Titel: Zur Theorie der Gasdrosselung.
Autor: Adolf Langrod
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 705
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Zur Theorie der Gasdrosselung. Von Ing. Adolf Langrod, Wien. Zur Theorie der Gasdrosselung. Unter Drosselung verstehen wir die Einengung eines stetigen Flüssigkeitsstromes, insofern sie einen Druckabfall verursacht. Dieser Druckabfall wird nicht durch jede Einengung und nicht unter allen Umständen bewirkt, und so ergibt sich die Notwendigkeit die Grösse der Einengung und die Umstände zu bestimmen, die zur Drosselung führen. Der Drosselungsdruckabfall ist eine Folge mehrerer verschiedener Einzelerscheinungen, die entsprechend den, die Einengung des Flüssigkeitsstromes begleitenden Umständen einzeln oder zusammen auftreten. Die Thermodynamische Theorie der Drosselung ist dieselbe wie die des Druckabfalles durch Reibungswiderstände und kann deshalb als vollständig erledigt betrachtet werden. Wir werden sie daher als bekannt annehmen und uns nur mit den Bedingungen des Auftretens der Drosselung wie auch mit den die Drosselung jeweilig ausmachenden Erscheinungen befassen. Textabbildung Bd. 321, S. 705 Fig. 1. Nehmen wir folgendes Schema an (Fig. 1). Ein grosser Gasbehälter oder Gaserzeuger, in welchem das Gas ruhend und sein Zustand unveränderlich angenommen werden kann, sei durch eine zylindrische Leitung mit einem Gasempfänger (z.B. mit einem Motor), welcher stets ein ganz bestimmtes sekundliches Gasvolumen aus der Leitung entnimmt, verbunden. Den Gasempfänger mit der genannten Eigenschaft können wir ohne Aenderung der Strömungsvorgänge in der Leitung durch einen Zylinder ersetzen, in welchem ein Kolben eine bestimmte Bewegung vollführt. Je nachdem sich der Kolben mit unveränderlicher oder veränderlicher Geschwindigkeit bewegt, unterscheiden wir zwei getrennt zu behandelnde Fälle. A) Der Kolben bewegt sich mit unveränderlicher Geschwindigkeit. Dieser Fall gibt uns ein Bild des Vorganges in der Leitung der Dampfturbine. Die Gasströmung ist hier beharrlich und wird nach jeder Störung der Beharrlichkeit durch die durch Drosselung veränderte Strömungsdisposition nach kurzer Zeit bei neuer Strömungsdisposition wieder beharrlich. Wir können daher hier von der Behandlung des gedrosselten Gasstromes im Zustande der Nichtbeharrlichkeit absehen und uns nur auf die Untersuchung des mit der Zeit wieder beharrlich gewordenen gedrosselten Gasstromes beschränken. Eine Teilerscheinung der Drosselung bilden die Strömungswiderstände und da die Wirkung derselben bekannt ist, so werden wir, um unsere Untersuchung möglichst einfach und daher klar durchzuführen, von Berücksichtigung der Widerstände vorläufig absehen. Aus demselben Grunde wird die Strömung als adiabatisch angenommen. Als Einleitung sollen folgende Betrachtungen dienen. Zeichnen wir in einem Koordinatensysteme, in dem die Abszissen die Stromquerschnitte F und die Ordinaten die Drücke p darstellen, eine Reihe isentropen für verschiedene sekundliche Durchflussmengen Q und denselben Gaszustand p1, v1, w1 = 0, F1 = ∞ im Ausströmgefässe (Fig. 2). Aus der Formel für die Geschwindigkeit w=\sqrt{\frac{2\,g\,k}{k-1}\,p_1\,v_1\,\left[1-\left(\frac{p}{p_1}\right)^{\frac{k-1}{k}}\right]} ergibt sich, dass ganz unabhängig von der Durchflussmenge Q und für denselben Gaszustand im Ausströmgefässe einem bestimmten Drucke p eine bestimmte Geschwindigkeit w entspricht, woraus folgt, dass in Fig. 2 allen Punkten, die auf einer zur Abzissenachse