Titel: Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin.
Autor: Wolfgang Vogel
Fundstelle: Band 321, Jahrgang 1906, S. 789
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Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin. Von Wolfgang Vogel, Ingenieur, Berlin-Wilmersdorf. (Fortsetzung von S. 775 d. Bd.) Die Motorwagen auf der internationalen Automobilausstellung, Berlin. Polyphon Musikwerke A.-G. Die „Polymobilen“ sind nach amerikanischem Muster gearbeitet, jedoch mit Berücksichtigung der deutschen Verhältnisse in verschiedener Beziehung abgeändert worden. Da diese Fahrzeuge viel Interessantes bieten und sie in ihrer Konstruktion wesentlich von der für grössere Fahrzeuge vorherrschend angenommenen Type abweichen, so wollen wir hier näher auf diese Art der „kleinen Wagen“ eingehen. Die Fig. 810 zeigen ein Polymobil-Chassis. Zunächst fällt auf, dass das Fahrzeug zwar am vorderen Teil eine Haube führen wird, dass aber unter derselben nicht wie sonst üblich die Maschine verborgen ist. Wir bemerken zwar den Kühler vor dieser „falschen Motorhaube“ in ihrem Inneren ist jedoch lediglich ein Reservoir zu erblicken. Textabbildung Bd. 321, S. 790 Fig. 8. Polymobil. Der Motor befindet sich im hinteren Teile des Wagens. Er besitzt einen wagerecht angeordneten Zylinder von nicht unbedeutenden Abmessungen. In den Figuren ist f das grosse Schwungrad, a der Zylinder, b die Pumpe, welche das Kühlwasser in Bewegung hält, c der schon erwähnte Kühler, d das von der Motorwelle unter Vermittlung des später erwähnten Getriebes zunächst in Bewegung gesetzte kleine Kettenrad, von dem eine Kette e zu dem grossen Kettenrade führt, welches auf dem Differentialwerk der Hinterradachse befestigt ist. Der Rahmen g des Fahrzeuges ist auf zwei sehr langen Federn gelagert, die in den beiden Seitenansichten des Wagens besonders auffallen. Das kleine in Fig. 10 erkennbare Kettenrad h wird beim Andrehen des Motors benutzt. Eine über dasselbe und über ein an der Welle der Andrehkurbel angebrachtes Kettenrad gelegte Kette überträgt die Drehung der Handkurbel auf das Rad h und somit auf die Motorwelle, wodurch das Anlassen ermöglicht wird. Textabbildung Bd. 321, S. 790 Fig. 9. Polymobil. Das Fahrzeug besitzt einen Spritzvergaser i nach dem Dion-System und den Schalldämpfer k. Hinter dem Kühler c liegt der Ventilator l, welcher vom Motor aus seinen Antrieb erhält und die Luft kräftig durch die Luftkanäle des Kühlapparates hindurchsaugt. Der Wagen hat Steuerung durch Lenkstange. Die beiden Pedale p und q betätigen die Bremse und zwar zieht p die an den Hinterrädern befestigten Bremsen an, wogegen q eine am Gehäuse des Planetengetriebes befindliche Bremse betätigt. Fig. 11 zeigt den aus dem Wagen herausgenommenen Motor. Man erkennt wieder den Zylinder 1, das Schwungrad 2 und die Steuerwelle 3 des Motors. Auf ihr sind die Steuernocken für das Ein- und Auslassventil, ausserdem die Kontaktscheibe 16 des Schleifkontaktes angebracht. Den Nocken 21, welcher das Einlassventil betätigt (Saugnocken) zeigt deutlicher Fig. 12, dort ist 3 das Ende der Steuerwelle. Textabbildung Bd. 321, S. 790 Fig. 10. Polymobil. Der Nocken 21 drückt bei jeder Umdrehung der Steuerwelle einmal gegen die am Saugventilheber 9 angebrachat Rolle 7. Dadurch wird der Heber 8 (Fig. 11), welcherels Winkelhebel ausgebildet und an einem Ansatz der Saugventilglocke 26 gelagert ist so bewegt, dass sein in Fig. 12 annähernd wagerecht liegendes Ende sich abwärts bewegt und so das unter der Glocke 26 hängende Saugventil aufdrückt. Entsprechend ist der Auslassventilheber 10 (Fig. 11) ausgebildet. Durch den Teil 10 dieses Winkelhebels wird