Titel: Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
Autor: W. Treptow
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 309
Download: XML
Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. Von W. Treptow, Charlottenburg. (Fortsetzung von S. 294 d. Bd.) Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. II. Die Munition. Treibmittel, Kartuschen, Geschosse. 1. Treibmittel. Textabbildung Bd. 321, S. 309 Fig. 19. Verschiedene Schwarzpulversorten (körnig, Würfel- und Prismenform). Bis in die sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts wurde allgemein das Schwarzpulver (Salpeter-, Schwefel-, Kohlegemisch) in mehr oder weniger fein oder gröber gekörnter Form verwendet. Es hatte den grossen Uebelstand, bei sehr hoher Anfangsspannung schnell fallenden Druck zu ergeben, da die Entzündung sehr plötzlich, explosionsartig erfolgte und zwar um so mehr, je feiner das Pulver war. Zugleich hatte das Schwarzpulver den Nachteil, je nach dem Feuchtigkeitsgehalt, der von der Witterung abhing, und nach Zufälligkeiten (wenn es z.B. stark zusammenbackte oder sehr locker lag) stark verschiedene Gasspannungen und demnach auch sehr verschiedene ballistische Leistungen zu ergeben. Man suchte diesen Uebelständen abzuhelfen und die Verbrennung zu regeln, bezw. zu verlangsamen, indem man das Pulver von vorne herein stark presste und körnte. Die Körner (Fig. 19 rechts) waren um so gröber, je schwerer das Geschütz war; sie wurden noch poliert, um Staubbildung zu verhüten und das Aufsaugen der Feuchtigkeit zu verhindern. In dem weiteren Bestreben die Verbrennung zu regeln, kam man von der Körnung zu bestimmter Formgebung beim Pressen und damit zum Würfelpulver und zum prismatischen Pulver (Fig. 19, Mitte und links). Die Verbrennung dieser Körper war erheblich langsamer, man erhielt geringere Anfangsgasspannungen, aber bei grossen, massiven Körpern oft sogar unvollkommene Verbrennung, so dass unter Umständen ein Teil des Pulvers unverbrannt aus dem Rohr herausgeschossen wurde. Man musste also dafür sorgen, dass trotz grosser Pulverkörper und langsamer Entzündung der gesamten Pulvermenge im weiteren Verlauf durch schnellere Verbrennung grosse Gasmengen, entsprechend dem Fortschreiten des Geschosses im Lauf, erzeugt wurden. Dies erreichte man dadurch, dass man die prismatischen Körner mit einem oder mehreren Verbrennungskanälen versah. Bei dieser Formgebung werden nämlich die Verbrennungsflächen von innen heraus mit dem Abbrennen der Pulvermasse grösser. Textabbildung Bd. 321, S. 310 Fig. 20. Braunes Geschützpulver. Weiter suchte man das Schwarzpulver zu verbessern, indem man das Mischungsverhältnis der Bestandteile oder die Bestandteile selbst änderte (man ersetzte z.B. den Kalisalpeter durch Ammonsalpeter) und verwendete bei niederer Temperatur hergestellte Kohle (braune Kohle). So entstand das Ammonpulver und das Braunpulver. Letzteres hat sich als Geschützpulver in grossen zylindrischen, dem Durchmesser der Kartusche angepassten, mit Luftkanälen durchbohrten Stücken (s. Fig. 20) recht gut bewährt, – so gut wie das eben ein an sich unvollkommenes, weil mechanisches Gemenge, konnte. Die nicht zu beseitigenden Nachteile des Schwarz- oder Braunpulvers aber – das sind hauptsächlich die starke Rauchentwicklung und die relativ grossen Verbrennungsrückstände, die die Verschlussteile und Rohre verschmieren, ferner die immerhin geringe Leistungsfähigkeit bei grossem Raumbedarf – waren nicht zu beseitigen. So haben denn seit Entdeckung der Schiessbaumwolle (Nitrozellulose, 1846 von Schönlein entdeckt) und