parallelen Gerade liegen, dieselbe Geschwindigkeit entspricht. Textabbildung Bd. 321, S. 705 Fig. 2. Betrachten wir jetzt eine Reihe Fp-Isentropen für dieselbe sekundliche Durchflussmenge Q und verschiedene Zustände p1, v1 aber derselben Erzeugungswärme λ1 des Gases im Ausströmgefässe w1 = 0. F1 = ∞ (Fig. 3). Bekanntlich bilden die Linien gleicher Erzeugungswärme auch die Linien gleicher Geschwindigkeit. Bei absoluten Gasen, welche wir der Einfachheit halber voraussetzen, sind diese Linien in dem jetzt betrachteten Diagramme gleichseitige Hyperbeln. Textabbildung Bd. 321, S. 706 Fig. 3. Nach dieser Vorbereitung können wir an die Lösung des Drosselungsproblems in dem Falle unveränderlicher Kolbengeschwindigkeit herantreten. Textabbildung Bd. 321, S. 706 Fig. 4. In Fig. 4 entspricht die Isentrope A der Strömung vor der Drosselung. Dem Leitungsquerschnitte F0 entspricht auf der Isentrope A der Punkt a, dem Kolbenquerschnitte F2 der Punkt b. Verengen wir die Leitung an der Drosselstelle a (Fig. 1), so rückt der Punkt a auf der Isentrope A nach links. Dies geschieht so lange, bis in dem Drosselquerschnitt die Schallgeschwindigkeit erreicht wird, d. i. der Punkt a mit dem kritischen Punkte ak (Abszissenminimum) der Isentrope A zusammenfällt. Die Geschwindigkeit und der Zustand des Gases im Drosselquerschnitt ändern sich nunmehr bei weiterer Verengung des letzten nicht, daher verringert sich die sekundliche Durchflussmenge und zwar proportional mit der Verkleinerung des Drosselquerschnittes. Wir werden daher die Isentrope A verlassen müssen. Wurde der Drosselquerschnit Fk1 erreicht, so gilt nunmehr die Isentrope B und die ihr zukommende Durchflussmenge Q'. Dem Querschnitt Fk1 entspricht auf der Isentrope B der kritische Punkt a'k (p'k = pk, w' = wk) und dem Kolbenquerschnitt F2 der Punkt b'. Wie in der Fig. 4 ersichtlich ist, muss jetzt vor dem Kolben ein höherer Druck herrschen und der Kolben selbst eine höhere Geschwindigkeit haben als vor der Drosselung. Da die Kolbengeschwindigkeit unveränderlich bleiben soll, so müssen wir eine neue Isentrope suchen, der bei der neuen Durchflussmenge Q' die frühere Erzeugungswärme λ1 im Ausströmgefässe und für den Querschnitt F2 die frühere Kolbengeschwindigkeit w2 entsprechen. Zu diesem Zwecke führen wir durch den Punkt b (F2 . p2) eine Parallele zu der Abszissenachse bis zum Schnittpunkt e' mit der Isentrope B. Dem Punkte e' entspricht auf der Isentrope B die Kolbengeschwindigkeit w2. Führen wir jetzt durch e' eine gleichseitige Hyperbel (oder im allgemeinen die Kurve gleicher Geschwindigkeit für Isentropen von denselben Q' und λ, bis zum Schnittpunkt b'' mit der Ordinate des Punktes b und ziehen wir durch den so erhaltenen Punkt b'' eine Isentrope C, der die Durchflussmenge Q' und die Erzeugungswärme im Ausströmgefässe λ1 entsprechen, so ist in C die gesuchte Isentrope gefunden. Denn dem Punkte b'' entspricht der Kolbenquerschnitt F2 und auf der Isentrope C die Kolbengeschwindigkeit w2. Es gelten demnach während der Drosselung und nach Eintritt des Beharrungszustandes die Isentropen B und C. Der Uebergang von der einen auf die andere vollzieht sich durch den Verdichtungsstoss. Wir haben gesehen, dass in dem Falle einer unveränderlichen Kolbengeschwindigkeit die Teilerscheinungen der Drosselung einerseits durch die Strömungswiderstände an der Drosselstelle, andererseits durch einen Verdichtungsstoss gebildet werden. Bietet die Drosselstelle einen sehr kleinen Widerstand, so herrscht der