das Auslassventil, dessen Feder in Fig. 12 sichtbar ist aufgedrückt. Der Hahn 14 (Fig. 12) dient nebst einigen anderen Hähnen zum Ablassen des Kühlwassers, was bekanntlich im Winter bei Ausserbetriebsetzung des Wagens mit Rücksicht auf die Frostgefahr erforderlich ist. Textabbildung Bd. 321, S. 790 Fig. 11. Motor zum Polymobil. Auf dem liegenden Zylinder ist der Schmierapparat 13 angebracht. Seine umfangreiche Trommel dient gleichzeitig als Oelvorratsbehälter. Die Schmierung erfolgt dadurch, dass die bei aus dem Zylinder heraustretendem Kolben im Kurbelgehäuse entstehende Kompression zur Unterdrucksetzung des Oeles benutzt wird. Man leitet einen Teil der im Kurbelgehäuse defindlichen komprimierten Luft in den Oelbehälter. Die Luft presst dann auf den Oelspiegel und bewirkt ein Austreten von Oel durch das am unteren Teile des Schmierbehälters angebrachte Ventil. Textabbildung Bd. 321, S. 791 Fig. 12. Motor zum Polimobil. Die Oelabgabe kann mit Hilfe einer Regulierschraube, die oben aus dem Oelgefäss herausragt, eingestellt werden. Es ist selbstverständlich, dass der Behälter hermetisch verschlossen sein muss, damit das Oelen in der beschriebenen Weise erfolgen kann. Oben am Zylinder befindet sich der Zischhahn 12. Diesem gegenüber liegt unten der Oelablasshahn 28. Durch letzteren kann die etwa durch den Kolben mitgerissene überschüssige Oelmenge abgelassen werden. Das Kurbelgehäuse 11 wird mit einem Oelbad versehen. In das Oel schlägt die Pleulstange mit ihrem die Kurbel umfassenden Kopf bei jeder Wellenumdrehung ein und sorgt so für Umherstäuben des Oeles im Gehäuse. Das Schmiermaterial gelangt dadurch zu den verschiedenen Schmierstellen. Für die Kurbelwelle sind noch Staufferbüchsen zur Lagerfetturig vorgesehen. Durch Rohr 18, welches in das Gehäuse 20 nahe dem Zylinderkopf ausmündet, gelangt die für die Herstellung eines brennbaren Gemisches erforderliche Luft in den Vergaser. Hier erfolgt die Vergasung des Benzins in der bei Spritzvergasern üblichen und hinreichend bekannten Weise. Das fertige Gas-Luftgemisch gelangt durch Rohr 17 in den zu der Saugventilglocke 26 und aus der Glocke durch das in derselben liegende Saugventil in den Zylinder. Im Rohr 18 ist ein mittels Drehschieber verschliessbares Fensterchen 19 angebracht, das bei heisser Witterung geöffnet wird, um kalte Luft in das Rohr 18 und von da zum Karburator gelangen zu lassen. Ist Fenster 19 verschlossen, so erhält der Vergaser anstatt kühler, stets vorgewärmte Luft, da ja in diesem Falle Rohr 18 die Luft in der Nähe des heissen Ventilgehäuses ansaugt. Das Abgas gelangt aus dem Zylinder durch Rohr 22 in den Schalldämpfer 23, aus welchem es durch das Mittelrohr 24 ins Freie tritt. Die Pumpe der Kühlvorrichtung wird durch das Wellenstück 4 (Fig. 11 angetrieben. Sie ist eine Zahnradpumpe. Das Kühlwasser tritt durch einen Stutzen seitwärts in das Gehäuse ein und wird durch die Zahnlücken der beiden Zahnräder, gleichsam wie, in kleinen Schleusenkammern von der einen Seite des Gehäuses nach der anderen hinübertransportiert. Die Pumpenwelle wird mit Staufferbüchse geschmiert. Deutsche Ultramobil-Gesellschaft m. b. H. Die füher gebaute Ultramobiltype glich im wesentlichen dem soeben besprochenen „Polymobil“, da beiden als Vorbild das amerikanische „Oldsmobil“ gedient hatte. Heute bringt die „Ultramobilgesellschaft“ einen neuartigen Typ. Die beiden Zylinder der Maschine dieses Wagens stehen unter der vorn angebrachten Haube. Der Wagen hat Stahlchassis, das durch die vom Oldsmobil entlehnten Längsfedern gehalten wird, Der Motor wirkt auf ein Planetengetriebe ein, durch welches die kleine Vorwärtsgeschwindigkeit