des Nitroglyzerins (1847) wozu sich noch das 1864 von Nobel entdeckte Dynamit (Kieselguhr mit Nitroglyzerin getränkt) gesellte, die Bemühungen nicht aufgehört, diese Stoffe als Treibmittel zu verwenden, die bei etwa dreifacher Leistungsfähigkeit (auf das Gewicht bezogen) gleichmässiger in der Zusammensetzung und demnach auch in der Wirkung hergestellt werden können, die sich nach dem heutigen Stand der Technik zugleich durch verschiedene Formgebung in der Schnelligkeit der Verbrennung jeder Rohrlänge besser anpassen lassen, gefahrloser in der Anfertigung und auch in der Verwendung sind als loses Schwarzpulver, keine Verbrennungsrückstände ergeben und so gut wie rauchfrei sind. Diese Bemühungen waren jahrzehntelang erfolglos, weil es zunächst nicht gelang, die heftige, detonierende Wirkung bei der Entzündung dieser brisanten Stoffe in eine geregelte Verbrennung zu verwandeln. Mit Erfolg begann die Verwendung der Nitrozellulose zuerst Mitte der achtziger Jahre bei der Munition für Handfeuerwaffen. Die Forderung der Beschleunigung des Schiessens war unweigerlich gebunden an die Rauchfreiheit des Pulvers unter gleichzeitiger Vermeidung des Pulverschleimes. Die grössere Zahl von Patronen, die dadurch für den einzelnen Mann nötig wurde, die geforderte grössere Rasanz der Flugbahn zur Erhöhung der Treffsicherheit, – alles das wies auf die Einführung eines kleinern Kalibers hin. Diese Summe von Forderungen war nur durch einen Stoff zu erfüllen, der wie die Nitrozellulose eine ausserordentliche Energie auf die Gewichtseinheit entfaltete. Für Kriegszwecke kam die Nitrozellulose allgemein in Aufnahme als die Untersuchungen von Sarrau und Vieille gezeigt hatten, dass die Schiessbaumwolle, welche durch Gelatinierung mit organischen Lösungsmitteln, wie Aetheralkohol oder Essigäther, in eine zähe plastische Masse verwandelt wird, sich mit Leichtigkeit in Blättchen, Streifen, Faden oder Röhrenform (Fig. 21 und 22) bringen lässt, und sich in dieser Form auch bei den höchsten in den Schusswaffen vorkommenden Drucken in der Regelmässigkeit der Verbrennung wesentlich günstiger verhält als stark gepresstes Schwarz- oder Braunpulver. Immerhin ging die Verdrängung des Schwarz- oder Braunpulvers in der Geschütztechnik viel langsamer vor sich, als bei den Handfeuerwaffen. Erst die immer stärker auftretende Forderung grösserer Feuerschnelligkeit und möglichst absoluter Rauchfreiheit hat in den letzten Jahren das alte Treibmittel fast völlig verdrängt. Textabbildung Bd. 321, S. 311 Fig. 21. Rauchloses Pulver in Blättchen-, Teller- und Streifenform. Das Blättchenpulver wird in allen möglichen Grössen und Stärken der angenähert quadratischen Teile heute noch für Feuerwaffen aller Art bis herauf zu Geschützen benutzt, doch wird besonders für schwere Geschütze meistens das Röhrenpulver verwendet. Wie genau sich die Verbrennungsdauer des letzteren der Rohrlänge anpassen lässt, haben Versuche gezeigt, bei denen man starke Röhren in absichtlich zu kurzen Geschützrohren zur Entzündung brachte. Dabei wurden die Pulverröhren halb verbrannt herausgeschossen; ihre Form war vollständig erhalten. Das Pulver war, wie beabsichtigt, völlig schichtenweise verbrannt. Die Röhrenform gibt denselben Vorteil wie die oben erwähnten gelochten Prismen, dass nämlich von innen heraus die Verbrennungsoberflächen grösser werden. – Aus die Tellerform (Fig. 21) möchte ich noch hinweisen. Die Teller sind leicht gewölbt hergestellt und werden in der Kartusche derart paarweise, abwechselnd mit den konvexen und konkaven Seiten, aufeinander gelegt, dass sie