Titel: Zur Untersuchung der Eingriffsverhältnisse des Schneckengetriebes.
Autor: Gustav Kull
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 721
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Zur Untersuchung der Eingriffsverhältnisse des Schneckengetriebes. Von Gustav Kull. Zur Untersuchung der Eingriffsverhältnisse des Schneckengetriebes. Beim Aufzeichnen des Schneckeneingriffsfeldes nach den von Ernst in seinem Buche „Die Eingriffsverhältnisse der Schneckengetriebe“ gemachten Angaben stösst man auf eine Schwierigkeit: es ist nämlich, besonders bei zwei- und mehrgängigen Schnecken, nicht ohne weiteres möglich, das Eingriffsfeld durch einen stetig verlaufenden Kurvenzug zu umgrenzen. Die gestrichelte Begrenzungslinie des in Fig. 1 gezeichneten Eingriffsfeldes einer eingängigen Evolventenschnecke weist noch kaum Unstetigkeiten oder jähe Krümmungsänderungen auf. Bei zwei- und mehrgängigen Schnecken stellen sich solche ein, und selbst wenn man die Zahl der Untersuchungsebenen vermehrt um so mehr Punkte der Kurve zu erhalten – eine ungemein zeitraubende Arbeit –, so ist es doch nicht möglich, die Form der gestrichelten Begrenzungslinie mit einiger Sicherheit zu bestimmen, zumal da gerade an der kritischen Stelle die Kurvenpunkte durch sogenannte lange Schnitte erhalten werden und daher sehr schwierig genau zu erlangen sind. Es soll im folgenden angegeben werden, wie man den wirklichen Verlauf dieser gestrichelten Begrenzungslinie auch ohne Vermehrung der Zahl der Untersuchungsebenen sehr genau ermitteln kann. Textabbildung Bd. 321, S. 721 Fig. 1. Textabbildung Bd. 321, S. 721 Fig. 2. Um ein unmittelbares Verständnis der folgenden Ausführungen zu ermöglichen, seien zunächst die Grundzüge der von Ernst in seinem Buche gegebenen Entwicklungen in aller Kürze mitgeteilt. Die gleiche Drehbewegung, welche die in Fig. 2 gezeichnete Schnecke bei der Drehung um ihre eigene Achse dem Rade mitteilt, kann auch erzielt werden, wenn die Schnecke, anstatt sich um ihre Achse zu drehen, sich entlang ihrer Achse geradlinig fortbewegt, in der Weise, dass die Schnecke im selben Zeitraum, in welchem sie vorher eine Umdrehung um ihre Achse vollführte, hernach um eine Ganghöhe entlang der Achse in der durch den eingeklammerten Pfeil angedeuteten Richtung fortrückt. Mit anderen Worten: an dem Vorgang der Bewegungsübertragung wird theoretisch nichts geändert, wenn die Drehbewegung der Schnecke durch eine geradlinige Bewegung ersetzt gedacht wird; und es leuchtet ein, dass die Schnecke, für die theoretische Untersuchung, aufgefasst werden kann als Zahnstange (deren Zähne eben nicht wie sonst eine prismatische, sondern eine etwas kompliziertere Form aufweisen). Die Teilgerade FF dieser Zahnstange ist die Aufrissprojektion einer Horizontalebene, der Teilebene; der Teilkreis GG des Rades ist die Aufrissprojektion eines Zylinders, des Teilzylinders, und die gekennzeichnete Bewegung des Systems vollzieht sich in der Weise, dass die Teilebene FF entlang der Achse MM sich selbst parallel fortrückt, wobei der Teilzylinder GG darüber hinrollt. Textabbildung Bd. 321, S. 721 Fig. 3a. Um über die Eingriffsverhältnisse der verschiedenen Zahnstangenpunkte Aufschluss zu erhalten, schneiden wir, durch senkrecht parallel der Achse gelegte Untersuchungsebenen A, M, A1, beliebig