Titel: Beanspruchung eines ebenen Scheibenkolbens mit zwei Böden und ohne Rippen.
Autor: Max Ensslin
Fundstelle: Band 322, Jahrgang 1907, S. 577
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Beanspruchung eines ebenen Scheibenkolbens mit zwei Böden und ohne Rippen. Von Dr.-Ing. Max Ensslin-Stuttgart. Beanspruchung eines ebenen Scheibenkolbens mit zwei Böden und ohne Rippen. In D. p. J. 1904, Heft 43 wurde die Beanspruchung eines sog. schwedischen Kolbens berechnet und bildlich dargestellt. Dieser war einwandig, der nunmehr zu betrachtende hohle Scheibenkolben (Fig. 1) besitzt dagegen zwei ebene Böden, die als Boden I und II bezeichnet werden sollen. Die Wandstärke beider Böden sei h cm, sie sei überall gleich groß. Auf Boden I wirke eine gleichmäßige Pressung von p kg/qcm. Die beide Böden verbindenden Zylinder werden als vollkommen unnachgiebig angesehen. Die Böden selbst seien am innern und äußern Umfang 2 π Ri und 2 π Ra vollkommen eingespannt, so daß die Neigung der elastischen Mittelfläche daselbst bei der Formänderung nicht geändert wird. Die Durchbiegung von Boden I und II ist gleich groß (s. Fig. 1); sie rührt bei Boden II von einer über den äußern Umfang 2 π Ra gleichmässig verteilten konzentrierten Belastung P kg, bei Boden I von der gleichmäßig verteilten Oberflächenpressung p kg/qcm, von der auf den ringförmigen Bordrand wirkenden Last P0 kg und von dem Gegendruck P kg des Bodens II her; die beiden letzten Belastungen sind im äußern Umfang 2 π Ra konzentriert und über diesen gleichmäßig verteilt. Die Gesamtdurchbiegung des Bodens I kann man sich auch so entstanden denken, daß die drei Teilbelastungen nacheinander wirken und daß die drei von ihnen hervorgebrachten Einzeldurchbiegungen dann algebraisch addiert werden. Wir bezeichnen mit z'2 die Durchbiegung von Boden I durch die gleichmäßige Oberflächenpressung p. z'1 die Durchbiegung von Boden I durch die konzentrierte Last P. z'0 die Durchbiegung von Boden I durch die konzentrierte Last P0. z' die Gesamtdurchbiegung von Boden I durch p P P0 zusammen, dann ist z' = z'2+ z'0– z'1 . . . . . 1) Die Durchbiegung des mit P belasteten Bodens II ist nun auch z'1 und ferner, wie schon bemerkt, gleich der Durchbiegung z' des Bodens I, womit Gleichung 1 gibt: 2z' = z'2 + z'2 . . . . . 2) Diese aus der Art der Formänderung folgende Gleichung dient zur Bestimmung der noch unbekannten Kraft P. Die in Gleichung 2 vorkommenden Durchbiegungen können aus D. p. J. 1904, Heft 39–43 entnommen werden. Ebenda im Heft 40, Gleichung 26 findet man für die Durchbiegung einer zentrisch durchbrochenen, am innern und äußern Rand vollkommen eingespannten Scheibe, die am innern und äußern Umfang eine konzentrierte Last P trägt: \left{{z'_1=z'=\frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{P}{h^3}\,\alpha\,\left[{R^2}_a-{R^2}_i\right}\atop{\left-\frac{{R^2}_i}{1-\frac{{R^2}_i}{{R^2}_a}}\,\left(ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i}\right)^2\right]}}\right\}\ .