenstehen. Für diesen Fall wird der aus der Umgrenzungslinie für die festen Theile der Betriebsmittel hervorragende Stromabnehmer abgenommen, was ohne weiteres zu ermöglichen ist. Die Locomotive ist im Stande, einen Zug von 120000 k mit einer Geschwindigkeit von 14 m in der Secunde oder 50 km in der Stunde auf der wagerechten Strecke zu befördern. Zu diesem Zwecke muss allerdings das Adhäsionsgewicht der betriebsfähigen Locomotive etwa 20000 k betragen. Zu diesem Zwecke sind Ballastkästen vorhanden, welche mit Sand oder anderem Ballast gefüllt werden können. Die Locomotive ist mit Ausnahme der oberen Hälfte des Führerhauses, sowie des Fussbodenbelages aus Eisen und Stahl hergestellt. Das Untergestell besteht im Wesentlichen aus zwei die Langträger bildenden Blechrahmenplatten, welche gehörig gegen einander versteift sind und die Bufferbohlen und Bahnräumer tragen. Letztere reichen bis auf 60 mm über Schienenoberkante hinab bei einem normalen Bufferstande von 1050 mm. Zur Verbindung der Locomotive mit dem Wagenzuge dienen an jeder Kopfschwelle ein Zughaken mit Kuppelung und Sicherheitskuppelung, entsprechend den Normalien für Betriebsmittel der preussischen Staatsbahnen. Die Hauptrahmenbleche tragen Consolen aus Blech mit Winkeleisenarmirung, welche zum Tragen des Oberkastens dienen. Das Untergestell ist mit glatten oder Riffelblechplatten abgedeckt. Die Achsen sind in entsprechenden Ausschnitten für die Achsbuchsen fest gelagert. Der Radstand beträgt 2500 mm, so dass die Locomotive Curven von dem geringsten zulässigen Radius durchfahren kann. Die Räder haben im Laufkreise einen Durchmesser von 1000 mm und werden entweder als abgedrehte Gusstahlräder von einer Construction ausgeführt, welche ein späteres Aufziehen von Radreifen ermöglicht, oder als schmiedeeiserne Speichenräder mit aufgezogenen Gusstahlradreifen. Die Uebertragung des Locomotivgewichtes auf die Achsschenkel geschieht durch Blattfedern, welche aus einzelnen gerippten Stahllamellen von 90 mm Breite und 13 mm Dicke bestehen und in der Mitte durch einen Bund zusammengehalten werden. Zur Erzielung möglichst gleicher Achsbelastungen ist an den beiden Längsseiten des Rahmens je ein Balancier angebracht, welcher eine etwaige Ueberlastung einer Tragfeder auf die andere überträgt. Die Federgehänge sind mit Muttern versehen, wodurch der Bufferstand jederzeit leicht regulirt werden kann. Die Bremse wird entweder als Spindel- oder als Exter'sche Wurfbremse ausgebildet und wirkt mit je zwei Bremsklötzen auf jedes der vier Räder. Es besteht keine Schwierigkeit, die Locomotive mit Luftdruckbremse auszustatten. Die erforderliche Druckluft würde alsdann durch eine mittels besonderen Elektromotors betriebene Luftpumpe beschafft werden. Das zum Schütze gegen Witterungsunbilden rings geschlossene Führerhaus ist derart auf das Untergestell aufgebaut, dass vorn und hinten je ein Führerstand frei bleibt, von welchem aus das Führerhaus in gleicher Weise durch eine Drehthür zugänglich ist. Dasselbe hat eine Breite von 3 m, so dass ein Uebersehen des ganzen Zuges von der Locomotive aus möglich ist. Als Schutz gegen Hinabfallen ist jeder Stand mit einem Geländer versehen. Zum Besteigen dienen an jeder Seite zwei an dem Trittbleche befestigte eiserne Tritte. Das Führerhaus besteht der besseren Isolation wegen in seiner oberen Hälfte aus Holz und enthält im Innern die weiter unten beschriebenen elektrischen Einrichtungen, sowie die Anzugvorrichtung für die Bremse. Diese ist in einer gusseisernen Säule gelagert und gestattet das Anziehen sämmtlicher acht Bremsklötze. An den Wänden unterhalb der Fenster befinden sich die erwähnten Ballastkästen, sowie ein verschliessbarer Werkzeugschrank. Zum Signalgeben wird die Locomotive mit einer durch Druckluft betriebenen Pfeife ausgerüstet. Die hierzu erforderliche Luft wird durch eine