Verdichtungsstoss vor. Letzter tritt erst dann auf, wenn der Drosselquerschnitt kleiner als der kritische wird. Für den Drosselungsdruckabfall, der sich aus der Differenz der Ordinaten der Punkte b und b'' bestimmt, lässt sich leicht eine Formel aufstellen. Ich unterlasse dies jedoch, da uns sowohl der Verdichtungsstoss wie auch seine Folgen der Grösse nach viel zu wenig bekannt sind und daher unsere Theorie nur auf die Erklärung der Art der Drosselungserscheinungen Anspruch erhebt. B) Der Kolben bewegt sich mit veränderlicher Geschwindigkeit. Wir haben hier mit unbeharrlicher Strömung zu tun. Es gibt folgende drei Arten eindimensionaler Strömung: 1. Die beharrliche Strömung, bei welcher die jedem Stromquerschnitte entsprechenden Gaszustandsgrössen mit der Zeit unveränderlich sind. Jeder Stromquerschnitt wird hier durch dieselbe, mit der Zeit unveränderliche, sekundliche Gasmenge durchströmt. 2. Den Stromquerschnitten entsprechende Zustandsgrössen sind Funktionen der Zeit. Die sekundliche Durchflussmenge verändert sich zwar mit der Zeit, ist aber für jeden Querschnitt dieselbe. Diese Strömung ist nur dann möglich, wenn der ganze Gasstrom dem Einflüsse bestimmter äusserer Kräfte unterworfen ist. Für eine sehr kurze Zeit kann diese Strömung als beharrlich betrachtet werden und wird es auch sofort vollkommen, sobald die äusseren Kräfte aufgehoben werden.Sowohl für die erste als auch für die zweite Strömungsart gilt dieselbe Kontinuitätsgleichung. 3. Die dritte Strömungsart ergibt sich aus der zweiten, wenn die Kontinuitätsgleichung die Gültigkeit verliert, das ist wenn die Stromquerschnitte durch verschiedene sekundliche Gasmengen durchströmt werden. Diese Strömung tritt stets auf, sobald an irgend einer Stelle des beharrlichen Stromes das Gas beschleunigt oder verzögert wird, was z.B. durch Beschleunigung oder Verzögerung des Kolbens (Fig. 1) oder Veränderung der Grösse irgend eines Stromquerschnittes hervorgerufen werden kann. Nach Aufhebung der Störung der Beharrlichkeit wird die betrachtete Strömung erst im Verlauf einer längeren oder kürzeren Zeit wieder beharrlich, wobei bei ververänderter Strömungsdisposition, wie wir früher nachgewiesen haben, ein Verdichtungsstoss in beharrlicher (wenn auch turbulenter) Strömung auftreten kann. Sollte eine beharrliche Gasströmung im nächsten Zeitelemente nach der Störung der Beharrlichkeit (z.B. durch Beschleunigung des Kolbens) weiter beharrlich bleiben, so müsste das Gas in jedem Stromquerschnitte eine Beschleunigung erfahren. Erhält der Kolben F2 die Beschleunigung \frac{d\,w_2}{d\,t}, so ergibt sich durch Differenzierung der Kontinuitätsgleichung \frac{F_2\,w_2}{v_2}=\frac{F\,w}{v}=Q folgende Beziehung: \frac{d\,w}{d\,t}=\frac{w}{w_2}\cdot \frac{a^2-3\,{w^2}_2\,\frac{k-1}{k+1}}{a^2-3\,w\,\frac{k-1}{k+1}}\cdot \frac{a^2-w^2\,\frac{k-1}{k+1}}{a^2-{w^2}_2\,\frac{k-1}{k+1}}\cdot \frac{d\,w_2}{d\,t} 1) wobei a die in der isentropischen Strömung, bei dem Gaszustände p1, v1 im Ausströmgefässe erreichbare Schallgeschwindigkeit bedeutet. a^2=\frac{2}{k+1}\,g\,k\,p_1\,v_1. Die Gasmasse, die in einer zylindrischen Leitung von der Länge l enthalten ist, beträgt M=\frac{l\,F}{g\,v} oder mit Berücksichtigung der Kontinuitätsgleichung und der Beziehung zwischen dem spez. Volumen und der Geschwindigkeit. M=\frac{F_2}{g\,v_1\,a^{\frac{2}{k-1}}}\cdot l\cdot \frac{w_2}{w}\,\left[a^2-{w^2}_2\,\frac{k-1}{k+1}\right]^{\frac{1}{k-1}} . . 