sowie der Rückwärtsgang erzielt werden. Die „grosse Geschwindigkeit“ arbeitet ohne Verwendung eines Planetenradgetriebes. Die Motorwelle wird beim „grossen Gang“ direkt mit der Kardanwelle gekuppelt. Von den vor dem Führersitze angebrachten drei Pedalen dient das erste zum Einschalten des Rückwärtsganges, ein zweites Pedal bedient die Kupplung, welche bei eingerücktem „grossen Gang“ die zeitweilige Aufhebung des Antriebes ermöglicht. Das dritte endlich ist Bremspedal. Seine Bremse wirkt auf die Hinterräder. Textabbildung Bd. 321, S. 791 Fig. 13. Vierzylinder-Chassis (System Beckmann). Otto Beckmann & Co., Breslau. Das Chassis eines Beckmannwagens (s. Fig. 13 und 14), zeigt verschiedene bemerkenswerte Eigenarten. Der Vergaser ist nicht, wie herkömmlich, unter der Motorhaube angebracht, sondern liegt noch hinter der Kupplung. Geringer Platz im Maschinengehäuse, sowie die erheblichen Abmessungen des Karburators sind der Grund zu dieser Anordnung. Die vier Zylinder des Motors, welcher 20–22 PS leistet, sind einzeln gegossen. Textabbildung Bd. 321, S. 792 Fig. 14. Vierzylinder-Chassis (System Beckmann). Der Motor hat Doppelzündung, (Batterie und Magnet); letztere (System Bosch, „Lichtbogen“) arbeitet mit Kerze. Es werden acht Zündkerzen verwendet, also für jede Zündung eine besondere f. d. Zylinder. Der Ventilator liegt hinter dem Kühler und ist am vorderen Zylinder gelagert. Von der Lagerung im Kühler ist man, wie eine Betrachtung der von den verschiedenen Firmen ausgestellten Wagen lehrt, abgekommen, da sie leicht Undichtigkeiten des Zellenkühlers herbeiführt. Die Kühlvorrichtung arbeitet mit Pumpe. Textabbildung Bd. 321, S. 792 Fig. 15. Turicum-Motor mit Luftkühlmantel usw. Die Kupplung ist eine Konuskupplung. Von den beiden, vor dem Führersitz liegenden Pedalen, bedient das linke die Kupplung, das rechte gleichzeitig Kupplung und Getriebebremse. Neben dem Geschwindigkeitshebel liegt der Hebel, welcher die Innenbremsen der Hinterräder anzieht. Das mit drei Geschwindigkeiten und Rückwärtsgang ausgerüstete Getriebe ist als Schubvorgelege ausgebildet. Die Cardanwelle trägt zwei Cardangelenke. Die geteilte Hinterachse läuft auf D. W. F.-Kugellagern. Zünd- und Drosselhebel liegen auf dem Handrade und betätigen die entsprechenden Teile unter Vermittlung von Bowdenkabeln. Die Steuerung arbeitet mit Schraube. Die Schmiervorrichtung ist in der Weise ausgeführt, dass aus dem höher liegenden Oelreservoir das Oel mit natürlichem Gefälle der Schmierrampe zufliesst und von dort in die verschiedenen Schmierröhren gelangt. Einen sehr originellen Wagen stellen Martin Fischer & Co. (Automobilfabrik Turicum) in Uster-Zürich aus. Der Rahmen des Wagens besteht im Gegensatz zu der sonst üblichen Ausführung aus Holz. Der Motor ist einzylindrig. Er besitzt einen Kühlmantel (Fig. 15), in dem aber nicht Wasser enthalten ist. Durch den Mantel presst der in einem Ansatz desselben gelagerte, von der Motorwelle durch einen breiten Riemen angetriebenen Ventilator Luft hindurch. Diese entweicht aus dem Kühlmantel durch eine Oeffnung von grossem Querschnitt, die hinter dem Spritzbrett des Wagens mündet. Fig. 15 zeigt den Ventilator und seinen Einbau in den Kühlmantel gut, ebenso den Zylinder, den magnetelektrischen Zündapparat, die Tragstücke für den Motor und endlich den Vergaser. Der Kühlmantel des Zylinders besteht aus Aluminium. Eine Seitenansicht dieses Wagens sowie Ansicht von oben zeigen Fig. 16 und 17. Man bemerkt vor dem Motor einen kühlerartigen Aufbau. Dieser ist jedoch nur angebracht, um dem Wagen das herkömmliche Aussehen zu geben. In Wirklichkeit ist in ihm ein Reservoir untergebracht. Die