Titel: Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin.
Autor: Wolfgang Vogel
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 772
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Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin. Von Wolfgang Vogel, Ingenieur, Berlin-Wilmersdorf. Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin. Wer die neuen prächtigen Hallen der „Internationalen Automobilausstellung, Berlin“ durchwandert hat und dabei aufmerksam die ausgestellten Erzeugnisse betrachtete, dem muss es aufgefallen sein, dass die Ausstellung so wie noch keine andere unter dem Zeichen des „Kleinen Wagens“ stand. Man fing vor etlichen Jahren an, die kleinen Wagen herzustellen. Der Zweck, den man damals mit der Herstellung eines wohlfeilen Automobils verfolgte, war der, überhaupt einmal erst Käufer für die neue Art von Fahrzeugen – die Automobile – zu gewinnen, denn damals wollten auch diejenigen nicht recht sich an die „Sache“ heranwagen, welche hinreichende Mittel zur Anschaffung eines teuren Wagens hatten. Grosses Interesse für die Automobile lag eben damals noch nicht vor, und es entschloss sich deshalb nur verhältnismässig selten bei uns jemand zur Anschaffung eines grösseren Fahrzeuges. Der „Kleine Wagen“ oder die „Voiturette“, wie man damals sagte, sollte nun durch seinen billigen Preis auch die zu Jüngern des Automobils machen, die vorsichtig zunächst mit geringem Anlagekapital versuchen wollten, was denn überhaupt für Vorteile und Annehmlichkeiten das Automobil bieten könne. Heute baut man den „Kleinen Wagen“ aus einem anderen Grunde. Er soll durch seinen billigen Preis auch den „kleinen Geldbeuteln“ Rechnung tragen, welche nicht die Summe für einen grossen Wagen aufbringen können Man kann deutlich beobachten, dass selbst die Fabriken, die früher ausschliesslich Motorräder bauten, heute diesen Zweig vernachlässigen und sich dem „Kleinen Wagen“ zuwenden, der in nicht zu ferner Zeit eine Verbreitung haben dürfte, wie sie bis heute weder das Motorzweirad noch das grosse Automobil besitzt. Von dem grossen Automobil war auf der Ausstellung eine stattliche Anzahl gut ausgeführter Exemplare. Ebenso wie bei den Ausstellungen der allerletzten Zeit, fallen die grossen Wagen nicht durch epochemachende umwälzende Neuheiten in der Konstruktion auf. Dagegen lassen sie vielfach ausserordentlich sinnreich erdachte Einzelkonstruktion erkennen, die zu betrachten von höchstem Interesse ist. Die Einzelteilindustrie zeigte sich ebenfalls hoch entwickelt. Man stellt heute Zündapparate, Pneumatiks, Kühler usw. usw. massenweise und mit einer Genauigkeit her, wie sie früher nicht möglich war. Die Preise sind mit Berücksichtigung des gebotenen niedrig zu nennen. Durch Einfachheit zeichnet sich der „Itala-Wagen“ aus. Unter anderem ist ein 20–30 PS-Chassis zu nennen. Bei der Abreisszündung dieser Wagen ist ein eigentliches Abreissgestänge vermieden. Die an senkrechten Wellen sitzenden Abreissnocken wirken hier unmittelbar auf die Abreisshebel ein. In dem Streben nach möglichster Einfachheit hat die Firma auch die Anbringung je eines Steuernockens für die Abreisszündung eines jeden Zylinders vermieden, und es dient immer ein Steuernocken gleichzeitig für zwei Zylinder. Auch die Federn, welche die Abreisshebel gegen die Nocken pressen, sind für je zwei Abreisshebel gemeinsam. Die Zündvorrichtung des Vierzylindermotors arbeitet also mit im ganzen nur zwei Zündnocken, ohne Abreissgestänge und mit nur zwei Federn an allen vier Abreisshebeln. Hübsch ist auch die Stromleitung durch eine Drahtfeder, welche schnelles Abnehmen gestattet. Der Zündflansch ist ohne