\ 3) ebenso für die konzentrierte Last P0: z'_0=\frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{P_0}{h^3}\,\alpha\,\left[{R^2}_a-{R^2}_i\-\frac{{R^2}_i}{1-\frac{{R^2}_i}{{R^2}_a}}\,\left(ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i}\right)^2\right] 4) Die gleichmäßige Oberflächenpressung p bewirkt an der innen gestützten und an beiden Rändern vollkommen eingespannten Scheibe nach D. p. J. 1904, Gleichung 51 die Durchbiegung: z'_2=\frac{a}{32}\,({R^4}_a-{R^4}_i)-\frac{a}{8}\,{R^2}_a\,[{R^2}_a\,ln\,{R^2}_a-{R^2}_i\,ln\,{R^2}_i-2\,({R^2}_a-{R^2}_i)]+\frac{k_1}{4}\,({R^2}_a-{R^2}_i)+\frac{k_2}{2}\,ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i} . . . . . 5) Hierin ist: a=\frac{m^2-1}{m^2}\,\alpha\cdot \frac{6}{h^3}\,p und nach Gleichung 61 und 62 a. a. O. k_1=\frac{a}{4}\,(3\,{R^2}_a+{R^2}_i)-\frac{a}{4}\cdot 2\,{R^2}_a\,\frac{{R^2}_a\,ln\,{R^2}_a-{R^2}_i\,ln\,{R^2}_i}{{R^2}_a-{R^2}_i} k_2=-\frac{a}{8}\,{R^2}_a\,{R^2}_i+\frac{a}{8}\,2\,{R^2}_a\,\frac{{R^2}_a\,{R^2}_i}{{R^2}_a-{R^2}_i}\,ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i} Es ist selbstverständlich, daß im vorliegenden Fall die Rechnung nicht allgemein, sondern an einem konkreten Beispiel mit Zahlen durchgeführt wird. Beispiel: Niederdruckkolben einer Lokomotive (Fig. 1) beim Anfahren mit 6,5 kg/qcm belastet. Wandstärke 24 mm. Sonstige Abmessungen s. Fig. 1. Material: Stahl. Kolbenkörper geschweißt. Druck auf den ringförmigen Bordrand: P0 = (π/4 ∙ 69,52π/4 ∙ 60,62) ∙ 6,5 = 5970 kg. Zahlenwerte zur Ausrechnung der Gleichung 2 bezw. 3 bis 5: R 2 a = 918,09 R 2 a : R 2 i = 20,16 R 2 i = 45,56 R 2 i : R2a = 0,0496 R 2 a R 2 i = 872,53 R 4 a = 842890 R 4 i = 2075 R 4 a R 4 i = 840815 ln R 2 a = 6,8223 ln R 2 i = 3,8191 ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i} = 3,0032 ∼ 3 \left(ln\,\frac{{R^2}_a}{{R^2}_i}\right)^2 = 9 Textabbildung Bd. 322, S. 578 Fig. 1. Damit gibt Gleichung. 3: \begin{array}{rcl}z'&=&\frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{P}{h^3}\,\alpha\,\left[872,53-\frac{45,56}{1-0,0496}\cdot 9\right]\\ &=& \frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{m^2}\,\frac{P}{h^3}\,\alpha\cdot 441\end{array} Ebenso gibt Gleichung 4: z'_0=\frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{P_0}{h^3}\,\alpha\cdot 441=\frac{3}{4}\,\frac{m^2-1}{\pi\,m^2}\,\frac{5970}{h^3}\,441 Nach Gleichung 5 ist mit k_1=-\frac{a}{4}\cdot 10020 und k_2=+\frac{a}{8}\,222200; z'_2=\frac{a}{32}\,840815-\frac{a}{8}\,918,1\,(6086-1745) +\frac{a}{16}\,10020\cdot 872,5-\frac{a}{16}\,222200\cdot 3 =\frac{a}{16}\cdot 533800=\frac{m^2-1}{m^2}\,\alpha\cdot \frac{3}{8\,h^3}\,p\cdot 533800. Mit den Werten von z', z'0 und z'2 liefert Gleichung 2: P =9070 kg. Die Spannungen. Der Boden II trägt die im Umfang 2 π R1a konzentrierte und über ihn gleichmäßig verteilte Kraft P = 9070 kg. Die Stützkraft wirkt im Umfang 2 π R1a. Die beiden Ränder der zentrisch durchbrochenen Scheibe sind vollkommen eingespannt, d.h. so mit der Kolbennabe und dem Bordrand verbunden, daß