Titel: Die Weltausstellung in Lüttich.
Autor: M. Richter
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 130
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Die Weltausstellung in Lüttich. Das Eisenbahnwesen, mit besonderer Berücksichtigung der Lokomotiven. Von Ingenieur M. Richter, Bingen. (Fortsetzung von S. 636, 1906 Bd. 321.) Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Lüttich. Im folgenden soll über die ausgestellten Tenderlokomotiven berichtet werden, bei denen allerdings nur teilweise genügendes Material zur Bearbeitung seitens der Baufirmen geliefert wurde. Die wichtigsten Formen wenigstens können vollständig dargestellt werden, während bei anderen Typen die Photographie das einzige Mittel zur Darstellung ist und bei einigen war nicht einmal diese von der Firma zu erlangen. Indem wieder die normalspurigen Lokomotiven vorausgeschickt werden sollen, folgt daher: 20. 2/2 gek. Werklokomotive mit Zwillings-Naßdampfmaschine und Field-Kessel, gebaut und ausgestellt von der Société Anonyme John Cockerill, Seraing (Belgien), 1905, Fabriknummer 2491. Diese Bauart ist eine gesuchte Spezialität der Firma und mit Rücksicht auf folgende Bedingungen entworfen: Anpassung an den Dienst auf Bahnen in gewerblichen Unternehmungen und Anlagen: Fabriken, Zechen, Bauten, Häfen usw., wo sich bei leichtem bezw. minderwertigem Oberbau sehr scharfe Kurven vorfinden und ziemlich große Lasten häufig über kürzere Strecken zu befördern oder zu verschieben sind. Es handelt sich dementsprechend um einen möglichst leichten, kurzen Motor, der den Oberbau nur gering beansprucht, geschmeidig durch alle Kurven hindurchgeht, verhältnismäßig große Leistung zugunsten der Nutzlast entwickelt, einmännig bedient wird und seinem Führer nach allen Seiten bequeme Umschau gestattet. Diesen Bedingungen wird genügt durch eine zweiachsige Lokomotive mit sehr kurzem Radstand und stehendem Kessel unter Schutzdach, das Ganze so einfach und so zusammengedrängt, daß es eine in Anschaffung, Betrieb und Unterhaltung wenig kostspielige, allen Sonderbedürfnissen gerechte Anlage von kleinem Umfang darstellt: (Fig. 38). Textabbildung Bd. 322, S. 129 Fig. 38.Werklokomotive von Cockerill. Der Radstand ist so bemessen, daß die größte der vier Ausführungen, in denen dieser Motor hergestellt wird, Kurven vom kleinsten Halbmesser 15 m noch bequem durchfahren kann; er beträgt in diesem Falle 1,8 m. Die Achsen sind natürlich gekuppelt; sämtliche Räder werden gebremst, und zwar bei der größten Klasse mit einer Dampfbremse, die einen Bremsdruck von 4000 kg an jedem Rad hervorbringt, was 90 v. H. des Dienstgewichtes der Maschine bedeutet; dadurch ist ein sehr rasches Halten derselben ermöglicht, was bei Rangierbewegungen in Bahnhöfen und auf Gefällen von Vorteil ist. Der stehende, ziemlich kleine, aber leistungsfähige Kessel ist ein Wasserrohrkessel der Bauart Field. Derselbe ist gekennzeichnet durch eine Wellrohrfeuerbüchse, in welche eine Anzahl unten geschlossener Rohre von der Decke aus abwärts stumpf hineinragen und so eine stark verteilte Heizfläche herstellen; zur Verbesserung des Wasserumlaufs sind in diese Rohre beiderseits offene engere Röhren lose hineingehängt, so daß die Verdampfung in dem engen, ringförmigen Zwischenraum zwischen den beiden Rohrwänden stattfindet. Das