Dichtungsring in den Zylinderkopf eingesetzt. Je zwei Zündflanschen werden durch einen gemeinsamen Bügel gehalten, so dass auch hier ein eventl. nötiges Auseinandernehmen in kurzer Zeit bewerkstelligt werden kann. Der Vergaser hat ein selbsttätiges Ventil für die Zusatzluft. Ein im Schwungrade des Motors befindlicher Ventilator saugt die Luft durch den Rückkühler hindurch. Die Wasserzirkulation wird durch eine Zentrifugalpumpe bewirkt. Der Führer hat drei Pedale zu bedienen, nämlich links das Pedal der Kupplung, die als Lamellenkupplung ausgebildet ist. Bei dieser Kupplung läuft übrigens Stahl auf Stahl, während viele Firmen beide Scheibenserien gern aus verschiedenem Material wählen. Das zweite Pedal bedient zugleich Hinterradbremse und Kupplung, während das dritte auf Kupplung und Getriebebremse einwirkt, welch letztere Wasserkühlung besitzt. Die Hinterradbremse kann auch durch einen Handhebel betätigt werden. Eigenartig ist die Schmiervorrichtung. Am Spritzbrett des Wagens befindet sich der Oelbehälter, in dem ein Paternosterwerk läuft. Dieses erhält seinen Antrieb durch eine Stahlspirale vom Motor aus. Die kleinen Schöpfeimer des Paternosterwerkes fördern das Oel aus dem Oelkasten in kleine Sammelrinnen, aus denen es mit natürlichem Gefälle zu den zu schmierenden Stellen gelangt. Der Wagen hat Cardanantrieb. Der mit Kulissenschaltung arbeitende Geschwindigkeitswechsel hat vier „Gänge“. Beim grossen „Gang“ findet direkter Eingriff statt. Ein am Spritzbrett befindliches Manometer zeigt dem Führer den in dem unter Druck der Auspuffgase stehenden, tief liegendem Benzinreservoir herrschenden Druck an. Die Daimler Gesellschaft ordnet jetzt ausser dem Ventilator im Schwungrad noch einen Ventilator unmittelbar hinter dem Kühler an. Der Motor hat Schmierung, die durch eine im Oelkasten liegende und von der Maschine betätigte Pumpe gespeist wird. Die Zündung ist Abreisszündung. Die Zylinder sind paarweise zusammengegossen. Die Ventilverschlüsse werden durch Bügel gehalten, der Motor hat Regulator. Für Bremse und Kupplung stehen drei Pedale zur Verfügung, ausserdem ist Handbremse vorgesehen. Das Getriebe hat Mercedesschaltung (Kulissenschaltung). Der Antrieb erfolgt durch Kette, die Kupplung ist von besonderer Konstruktion. Diese Wagen sind bekannt genug, so dass ich hier auf Einzelheiten nicht eingehe. Gleich daneben befand sich die Ausstellung von Benz & Co. (Rheinische Gasmotorenfabrik), Mannheim. Das Werk baut für gewöhnlich seine Wagen mit Cardanantrieb und gibt ihm nur, falls es besonders gewünscht wird, Antrieb mit Kette. Der Motor hat Doppelzündung, die Magnetzündung arbeitet mit Abreissfunken. Von den ausgestellten beiden Chassis besitzt das 50 PS Cardanantrieb, das 40 PS Kettenantrieb. Das Getriebe hat Kulissenschaltung. Von den, vor dem Führersitz angebrachten drei Pedalen, betätigt von links nach rechts gerechnet das erste die Bremse, das mittlere die Kupplung. Das dritte ist wieder Bremspedal. Die beiden Fussbremsen wirken auf die Kettenradwelle beim Kettenwagen, beim Cardanwagen auf das Getriebe. Neben dem Geschwindigkeitshebel liegt noch ein Handhebel, durch den die Innenbremsen der Hinterräder angezogen werden können. Benz verwendet Konuskupplung, die jetzt seltener wird. Das Benzin steht unter Abgasdruck, der hinter dem Kühler angebrachte Ventilator ist so gelagert, dass er durch eine Feder immer aufwärts gezogen und dadurch der zu seinem Antrieb dienende Riemen gespannt gehalten wird. Die Hansa Automobilgesellschaft m. b. H. Varel, Oldenburg zeigt auf ihrem Stande sowohl grosse Vierzylinder, als auch Fahrzeuge, die zur Gattung der „kleinen Wagen“ gehören. Bei diesen Wagen ist der eigentümliche gepresste Rahmen (Fig. 1) hervorzuheben. Es bestehen der Rahmen und die unteren Seitenteile der Karosserie mitsamt der schrägen Fussauflage aus einem einzigen Stahlblech, der Rahmen wird durch Pressen hergestellt. Dass bei dieser Ausführung eine grosse Starrheit des Rahmens sich ergibt, ist selbstverständlich. Fig. 2 u. 3 zeigen einen derartigen Wagen mit Rahmen. Textabbildung Bd. 321, S. 773 Fig. 1. Hansarahmen. Von den ausgestellten grösseren Fahrzeugen sei das Vierzylinder-Chassis 22–28 PS herhorgehoben (Fig. 4). Es besitzt Lamellenkupplung, die sehr sanft einrücken soll. Angeblich kann der Wagen mit der vierten Geschwindigkeit stossfrei anfahren. Die Schmier Vorrichtung arbeitet mit Druckpumpe und einer neuartigen Oelrampe. Textabbildung Bd. 321, S. 773 Fig. 2. Hansawagen (Einzylinder). Der H. A.-G. Zwölfpferder besitzt die gleiche Bauart wie der grosse 22–28 PS -Vierzylindermotor. Natürlich ist mit Rücksicht auf die kleinere Maschinenleistung und Fahrgeschwindigkeit hier alles zarter ausgeführt. Die Doppelzündung, Magnet- und Batteriezündvorrichtung, besitzt nicht wie vielfach üblich, acht Kerzen (also für jeden Zylinder zwei Kerzen) sondern nur vier. Um mit dieser geringeren Anzahl auszukommen, ist ein Hochspannungsumschalter vorgesehen. Schneider & Co., Automobilwerke, Berlin. Ausgegestellt war der unter dem Namen „Wenkelmobil“ bekannte kleine Reibradwagen. Das Chassis eines derartigen Fahrzeuges zeigt Fig. 5 wogegen Fig. 6 ein solches Fahrzeug in Seitenansicht darstellt. Der Motor, welcher im vorderen Teil des Fahrzeuges gelagert ist, hat Wasserkühlung mit Pumpe, automatische Oelung usw. Auf der Kurbelwelle der Maschine sitzt die Planscheibe b, gegen diese wird das Diskusrad c gepresst. Durch Verstellung des Diskusrades c mit Hilfe eines Handhebels kann man der Vorgelegewelle d, auf der das Friktionsrad angebracht ist, verschiedene Tourenzahlen geben. Auf der Vorgelegewelle d befindet sich das kleine Kettenrad, welches durch die Gelenkkette e mit dem grossen Kettenrade r verbunden ist. Der Wagen besitzt kein Differentialwerk, die Unabhängigkeit der Hinterräder voneinander ist dadurch bewirkt, dass das eine Hinterrad überhaupt nicht angetrieben wird, das andere dagegen fest auf der Achse verkeilt ist. Ueber die Zweckmässigkeit dieser Art von Vereinfachung lässt sich streiten. Es scheint doch, als ob ein solcher Wagen beim Kurvenfahren wenigstens eine grössere Geschicklichkeit des Lenkers erforderlich macht, als ein solcher mit Differentialwerk. Auch andere Gründe lassen sich gegen diese Art von einseitigem Antrieb geltend machen. Textabbildung Bd. 321, S. 774 Fig. 3. Hansa Einzylinder-Chassis. Interessant ist die Art, in welcher die Anpressung des Diskusrades an die Planscheibe hervorgerufen und wieder ausgehoben werden kann. Während bei den bekannten kleinen „Maurerwagen“ zu diesem Zwecke die Motorwelle in achsialer Richtung verschoben wird, und dadurch die Planscheibe mehr gegen das Diskudrad vorgerückt bezw. von diesem fortgeschoben wird, ist bei der Wenkelschen Konstruktion die Kurbelwelle achsial unverschiebbar gelagert, wogegen die Vorgelegewelle d mit Hilfe des neben dem Führersitz befindlichen Handhebels g unter Vermittlung der Stangen k nach vorn gegen die Planscheibe verschoben werden kann. Wird durch den Hebel g der Diskus von der Planscheibe abgehoben, so liegt die Leerlaufstellung für den Motor vor. Zieht man dagegen die Vorgelegewelle d noch weiter rückwärts, so wird dadurch das Diskusrad c gegen einen Bremsbügel i gepresst. Durch die zwischen i und c auftretende Reibung erfolgt eine Bremsung