Handpumpe auf dem Führerstand erzeugt, welche beim Ziehen der Pfeife in Thätigkeit tritt, oder – falls die Locomotive mit selbsthätiger Luftdruckbremse versehen ist – dem Hauptluftbehälter entnommen. Der Fussboden ist der grösseren Annehmlichkeit wegen aus Holz hergestellt und enthält Klappen, durch welche man leicht an die zu schmierenden Theile gelangen kann. Die an dem Führerhause angebrachten Laternenstützen dienen zum Einstecken von zwei Erdölsignallaternen, falls eine besondere Signalisirung erforderlich sein sollte. Um der Locomotive die elektrische Energie zuzuführen, dient eine der Länge nach über dem Gleise ausgespannte Arbeitsleitung. Die Stromabnahme erfolgt durch zwei auf dem Dache angebrachte Walzen aus Bronze, welche, auf Blattfedern befestigt, von unten in senkrechter Richtung gegen die Arbeitsleitung drücken. Von der Anwendung einer Contactrolle üblicher Construction musste mit Rücksicht auf die häufig wechselnde Fahrtrichtung, sowie wegen der in diesem Falle erstrebenswerthen Vermeidung von Luftweichen Abstand genommen werden. Ebenso wenig durfte ein Contactbügel verwendet werden, weil derselbe, zumal bei grösserer Fahrgeschwindigkeit, einen starken Verschleiss der Arbeitsleitung mit sich bringt. Was endlich die Stromabnahme durch einen sogen. Contactschuh von einer etwa in Höhe der Fahrschienen angebrachten Stromzuführungsschiene betrifft, so kann auch diese, allenfalls für Hochbahnen brauchbare Art, für vorliegenden Zweck nicht in Betracht kommen, weil einerseits die Isolation Schwierigkeiten bereiten würde und andererseits eine Berührung der Fahr- und Stromleitungsschiene nicht ungefährlich ist. Bei Weichen, Kreuzungen und Wegübergängen müsste ausserdem stets eine Unterbrechung eintreten. Um zwischen Arbeitsleitung und Stromabnehmer eine genügende Berührungsfläche zu erhalten, müssen möglichst schmiegsame Drähte verwendet werden. Aus diesem Grunde besteht die Arbeitsleitung aus zwei in einem wagerechten Abstande von 150 mm angebrachten, je 8 mm starken Drähten aus Hartkupfer, welche gegen einander nicht isolirt sind. Die Arbeitsleitung wird an besonderen Drahtseilen derart aufgehängt, dass ihr tiefster Punkt 4430 mm über Schienenoberkante liegt. Es beträgt also der senkrechte Abstand zwischen dem höchsten Punkte der Umgrenzungslinie für Betriebsmittel und der Arbeitsleitung mindestens noch 4430 – 4280 = 150 mm. Zum Tragen der Arbeitsleitung dienen Holz- oder Eisenmaste mit Auslegern, welche in Entfernungen von 40 bis 80 m längs der Bahn aufgestellt sind. Der tiefste Punkt der Ausleger liegt 4800 mm über Schienenoberkante, ragt also nicht in die Umgrenzungslinie für die freie Bahn hinein. Um die Arbeitsleitung von der Erde zu isoliren trägt jeder Ausleger zwei Porzellanisolatoren, über welche die vorher erwähnten Drahtseile geführt sind. Auf diese Weise wird es möglich, letztere zur Stromleitung mitzubenutzen. Die Rückleitung erfolgt durch die Fahrschienen, welche zu diesem Zwecke leitend verbunden sind und erforderlichen Falles an besondere Rückleitungskabel angeschlossen werden. Die Locomotive besitzt zwei Motoren der A.-E.-G.-Normaltype für Vollbahnen. Die Motoren sind einerseits unmittelbar auf den Laufradachsen gelagert, andererseits an dem Untergestelle derart federnd aufgehängt, dass nur etwa ⅛ des Motorgewichtes als nicht abgefederte Last auf die Achse wirkt. Der Antrieb der Laufachsen erfolgt mittels eines Zahnräderpaares, dessen Uebersetzungsverhältniss im Allgemeinen 1 : 3 beträgt. Das auf der Ankerwelle sitzende Trieb besteht aus Phosphorbronze, das grosse zweitheilige Rad auf der Laufradachse dagegen aus Gusstahl. Zur Erzielung ruhigen Ganges sind die Zähne als Winkelzähne oder als versetzte Zähne ausgebildet. Zum Schütze gegen Sand und andere Unreinigkeiten erhalten die Zahnräder einen Schutzkasten aus Eisenblech. Die Motoren