Abzugsrohr für die Heizgase ist als senkrechtes Flammrohr durch den Wasser- und Dampfraum hindurchgeführt und zum Kamin verlängert. (Fig. 39.) Um einen Druck von 10 at zu erzeugen, ist eine Anheizzeit von nur 45 Min. erforderlich, für sparsame und doch schleunige Betriebsbereitschaft ein günstiger Umstand. Zur Speisung des Kessels dient außer einer, nach amerikanischem Muster von einer Kreuzkopfnase angetriebenen Stiefelpumpe ein selbstanziehender Injektor, der bei 10 at Betriebsdruck dem Speisewasser eine Temperatur von 46° C erteilt. Der Wasservorratskasten ist zweiseitig hinter dem Kessel in ∪-Form auf den Rahmen gestellt, wodurch die Bauart stabiler und massiver wird. Vor dem Kessel über den Zylindern, also einseitig und nicht vertauschbar (bei der ganzen Anordnung wäre ein doppelseitiger Führerstand zwecklos) ist der Führerstand untergebracht und mit Wasserbehälter und Kessel gemeinsam überdacht. Die Rahmen liegen innerhalb der Räder, das Triebwerk außerhalb, abgesehen von dem Antrieb der Kulisse der Heusinger-Steuerung, deren Exzenter nach innen auf die Triebachse gesetzt ist und mit Schwinghebel an einer Zwischenwelle angreift, auf der außen die Kulisse aufgekeilt ist. Die Umsteuerung geschieht mit einem Händel. Einfach und kräftig ist die verhältnismäßig kurzhübige Hochdruckmaschine ausgeführt. Textabbildung Bd. 322, S. 130 Fig. 39.Field-Kessel der Werklokomotive von Cockerill. Die Lokomotive ist auf vier Punkten gestützt, da jede Achsbüchse über sich ihre eigene Längsfeder besitzt. Auf Wunsch wird ein von einer Brotherhood-Maschine getriebenes Spill von 2,2 t Gewicht beigegeben, das im Bahnhofsdienst sich nützlich zeigen kann. Textabbildung Bd. 322, S. 130 Fig. 40.Industrie-Lokomotive von „La Meuse“. Die Firma Cockerill hat von diesem Motor von 1870 bis zur Eröffnung der Lütticher Ausstellung 1905 517 Stück gebaut, die vorwiegend nach Belgien, Frankreich, Deutschland und Rußland gegangen sind. Die Ausstellungslokomotive war von der Größe IV. Folgendes sind die Hauptabmessungen und sonstigen Verhältnisse aller vier Typen: Textabbildung Bd. 322, S. 130 Größe der Bauart; Spurweite (im Lichten); Zylinderdurchmesser; Kolbenhub; Triebraddurchmesser; Kesselüberdruck; Rostfläche; Heizfläche, feuerberührt; Gewicht im Dienst Triebachslast; Vorräte Wasser; Kohlen; Radstand; Größte Länge über Puffer Breite; Höhe über S-O; Kleinster Kurvenradius; Höchste Geschwindigkeit; Beförderte Zuglast auf einer Steigung von; Täglicher Verbrauch an Wasser; Kohlen; Oel; Talg 21. 3/3 gek. Industrie-Lokomotive mit Zwillings-Naßdampfmaschine, gebaut und ausgestellt von der Société Anonyme „La Mense“, Lüttich 1905, Fabriknummer 1938. Diese kräftig und sauber ausgeführte Lokomotive soll eine Bauart darstellen, wie sie von der erwähnten Firma als Spezialität in verschiedenen Größen seit Jahren hergestellt wird. (Fig. 40.) Der Kessel hat Belpaire-Büchse, die von der letzten Triebachse unterstützt ist, Wilson-Klotz-Ventil, Dom auf dem vorderen Schuß. Die Rahmen liegen innen, das Triebwerk außen. Die Steuerung ist die Walschaertsche, die Umsteuerung liegt rechts; die mittlere Triebachse wird angetrieben; die Zylinder hängen ziemlich weit über, während der Radstand der Maschine trotz ihrer Leistungsfähigkeit auf 2,75 m beschränkt ist, um das Kurvenfahren zu