Ueber die Formänderung von
Drahtseilen.Von Diplom-Ingenieur Hirschland, Essen.(Fortsetzung von S. 239 d. Bd.)Ueber die Formänderung von Drahtseilen.c) Folgerungen aus den Versuchen. Bei den Versuchen
tritt eine grosse Anzahl beachtenswerter Erscheinungen zu tage.In den Versuchen mit neuen Seilstücken des Seiles III (Tabellen 8 und 9, Fig. 10) wurde die Belastung einmal in Zwischenräumen
von 5 Minuten, ein anderes Mal von 20 Sekunden geändert. Man erkennt: Je längere
Zeit eine Belastung am neuen Seil wirken kann, eine umso grössere Verlängerung
bringt sie hervor.Aus den mit den drei Seilen aufgenommenen Versuchen unter 1 und 2 geht folgendes
hervor: Wurde das bis zur Höchstlast belastete Seil wieder stufenweise entlastet, so
ergaben sich für Be- und Entlastung zwei Dehnungskurven. Nach vollständiger
Entlastung zeigte das Seil eine bleibende Verlängerung. Bei neuer Be-und Entlastung
ergaben sich Dehnungskurven, die von den bisherigen abwichen; die Verlängerungen
waren gegenüber denen des ersten Versuches noch gewachsen. (Fig. 8, 9 und 10).Wurden dann die Seile, wie es in den Versuchen unter 3 geschah, längere Zeit ihrer
Höchstbelastung ausgesetzt, so zeigte sich, dass das Seil sich weiter längte, dass
aber die Verlängerungszunahme mit der Zeit geringer wurde und nach etwa 20 Stunden
nicht mehr messbar war.Jedoch ergaben sich auch jetzt für Be- und Entlastung zwei verschiedene
Dehnungskurven, die bei Belastungsänderungen in verhältnismässig kurzer Zeit (etwa 5
Minuten) nahezu stetig verliefen. (Fig. 8, 9 und 10). Liess man
das Drahtseil unter einer gewissen Last stundenlang hängen, so strebte es einer
Mittellage zwischen den beiden Dehnungskurven zu.Diese Erscheinungen sind wohl darauf zurückzuführen, dass Reibungen zwischen den
Seilelementen auftreten. Bei der Belastung wirkt die Reibung hindernd auf die
Längung, bei der Entlastung hindernd auf die Kürzung ein. Es ergeben sich also für
Be- und Entlastung zwei getrennte Dehnungskurven.Bei dem Uebergang von der Belastung zur Entlastung und umgekehrt bildeten sich in den
Dehnungskurven Uebergangsstücke aus. Man kann daraus schliessen, dass das Seil aus
dem Zustand der kleineren Längung nur allmählich in den der grösseren übergeführt
werden kann und umgekehrt. Die Grösse dieser Uebergangsstücke war nicht mit
Genauigkeit festzustellen, doch scheint der Uebergang vom Entlastungszustand aus bei
Belastung von 100 bis etwa 300 kg und umgekehrt bei der Entlastung von 1000 bis etwa
600 kg vor sich zu gehen.Hieraus geht hervor, dass ein vorher längere Zeit der Höchstlast ausgesetztes
Drahtseil bei gleicher Belastung verschiedene Längen zeigen kann, welche innerhalb
zweier Grenzlagen schwanken. Man kann daher wohl sagen: Der Abstand zwischen den
beiden Dehnungskurven, in der Belastungsrichtung gemesssen, entspricht der doppelten
Kraft, welche, in Richtung der Seilachse wirkend, zur Ueberwindung der Reibung
zwischen den Seilelementen nötig ist. In den Lagen, die zum Vergleich herangezogen
werden können, von etwa 300 kg bis 600 kg Last, verlaufen die beiden Dehnungskurven
für Be- und Entlastung mit nahezu gleichem Abstand, in der Belastungsrichtung
gemessen, und mit gleicher Krümmung. Auch ist der Abstand der beiden Kurven bei den
drei Seilen unter sich ziemlich gleich gross. Es hat daher m. E. den Anschein, als
ob die Reibung weniger von der Belastung und der Drahtzahl, als von der
Herstellung des Seiles abhängig ist. Doch konnte dies bei den wenigen
Versuchswerten, und weil nur Seile einer Herstellungsart untersucht wurden, nicht
mit Sicherheit festgestellt werden. Es ergaben sich aus den Diagrammen folgende
Werte:Tabelle 11.
Seil ISeil IISeil IIIKraft in Richtung der Seilachse,welche zur Ueberwindung
derReibung zwischen den Seilele-menten aufzuwenden ist, in
kg405045
d) Formänderungsarbeit. Die Formänderungsarbeit der
Dehnung ist proportional der Fläche, welche begrenzt wird von der Dehnungskurve, den
Ordinaten des End- und des Anfangspunktes der Dehnungskurve und der Achse der
Verlängerungen.Beim neuen Seil ist die Formänderungsarbeit von der Zeit abhängig, in der die
Belastung vorgenommen wird. Beim einmal gedehnten Seil hingegen ist sie nahezu
konstant. Durch Planimetrieren der Diagramme in den Fig.