viele sehr dünne Scheiben aus der Zahnstange heraus. Die Schnittform einer solchen dünnen Scheibe ist in Fig. 8 gezeichnet. Wir haben uns die Aufgabe zu stellen, die zugehörige Eingriffslinie, weiterhin die zugehörige Schnittform des Radzahns zu bestimmen. Um zunächst die Eingriffslinie zu erlangen, haben wir, wie bekannt, in beliebigen Punkten des Schnittformprofils AA (Fig. 9) Normalen zu errichten. Nun ist das zeichnerische Errichten von Normalen auf Kurven eine Arbeit, die nicht leicht genau gemacht werden kann, zumal wenn, wie hier, zu befürchten ist, dass bei Aufzeichnung der Kurve selbst schon Ungenauigkeiten unterlaufen sind. Ernst gibt daher für die Ermittelung der Neigung einer Normalen gegen die Horizontale ein besonderes Verfahren an, welches in aller Kürze wiedergegeben werden soll. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 3b. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 4a. In der Fig. 3a ist im XYZ-System ein kleines Stück einer Schnecke gezeichnet, deren Ganghöhe h ist. Die Z-Achse ist gleichzeitig Schneckenachse, XZ-Ebene Mittelebene des Rades, die im Abstand y = a von derselben entfernte Ebene A (Fig. 3b) ist unsere Untersuchungsebene. Der Radialabstand eines in dieser Ebene A gelegenen Schneckenpunktes P von der Z-Achse ist mit r = OP' bezeichnet (s. auch Fig. 4b), seine Höhe über der Grundrissebene mit z. Die Neigung der Erzeugenden der Schneckenfläche im Punkte P ist mit d bezeichnet (s. Fig. 3a und 4b). Es liegt die Aufgabe vor, die Richtung der zum Punkt P gehörigen, in die Ebene A fallenden Normale auf die Schneckenfläche zu bestimmen, eine Aufgabe, die als gelöst zu betrachten ist, wenn statt der Richtung der Normalen selbst die Richtung des Kurvenelementes P, der Winkel β (Fig. 3a und 4c), bestimmt ist. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 4b. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 4c. In den Fig. 4a, b und c ist die Grundrissebene, die Radialebene R und die Untersuchungsebene A besonders gezeichnet. Aus Fig. 4c ergibt sich: z=\frac{h}{2\,\pi}\,\varphi\,\mp\,\zeta; wir leiten nach r ab und erhalten: \frac{d\,z}{d\,r}=\frac{h}{2\,\pi}\,\frac{d\,\varphi}{d\,r}\,\mp\,\frac{d\,\zeta}{d\,r}=\frac{h}{2\,r\,\pi}\,\frac{r\,d\,\varphi}{d\,r}\,\mp\,\frac{d\,\zeta}{d\,r}. Gemäss den aus den Fig. 4a und 4b abgelesenen, den Figuren beigeschriebenen Beziehungen ergibt sich: \frac{d\,z}{d\,r}=\frac{h}{2\,r\,\pi}\,\mbox{cotg}\,\varphi\,\mp\,\mbox{tang}\,\delta, weiterhin nach Fig. 4a und 4c mit cotang ϕ . sin ϕ = cos ϕ: \frac{d\,z}{d\,r}\,\frac{d\,r}{d\,x}=\frac{d\,z}{d\,x}=\frac{h}{2\,r\,\pi}\,\cos\,\varphi\,\mp\,\mbox{tang}\,\delta\,\sin\,\varphi=\mbox{tang}\,\beta, und mit Einführung des Steigungswinkels ψ gemäss Fig. 5: tang ψ cos ϕ ∓ tang δ sin ϕ = tang β. Die von Ernst angegebene graphische Auswertung dieses Ausdrucks lässt das Diagramm (Fig. 6) ohne weiteres erkennen, n bedeutet hier eine beliebig angenommene Strecke. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 5. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 6. Für verschiedene Schneckenpunkte ändern sich die Werte von r und ϕ, bei Cykloidenschnecken auch der Wert Von δ. Für Evolventenschnecken hingegen ist δ konstant. Die Strecke a tritt im Diagramm nicht auf. Durch Summierung bezw. Subtraktion der beiden stark ausgezogenen Strecken erhält man eine Strecke n . tang β, und der Winkel β erscheint alsdann beim Konstruieren der Eingriffslinien (s. Fig. 9 und 10) in einem rechtwinkligen Dreieck, dessen Katheten die Länge l und n haben. In welcher Weise des weiteren mit Hilfe dieses Winkels β, welcher die Neigung eines Kurvenelements P (Fig. 4c) gegen die Wagerechte bezw. die Neigung der zugehörigen Normalen gegen die Senkrechte darstellt, die Eingriffslinie und das Gegenprofil für die verschiedenen Schnittformen AA, MM, A1A1 usw. bestimmt wird, kann an dieser Stelle als bekannt vorausgesetzt werden. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 7. Textabbildung Bd. 321, S. 722 Fig. 8. Den folgenden Entwicklungen ist eine zweigängige Evolventenschnecke zugrunde gelegt (Fig. 11). Die Untersuchungsebene AA liefert uns die in Fig. 8 gezeichnete Schnittform, welche gleichzeitig das Spiegelbild der durch die Untersuchungsebene A1A1 gelieferten Schnittform darstellt, vorausgesetzt dass die Ebenen AA und A1A1 von der Mittelebene MM absolut genommen gleich weit entfernt sind. In Fig. 9 ist für das konkave Schnittprofil der Untersuchungsebene AA Eingriffslinie und Radzahn eingezeichnet. Die brauchbare Strecke der Eingriffslinie E wird begrenzt durch den Kopfkreis K des Rades einerseits und durch die Kopfgerade L der Zahnstange andrerseits. Die wagerecht gemessenen Abschnitte q und v der Eingriffslinie werden sinngemäss in den Grundriss der Schnecke (Fig. 11) eingetragen und so zwei Punkte des Eingriffsfeldes erlangt. Textabbildung Bd. 321, S. 723 Fig. 9. In Fig. 10 ist für das konvexe Schnittprofil der Untersuchungsebene A1A1 Eingriffslinie und Radzahn eingezeichnet. Auf der linken Seite wird die Eingriffslinie auch hier begrenzt durch den Kopfkreis K; auf der rechten Seite kann die Eingriffslinie nicht bis zu dem Punkt benutzt werden, wo sie von der Kopfgeraden L geschnitten wird; es tritt hier eine Eingriffstörung ein. Textabbildung Bd. 321, S. 723 Fig. 10. Wie diese Eingriffstörung zustande kommt, sei an Hand eines Beispiels erläutert. Fig. 7 stellt das Schema zweier zusammenarbeitender Evolventenräder dar. Die Punkte der Zahnflanke mxy entsprechen den Punkten mXY der Eingriffslinie. Der Zahnpunkt x kommt an der Stelle X zum Eingriff mit einem Zahn des anderen Rades, der auf dem Grundkreis gelegene Zahnpunkt y an der Stelle Y. Der Eingriffsstelle Z entspricht ein Zahnpunkt z, der wieder ausserhalb des Grundkreises liegt, in die Zahnlücke hineinfällt und deshalb tatsächlich gar nicht vorhanden sein kann, wie aus der Figur ohne weiteres ersichtlich. Die Eingriffslinie kann nur bis zum Punkte Y benutzt werden. Allgemein kann gesagt werden: die Eingriffslinie darf nicht dem Radmittelpunkt sich zuerst nähern und dann wieder sich von ihm entfernen, mit andern Worten: die Eingriffslinie ist nur bis zu dem Punkte brauchbar, in welchem dieselbe von einem um das Radmittel geschlagenen Kreis berührt wird (oder auch: in welchem sie von einer Zentralen C rechtwinklig geschnitten wird). In Fig. 10 wird nun die Eingriffslinie E an der Stelle Y von einem um das Radmittel geschlagenen Kreise berührt, beziehungsweise von einer Zentralen C rechtwinklig geschnitten; sie ist daher nur bis zum Punkte Y brauchbar. – Die wagerecht gemessenen Abschnitte p1 und v1 der Eingriffslinie