Kurbelwelle der Maschine sowie die Pleuelstange haben Kugellager. Die magnetelektrische Zündung ist als Abreisszündung ausgebildet, sie wird entsprechend der Tourenzahl des Motors selbsttätig durch einen Regulator verstellt. Das Getriebe ist ein Reibradgetriebe. Der Wechsel der Uebersetzung wird mit Hilfe eines Handhebels bewirkt. Der Wagen hat ein eigenartiges Differential werk. Dieses besitzt zwei auf den einander zugekehrten Seiten mit Verzahnung versehene stählerne Scheiben. Letztere werden durch zahlreiche kleine Zahnräder, deren Zapfen am grossen Kettenrade befestigt sind, miteinander in Abhängigkeit gebracht. Das Differentialwerk zeichnet sich durch geringe Dicke aus. Geölt wird die Maschine mit Hilfe einer Handölpumpe. Der Anpressungsdruck der Diskusscheibe an die Planscheibe stellt sich selbsttätig entsprechend dem Fahrwiderstand ein. Es wird das in der Weise erreicht, dass die das Diskusrad tragende Vorgelegewelle um den rechten Lagerpunkt in wagerechter Ebene verschiebbar ist. Das den Antrieb von der Vorgelegewelle auf die Hinterräder mit Hilfe einer Kette übertragende kleine Kettenrad befindet sich, wie Fig. 17 zeigt, nicht zwischen den beiden Lagern der Vorgelegewelle, sondern – in der Fahrtrichtung des Wagens gesehen – rechts vom rechten Lager. Die im ziehenden Kettenteil herschende Spannung sucht daher die Vorgelegewelle so zu drehen, dass ihr das kleine Kettenrad tragender Teil sich dem grossen Kettenrade auf dem Differentialwerk nähert, wobei der das Diskusrad tragende Teil der Welle sich nach vorn bewegt. Mit anderen Worten: Infolge des Kettenzuges hat die Vorgelegewelle die Neigung, sich um ihr rechtes Lager im Uhrzeigersinne zu drehen. Bei dieser Drehung wird das Diskusrad gegen die Planscheibe vorgeschoben. Der Druck, welcher infolgedessen zwischen dem Diskus und Planscheibe auftritt, ist abhängig von der Stärke des Kettenzuges, also stärker beim Bergauffahren als bei Fahrt in der Ebene. Ein übermässig starkes Anpressen durch einen unvorsichtigen Fahrer ist dank des sich selbsttätig einstellenden Anpressungsdruckes also vermieden. Leerlauf stellt der Fahrer durch Abrücken der Vorgelegewelle von der Planscheibe ein, wobei das Diskusrad ausser Berührung mit der Planscheibe kommt. Die Deutsche de Dion-Bouton-Gesellschaft, Mulhausen L E. zeigt die bestbekannten Dionwagen. Alle für 1907 geplanten Verbesserungen tragen die Wagen noch nicht, Neben anderen war ein kleiner 8 PS-Wagen ausgestelt. Bei ihm hat Dion das so lange von ihm verteidigte automatische Saugventil aufgegeben und Steuerung für dasselbe eingeführt, Das Getriebe arbeitet bei den Wagen jetzt durchweg mit „train balladeur“. Man bezeichnet diese Art Getriebe zweckmässig auf deutsch mit „Schubvorgelege“ oder „Schubgetriebe“. Der kleine Wagen hat drei, die grossen besitzen vier Geschwindigkeiten. Die Fahrzeuge haben Planscheibenkupplung. Die Drehbewegung wird zu den beiden Hinterrädern durch je eine Cardanwelle geleitet, welche quer zur Längsachse des Wagens liegt. Die eigentliche Hinterachse dient lediglich zum Tragen der Hinterräder, erfährt also keine Beanspruchung auf Torsion, wogegen andererseits die von den beiden Cardanwellen zu den Hinterrädern gehenden Verbindungsteile nicht auf Biegung sondern nur auf Drehung beansprucht werden. Man führt seit einiger Zeit auch bei anderen Firmen, die Wagen mit in der Längsachse des Fahrzeuges befindlicher Cardanwelle bauen, eine durch dieselben Gesichtspunkte veranlasste Konstruktion durch. Textabbildung Bd. 321, S. 793 Fig. 16. Turicum-Wagen (Chassis). Textabbildung Bd. 321, S. 793 Fig. 17. Turicum-Wagen (Chassis von oben). (Fortsetzung folgt.)