2) Die Kraft, die auf die Masse M wirken müsste, damit die beharrliche Strömung im nächsten Zeitelement nach dem Auftreten der Beschleunigung \frac{d\,w_2}{d\,t} weiter beharrlich bleibe, oder, was dasselbe ist, damit in der zylindrischen Leitung keine Druckdifferenzen entstehen, beträgt P=M\,\frac{d\,w}{d\,t} . . . . . . . 3) Fehlt diese Kraft, so tritt ein Druckabfall auf. Aus den Gleichungen 1, 2 und 3 folgt, dass die Kraft P um so grösser ist, je grösser die Geschwindigkeit w und die Leitungslänge l sind. Von praktischer Wichtigkeit sind nur jene Fälle, wo die Geschwindigkeit w die Schallgeschwindigkeit a nicht übertrifft. In diesen Fällen wächst die Geschwindigkeit mit der Abnahme des Querschnitts. Ist demnach die Leitung kurz aber weit, so kann man vielfach die Druckdifferenzen vernachlässigen, die Strömung daher als beharrlich (nach der unter 2 hervorgehobenen Art) ansehen, was z.B. von der Bewegung des Dampfes im Dampfzylinder der Dampfmaschine bisher durchwegs angenommen wurde. In langen aber engen Leitungen hingegen, wie z.B. in der Leitung zwischen dem Kessel und der Dampfmaschine, verursacht jede Störung der Beharrlichkeit bedeutende Druckdifferenzen. Zu der Störung der Beharrlichkeit durch die ungleichmässige Kolbenbewegung tritt jene durch die Drosselung hinzu. Verengen wir eine Gasleitung an einer Stelle, so wird das Gas an dieser Stelle beschleunigt. Erstreckt sich diese Verengung nur auf eine geringe Leitungslänge und wurde in der Verengung die Schallgeschwindigkeit nicht erreicht, so können wir die durch diese Verengung verursachte Störung der Beharrlichkeit vernachlässigen. Wird aber nach Erreichung der Schallgeschwindigkeit die Verengung noch weiter getrieben, so verkleinert sich dadurch die sekundliche Durchflussmenge, was im allgemeinen eine empfindliche Störung der Beharrlichkeit verursacht. Aus unseren Betrachtungen folgt, das bei kurzen aber weiten Gasleitungen (z.B. Zylinder der Dampfmaschine) der Drosselungsdruckabfall einerseits durch die Strömungswiderstände, andererseits durch die Störung der Beharrlichkeit nach Unterschreitung des kritischen Querschnitts an der Drosselstelle bewirkt wird. Ich habe diesen Fall in dem Aufsatze: „Zur Theorie der Dampfdrosselung in den Einlasskanälen der Dampfzylinder“ in dieser Zeitschrift 1905, 320, Heft 48, eingehender behandelt. Ist hingegen die Gasleitung lang und eng, dann tritt zu den genannten Ursachen des Drosselungsdruckabfalls noch die ungleichmässige Dampfentnahme (veränderliche Kolbengeschwindigkeit in Fig. 1) hinzu. Da es sich hier hauptsächlich um periodisch arbeitende Dampfempfänger handelt, so können wir von einer mittleren sekundlichen Dampfmenge sprechen. Diese letztere, in Rechnung gezogen, ergibt leicht den kritischen Querschnitt, der keinesfalls und an keiner Leitungsstelle unterschritten werden darf, wenn Drosselung nicht beabsichtigt ist. Ich habe diesen Fall in dem Aufsatze: „Ueber die Grösse der Lokomotiv-Regulator-Einströmöffnung“ in Glasers Annalen für Gewerbe und Bauwesen 1906, 58, Heft 1 eingehender behandelt. Um mich nicht zu wiederholen, begnüge ich mich mit dem Hinweise auf die genannten zwei Aufsätze. Eine notwendige Ergänzung dieser Aufsätze (bezüglich der Widerstände), wie auch des vorliegenden bildet mein Aufsatz in dieser Zeitschrift 1906, 321, Heft 8: „Synthetische Untersuchung der Gasströmung mit Berücksichtigung der Widerstände“. Aus der vorliegenden Abhandlung erhellt wohl, dass das Problem der Drosselung der experimentalen Forschung ein ausgedehntes und noch wenig berührtes Arbeitsgebiet bietet.