werden wiederum sinngemäss in den Grundriss (Fig. 11) eingetragen und so zwei neue Punkte des Eingriffsfeldes erlangt. Aus dem soeben gesagten entnehmen wir folgendes: während der Verlauf der ausgezogenen Begrenzungskurve des Eingriffsfeldes (Fig. 1 und 11) in Schnittform AA und in Schnittform A1A1 und, wie sich leicht zeigen lässt überhaupt in allen Untersuchungsebenen bestimmt ist durch die Höhe der Radzähne in den betreffenden Untersuchungsebenen, ist der Verlauf der gestrichelten Begrenzungskurve (Fig. 1) bestimmt teils durch die Höhe der Zahnstangenköpfe, teils durch das Auftreten der gekennzeichneten Eingriffsstörung. Diese gestrichelte Begrenzungslinie wird nun aber an der Stelle, wo sie diejenige Untersuchungsebene trifft, in welcher die Eingriffstörung eben beginnt sich bemerkbar zu machen, einen Knick, eine Ecke aufweisen; anders ausgedrückt: die gestrichelte Begrenzungslinie (Fig. 1) setzt sich aus zwei Kurven zusammen, einer, welche erhalten wird, wenn für die Begrenzung der einzelnen Eingriffslinien nur die Zahnstangenkopfhöhen zugrunde gelegt werden, und aus einer zweiten (in Fig. 11 strichpunktierten), welche entsteht, wenn man für die Begrenzung der einzelnen Eingriffslinien nur die Eingriffsstörung in Betracht zieht. Diese beiden Kurven, die gestrichelte und die strichpunktierte (Fig. 11) schneiden sich in zwei Punkten. Um den Verlauf beider Kurven genau zu erhalten, verlängern wir sie über den Schnittpunkt hinaus; wir überhöhen in Schnittform AA (Fig. 9), wo eine Eingriffsstörung tatsächlich nicht auftritt, den Zahnstangenkopf und verlängern entsprechend die Eingriffslinie bis zu dem kritischen Punkte Y, wo dieselbe von einer Zentralen C rechtwinklig geschnitten wird. Der so erhaltene wagerecht gemessene Abschnitt p der Eingriffslinie wird sinngemäss in den Grundriss (Fig. 11) eingetragen, und so ein Punkt für die Verlängerung der strichpunktierten Kurve gewonnen. In ähnlicher Weise wird in Fig. 10 die Eingriffslinie E über den Punkt Y hinaus verlängert bis zum Schnitt mit der Kopfgeraden L. Der dadurch erhaltene Abschnitt q1 liefert uns im Grundriss einen Punkt für die Verlängerung der gestrichelten Kurve. In ganz derselben Weise werden in der Mittelschnittebene MM, die eine regelrechte Evolventenzahnstangen-Verzahnung zeigen wird, die Abschnitte n für die ausgezogene, m für die gestrichelte, k für die strichpunktierte Kurve erhalten. Jede Untersuchungsebene liefert uns drei Kurvenpunkte. Da die so erhaltenen Kurven einen ganz stetigen Verlauf haben und keine jähen Krümmungsänderungen aufweisen, so ist es möglich, mit einer ganz geringen Zahl von Untersuchungsebenen auszukommen. Textabbildung Bd. 321, S. 723 Fig. 11. Bei drei- und viergängigen Schnecken wird sich die Eingriffstörung in stärkerem Masse geltend machen: die strichpunktierte Kurve wird ein noch grösseres Stück von der durch die gestrichelte Kurve umschlossenen Fläche abschneiden. Bei eingängigen Schnecken, besonders wenn der Schneckendurchmesser gross und die Radbreite klein ist, wird sich die Eingriffstörung nur in geringem Masse oder auch gar nicht bemerklich machen: die strichpunktierte Kurve kann die gestrichelte gerade berühren, oder es können die Schnittpunkte beider Kurven imaginär werden. Die Aufzeichnung der strichpunktierten Kurve ist dann unnötig.