erleichtern. Die Wasserkästen sind seitlich vom Kessel angebracht. Der Tender geht vor bis hinter die mittlere Triebachse. Alle drei Achsen werden einseitig (von vorn) gebremst, und zwar mit Hand- und Dampfbremse. Diese Lokomotive, in der Gesamtanordnung einfach und übersichtlich gehalten, hat, ihrem Dienstgewicht entsprechende große Leistungsfähigkeit. Der Anstrich war wohl für den Betrieb bestimmt: dunkelgrasgrün mit roten Einfassungen und Messingverzierungen, Puffer und Triebstangen blank. Zylinderdurchmesser mm 400 Kolbenhub 500 Triebraddurchmesser 1000 Kesselüberdruck at 12 Heizfläche, feuerberührt qm 80,0 Rostfläche 1,4 Gewicht im DienstTriebachslast t 37,0 leer 29,5 Vorräte WasserKohlen 4,80,8 Zugkraft (α = 0,5) kg 4800 Textabbildung Bd. 322, S. 131 Fig. 41. Lokomotive der Zeche „Bois du Luc“. 3/3gek. Tenderlokomotive der belgischen Zeche „Bois du Luc“ mit Zwillings-Naßdampfmaschine, gebaut und ausgestellt von der Société Anonyme „Cie Centrale des Constructions“, Haine-St. Pierre (Belgien), 1905, Fabriknummer 904, Betriebsnummer 1. (Fig. 41.) Im großen Ganzen gleicht diese Lokomotive der vorigen, ist aber für 60 km/Std. bestimmt und hat deshalb höhere Triebräder; sonst bietet sie nichts bemerkenswertes. Die Abmessungen sind: Zylinderdurchmesser mm 420 Kolbenhub 600 Triebraddurchmesser 1200 Kesselüberdruck at 12 Heizrohre AnzahlLänge (zw. Wänden)Durchmesser mm 147325040/45 Heizfläche, feuerberührt qm 87,46 Rostfläche 1,51 Radstand m 2,9 Gewicht Triebachslastim Dienstleer t 37,530,0 Vorräte WasserKohlen 4,01,0 Zugkraft (α = 0,5) kg 5300 Höchste Geschwindigkeit km/Std. 60 Auch äußerlich war diese Maschine von der vorigen kaum verschieden und zeigte sich in betriebsmäßiger Ausstattung: im Oberteil dunkelgrün gestrichen und mit Messingreifen verziert, im Unterteil ziegelrot. Hier war ebenfalls der Führerstand nebst Umsteuerung auf die rechte Seite der Maschine verlegt. – Die Bauart ist mit etwas anderen Abmessungen auch sonst, z.B., auf den preußischen Staatsbahnen, vielfach ausgeführt und entspricht ihrem Zweck: Bedienung von normalen Nebenbahnen und anderen Anschlußstrecken, sehr wohl. 23. 3/3 gek. normale Tramlokomotive der belgischen Kleinbahnen, gebaut von der Société Anonyme „St. Léonard“, Lüttich, 1905, Fabriknummer 1392, Betriebsnummer 812. (Fig. 42.) Im Jahre 1884 wurde durch ein besonderes Gesetz die „Société Nationale des Chemins de fer vicinaux“ in Belgien gegründet und seit dieser Zeit haben die Kleinbahnen ein an Dichte mit dem Staatsbahnnetz wetteiferndes Netz über das Land gesponnen, das auch die deutschen Kleinbahnen verhältnismäßig an Länge übertrifft und sich etwa doppelt so gut wie diese rentiert. Diese Bahnen sind teils meter-, teils normalspurig, in diesem Fall zum Uebergang von Hauptbahnwagen eingerichtet, und benutzen teils die Straße, teils eigenen Bahnkörper, was auf die äußere Gestaltung der Lokomotive Einfluß hat. Die ausgestellte Lokomotive ist für normalspurige Straßenbahnen bestimmt; sie besitzt deshalb normale Pufferhöhe und Pufferweite (1050 mm über S-O und 1700 mm Entfernung) und ist vollständig in einem Gehäuse eingeschlossen, wobei das Triebwerk noch besonders durch aufklappbare Schutzbleche verschalt ist. Dies entspricht den allgemeinen Bedingungen des Straßenbahnbetriebes und des Schutzes, den das Triebwerk