die elastische Mittelfläche daselbst bei der Formänderung ihre ursprüngliche Neigung behält, während der nicht gestützte Umfang in Richtung der Durchbiegung frei beweglich ist. Die Spannungsverteilung ergibt sich nach D. p. J. 1904, Heft 39, Gleichung 3 und Heft 40 Gleichung 24 und 25 mit c_1=-\frac{b}{2}\cdot 5,98 und c_2=+\frac{b}{4}\cdot 144 aus folgenden Gleichungen: Radialspannung: \sigma_x=\mp\,\frac{3}{3}\,\frac{m+1}{\pi\,m}\,\frac{9070}{h^2}\,\left[ln\,x^2+0,538-5,98-\frac{77,6}{x^2}\right] Ringspannung: \sigma_y=\mp\,\frac{3}{3}\,\frac{m+1}{\pi\,m}\,\frac{9070}{h^2}\,\left[ln\,x^2-0,538-5,98+\frac{77,6}{x^2}\right] Mit h = 2,4 cm, m=\frac{10}{3} und \frac{3}{4}\,\frac{m+1}{\pi\,m}\cdot \frac{9070}{5,76}=488 erhält man für die Spannungen an der Oberfläche des Bodens II: x = 30,3 28 21 14 6,75 cm Abstandv. d. Mitte. σx = + 632 + 548 + 230 – 273 – 1620 kg/qcm. σy = + 190 + 120 – 123 – 412 –   488 Die Gesamtspannung im Boden I ist die algebraische Summe der Spannungen seitens der Einzelbelastungen, nämlich der gleichmäßig verteilten Oberflächenpressung p = 6,5 kg/qcm und auf den äußern Umfang 2 π Ra wirkenden konzentrierten Last = Druck auf den ringförmigen Bord minus Gegendruck des Bodens II =5970 – 9070 = – 3100 kg, welch letztere der gleichmäßigen Pressung entgegen gerichtet ist. Die Spannungen an der Ober- und Unterfläche infolge der gleichmäßigen Pressung pSollen die Gleichungen für eine zentrisch durchbrochene, innen gestützte und mit gleichmäßiger Oberflächenpressung p versehene Kreisscheibe, die in D. p. J. 1904, Heft 42, Abschnitt B, b, II mitgeteilt wurden, zur allgemeinen Lösung von Aufgaben verwendet werden, so ist die Pressung p in diesem Abschnitt mit – - Zeichen zu versehen; denn sie wurde dort (vergl. die Fig. 21–25) in der – z -Richtung wirkend angenommen, während sie bei Durchführung allgnmeiner Rechnungen in der + z -Richtung wirkend anzunehmen ist. sind nach D. p. J. 1904, Heft 42, Gleichung 53 mit den oben angegebenen Werten k1 und k2: Radialspannung: \sigma_x=\mp\,\frac{3}{8}\,\frac{m+1}{m}\,\frac{p}{h^2}\,\left[-2,54\,x^2+1836\,(ln\,x^2+0,538)-10020-\frac{119200}{x^2}\right] Ringspannung: \sigma_y=\mp\,\frac{3}{8}\,\frac{m+1}{m}\,\frac{p}{h^2}\,\left[-1,46\,x^2+1836\,(ln\,x^2-0,538)-10020+\frac{119200}{x^2}\right] Mit h = 2,4 cm und m = 10/3 und \frac{3}{8}\,\frac{m+1}{m}\cdot \frac{6,5}{2,4^2}=0,55 erhält man für die Spannungen an der Oberfläche des Bodens I infolge der gleichmäßigen Pressung p: x = 30,3 28 21 14     6,75 cm Abstandv.d Mitte σx = + 561 + 577 + 407 – 522 – 2520 kg/qcm. σy = + 160 + 127 – 110 – 550 –   795 Für die konzentrierte Last – 3100 kg erhält man ebenso wie oben für die konzentrierte Last 9070 kg: σx = – 216 – 187 – 78 +   93 + 554 kg/qcm. σy = –   65 –   41 + 42 + 141 + 167 Die Spannungsverteilung in Boden I und II ist in Fig. 1 unten bildlich dargestellt. Die Gesamtspannung im Boden I ist die algebraische Summe der beiden zuletzt angeführten Spannungen, nämlich: σx = + 345 + 390 + 329 – 429 – 1966 kg/qcm. σy = +   95 +   86 –   68 – 409 –   628 Die größten Spannungen treten hiernach an der Kolbennabe auf; es sind Radialspannungen, die einen Umfangsriß um die Nabe herum hervorzubringen bestrebt sind. Es ist von Interesse, die Materialausnutzung in dem einfachen schwedischen Kolben, D. p. J. 1904, Heft 43, und in dem Scheibenkolben mit Doppelboden zu vergleichen. Der äußere Durchmesser beider ist gleich groß, der innere wenig verschieden, nämlich 152 mm bei dem schwedischen Kolben, 135 mm bei dem hohlen Scheibenkolben. (Der letztere ist dadurch etwas im Nachteil, daß der innere Stützkreis kleiner ist; daß eine innere Stützung an sich mit dem Auftreten hoher Spannungen verknüpft ist, wurde a. a. O. eingehend dargelegt.) Der Boden des schwedischen Kolbens war 30 mm stark, die Böden des hier betrachteten je 24 mm. Wir nehmen an, ihre Stärke betrage je 15 mm, womit der Materialaufwand für beide Kolben gleich groß ist. Die oben berechneten Spannungen sind nun im Verhältnis 2,42 : 1,52 = 2,56 zu erhöhen, womit man für die größte Spannung rd. 5000 kg/qcm erhielte, sofern bis dahin die Proportionalität zwischen Spannungen und Dehnungen bestehen bliebe. Der durch gleich große äußere Kräfte belastete Scheibenkolben ist daher bei gleichem Materialaufwand erheblich stärker beansprucht als der einfache schwedische Kolben. Bei Balken ist genau dasselbe festzustellen: ein Biegungsbalken mit Rechteckquerschnitt hat eine größere Tragfähigkeit als zwei solche mit halb so hohem Querschnitt. Verbindet man nun die beiden letzteren durch einen dünnen Steg, d.h. bildet man einen U- oder I-Querschnitt, so erhält man einen Biegungsbalken von großer Tragfähigkeit und vorzüglicher Materialausnutzung, denn der Querschnitt ist hoch und das Material liegt in Form von breiten Bändern weitab von der Nullachse der Biegung. Die Flanschen sind auf Zug bezw. Druck beansprucht und können vermöge ihres großen Abstandes ein großes Biegungsmoment aufnehmen, der Steg ist vornehmlich auf Schub beansprucht und zwar am meisten in der Nullachse der Biegung. Ganz ebenso wie der Steg müßten die Rippen in einem hohlen Scheibenkolben wirken und die Tragfähigkeit und Materialausnutzung im Vergleich zu einem rippenlosen Kolben bedeutend erhöhen. Der eine Boden ist auf Zug, der andere auf Druck beansprucht, wenn man eine und dieselbe Normale auf dem Kolben ins Auge faßt. Die Rippen halten diesen Zustand durch Schubspannungen aufrecht, die zwischen beiden Böden in den Rippen wirksam sind. Soviel mir bekannt wurde, fällt es sehr schwer, hohle Rippenkolben zu gießen, deren Rippen frei von Gußspannungen sind. Dadurch wird in das Ergebnis einer Berechnung, welche die Widerstandsfähigkeit hohler Rippenkolben auszudrücken sucht, eine Unsicherheit hineingetragen, die größer ist als die nicht allzu gewagten Annahmen, die einer solchen Berechnung zu Grund gelegt werden müssen. Dies hält mich ab, eine derartige Berechnung, die ich in Händen habe, vorerst bekannt zu I geben.