8, 9 und 10 sind die Formänderungsarbeiten bei Be- und Entlastungen für die
gedehnten Seile festgestellt (s. Tab. 12). Die Fläche zwischen den Be- und
Entlastungskurven ergibt die Verlustarbeit.Tabelle 12.
Seil ISeil IISeil IIIFormänderungsarbeit bei Belas-tung von 100 kg auf 950 kg
für 1 m Drahtseil in mkg1,2050,7750,63Formänderungsarbeit bei Entlas-tung von 950 kg auf 100
kg für 1 m Drahtseil in mkg1,0850,6650,56Verlustarbeit bei Be- und Ent-lastung von 100 kg auf 950
kg auf100 kg für 1 m Drahtseil in mkg0,1200,1100,07
Die Verlustarbeiten werden grösser ausfallen als bei diesen Versuchen, wenn das Seil
einer Zugbelastung ausgesetzt ist, unter der es sich aufdrehen kann.e) Dehnungskoeffizient. Die Versuche haben ergeben, dass
die Länge des Seiles nicht allein von seiner Belastung abhängig ist. Jedoch
entsprachen jeder Belastung des Drahtseiles eine grösste und eine kleinste Länge und
damit zwei bestimmte Grenzlagen für die Dehnungskurven. Diese zeigen, dass bei dem
Drahtseil das Hooke'sche Gesetz der Proportionalität
zwischen Dehnung und Spannung nicht erfüllt ist. Bei steigender Belastung werden die
Verlängerungszunahmen kleiner, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass sich bei
vergrösserter Belastung einem radialen Zusammenziehen der Seile immer wachsende
Kräfte entgegenstellen.Der Dehnungskoeffizient ist also veränderlich und soll folgendermassen festgelegt
werden: Während beim Proportionalitätsgesetz der Dehnungskoeffizient durch das
VerhältnisSeil No. I.Tabelle 13.
Last P in
kg100200300400500600700800900950 in kg/qcm42084012601680210025202940336037803990 in kg/qcm40080012001600200024002800320036003800 nach der Belastungskurve in kg/qcm12800001420000147000014800001490000150000015000001500000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm68000010300001260000142000014700001500000 nach der Belastungskurve in kg/qcm12300001350000140000014100001420000143000014300001430000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm65000098000012000001350000140000014300000,660,730,750,760,760,770,770,770,350,530,650,730,750,770,630,690,720,720,730,730,730,730,330,500,620,690,720,73
Seil No. II.Tabelle 14.
Last P in kg100200300400500600700800900950 in kg/qcm210420630840105012601470168018901995 in kg/qcm200400600800100012001400160018001900 nach der Belastungskurve in kg/qcm9500001050000114000011900001220000123000012300001230000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm390000750000910000105000011400001220000 nach der Belastungskurve in kg/qcm9100001000000108000011300001160000117000011700001170000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm3700007100008700001000000108000011600000,490,540,580,610,620,630,630,630,200,380,470,540,580,620,470,510,550,580,590,600,600,600,190,360,450,510,550,59
Seil No. III.Tabelle 15.
Last P in kg100200300400500600700800900950 in kg/qcm17034050067084010001170134015101590 in kg/qcm1603204806408009601120128014401530 nach der Belastungskurve in kg/qcm9600001050000113000011900001230000125000012700001270000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm490000780000940000105000011300001210000 nach der Belastungskurve in kg/qcm900000990000106000011200001160000118000012000001200000 nach der Entlastungskurve in kg/qcm460000730000880000990000106000011400000,490,540,580,610,630,640,650,650,250,400,480,540,580,620,460,510,540,570,600,610,620,620,240,370,450,510,540,59
bestimmt ist, soll er hier bestimmt sein durch den Grenzwert
dieses Verhältnisses, also durch:Dieser Dehnungskoeffizient ist für die beiden Grenzkurven zu bestimmen. Dabei müssen
die Kurvenstücke, die sich durch den Uebergang von der Belastung zur Entlastung und
umgekehrt ergeben, ausgeschaltet werden. Der Berechnung der Spannung ist wiederum
die Summe der Drahtquerschnitteund der Querschnitt senkrecht zum Seilzugrunde gelegt. Der Spannung in kg/qcm entspreche
der Dehnungskoeffizient des Seiles αs in qcm/kg. Der Spannung in kg/qcm entspreche
der Dehnungskoeffizient des Seiles α's in qcm/kg.Der reziproke Wert des Dehnungskoeffizienten des Drahtes ist kg/qcm.Die reziproken Werte des Dehnungskoeffizienten der Drahtseile sind in den Tabellen
13, 14 und 15 und in Fig. 11 niedergelegt und mit
dem des Drahtmaterials verglichen.
[Textabbildung Bd. 321, S. 252]
Fig. 11.Es zeigt sich somit, dass die Dehnungskoeffizienten mit wachsender Spannung
wesentlich abnehmen, wie sich das auch bei allen bisherigen Untersuchungen gezeigt
hatte.Versuche mit einem geölten Seil. Mit Seil No. III wurden
die Versuche wiederholt, nachdem das Seil mehrere Stunden in einem Oelbad gelegen
hatte. Ein Unterschied gegen die früheren Versuche konnte jedoch hierbei nicht
festgestellt werden.(Fortsetzung folgt.)