eine Säule bilden, die infolge der Elastizität der Pulvermasse so weit federt, dass die Platten dadurch bei allseitigen Luftzwischenräumen genügend fest gelagert sind. Zur „Rauchlosigkeit“ ist noch zu bemerken, dass auch die Nitropulver immerhin etwas Rauch geben. Er ist aber sehr hell, verdeckt das Gesichtsfeld fast garnicht und verflüchtigt sich sehr rasch. Reine Nitrozellulosepulver geben einen etwas stärkeren Rauch, der aber gegenüber dem Schwarzpulver immer noch dampfartig durchsichtig ist und schnell verfliegt. Auch sollen reine Nitrozellulosepulver bei längerer Aufbewahrung gefährlicher sein, als Nitroglyzerin und bei höherer Temperatur zur Zersetzung und Selbstentzündung neigen. Dem muss durch grösste Sorgfalt schon bei der Fabrikation entgegengewirkt werden; die Munitionsräume werden so gelegt, dass sie an sich kühl (räumlich entfernt von Maschine und Kessel) liegen; vielfach sind sie für Tropenaufenthalt mit Kühlanlagen versehen. Es wird ferner behauptet, dass reine Nitrozellulosepulver, wie sie in Nordamerika verwendet werden, zu dem gefährlichen „Nachflammen“ neigen, d.h. die nach Abgabe des Schusses im Rohr zurückbleibenden heissen Gase haben die Neigung, bei Hinzutritt des Sauerstoffes der Luft (Oeffnen des Verschlusses) aufzuflammen. Auf einen solchen Nachflammer scheint das schwere Unglück an Bord des nordamerikanischen Linienschiffes Missouri zurückzuführen zu sein, bei dem am 13. April 1904 die gesamte Besatzung des hinteren Häuptgeschützturmes (32 Mann) ihr Leben verlor. Es erfolgte dabei, nachdem drei Schüsse abgegeben waren, bei Einführung der vierten Ladung eine Explosion, bei der nicht nur die neu eingeführte Kartuscle, sondern auch die gesamte im Turm und auf dem Munitionsaufzug befindliche Munition, im ganzen 900 kg, explodierte. Zur Vermeidung solcher Nachflammer ist dann nach der „Marine-Rundschau“ vorgeschlagen, die Rohre vor dem Oeffnen des Verschlusses mit Dampf auszublasen. Alle Nitropulver brauchen eine „Beiladung“ in der Kartusche, die ihrerseits durch das Zündhütchen (Knallquecksilber) entzündet wird, und dann die eigentliche Treibladung zur Entzündung bringt. Da Nitrozellulose schwerer entzündlich ist als Nitroglyzerin, so braucht sie eine grössere Beiladung, wodurch ein Teil der Vorzüge des Nitropulvers wieder verloren geht. Reines Nitroglyzerin ist eine Flüssigkeit und wird nicht verwendet. Es würde sehr hohe Spannung und sehr hohe Temperatur der Verbrennungsgase geben und damit schädlich auf die Rohre (Ausbrennungen in den Zügen) wirken. Zur Anwendung kommt aber vielfach Nitrozellulose, die einen höheren oder geringeren Prozentsatz an Nitroglyzerin enthält. So soll das in England verwendete Cordite nach verschiedenen Angaben 58–45 v. H. Nitroglyzerin enthalten. Da es auch damit noch stark agressiv auf die Rohrwandungen wirkte, soll in dem „modified Cordite“ der Nitroglyzeringehalt auf 30 v. H. herabgesetzt sein. – Je höher der Nitroglyzeringehalt, desto geringer wird die an sich schwache Rauchbildung und desto geringer kann die Beiladung werden; ganz fortfallen kann diese aber bei keinem Nitropulverl, da ein Zündhütchen allein zur Entzündung nicht genügen würde. Textabbildung Bd. 321, S. 311 Fig. 22 Rauchloses Röhrenpulver. Für die zu diesem Kapitel gegebenen Abbildungen, wozu auch noch die folgende Figur gehört, bin ich der „Zentralstelle für wissenschaftlich-technische Untersuchungen“ in Neubabelsberg und persönlich Herrn Geheimen Regierungsrat Professor Dr. Will für seine mir bereitwilhigst gewährte Hilfe zu grossem Dank verpflichtet. (Fortsetzung folgt.)