des Diskusrades und dadurch eine solche des Wagens. Mit Hilfe des Handhebels g wird natürlich auch die Stärke der Anpressung des Diskusrades an die Planscheibe geregelt. Textabbildung Bd. 321, S. 774 Fig. 4. Hansa Vierzylinder-Chassis. Der Wagenrahmen, Schalldämpfer und Auspuffrohr, sowie noch andere Teile dieses Fahrzeuges sind in Fig. 5 deutlich zu erkennen. Bei der grossen Einfachheit dieses Wagens muss sich derselbe in der Fabrikation sehr billig stellen. Textabbildung Bd. 321, S. 775 Fig. 5. Wenkelmobil (Chassis von oben). Gustav Hiller, Zittau, Sachsen. Die Firma stellt ausser ihren Phänomen Motorrädern einen dreirädrigen Wagen („Phänomobil“) aus. (Fig. 7.) Diese dreirädrigen Fahrzeuge, von denen es nun schon eine ganze Anzahl gibt, verdanken dem Wunsche ihre Entstehung, einen billigen Wagen herzustellen, der ausserdem den Vorzug hat, möglichst wenig zu schleudern. Durch Verwendung von nur drei Rädern wird zumal an der Gummibereifung gespart. Ferner fällt das Differentialwerk fort, da nicht die Hinterräder, sondern das Vorderrad den Antrieb erhält. Textabbildung Bd. 321, S. 775 Fig. 6. Wenkelmobil (Wagen von der Seite). Das angetriebene Vorderrad sucht bei seitlichem Gleiten des Wagens die Hinterräder immer wieder in seine Bahn hineinzuziehen. Hierdurch wird das Fahren auf schlüpfriger Strasse weniger gefährlich. In bezug auf den Motor unterscheidet sich das Phänomobil von vielen seinen Kollegen dadurch, dass es nicht einen Einzylinder, sondern eine zweizylindrige Maschine besitzt. Die beiden Zylinder haben die bei Fahrradmotoren übliche V-Stellung. Durch versetzte Regulierung wird bewirkt, dass annährend bei jeder Umdrehung der Motorwelle ein Krafthub in einem der Zylinder erfolgt. Die Maschine (82 mm Bohrung, 84 mm Hub) wird als sechspferdig bezeichnet und das Gewicht des ganzen Wagens mit 180 kg angegeben. Das Gestell des Fahrzeuges besteht aus nahtlosen Stahlröhren. Das Wechselgetriebe für den „grossen Gang“ und den Bergsteiger liegt in der Nabe des Vorderrades. Textabbildung Bd. 321, S. 775 Fig. 7. Phänomobil. Die Maschine besitzt aussen liegendes Schwungrad. Die Zylinder haben Luftkühlung. Um auch beim Bergauffahren eine hinreichende Menge Kühlluft an den Zylindern vorbeistreichen zu lassen, sind zwei Ventilatoren vorgesehen, die vom Motor durch eine gemeinschaftliche Stahlspiralschnur gleichzeitig angetrieben werden. Zur Abdämpfung des Auspuffgeräusches sind zwei Auspufftöpfe hintereinandergeschaltet. Das Gasgemisch wird in einem Longuemare-Vergaser erzeugt. Der am Lenkstangenrohr befestigte Handgriff dient zum Einrücken derbeiden „Geschwindigkeiten“. Die Bedienungshebel für den Motor liegen ebenfalls am Lenkstangenrohr in der Nähe des Handgriffes. Die doppelt angeordneten Bremsen wirken auf die Hinterräder und zwar ist die eine Bremse als Bandbremse ausgebildet, welche die an den Naben der Hinterräder angebrachten Bremstrommel bremst, wogegen die zweite Bremsvorrichtung auf die Gummireifen einwirkt. Als Vorgängerin des „Phänomobils“ ist die von der Cyclon Maschinenfabrik m. b. H., Berlin hergestellte „Cyclonette“ zu betrachtens. D. p. J. S. 367 d. Bd.. Sie war in verschiedenen Ausführungen auf der Berliner Ausstellung zu finden. Ein derartiges Fahrzeug besass abweichend von der herkömmlichen Cyclontype Zweizylindermotor. Die beiden Zylinder stehen parallel zu einander. Verwandt mit der Cyclonette ist ausser dem Phänomobil auch noch das „Velomobil“, wie überhaupt auch von anderer Seite derartige dreirädrige kleine Wägelchen mit Vorderradantrieb hergestell werden. Die Fahrzeuge gewinnen neuerdings Bedeutung als Lieferungswagen. (Fortsetzung folgt.)