sind Hauptstrommotoren, deren Magnetgestell derart aus Stahl gegossen ist, dass es gleichzeitig als Schutzgehäuse dient und die Lager für die Ankerwelle, sowie diejenigen für die Laufachse trägt. Das Motorgehäuse ist zweitheilig hergestellt und so construirt, dass es sowohl den Motor sicher vor Feuchtigkeit und Staub schützt, als auch aufgeklappt werden kann, um eine Zugänglichkeit zu den im Innern liegenden Theilen zu gestatten. Der Commutator ist durch besondere Klappen zugänglich. Die Drahtwindungen des Ankers sind als Spulen ausgebildet, welche in Nuthen des Ankerkerns sorgfältig befestigt werden. Die Motoren können ohne Entfernung des Führerhauses oder Anheben der Locomotive nach unten herausgenommen werden. Die normale Umgangszahl der Vollbahnmotoren beträgt etwa 840 in der Minute bei einer Stromspannung von 500 Volt. An der einen Längswand ist im Innern des Führerhauses der Umschalter angebracht und die Einrichtung so getroffen, dass mittels desselben sowohl vorwärts als auch rückwärts gefahren werden kann. Der Umschalter hat zu diesem Zwecke zwei Kurbeln; mittels der einen geschieht lediglich die Regulirung der Fahrgeschwindigkeit, während die andere Kurbel nur ein Stromwender ist, mittels dessen der Arbeitsstrom sowohl der jeweiligen Fahrtrichtung entsprechend umgekehrt, als auch ganz abgeschaltet werden kann. Bei dieser letzteren Stellung werden die Motoren nach einem der A. E.-G. geschützten Verfahren als Stromerzeuger auf den Widerstand geschaltet und ermöglichen so eine wirksame elektrische Bremsung. Werden die Kurbeln abgenommen, was nur in der Haltstellung geschehen kann, so sind hierdurch gleichzeitig die Contactwalzen mechanisch gehalten, um missbräuchliche Anwendung bei Nichtbenutzung der Locomotive auszuschliessen. Die verschiedenen Geschwindigkeiten werden im Wesentlichen durch verschiedenartige Schaltung der Motoren, sowie durch Aenderung der Stärke des magnetischen Feldes erreicht. Für die geringeren Fahrgeschwindigkeiten werden die Motoren hinter einander, für grössere parallel geschaltet. Gegenüber dem System der Minderung der Geschwindigkeit mittels vorgeschalteter Widerstände gewährt die beschriebene Schaltungsweise eine bedeutende Energieersparniss. Bei diesem System verbraucht der Motor von der elektrischen Energie nur so viel, als zur Verrichtung der jeweilig vorliegenden Zugarbeit erforderlich ist. Bei der Einschaltung der Motoren wird ein Widerstand vorgeschaltet, um ein ruckloses Anfahren zu erzielen. Sobald jedoch die Locomotive in Bewegung gesetzt ist, wird der Widerstand ausgeschaltet und damit jeder weitere unnöthige Verlust vermieden. Dieser Widerstand erhält seinen Platz in der Mitte des Führerhauses in einem Kasten aus durchbrochenem Eisenblech. Der normale Stromverbrauch bei 500 Volt Spannung beträgt für jeden Motor etwa 110 Ampère. Jeder Motor leistet hierbei etwa 84 , während die grösste Leistung etwa 150 beträgt. Die elektrische Ausrüstung der Locomotive besteht ausser den Stromabnehmern, den beiden Motoren und dem Umschalter, sowie den erforderlichen Kabelverbindungen noch aus: 1) Sicherungen zum Schütze der Motoren gegen schädliche Ueberlastungen; dieselben finden ihren Platz innerhalb des Führerhauses an einer leicht zugänglichen Stelle; 2) einer Blitzschutzvorrichtung mit selbsthätiger Funkenlöschung, bei welcher bewegliche, dem Einrosten u.s.w. ausgesetzte Theile vermieden sind; 3) einer Vorrichtung zur Ausschaltung der einzelnen Motoren im Falle eines Defectes; 4) dem schon erwähnten Widerstände zur Erzielung eines rucklosen Anfahrens und zur Bethätigung der elektrischen Bremsung; 5) der elektrischen Beleuchtung nebst den zugehörigen Ausschaltern und Anschlussdosen. Die Beleuchtung der Locomotive geschieht durch acht elektrische Glühlampen, von denen je vier in einen Stromkreis hinter einander geschaltet sind.