vor den Straßenstaub haben muß. Um dem Führer in beide Fahrtrichtungen gleich gute Umschau zu gewähren, ist ein Führerstand an beiden Enden eingerichtet, sämtliche Handhebel sind also doppelt vorhanden: Umsteuerung, Bremse, Regler, Pfeife usw., so daß der Führer seilen Platz wechseln kann. Textabbildung Bd. 322, S. 131 Fig. 42.Belgische Tramlokomotive. Im übrigen aber ist die Lokomotive wie eine gewöhnliche Nebenbahntenderlokomotive durchgebildet; Kondensation des Abdampfes findet nicht statt. Die Wasservorratskästen sind zu beiden Seiten des Kessels angebracht und nehmen die ganze Länge von Rauchkammertür- bis Feuertürwand ein, so daß für die Mannschaft nur vor und hinter dem Kessel Raum gelassen ist, seitlich aber kein Gang übrig bleibt. Auch der Sandkasten liegt beiderseits an der Mitte des Langkessels über der Mittelachse und bedient diese von beiden Seiten; für ihn ist im Wasserbehälter eine Aussparung vorgesehen, der verfügbare Raum also sehr gut ausgenutzt. Der Kessel hat kurze Rauchkammer, Belpairesche Feuerkiste, die einen Armaturstutzen und ein doppeltes Wilson-Klotzsches Sicherheitsventil trägt; der Langkessel selbst besteht aus zwei Schüssen; der große Dampfdom sitzt auf dem hinteren von diesen und hat noch ein Ventil mit Federwage. Am Kesselboden, vor der Feuerkiste, befindet sich ein Schlammsack. Die Rahmen liegen außerhalb der Räder, die Zylinder in normaler Anordnung wagerecht außerhalb der Rahmen; die Kurbeln sind daher aufgesteckte (Hallsche) Lagerhals-Kurbeln. Die Steuerung ist die Walschaertsche und ist ebenfalls außerhalb angebracht; die, wie erwähnt, doppelt vorhandene Umsteuerung wird mit Hebel oder Schraube nach Belieben bedient. Die Einrichtung für Gegendampfgeben nach Le Chatelier ist vorgesehen; im übrigen ist nur Spindelbremse vorhanden, welche einseitig alle Räder betätigt. Die Bauart ist einfach, kräftig, übersichtlich, zweckentsprechend und beansprucht bei 9 t Achsdruck und 2,5 m Radstand den Oberbau nur gering trotz verhältnismäßig großen Abmessungen und entsprechender Leistungsfähigkeit. Der Anstrich war betriebsmäßig: Gehäuse dunkelgrün mit schwarzen, hellgrünen und weißen Zierstreifen, der Kessel schwarz mit Messingzierbändern. Von dieser Bauart sind sowohl für die normale, wie für die 1 m-Spur von verschiedenen belgischen und außerbelgischen Firmen einige hundert Stück geliefert worden, die bei verschiedenen Dienstgewichten zwischen 15 und 30 t in Anordnung und Aussehen kaum verschieden sind; bei den leichtesten und mit dem geringsten Radstand (1,8 m) begabten Ausführungen erfolgt der Antrieb an der Hinterachse. In vielen Fällen sitzt der große Dom unmittelbar hinter dem Kamin, und der Sandkasten auf der Kesselmitte. Für die Ausstellungslokomotive gelten folgende Angaben: Spurweite (im Lichten) mm 1435 Zylinderdurchmesser 350 Kolbenhub 450 Triebraddurchmesser 930 Kesseldruck at 10 Rohre AnzahlDurchmesserLänge (zw. Wänden) mm 14140/452450 Heizfläche   (feuer-  berührt) RohreFeuerbüchseim Ganzen qm 48,834,7353,56 Rostfläche 1,16 Radstand m 2,5 Gewicht leerim DienstTriebachslast t 22,027,6 Vorräte WasserKohlen 3,01,0 Zugkraft (α = 0,5) kg 2640 Größte Geschwindigkeit km/Std. 30 Bemerkung: In der Tab. 3 (S. 52 1906, Bd. 321 dieses Berichtes) wurde aus Versehen 20 km/Std. angegeben. (Fortsetzung folgt.)